Digitized by the Internet Archive 12015 Httos / archive. org/ details / meinereisendurch 121spie + 7 IN . 0 GEN 2 TER 2 — 56 2 7 2 7 VCH 7 4 HER, ,, 400 2 ; ee Ba ellen vet (He Ss ohen. N (5 I lhalucks 7 uud . ® „ s 8 Nummer „ beo si ift, ft. Heim ful. Opus 60 GEN en Fache th wi - Appia Ser N 72 6. N m Dem redlichen, biedern Manne und geliebten Freunde, | Bett n aß t, 35 gewidmet von dem Verfaſſer. * wenn ich an der Schaͤdelſtaͤtte der Moͤr— der, Räuber und Diebe voruͤberging, Schauder meine Bruſt engte, und unwillkuͤhrliches Mit: leid mein Herz fuͤllte, da blikte ich immer for— ſchend ins Vergangne, und unterſuchte die moͤgli— che Urſache, welche das Gefuͤhl der Menſchheit, Ehre und Redlichkeit in ihren Herzen erſtikte, ſie von Stufe zu Stufe bis ans Hochgericht der raͤ⸗ chenden Gerechtigkeit leitete. Oft, wenn ich in die Huͤtte des Elenden blikte, oder einen ehemals Gluͤklichen am Stabe der Armuth wiederfand, Thraͤnen mein Auge truͤbten, und ich ſo herzlich Retter der Verlaßnen zu werden wuͤnſchte; da ſann ich ſtets nach: Ob verdientes Ungluͤk ihn peinige, oder Zufall und Schickſal ihre Tuͤkke an ihm uͤbe? Ich fuhr erſchrokken und zitternd em⸗ por , wenn mich anhaltendes Nachdenken uͤber— zeugte, daß oft die kleinſte Urſache, die Mutter der groͤſten und wichtigſten Begebenheiten werde; daß ein geringes, von mir und Tauſend andern ſchon oft veruͤbtes Verbrechen, wenn Zufall und Umſtaͤnde ſich mit ihm vereinigen, den redlichſten Mann zum Raͤuber, das gefuͤhlvollſte Herz zum A 2 Moͤr⸗ 4 4 Moͤrder, den waͤrmſten Patrioten zum Verraͤther ſeines Vaterlands machen koͤnne. Tiefe Trauer, anhaltende Melancholie aͤngſtigte Herz und Seele, wenn ich mich durch tauſend Beiſpiele uͤberzeugt und uͤberwieſen ſah, daß auch ich einſt ohne Vor⸗ faz , ohne Verſchulden in der Hütte des Elends ſchmachten, im Greiſenalter am Bettelſtabe um⸗ her ſchleichen koͤnne. Meine gereizte Einbildungskraft dachte ſich dann immer eine der geringſten Vergehungen, welche auch der ſchaͤrfſte Richter nicht ahnden, der ſtrengſte Moraliſt verzeihungswuͤrdig finden wuͤr⸗ de. Sie ordnete Zeit, Urſachen und Folgen nach eignem Belieben, und ſah dann das kleine Ver— brechen unaufhaltſam zur ungeheuern Groͤſſe em⸗ por wachſen; fuͤhlte, wie auf der andern Seite Noth, Zwang, ſelbſt Drang und Ringen nach Rettung den Ungluͤklichen unwiderſtehbar mit ſich fortris, und endlich fo feſt in die Ketten verwik⸗ kelte, daß er ohne ein Wunder nicht mehr . tet werden konnte. Meine Wisbegierde forſchte in der Folge: Ob mir die Einbildungskraft nicht bloſe Moͤglich⸗ keit als Wahrheit geſchildert habe? Ob wuͤrklich nicht allemal natuͤrlicher Hang zum Boͤſen, ge⸗ pflegte, ſtraͤfliche Begierde, freier, ungezwunge⸗ | ner 5 ner Wille den Menſchen zum Verbrechen verleite ? Ob nicht immer eigne Schuld, ſondern unvorge— ſehne, nicht zu vermeidende Zufaͤlle den Gluͤkli⸗ chen oft unaufhaltſam angreifen, zum Abgrunde des Elends ſchleppen, und ohne Mitleid hinab— ſtuͤrzen? Ich drang in die Hoͤlen des Ungluͤks, in die Gemaͤcher des Jammers, ich durchirrte Gefaͤngniſſe und Kerker, und wanderte in Huͤtten umher. Ich ſammlete die Erzaͤhlungen der Buͤſ— ſenden, Duldenden und Leidenden, ich pruͤfte die Wahrheit aufs ſtrengſte, und eile fie izt oͤffentlich zur Warnung aller Sichern, zur Beherzigung aller Irrenden kund zu machen. Niemand glau⸗ be, daß ich der guͤtigen Gottheit Vorwuͤrfe zu machen gedenke, wenn ich das unverdiente Leiden der Ungluͤklichen aufdekke, und mit ihnen aus⸗ rufe: Wir leiden ohne Verſchulden! — — Des Ewigen Wege ſind unerforſchlich, wir leben im Stande der Pruͤfung, und ſtaͤrken uns mit der Verheiſſung eines ewigen Lohns! Oft wird uͤber⸗ dies meine Erzaͤhlung klar und deutlich beweiſen, daß eine kleine, unbedeutende, auf keine uͤble Folge abzwekkende, freie Handlung des Men—⸗ ſchen der Urheber ſeines Leidens und Jammers ward. Sollten Beweiſe ſolcher Art nicht nuͤtzen? Nicht aufmerkſam, nicht vorſichtig machen ? Ich hoffe es mit Gewisheit, und deswegen liefere ich tie 8 I Noch 6 Noch muß ich mich, ehe ich beginne, von einem moͤglichen, falſchen Verdachte reinigen. Ich werde einige Geſchichten von Moͤrdern, Raͤu⸗ bern und Verbrechern erzaͤhlen. Die Umſtaͤnde, welche ſie zu dieſen Thaten verlelteten, der unwi⸗ derſtehbare Zufall , welcher fie mit ſich fortris, wird in Herzen meiner Leſer Mitleid, in manchen aber den Verdacht wekken, daß ich die Strenge der Richter und Geſezze tadeln wollte. Weit iſt dieſer Tadel von mir entfernt! Ich will dadurch nicht den Arm der Gerechtigkeit ſchwaͤchen, nicht ihre Richter der Grauſamkeit beſchuldigen. Sie ſizzen auf ihrem Stuhle, um die Wahrheit der That zu unterfuchen , fie muͤſſen Rache über den Thaͤter ausſprechen, koͤnnen oft nicht mildern, wo ſie zu mildern wuͤnſchten, weil die Folge nachtheilig fuͤr den Staat, fuͤr die allgemeine Ruhe und Sicherheit ſeyn wuͤrde, zu deſſen Schuz⸗ ze ſie geordnet ſind. Noch einmal: Ich will nur warnen, nuͤzzen, und, wo moͤglich, retten; ich will dem Sichern zurufen: Nimm dich in Acht? und ihm begreiflich machen, daß der Weg, auf welchem er oft ohne Scheu wandelt, zur Schan⸗ de, zum Tode fuͤhrt. Er⸗ Erſte Wanderung. Alles iſt ſtill und oͤde um mich her! Keine Sonne beleuchtet dieſen unterirdiſchen Gang, kein Tageslicht erquikt iemals das Auge des Wan⸗ dernden. Der Dampf der duͤſtern Lampe, welche dort in der Ekke flammt, engt meine Bruſt, wel⸗ che reinere Luft zu athmen wuͤnſcht, und ſie nicht athmen kann. — — Die Stille ſchwindet! Es klirren Ketten unter meinen Fuͤſſen, es ſteigen Seufzer aus der Tiefe zu mir empor, fie verhal⸗ len am dichten Gitter, und erreichen nicht das Ohr des freien Menſchen, der ungeruͤhrt voruͤber wallt. Opfer der Gerechtigkeit ſchmachten in die⸗ ſen unterirdiſchen Hoͤlen, ſie ſind ausgeſtoſſen aus der menſchlichen Geſellſchaft, der fie durch ihre Laſterthaten ein Greuel geworden ſind. Alle ha⸗ ben den Tod verdient, alle wuͤrden ſonſt an der Nichtſtaͤtte der Gerechtigkeit gebkutet haben, aber dieſe will ihre Haͤnde nicht mehr im Menſchen⸗ blute baden, fie hat fie verurtheilt, hier zu buͤſ⸗ ſen, zu leiden und zu harren, bis der ewige Rich⸗ ter ſie vor ſeinen Thron fordert, ihre That, ihr Leiden waͤgt, und das leztere lohnt wenn es das erſtere uͤberwiegt. Geefuͤhlvolles Maͤdchen, guter Juͤngling, ehrlicher Mann und Vater, zaͤrtliche Gattin und Mut⸗ 8 Mutter, ſteige mit mir herab in die Holen des Ungluͤks! Ich will ſie euch oͤffnen, ihr ſollt hoͤ— ren, ſehen, pruͤfen, und ich buͤrge euch dafuͤr, ihr werdet nicht ohne Nuzzen zurukkehren. Ich leite euch voruͤber am Kerker derer, die mit Be⸗ wuſtſein und Vorſaz ſich in dies ſchrekliche Un⸗ gluͤk. ſtuͤrzten „die, waͤhlen konnten zwiſchen dem Pfade des Guten und der Straſſe des Boͤſen, und doch auf die ſer wandelten, ob ihnen gleich Kerker und Hochgericht aus dem Hintergrunde entgegen blikte. Ich öffne euch die Thuͤre eines einzigen Kerkers „in welcher ein Mann ſchmachtet, der euer ganzes Mitleid a ſelbſt das Erbarmen der Gerechtigkeit verdient. Schaut hinab! Schwere, unaufloͤsliche Ketten feſſeln ſeine Haͤnde und Fuͤſſe, umguͤrten ſeinen Koͤrper „und hindern ihn den kleinen Naum ſeines Kerkers mit Schritten zu meſſen. Er zahlt erſt vierzig Jahre ſeines Al⸗ ters, und iſt verurtheilt ſeine ganze Lebenszeit in dieſem dumpfichten Loche ohne Huͤlfe, ohne Aus⸗ ſicht, ohne Troſt zu ſchmachten. Er genuͤßt nur Waſſer und Brod im kargen. Maafe, er wuͤnſcht zu ſterben „und kann doch nicht ſterben. Die Thraͤne des Mitleids nezt eure Wange, ich will harren, bis der Glanz derſelben ſein mattes Au⸗ ge blendet, und er eure Theilnahme fuͤhlt. Wa⸗ car duldet, warum leidet er 0 ſchreklich? Ihr un ſollts 9 . ſollts erfahren, nur richtet, verdammt nicht, ehe ihr alles erfaͤhrt! Ich wuͤrde ihn zur Erzaͤhlung feiner Geſchichte ſelbſt auffordern, wenn ihm feiz ne tiefe Melancholie dieſe Erleichterung goͤnnte. Anfangs ſprach und weinte er noch, aber izt hat das Leiden ſeines Herzens die Sprache gehemmt, der Strom feiner Thränen iſt vertroknet, er ſtarrt durch die Finſterniß, die ihn umgiebt, nach dem ienſeitigen Lichte, und harrt, bis es ſich ihm naͤ⸗ hert. Nennt das Geſez, welches ihn zu ſo ſchrek⸗ licher Strafe verurtheilte, nicht grauſam, den Richter, welcher ſie uͤber ihn ausſprach, nicht ge⸗ fuͤhllos! Ihr wuͤrdet, wählte man euch zum Ge— ſezgeber und Richter, aͤhnliche Strafe beſtimmen und ausſprechen. Er war ein Raͤuber, ein Moͤr⸗ der ſeines Vaters, ſeines Weibes und ein— zigen Sohnes. Er iſt nicht allein der That uͤberwieſen, er hat ſie auch ſelbſt bekannt. Ihr ſchaudert zuruͤk? Hoͤrt! und urtheilt! Karl von H“, ſo nennt ſich der Ungluͤkli⸗ che, war der einzige Sohn eines ſehr reichen Lands. edelmannes in B* Sein Vater war ein aͤuſſerſt ſtrenger, oft grauſamer Mann, er ſtrafte ſelbſt das geringſte Verbrechen mit unnachſichtlicher Strenge an ſeinem Weibe und Kinde, das er doch 10 doch wuͤrklich liebte. Eine Laune, ein blofer Ein⸗ fall wekte oft bei dem geringſten Widerſtande ſei⸗ nen Jaͤhzorn, der dann hell loderte, und fuͤrch⸗ terlich verheerte. Ich muß, um dieſen in ſeiner ganzen Groͤſſe zu ſchildern, einige Beiſpiele erzaͤh⸗ len. Als ſeine Gattin ihm den ungluͤklichen Sohn geboren hatte, und er zum erſtenmale mit ihr durch ſeine Fluren im vertraulichen Geſpraͤche ſpazieren fuhr, bat ihn dieſe, daß er nicht Tobak rauchen moͤge, weil der Wind eben dem Knaben, welcher auf ihrem Schoos ruhte, den Rauch in den Mund wehe, und heftigen Huſten verurſache. Die Lau⸗ ne des Vaters ward dadurch gewekt, er dampfte aͤrger als vorher, und wie die beſorgte Mutter ihre Bitte wiederholte, ſo hielte er dem armen Kinde die dampfende Pfeife vor die Naſe. Das muͤtterliche Gefuͤhl erwachte, ſie nannte ihn einen grauſamen Vater, und er warf ſie, als die Pfer⸗ de eben ſchnell trabten, ohne weitere Antwort mit dem Kinde aus dem Wagen. Das leztere fiel unbeſchaͤdigt ins nahe Gras, aber die arme Mut⸗ ter brach im Falle ein Bein, muſte zwei Stunden lang auf der Straſſe ohne Huͤlfe ſchmachten, weil der Zornige forderte, daß fie zu Fuſſe nach Hauſe kommen, und ihn um Vergebung bitten ſollte. Noch ſchlich die ſanfte, duldende Seele an einer Kruͤkke im Garten umher, und ließ, den ein⸗ 11 86— —— einzigen Troſt ihres Leidens, ihren Sohn auch dahin bringen, als ſein Vater in der beſten Lau⸗ ne mit ihm dort erfihien , fie mit Zaͤrtlichkeit herzte und kuͤſte, und die Folgen ſeines Jaͤhzorns in ſtarken Ausdruͤkken verdammte. Das Rau— ſchen einer Fontaine, welche in der Mitte eines tiefen Baſſins empor ſprudelte, reiste die Auf— merkſamkeit des Kleinen, welchen der Vater in ſeinen Armen trug; er langte mit ſeinen Haͤnden darnach, und wollte die glaͤnzenden Waſſerperlen haſchen. Dem Vater gefiel dieſe Begierde, er ging mit dem Knaben auf einem Brete, welches quer über lag, bis zur Fontaine hin. Das Waſ— ſer beſprizte das Kind, es begann nun zu zappeln und zu ſchreien. Der Vater ward uͤber dieſe furchtſame Aeuſſerung ſo aufgebracht, daß er den armen Knaben mit Gewalt uͤber die Fontaine hielt, und wie dieſer ganz natuͤrlich noch aͤrger ſchrie, ſogleich in das Baſſin warf, und ohne ſich nach ihm umzuſehen, unter Fluchen und Toben den Garten verlies. O haͤtte damals, rief er aus, als er feine Geſchichte erzaͤhlte, ein wohl⸗ thaͤtiger Wind die Hülfe rufende Stimme meiner Mutter verweht, ich würde dann im Waſſer meis nen Tod, und das fruͤhe Ende meines Ungluͤks gefunden haben! Aber die Vorſehung winkte, ein Gaͤrtner eilte herbei, und rettete den Knaben, wel⸗ I2 welcher nicht unterſinken konnte, weil er mit ſei⸗ nem Roͤkchen an einem a1 haͤngen blieb. Wie Karl ſchon laufen und lallen konnte, nahm ihn der Vater oft mit ſich in ſein Zimmer, und ergoͤzte ſich an feinem kindiſchen Spiele, nur konnte ers nicht leiden, wenn der muntere Knabe, den iede glaͤnzende Sache zur Beruͤhrung reizte, ſeine Gewehre, die in groſſer Zahl an der Wand hin⸗ gen, antaſtete. Er konnte an dieſen nicht den ge⸗ ringſten matten, oder roſtigen Flekken dulden, und verbot es daher dem Spielenden oft, dieſe Ge⸗ wehre ia nicht zu beruͤhren. Einſt, als der Va⸗ ter ihm eben die Deichſel ſeines Wagens, welche er im Fahren zerbrochen hatte, flikte, und zu die⸗ ſem Behufe ein groſſes, ſcharfes Meſſer in der Hand hielt, war Karl wieder an ein Gewehr ges kommen, und ſpielte mit ſeinen Fingern am Laufe deſſelben. Der Vater ſahs, ſein Zorn entbrannte, er hieb mit dem Meſſer nach ihm, und ſpaltete die Wange des Knaben bis auf die Kinnlade. Er ward gluͤklich geheilt, nur eine kleine Narbe blieb zuruͤk, die er er a enen Ganz 3 BER He die gute Mutes mit Recht, fuͤr das Leben ihres Einzigen zagte, in den Stunden der Ruhe und des Vergnuͤgens den Vater daruͤber Vorſtellungen machte, die end⸗ lich 13 lich einſt wuͤrklich fo viel fruchteten, daß er gez lobte, den Knaben lieber der Erziehung einer al— ten Tante anzuvertrauen, als ihn laͤnger um ſich zu haben, und einſt im Jaͤhzorne ſein Moͤrder zu werden. Die zaͤrtliche Mutter hatte dieſen Vorſchlag ſelbſt gemacht, es that ihr aͤuſſerſt weh, ſich von ihrem Lieblinge zu trennen, aber ſie fuͤhlte die Gefahr, in welcher er taͤglich im vaͤterlichen Hauſe ſchwebte, und ließ ihn ruhig ziehen, weil ſie nebenbei vollkommen uͤberzeugt war, daß die Tante den Kleinen innig lieben, ihn ſorgfaͤltig und gut erziehen wuͤrde. Mit fuͤnf Jahren verlies er Vater und Mut⸗ ter, erſt im dreizehnten Jahre kehrte er zum er— ſtenmale ins vaͤterliche Schloß zuruͤk, weil ſein Vater an den Folgen eines zuruͤkgetretenen Por dagras ſehr krank darnieder lag, ſeinen Sohn noch einmal ſehen und ſegnen wollte. Als er acht Jahr alt war, und die ihn oft beſuchende Mutter den Fleis des Knabens eifrig lobte, ſeine Faͤhigkeiten laut bewunderte, da entſchloß ſich der Vater ihn auch einmal zu ſehen und zu beſuchen. Er ges lobte der Mutter aufs heiligſte, ſich durch keinen Zufall zum Jaͤhzorne reizen zu laſſen, wie aber Karl bei ſeiner Ankunft aͤuſſerſt ſchuͤchtern that, ſich im Schooſe der Tante vor ihm verbarg, und ſeine Hand nicht kuͤſſen wollte, da ergrimmte er aufs 14 2 — aufs neue, und gab dem weinenden Knaben eine ſo derbe Ohrfeige, daß er ohnmaͤchtig zu Boden ſank, über eine Stunde wuͤrklich für tod gehals ten wurde. Dies bewog den reuenden Vater, ihn ſeit der Zeit nie mehr zu ſehen, und ob gleich der Tante Wohnung nur eine Stunde weit entfernt lag, ihn nie zu ſich holen zu laſſen. Die Tante wuͤrde ihren geliebten Zoͤgling, auch noch laͤnger ſeiner dringenden Bitte verweigert haben, wenn nicht die Mutter ſelbſt gekommen waͤre, ſie zu uͤberzeugen, daß keine Gefahr bei ſo groſſer Krank⸗ heit moͤglich, und es wuͤrklich grauſam ſei, dem Vater in der nahen Stunde ſeines Todes den An⸗ blik ſeines Sohnes zu entziehen. Ueberdies war Karl izt ſchon verſtaͤndiger, er ehrte den Vater auch in der Ferne, weinte aus wahrer kindlicher Liebe, als er fein Leiden hoͤrte, und gelobte feier: lich, ihn mit Wärme und Ehrfurcht zu gruͤſſen. Tief ward das Herz des Alten geruͤhrt, als er den werdenden Juͤngling in ſein Zimmer tre⸗ ten, ihn kniend an ſeinem Bette ſah, und um Se⸗ gen ſtammlen hoͤrte. Er vergas die Qual des Schmerzens, er zog ihn an ſein Herz, und weinte mit ihm. Karl muſte bei ihm bleiben, und wenn der Schmerz in feinem Innern allzuheftig wuͤ⸗ thete, ſo ſchiens ihm Linderung zu gewaͤhren, wenn der kleine Schmeichler feine Haͤnde ſtrei⸗ chel⸗ 15 chelte, den Schweis von feiner Stirne troknete. Ein alter Diener, mit welchen ich ſelbſt ſprach, verſſcherte mich, daß Karl damals drei volle Tas ge und Nächte am Bette des kranken Vaters ſas, ihn mit groͤſtem Eifer bediente, ieden ſeiner Winke zu errathen ſuchte, und dadurch das Herz des Va⸗ ters ſo einnahm, ſo ruͤhrte, daß er oft Gott bat, ſein Leben noch laͤnger zu friſten, damit er alle Welt uͤberzeugen koͤnne: Wie theuer ihm ſein Sohn geworden ſei? Wie ſehr er ihn liebe? Nach einer Woche beſſerte es ſich wuͤrklich mit dem Alten, das Podagra fixirte ſich in Fuͤſ⸗ ſen, verließ ihn bald hernach ganz, und hinderte ihn nicht, freilich noch etwas matt im Zimmer umher zu ſchleichen. Sein treuer Waͤrter, der kleine Karl, ſchlief dieſe ganze Zeit über in dies ſem Zimmer, die beſorgte Mutter wollte ihn nun wieder zur Tante ſchikken, aber der Vater verbots aufs ſtrengſte, und verſicherte ſie, daß ein ſo gu⸗ ter Sohn ſein einziger Troſt ſei, ihm nie mehr, wenn er auch wuͤrklich fehle, zum Zorne reizen koͤnne. Karl war ganz natuͤrlich auch mit ſeinem iezzigen Schikſale ſehr zufrieden, er war wisbe⸗ gierig und lernte gerne, aber bei der Tante muſte er zu anhaltend, zu lange lernen, dies machte ihm oft den Aufenthalt bei ihr unertraͤglich. Sein Vater wollte ihm izt ſeinen Eifer, ſeine Liebe ver⸗ gel⸗ 16 Ger: gelten, er erlaubte ihm, obgleich die Tante den Hofmeiſter aufs Schloß ſande, einige Wochen gar nichts zu lernen, und ſich durch iedes erlaubte Vergnuͤgen zu ergoͤzzen. Karl ſprang den ganzen Tag umher, machte Bekanntſchaft mit den Dorf: iungen, und beſuchte in ihrer Geſellſchaft ſehr fleiſſig die Kirſchbaͤume, deren Fruͤchte eben reif: ten. Sein Vater, welcher ſich immer in einem kleinen Blumengaͤrtchen ſonnte, vorzuͤglich ſeine ſchoͤnen Nelken pflegte, erblikte ihn einſt auf ei⸗ nem dieſer Baͤume. Er rief ihn zu ſich, Karl er⸗ ſchien zitternd und bebend, weil er ſtrenge Strafe ahndete. Fuͤrchte dich nicht, ſprach der Vater im ſanften Tone, ich goͤnne dir die Kirſchen, und will dich nur vor der Gefahr warnen, der du dich ausſezzeſt, wenn du allzuhoch ſteigſt, die Aeſte des Kirſchbaums find zerbrechlich, du koͤnnreſt leicht herabſtuͤrzen, Hals und Beine brechen. Nimm dich daher in Acht, und genuͤſſe nicht zu 1 0 auf einmal, denn haͤufiger Genuß ſchadet! Karl war entzuͤkt uͤber die gelinde Strafe des Vaters, er kuͤßte mit Thraͤnen ſeine Haͤnde, und verſprach ſeine Ermahnung puͤnktlich zu er⸗ füllen. Der alte Vater ward dadurch fo gerührt, daß er Karln ausdruͤklich alle Kirſchbaume in der Nahe und Ferne ſchenkte, und es ihm ganz uͤber— lies, mit wem er die Fruͤchte theilen wolle. Nur, fuͤg⸗ 17 fügte er hinzu, bedinge ich mirs ausdruͤklich, daß du mir nicht die zwei fpanifchen Weichſelbaͤume, welche hier in meinem Gaͤrtchen ſtehen, beruͤhrſt. Ihre Fruͤchte dienen mir zur Geſundheit und Er— quiffung , du wuͤrdeſt meinen Zorn reizen, und mich zur Strafe zwingen, wenn ich dich 7 die⸗ ſen erblikte! Karl verſprach des Vaters Gebot ſtreng zu erfuͤllen, und eilte nun fort, um feinen dienftbas ren Baueriungen kund zu machen, daß er unum— ſchraͤnkter Gebieter aller Kirſchbaͤume ſei. Sie freuten ſich mit ihm, weil voller Genuß ihrer harrte, ihre Anzahl vermehrte ſich ſchon am ana dern Tage um ein groſſes, fie exerzierten alle vor— treflich, befolgten ieden Wink ihres Generals, weil fie überzeugt waren, daß fie in feiner Geſell⸗ ſchaft die Kirſchbaͤume erſteigen und »lündern wuͤrden. Ehe acht Tage um waren, erblikte man auf keinem Baume eine Kirſche. Karl hatte die Kuͤhnſten ſeiner Soldaten bis auf die hoͤchſte Spizze, bis auf die laͤngſten Aeſte als Freiwllli— ge beordert, und ſie hatten alles rein hinweg ge— pluͤndert. Sie wollten izt nicht mehr ſo treu und emſig dienen, fie beobachteten nicht mehr fo ſtren⸗ ge Subordination, weil Karl den Sold nicht mehr zahlen, ſie nur mit der Hoffnung der kuͤnf— tigen Aepfeln und Birnen troͤſten konnte. Einſt, B als 18 als fie am kleinen Gaͤrtchen vorbei defilirten, und die vollen Weichſelbaͤume erblikten, weigerten ſie ſich ſchlechterdings weiter zu marſchiren, wenn ihnen der General nicht Pluͤnderung geſtatte. Karl ſchuͤzte des Vaters Gebot vor, aber des Richters und Schulmeiſters Sohn, welche als Offiziere unter ſeiner Fahne dienten, behaupteten, daß der General dieſe ſchoͤne Beute unter dieſem unge⸗ gruͤndeten Vorwande fuͤr ſich behalten, ſie mit ſeinen treuen Soldaten nicht theilen wolle. Karls Stolz wurde durch dieſen Vorwurf gekraͤnkt und beleidigt. Undankbare, rief er aus, ihr ſollt feben, daß ich mich für meine Soldaten aufzu— opfern verſtehe! Lebensgefahr droht demienigen, welcher die Fruͤchte pfluͤkt, ich will ſie nicht ach⸗ ten, und euch beweiſen, daß ich alles mit euch redlich theile. Lagert abſeits, ihr ſeht mich ent⸗ weder mit Beute beladen, oder nie wieder! Er ſchlich ſich nun nach dem Zimmer des Vaters, welcher um dieſe Zeit immer zu ſchlafen pflegte, er erblikte ihn ſchlafend auf ſeinem Ruhebette, ſchlich lan gſam zuruͤk, uͤberſtieg mit einem Koͤrb⸗ chen in der Hand die Mauer des Gartens, und pfluͤkte in haſtiger Eile die ſchoͤnen Kirſchen. Sein Vater ſchlief wuͤrklich, aber die Tritte des Kna⸗ bens wekten ihn, ſein aͤngſtlicher Blik erregte ſei⸗ nen Verdacht, er trat ans Fenſter, um zu ſehen: Ob er ihn nicht irgend wo erblikken wuͤrde? Das Ra u⸗ 5 Rauſchen und Schuͤtteln der Baͤume verrieth ſei— nen Aufenthalt und feine That. Verdammter Bus be, rief er, indem er das Fenſter oͤffnete, was habe ich dir verboten 2 Karl erſchrak, und ſuchte fein Heil in der Flucht. Da die Mauer ihn das ran verhinderte, ſo ſprang er auf das Geruͤſte, auf welchem der Vater die ſchoͤnſten ſeiner Nelken aufgeſtellt hatte, er ris in der Eile eine Menge derſelben herunter, und des Vaters Zorn erwachte. Bube, ich erſchies dich! Bube, ich morde dich? ſchrie er wuͤthend, aber Karl achtete dieſe Dro— hungen nicht, kletterte immer weiter, ſtuͤrzte noch mehr Nelkentoͤpfe herab, und gewann eben die Höhe der Mauer, als fein Vater wuͤrklich eine Piſtole nach ihm abfeuerte, deren Kugel ihn aber nicht traf. Sein ganzes Heer hatte ſchon vorher die Flucht ergriffen, es eilte zerſtreut umher. Karl rief einigen zu: Seht! das iſt euer Werk! und verlor ſich ebenfalls im Freien. Wie der Abend begann, und Karl nicht ruͤk— kehrte, fing des Vaters Herz zu murren an; es forderte feinen Liebling zuruͤk, er ging zur Mut⸗ ter, vertraute ihr die ganze Begebenheit, und ſande nun vereint mit ihr nach allen Straſſen Bo⸗ ten aus, welche den kleinen Fluͤchtling zuruͤkbrin— gen, ihm volle Verzeihung und Nachlas aller Strafe verkuͤndigen ſollten, aber keiner fand, 5 B 2 kei⸗ 20 keiner traf ihn. Vater und Mutter beweinten ihr einziges Kind viele Jahrelang als tod. Karl lenkte ſeine Flucht nach dem Walde, er eilte in dieſem unaufhaltſam fort, und ſuchte wieder einen neuen, wenn er das Ende des erſtern erreicht hatte. Angſt und Furcht der ſchreklichen Strafe jagten ihn die ganze Nacht weiter. Er befand ſich am andern Morgen ſchon in dem groſ— fen Grenzwalde, welcher B * von T! ſcheidet, er wuͤrde in dieſem den Hungertod geduldet haben, wenn er nicht am Abende die Huͤtten einiger Koh⸗ lenbrenner erreicht haͤtte, die ſeinen ſchmachtenden Gaum mit etwas Milch und ſchwarzem Brode labten. Sein Anzug bewies deutlich, daß er das Kind vornehmer, wenigſtens reicher Aeltern ſei, aber ſeine Wohlthaͤter, welche im Walde geboren und erzogen waren, kannten und achteten dies Kennzeichen nicht. Sie glaubten treuherzig, was ihnen der kleine Karl erzaͤhlte, und da er Liſt ge⸗ nug beſas, die Urſache feiner Flucht und feinen wahren Namen zu verſchweigen, ſo gelang es ihm leicht, ſie zu uͤberreden, daß er die verlasne Waiſe eines 'ſchen Offiziers ſei, ohne Unterſtuͤzung und Huͤlfe umher irre, mitleidige Herzen ſuche, wel⸗ che ihm Nahrung und einen feinen Kräften ange⸗ mesnen Dienſt gewaͤhren ſollten. Die Kolenbren⸗ ner konnten dies Anerbieten nicht benuzzen, aber ei⸗ 21 — einer derſelben erinnerte ſich, daß einige Stunden ſeit waͤrts ein ſogenannter Waldinſaß oder Bauer eines Gänfehirten beduͤrfe, deſſen Stelle der ar⸗ me Karl annehmen, und ſich wenigſtens bei dies ſem Dienſte einige Zeit fuͤr Hunger ſchuͤzzen koͤnne. Er erlaubte ihm daher, durch einen halben Mon- den in ſeiner Huͤtte zu ſchlafen, und nahm ihn, als er einige Nahrungsmittel zu holen ging, mit ſich. Der Bauer, welcher noch mit keinem Gaͤnſehirten verſehen war, nahm keinen Anſtand den muntern Buben die zahlreiche Heerde anzuvertrauen. Sein Anzug erregte auch hier keinen Verdacht, denn die ganze Familie des Bauers hatte noch nie ihre Einoͤde verlaſſen, war mit der uͤbrigen Welt ganz unbekannt, auch waren uͤberdies Karls Kleider durch ſeinen Aufenthalt in der Koͤhlerhuͤtte ſo be— ſchmuzt, daß fie bei beſſern Kennern ſchwerlich Verdacht erregt hätten. Karl war froh und mun⸗ ter, als er ſich vor Hunger geſchuͤzt ſah, er ver— gas, ſeiner eignen Verſicherung gemaͤs, ſehr bald die beſſern Speiſen, welche er im vaͤterlichen Hauſe genoſſen hatte, und dachte an dieſes nur mit Furcht und Angſt zuruͤk, weil er feſt uͤber⸗ zeugt zu ſein glaubte, daß ſein Vater ihm die That nie verzeihen, ihn beim erſten Aublikke er- morden werde. Seinen anvertrauten Gaͤnſen, de⸗ ren Aut fi ch auf zweihundert erſtrekte, war ein * 22 ein langes Thal, welches ein Bach bewaͤſſerte, und viele Erlen beſchatteten, zur Weide angewie⸗ ſen. Seine Pflicht wars, ſie taͤglich abwaͤrts zu leiten, und zu verhuͤten, daß ſie weder rechts noch links im Felde oder Wieſen Schaden verur⸗ ſachten. Da die Gaͤnſe Waſſer und Schatten oh⸗ nehin lieben, und im Thale reichliche Nahrung fanden, ſo war dies Amt ſehr leicht, er konnte den ganzen Tag muͤſſig umher ſchlendern, Fiſche fangen, und Vogel ſtellen. Fruͤh, wenn die Son⸗ ne die Berge vergoldete, zog er mit einem Stuͤkke ſchwarzen Brods in der Hand aus, und kehrte erſt bei ihrem Untergange nach dem Bauernhofe zuruͤk, wo eine ſchlechte Suppe oder ein Brei ſeiner harrte. Er war mit dieſer Koſt vollkom⸗ men zufrieden, weil voller Freyheitsgenuß ſie verſuͤßte, kein Hofmeiſter ihn mit Buͤchern quaͤlte, und niemand ihm irgend einen Vorwurf machte, wenn er nur iede Woche einmal ſeine Gaͤnſe der Baͤuerin richtig vorzaͤhlte, und ihr Wachsthum dieſe uͤberzeugte, daß er fie nicht Mangel lei⸗ den lies. N Ehe der rauhe Winter fein Amt und ihn ſelbſt entbehrlich machte, war ſeine Kleidung ganz zerriſſen, er konnte ſich nur noch mit Mühe da⸗ mit bedekken, und ſollte doch izt nach dem Aus⸗ ſpruche des hartherzigen Bauers weiter wandern. Sei⸗ 23 Seine Thraͤnen, welche er bei dieſer unerwarteten Nachricht vergoß, ruͤhrten das Herz der Baͤuerin, fie uͤberredete ihren Gatten eines beſſern. Dem armen Soldateniungen — fo nannte ihn die gan⸗ ze Familie — ward auch den Winter uͤber Koſt zugeſagt, wenn er ſpinnen lernen, und die Ziegen mit fuͤttern wolle. Karl gelobte beides, und er— hielte von der Bäuerin einige alte Kleider, wel— che ihre eignen Buben nicht mehr tragen wollten. Hart war ſein Schikſal dieſen Winter uͤber, er mufte immer angeheftet am Spinnrokken ſizzen, bekam oft tuͤchtige Schlaͤge, wenn er den Flachs verdarb, oder nicht leiſtete, was er leiſten ſollte. Nur die Hoffnung beſſerer Zeiten hielte ihn auf— recht, und wie im Fruͤhlinge wieder die Erde gruͤnte, die iungen Gaͤnſe im Hofe umher wakkel— ten, begann aufs neue ſeine ungeſtoͤrte Freiheit, die er mit groͤſter Wonne und Vergnuͤgen genos. Auf dieſe Art durchlebte er vier Jahre, ver— gas beinahe alles, was er ehemals gelernt hatte, verwilderte ganz, und ward ein wahres Kind der rohen Natur. Sein Koͤrper wuchs und gedeihte aber vortreflich, ſein Dienſtherr fand ihn im lez⸗ ten Fruͤhiahre ſtark und tuͤchtig genug, die Schaafe und Ziegen auf den hohen Gebuͤrgen zu weiden. Betruͤbt und traurig wanderte er zum erſtenmale, wie er ſelbſt erzaͤhlte, hinter ſeiner Heerde, es ſchien, 24 ſchien , als ob eine innere Ahndung, ihm fein. kuͤnftiges Schikſal laut verkuͤndigte, er waͤre ſo gerne noch Gaͤnſehirte geblieben, und achtete des hoͤhern Lohns nicht, den ihm der Bauer verſpro— chen hatte. Bald ſchwand aber Trauer und Schwermuth, wie er den Gipfel der Berge er— reichte, dort uͤberall neue Gegenſtaͤnde fand, die er in ſeinem geliebten Thale nie erblikt hatte. Unumſchraͤnkte Freiheit war auch hier ſein Loos. So lange Sommer und Herbſt regierte, kehrte er mit ſeiner Heerde nie nach dem Bauernhofe zuruͤk, die erſtere fand Nahrung auf den Alpen, ihm ward fie alle acht Tage zugeſaͤndt, und da er nur das iunge, nicht melkbare Vieh huͤtete, fo hatte er keinen Aufſeher, keinen Gehuͤlfen, war ſein eigener Koch und Keller, und hatte bei ſeiner Heerde nur eine einzige alte Ziege, deren Milch ihm der Bauer zur Nahrung beſtimmt hatte. Ein Freudenſtrahl erhellte fein Auge, wie er ſich bei ſeiner Erzaͤhlung der gluͤklichen Tage erinnerte, welche er anfangs auf dieſen Bergen durchlebte. Ganz ſeiner geſchaͤftigen Einbildungskraft über laſſen, baute er Schloͤſſer in die Luft, duͤnkte ſich gluͤklicher als alle, die unter ihm in den Thaͤlern der Erde umher wallten, und gedachte nie ſeiner Geburt, nie des Anſpruches, den er auf ſeines Vaters Reichthum und auf ein wahrhaftes Wohl⸗ | EI les 25 —— — „„ leben machen konnte. Seine Heerde war ihm alles, ihre muntern Spruͤnge wuͤrkten auf ihn, er huͤpfte in ihrer Mitte umher, kein Felſen war ihm zu hoch, er erkletterte ihn in Geſellſchaft feiz ner jungen Ziegenboͤkke, und freute ſich mit ihnen herzlich, wenn ſie auf der Spizze deſſelben einige kraͤftige Kraͤuter fanden. Noch hoͤher als die Weide, welche dem Bauer eigenthuͤmlich gehoͤrte, lag eine Reihe von Felſen, welche man die Frey- und Wildalpen nannte. Gemſen und Steinboͤkke fanden dort ih— re Nahrung, fie hatten, gleich dieſen, keinen Ei- genthuͤmer, es ſtand iedem der angrenzenden Hir— ten frei, ſich mit ſeiner Heerde dahin zu wagen, auch war es den Armen der Gegend unverwehrt, ihre Ziegen in den Rizzen dieſer Felſen zu huͤten. Da dort zwar nur ſparſam, aber auch am kraͤf— tigſten die Lieblingskraͤuter der iungen Ziegen wuchſen, fo beſuchte der kuͤhne Karl oft mit feis ner Heerde dieſe Gegend. Einſt verſtieg er ſich allzu hoch, konnte nicht ruͤkwaͤrts kehren, muſte mit Gefahr des Lebens an der andern Seite der Felſen hinabklettern, wo er dann durch einen Um⸗ weg wieder nach feiner Huͤtte zu gelangen hoffte, Eben hatte er eine kleine Ebne erreicht, erwartete dort ſeine nachfolgende Heerde, als er rechts hin⸗ ter einer Felſenwand klagende Toͤne vernahm. Zu ‚Sie 26 Sie drangen durch ſein lauſchendes Ohr tief in ſein Herz, Fieberſchauer, noch nie gefuͤhlte Em⸗ pfindungen ergriffen es, ein unbekanntes Gefuͤhl erwachte in ſeiner Bruſt, engte und preßte ſie. Er umkletterte die Felſenwand, und erblikte eine weibliche Geſtalt, welche ihre Arme uͤber eine iaͤmmerlich zerſchmetterte Ziege ausbreitete, und laut iammerte. Es war ein Maͤdchen, von ſechs⸗ zehn Jahren, gleich Karln in Lumpen gekleidet, aber wenn fie ihre Arme ausbreitete, mit vollem Gefuͤhle des Jammers ihr flehendes Geſicht zum Himmel erhob, da war dieſe Stellung allzu fä- hig, das unbefangne Herz des keimenden Juͤng⸗ ling zu feſſeln. Karl ſtand, ſah und fuͤhlte. Das Mädchen erblikte ihn zuerſt, fie hob ſich ſchuͤchtern empor, wollte fliehen, und lokte zwei iunge Ziegen, welche bisher theilnehmend an ih⸗ rer Seite ſtanden, und gleich ihr den Tod ihrer Mutter zu fuͤhlen ſchienen. Karl gewann Kraft zu ſprechen, er fragte und das Maͤdchen antwortete. Sie erzaͤhlte ihm, daß die alte Ziege der einzige Reichthum ihrer armen Mutter geweſen ſei. Den ganzen Sommer hatte ſie ſolche unter den Felſen geweidet, der Genuß der kraͤftigen Kraͤuter mehrte ihre Milch, die Mutter hatte ſchon einige Kaͤſe fuͤr den Winter verfertigt, hoffte ihrer noch mehrere zu machen, 8 und 27 und izt war die gute Ziege, durch ein Geraͤuſch erſchrekt, vom hohen Felſen herabgeſtuͤrzt, hatte ſich im Falle iaͤmmerlich zerſchmettert. Was wer⸗ den wir nun eſſen? Wovon uns ernaͤhren? Was wird meine alte Mutter ſagen, wenn ich ihr die Ernaͤhrerin tod nach Hauſe bringe? Ach, ſie wird mir die Schuld beimeſſen, mich ſchlagen, mir fluchen! fo klagte das Mädchen, und groſſe Tro⸗ pfen rollten aus ihren ſchwarzen Augen uͤber ih— re rothen Wangen. Karl ſah ein, daß Worte des Troſtes nichts nuͤzzen, nur Huͤlfe den Jammer enden koͤnne, fein Auge fuchte fie, und blieb un willkuͤhrlich an der toden Ziege hangen. Er fand, daß ſie derienigen, welche er unter ſeiner Heerde hatte, vollkommen an Geſtalt und Farbe gleiche; ohne ein Wort zu ſprechen, eilte er fort, faßte ſeine Ziege ſtraks beim Horne, und fuͤhrte ſie zu dem weinenden Maͤdchen. Dieſes fuhr freudig empor, als es die Ziege erblikte, ſank aber traue rig zuruͤh, wie die neben ihr liegende fie uͤber— zeugte, daß es die ihrige nicht fein koͤnne. Das Mädchen. Ach lieber Gott! war mirs doch, als ob du mein Flehen erhoͤrt, und mir die gute Ziege wieder lebendig gemacht haͤtteſt! Karl. (freudig) Gleicht fie der deinigen? Wuͤrde deine Mutter ſie fuͤr die ihrige erkennen? Das 25 Das Mädchen Ach, nicht fie, nicht ich wuͤrde ſie unterſcheiden koͤnnen. Hat auf der Stirne eben einen ſolchen weiſſen Flek, uͤber den Ruͤkken den nemlichen Streif. Laͤge die meinige nicht tod zu meinen Fuͤſſen, ich würde fie kuͤhn als mein Eigenthum von dir fordern. Karl. So nimm ſie, ſie gehört von vie⸗ ſem Augenblike an dein. Das Maͤdchen. (freudig) Ich ? Neh⸗ men? mein? (traurig) Aber wie kannſt du ſie mir ſchenken? Biſt wahrſcheinlich auch ſo arm als ich? Iſt vielleicht auch der ganze Reichthum dei⸗ ner Mutter? Karl. Ich diene einem reichen Bauern, huͤte feine zahlreiche Heerde, er gab mir die Zie— ge zu meiner Nahrung. Er kann ſie leichter als du miſſen, er hat ihrer noch weit mehrere, ſie haͤtte gleich der deinigen auch vom Felſen ſtuͤrzen koͤnnen. Ich nehme die Tode und du die Leben⸗ dige. Kein Menſch wird den Betrug ahnden, und Gott ihn ſelbſt billigen, weil er dich aus ſo groſ⸗ je Ungluͤkke rettet. Das Mädchen widerſtand zwar aufen ta⸗ pfer der Verſuchung, meinte daß der Tauſch ein Diebstahl, und dieſer eine groſſe Suͤnde ſei, da aber 29 aber Karl kräftig widerſprach, fie fich an die Kla⸗ gen ihrer Mutter erinnerte, ſo willigte ſie endlich ein, und Karl lud die tode Ziege auf ſeinen Ruͤk⸗ ken. Es war ihm, als ob er Lohn fuͤr die That fordern koͤnne, und das Maͤdchen ihm ſolchen ges waͤhren muͤſſe, aber der geheime Wunſch fand keine Worte, er ſchied ſtumm, und war zufrieden, als er deutlich gewahrte, daß das Maͤdchen ihm ſehnſuchtsvoll nachblikte. Eben wollte er hinter der Felſenwand ihrem Blikke entſchwinden, als fie ihm haſtig nacheilte, und keuchend fragte: Wo er ſeine Huͤtte habe, und auf welchem Wege ſie ſolche treffen koͤnne? Karl beſchrieb ihr den lez— tern genau. Ich will mir ihn gewis merken, ſagte fie lächelnd , und dich morgen ſchon befus chen. Ich bringe dir dann ein Toͤpfchen Milch mit, damit es dir nicht an Nahrung mangelt, fuͤgte ſie hinzu, und huͤpfte wieder nach ihrer Ziege zuruͤk, die Karln folgen wollte. Am an⸗ dern Morgen kam der gewöhnliche Bote, welcher Karln immer die woͤchentliche Nahrung brachte, er gab ihm die tode Ziege, und erzaͤhlte ihm, daß ſie geſtern, durch einen Steinadler erſchrekt, von einer hohen Felſenwand herab geftürzt ſei. Der Bote nahms fuͤr Wahrheit, und verſprach, da Faͤlle dieſer Art ſehr gewoͤhnlich waͤren, bald mit einer neuen Ziege zu erſcheinen. Karl folgte heute ſei⸗ 30 feiner Heerde nur langſam, trieb fie zuruͤk, wenn ſie ſich von der Huͤtte entfernen wollte, er hatte den Schneehuͤhnern Schlingen gelegt, er befuchte dieſe ſonſt alle Morgen, heute gedachte er ihrer nicht. Sein Auge ſtarrte immer in die Ferne und nach dem Pfade hin, auf welchem ihm das Maͤdchen zu beſuchen verſprochen hatte, ſie erſchien zu ſeiner groͤſten Freude ſchon am Mit⸗ tage, brachte ihm Milch und erzaͤhlte ihm, daß ihre Mutter den Betrug nicht ahnde, fie ſehr gez lobt habe, weil die Ziege reichlicher Milch als gewoͤhnlich gab, und ihr aufgetragen habe, heute wieder die milchreiche Weide zu ſuchen. Karl fand in dieſer Erzählung groſſen Stoff zur Freu⸗ de, auch er machte ihr kund, daß er morgen ſchon eine neue Ziege erhalten würde, dann gerne ihrer Milch, aber nicht ihres Beſuches entbehren wolle. Sie wurden nun geſchwaͤzzig, vertrauter, die Natur ſiegte, und ehe das Mädchen ſchied, hatte Karl ſchon Kuͤſſe in Menge gefordert, erhalten, und war dreuſt verſichert worden, daß ihn Kaͤt⸗ chen, ſo nannte ſich das Maͤdchen, von ganzem Herzen liebte. Der Wonnegenuß der aͤchten, reinen Liebe kann auf dem Strohlager eben ſo gut, als auf perſiſchen Dekken und Pfuͤhlen von Eiderdunen empfunden werden; man wundere ſich daher nicht, wenn 31 wenn der liebende Juͤngling ſich auf ienen gluͤkli⸗ cher als alle Koͤnige der Erden duͤnkte, und, wenn er ſich im Arme ſeines Maͤdchens dachte, mit al⸗ len zu tauſchen weigerte, Noch umgaukelten ihn angenehme Traͤume, die ſo rein, wie die Luft waren, welche er athmete, als fein Dienſtherr zu ihm in die Huͤtte trat. Schlafſt du immer ſo lange? fragte er ihn muͤrriſch, und befahl ihm Folge. Er muſte ſogleich ſeine Heerde ſammlen, der Bauer beſah und uͤberzaͤhlte ſie genau, er fand die Zahl derſelben richtig, und ihren Wachs⸗ thum vortreflich. Sein Geſichte erheiterte ſich ein wenig. Ich bin mit dir zufrieden, ſprach er, nur fordere ich offne Erzaͤhlung: Wie die Ziege, welche du mir geſtern ſandeſt, verungluͤkte? Karl leiſtete fie ſogleich, und berichtete ihm, daß er, wie er auf den Felſen huͤtete, einen groſſen Steinz adler in der Luft erblikte, ihn herabſchuͤſſen ſah, bald darauf einen Fall hoͤrte, dem Schalle nach— eilte, und die Ziege zwiſchen den Felſen zer— ſchmettert fand. Moͤglich iſts, endete er, daß der groſſe Adler ſie faſſen wollte, und indem ſie ſeinen Klauen auswich, vom Felſen herabſtuͤrzte. Deine Erzaͤhlung kann, antwortete der Bauer, wahr ſein, aber noch gewiſſer iſts, daß die tode Ziege nicht die meinige iſt. Sieh hier ihre bei⸗ den Ohren, ſie ſind nicht gezeichnet, und doch | iſts 32 iſts dir eben fo gut wie mir bekannt, daß alle Schaafe und Ziegen, welche mir angehoͤren, am linken Ohre gleich einem Kleeblatte gezeichnet find. Ein deutlicher Beweis, daß du eine frems de Ziege fandeft, und die meinige noch unter den Felſen umher irrt. Komm , wir wollen ſie ſu⸗ chen! Karl folgte ahndend und angſtvoll, kaum hatten ſie die Felſen erreicht, ſo kletterte ihnen Kaͤtchen entgegen, ſie trug in ihrer Rechten einen Topf Milch, und leitete an ihrer Linken die Zie⸗ ge. Karl winkte, ſie ſah ihn nicht, der Bauer erblikte die Ziege, ward aufmerkſam, und eilte auf das Maͤdchen zu. Dachte ichs doch, rief er aus, als er das Ohr derſelben betrachtete, daß, ich mein Eigenthum wiederfinden wuͤrde, aber, daß man fie ſtehlen wollte, haͤtte ich nicht vermu⸗ thet. Er forderte nun von dem Maͤdchen Erklaͤ⸗ rung: Warum fie ſich einer fremden Ziege wider rechtlich bemaͤchtigt habe? Und als dieſes nur ſtotterte, immer Karln anblikte, nicht antworten wollte und konnte, da ward der Bauer zornig, und mishandelte das arme Kaͤtchen mit ſchrekli⸗ chen Schlägen. Karl konnte nicht zuſehen, er warf ſich zwiſchen beide, drohte, flehte und be⸗ kannte ſogleich alles. Dies Bekenntnis war nicht hinreichend, den Zorn des Bauern zu ſtillen, es vermehrte ihn vielmehr um ein groſſes, er kehrt ſich 33 ſich nun gegen Karln, und pruͤgelte dieſen weit ſtaͤrker. Anfangs duldete Karl, als aber der Grimm ſeines Herrn nicht endete, fo. erwachte ſein Muth, er widerſezte ſich, ſeine iugendlichen Kräfte ſiegten, er uͤberwand den Alten, und gab reichlich zuruͤk, was er erhalten hatte. Erf, als der Bauer athemlos und mit Blute beſudelt, am Boden lage, gelang es dem flehenden Kaͤtchen, Karls Wuth zu befänftigen, er ergriff ihre Han! und floh mit ihr uͤber die Felſen hinab. Die ige ge folgte,, weder Karl noch Kaͤtchen traute fi ſch ruͤkwaͤrts. Karl ſah ein, daß ihm daheim ein arges Loos treffen muͤſſe, und Kaͤtchen muthma⸗ ſte, daß der Bauer ihrer Mutter alles entdekken, und aͤhnliches Loos ihrer harren wuͤrde. Augſt und Kummer trieb ſie raſtlos umher, ſie lagerten ſich Abends in einer Felſenhoͤle, und tranken am Morgen die Milch, welche ihre treue Ziege ihnen reichlich ſchenkte. Ohne Plan, ohne Ausſicht kletterten beide hernach weiter, und erreichten endlich einen engen Pfad, der fie abwaͤrts führte, Wie ſie einige Stunden gewandert waren, be⸗ gegneten ihnen zwei Männer, welche fie liebreich anredeten, und nach ihren Geſchaͤften fragten. Karl, welcher einſah, daß offnes Bekenntnis nichts fruchten koͤnne, nahm ſeine Zuflucht zur Nothluͤge, er erzaͤhlte den Fragenden, daß er auf den Alpen Ziegen huͤte, und ſeine Schweſter, C wel⸗ 34 welche ihm Nahrung gebracht habe, nur eine Strekke Wegs begleiten wolle. Die Maͤnner forſchten nun: Ob er eines Bauern Sohn ſei 2 2 und als ſie vernahmen, daß Karl und ſeine Schweſt er die aͤrmſten Kinder des Thals waͤren, bezeugten ſie groſſes Mitleid mit ihnen, lagerten fi ch am Boden, und luden beide zu einem Fruͤh⸗ ſtuͤkke ein, welches ſſe aus ihrem Schnappſakke her vorlangten. Karl und ſein Kaͤtchen fuͤhlten Hunger, langten wakker zu, und da die Maͤnner auch Wein mit ſich fuͤhrten, ſo ward Karl bald munter und froͤhlich. Wie die Maͤnner dies be⸗ merkten, fragten ſi ſie: Ob nicht oͤfters auf den Alpen ein Stuͤk Vieh verungluͤkke „oder Adler und Geier eine iunge Ziehe in ihren Klauen da⸗ von truͤgen? Karl verſicherte, daß ihm dies noch nie wiederfahren ſei, er aber von andern Hirten Erzählungen dieſer Art oft gehört habe. Dann biſt du, antwortete einer der Maͤnner, ein groſſer Dummkopf, wenn du ſie nicht zu deinem Vor⸗ theile benuzzeſt. Ich fuͤhle aͤchtes Mitleid mit dir, ich will dir Mittel zeigen, wie du deine Ar⸗ muth bald vermindern kannſt. Nimm ſechs oder acht iunge Boͤkke aus deiner Heerde, und treibe ſie morgen auf die gegen uͤber liegende Anhöhe, du wirſt ſicher einen aus uns dort treffen, wel⸗ Dr dir iedes Stuͤk mit einem ganzen Dukaten be⸗ 25 bezahlen wird. Sage dann deinem Dienſtherrn, daß einige derſelben von der Hoͤhe in die uner⸗ ſteigliche Tiefe hinabſtuͤrzten, andre der groſſe Geier in der Luft fortfuͤhrte, und ſammle dir auf dieſe Art ein kleines Kapital, das dir in deinen aͤltern Tagen wohl behagen wird. Karl verwarf den Antrag nicht, und ver⸗ ſprach ihn zu uͤberlegen, weil er es nicht geſtehen wollte, daß er nicht mehr der Hirte einer Heerde ſel, und in der Flucht umherirre. Die Maͤnner beſchieden ihn nochmals nach der Anhoͤhe, und wanderten weiter. Karl leitete ſein Kaͤtchen nach einer nahen Hoͤle, wo ſie ruhen und uͤberlegen wollten: Wie ſie ſich ernaͤhren, unn kuͤnftighin vor Hunger ſchuͤzzen koͤnnten ? Als es feſt be ſchloſſen war, daß ſie einander nie mehr verlaſſen, ſich ewig lieben und bet erſter moͤglichen Gelegen⸗ heit heurathen wollten, fanden ſie nach weiterer Ueberfegung, daß fie ohne Geld nicht fortkom⸗ men, und auf ieder Straſſe hungern wuͤrden. Dieſe ſichere Ueberzeugung machte beide ſehr trau⸗ rig, Karl erinnerte ſich wieder des Geſpraͤchs mit den beiden Maͤnnern, und verſicherte Kaͤtchen, daß es ihm ein leichtes ſein wuͤrde, ſich in der folgenden Nacht nach ſeiner ehemaligen Huͤtte zu ſchleichen, und dort ſechs bis acht iunge Boͤkke, welche im Freien umher lagerten, ſeitwaͤrts zu C 2 g lok⸗ 36 lokken. Kaͤtchen erblikte bei dieſem Unternehmen groſſe Gefahr, aber Karl widerlegte ihre Gruͤnde, und bewies durch weit ſtaͤrkere, daß ſie ohne Geld nicht weiter wandern koͤnnten. Haben wir dies, fuͤgte er hinzu, ſo iſt unſer Gluͤk gegruͤn⸗ det. Ein abgedankter Soldat, der oͤfters bei meinem Bauer herbergte, hat mir oft erzaͤhlt, daß es im Reiche viele Werbungen giebt, wo man die iungen Burſche herzlich gerne als Sol⸗ daten annimmt, und wenn ſie ein Maͤdchen mit⸗ bringen, dieſes auf der Stelle mit ihr trauen laſſen. Ich bin iung und groß, ſie werden mich gerne annehmen, und, wenn ich dich als Weib beſizze, fo ſoll mir auf der an Welt Er BR zu ſchwer werden. „Kaͤtchen hatte gegen dieſen Entschluß vieles e „ erzählte manches vom Soldaten⸗ ſtande, was Karln davon abſchrekken ſollte, da aber dies das einzige und ſchnellſte Mittel war, welches fi ſie mit dem Geliebten ihres Herzens ver⸗ einigen konnte, ſo willigte ſie endlich ein, und Karl unternahm, als es daͤmmerte, ſeine Wan⸗ derung nach der Hütte, Die Boͤkke kannten ihn, er lokte zehne derſelben hinter ſich her, indem er ihnen ein Kraut vorhielt, nach welchem fie aͤuf⸗ ſerſt begierig waren. Wie der Tag anbrach, zog er mit hne an der Hoͤle voruͤber, wo Kaͤtchen i ſei⸗ 37 feiner angſtvoll harrte, fie wollte ihm folgen, da er ſie aber abzuholen verſprach, ſo beſchlos ſie feine Ruͤkkehr zu erwarten. Sie erfolgte nach eis nigen Stunden wuͤrklich, Mismuth und betrogne Hoffnung thronte auf Karls Stirne. Er hatte die Maͤnner zwar richtig auf der Felſenhoͤhe getroffen, da aber dieſe liſtigen Raͤuber, welche die Alpen⸗ hirten zum Diebſtahle abſichtlich verleiteten, aus ihrer Unternehmung auch Vortheil ziehen wollten, ſo war die Bezahlung nicht nach Wunſche ausge⸗ fallen. Man hatte ſeine Boͤkke getadelt, fand fie gar nicht kaufbar, und bot ihm endlich fuͤr alle zehne fuͤnf Gulden, welche Karl auch neh⸗ men muſte, weil ſein Diebſtahl ihm ſonſt gar keinen Vortheil gebracht hätte. Die Felſenh oͤhe war die Grenze zwiſchen T* und B'. Die Raͤu⸗ ber trieben dann ſtets das auf diefe Art geſtohlne Vieh nach B' hinab, und verkauften es dort ungehindert mit anſehnlichem Gewinne. HBelaſtet und beflekt mit einem ſchaͤndlichen Diebſtahl zog izt Karl mit ſeinem Kaͤtchen ab⸗ waͤrts, iedes Geraͤuſch ſchrekte und aͤngſtigte ſie, ihre treue Ziege folgte noch immer, ſie muſten ſolche, als ſie das erſte Dorf erblikten, an einem Baume anbinden, und weinten beide, wie die Ziege ihnen iämmerlich nachbloͤkte. Karl war 1 genug auf der ganzen Reiſe Kaͤtchen für ſei⸗ 38 feine Schweſter auszugeben, und den Fragenden zu erzählen , daß fie auf Geheis ihrer kranken Mutter zu einem wunderthaͤtigen Mustergottes Bilde wallfahrteten, von welchem die Kranke fir chere Huͤlfe erwarte. Eben war die Frucht ihres Diebſtahls bis auf den lezten Heller aufgezehrt, als fie B*8 Grenzen erreichten, und ſich dem Gebiete der freien Reichsſtadt A“ naͤherten. Schon am Fluſſe, der dieſe Stadt bewaͤſſert, be⸗ gegnete ihnen ein 'ſcher Werber, er ſprach mit Karin, erfuhr ſeine Abſicht, feine Bedingung und führte ihn zu feinem Offizier. In zwei Tagen war Karl Kaͤtchens Gatte, aber auch Soldat. Er fuͤhlte die Schwere dieſes Standes nicht, weil er ſein Kaͤtchen mit groͤſter Zaͤrtlichkeit liebte, und ſich in ihrem Beſizze aͤuſſerſt gluͤklich duͤnkte. Einige Wochen nachher ward er mit vielen andern nach der Feſtung M* transportirt, wo er das Kleid eines Soldaten erhielt, und mit dieſem auch die Laſt deſſelben zu fuͤhlen begann. Er muſte anhaltend exerzieren, empfing oft Schlaͤge, weil ſein ſtarker Koͤrper, welcher ſo lange her den Eindref der Natur gefolgt war, die unna⸗ tuͤrliche, ſteife Stellung eines Soldaten nicht ge⸗ wohnen konnte. Kaͤtchens Kuͤſſe, der Lohn ihrer vollen Liebe war ſein einziger Troſt, er vergas in ihren Armen oft ſeinen Kummer, aber bald mehrte f ch dieſer ſchreklich, und reifte zur Achten Ver⸗ 39 Verzweiflung. Der Lieutenant feiner Kompagnie fand Kaͤtchen ſchoͤn, er machte fie zu feiner Waͤ⸗ ſcherin, und da dieſe nicht leiſten wollte, was iener forderte, fo muſte es Karl allemal entgels ten. Er ſas oft wochenlang im Arreſte, durfte unter dieſer Zeit ſein geliebtes Weib nicht ſehen und ſprechen. Dem kuͤhnen Verfuͤhrer widerſteht ſelten lange ein unerfahrnes Weib, er verſtehts, ſie ſo lange zu lokken und zu reizen, bis er ſie in ei⸗ ner der Schlingen faͤngt, mit welchen er ſie um⸗ zingelt haͤlt. Karl ſtaunte hoch, als er einſt aus dem Arreſte heimkehrte, ſeinem Weibe ſein unverdientes Ungluͤk klagen wollte, fie nirgends fand, und von ſeinem Wirthe vernahm, daß ſie ſchon ſeit einigen Tagen bei dem Herrn Lieute⸗ nant als Koͤchin diene. Er tobte und raste, er klagte bei ſeinem Hauptmanne, und erhielt wegen einigen ſubordinationswidrigen Ausdruͤkken fuͤnf und zwanzig Pruͤgel zum Lohne. Er ſuchte ſein Weib beim Lieutenante, und ward von dieſem die Treppe herab gepruͤgelt, ihm wars, wie er das Haus verlies, als ob er Kaͤtchens lachende Stimme hoͤrte, und Gedanken des Selbſtmordes fuͤllten ſeine Seele. Lange kaͤmpfte er mit dieſen, und wollte ſich einſt um Mitternacht wuͤrklich er⸗ ſchieſſen, als es ihm mit einmal deutlich duͤnkte, ſei⸗ 0 feine Mutter be ı vor r ihm } und wolle ihm das Gewehr aus der Hand reiſſen. Hoch und theuer oe er nachher Karl, daß er vom Aubeginn feiner Flucht aus dem vaͤ⸗ terlichen Hauſe ſelten an ſeine Eltern ruͤkgedacht hatte, immer hielte er Ausſoͤhnung mit feinem Vater unmoͤglich, wuͤnſchte ſolche in der Folge nicht, weil er als gewis vorausſah, daß die Moͤg⸗ lichkeit derſelben ihn von feinem Käschen trennen wuͤrde. Izt ſchwand dieſe Urſache, izt wuͤnſchte er ſie herzlich, weil nur dieſe ihn aus ſeinem Jammerſtande befreien konnte. Die Erſcheinung ſeiner Mutter brachte dieſen Wunſch zur Ausfuͤh⸗ rung, er entſagte den Gedanken des Selbſtmor⸗ des, ſchrieb, ſo gut ers vermochte, einen langen Brief an ſeine Mutter, ſchilderte ihr ſeinen ſchrek⸗ lichen Zuſtand, bat um Huͤlfe und Rettung. Mit froher Hoffnung ſande er den Brief auf die Poſt, mit aͤngſtlicher Sehnſucht harrke er einer Antwort entgegen. 8 Anter dieſer Zeit hatten wabrſcetnlich aͤhn⸗ liche Ungluͤkliche es einigemal gewagt, ihre Po⸗ ſten zu verlaſſen, und ſich durch einen kuͤhnen Sprung uͤber dem Wall aus der Feſtung zu vet⸗ ten. Nur wenigen war die Unternehmung ge⸗ gluͤkt, die meiſten fand man theils mit zerſchmet⸗ ter; "u tertem Fuß am Walle, theils im zweiten Wafs ſergraben, den ſie durchſchwimmen wollten, er⸗ trunken wieder. Da fie dadurch meiſtens der Bei— ſpiel noͤthigen Strafe entgingen, ſo ward im Namen des Landesfuͤrſten der ganzen Garniſon kund gemacht, daß derjenige, welcher ſeiner Fah⸗ ne meineidig werden, nur eine Deſertion wagen wuͤrde, ſogleich auf der Stelle durch ein St and⸗ recht verurtheilt, und gehaͤngt werden ſollte. Wie dieſer ſtrenge Befehl kund gemacht wurde, er— wachte zum erſtenmale der Gedanke zur Flucht in Karls Herzen. Er hatte ihn bisher noch nie gedacht, aber eben die Gewisheit des Todes, wel⸗ cher izt der mislungnen Flucht folgen muſte, war — man ſollte es kaum glauben — für Karls Seele der groͤſte Reiz. Er beſchloß noch einen Mondenlang der Antwort ſeiner Mutter entgegen zu harren, und erfolge dieſe nicht, die erſte moͤ⸗ gliche Gelegenheit zur Flucht zu ergreifen. Ge⸗ lingt ſie, dachte er immer, ſo biſt du frei, ge⸗ lingt ſie nicht, ſo macht dich der Tod mit einmal frei, und endet deine Plage auf ewig. Noch war der Monat nicht halb ch wie ihm das Loos traf, die Wache am er Tho⸗ re zu beziehen. Eben marſchirte der Haufe, wel⸗ cher es beſezzen ſollte, durch die lezte Gaſſe, als Kaͤtchen, welche Karl ſchon lange nicht geſehen hat⸗ 1 b hatte, nahe voruͤber ging, und im Fluͤgelmanne ſogleich ihren Mann erkannte, ſie blikte ihn nur einmal fluͤchtig an, und ging mit ſtolzem Schrit⸗ te voruͤber. Ihr eleganter Anzug überzeugte Karln 8 { = 1 N e men N r N Ya PR \ = fehon, daß ſie dem Laſter der Untreue gehuldige habe., noch mehr als dieſer überzeugte ihn ihre Geſtalt, daß fie hochſchwanger ſei. Dieſe Ueber⸗ zeugung empoͤrte ſein Herz, es war ihm, als wenn er aus dem Gliede herausſpringen, und ſie morden muͤſſe, er wankte ohne Empfindung nach dem Thore, und ſas ſprachlos in der Wachtſtube⸗ Bald hernach traf ihn die Reihe am aͤuſſern Tho⸗ re Wache zu ſtehen, es war ein angenehmer Fruͤhlingstag, die Baͤume gruͤnten und bluͤhten, der Anblik der erwachenden Natur wekte in ihm aufs neue den Gedanken zur Freiheit, er benei⸗ dete ieden Spaziergaͤnger, der ungehindert zum Thore hinaus wallte und die Reize der Natur genoß, es war ihm, als ob er das Gewehr weg⸗ werfen, und folgen ſollte. Um Mitternacht ſtand er wieder auf dieſem Poſten, der Ber Poſtwagen paſſirte um dieſe Zeit durch die Feſtung, ihm ward allemal das Thor geoͤffnet. Das Horn des Poſtillions wekte ihn aus dem tiefen Nachdenken uͤber ſein grauſa⸗ mes Schikſal. Der Wagen ſtand hinter ihm ſtil⸗ le, der Offizier befragte die Reiſenden, ein Kor: po⸗ 43 poral oͤffnete mit einigen Soldaten das Thor. Hingeriſſen von der Begierde nach Freiheit, lehn⸗ te Karl ſein Gewehr ans Schilderhaus, und ſprang ſchnell auf den Hintertheil des Wagens, der fuͤr die Koffer und Gepaͤkke beſtimmt war, welche der Wagen immer mit ſich fuͤhrte. Um dieſe fuͤr Staub und Koth zu ſchuͤzzen, iſt dieſer Theil mit hohen Koͤrben umgeben, und geflochte— ne Baſtdekken werden uͤber die Koffer und Pakete gedekt. Zum Gluͤkke fuͤr Karln war diesmal der Wagen nur mit einigen Koffern bepakt, er fand hinlaͤnglichen Raum zwiſchen dieſen, mehrere Def: ken lagen losgebunden im Wagenkorbe, er kroch ſchnell darunter, und ſchuͤzte ſich dadurch für Ent⸗ dekkung. Das Examen der Reiſenden war geens det, das Thor geoͤffnet, und Karl begann freier zu athmen, als der Wagen fort, und hinter die— ſem die Zugbruͤkke wieder hinauf rollte. Als der Wagen noch keine halbe Stunde von der Stadt entfernt war, verkuͤndigten die Kanonen der ganz zen Gegend, daß ein Soldat aus der Feſtung derſertlrt ſei. Ihr Donner aͤngſtigte Karls Herz aufs neue, die gewekten Bauern, die nacheilen⸗ den Huſaren ſchwaͤrmten bald um den Wagen her, welcher ungehindert nach der Grenze fort rollte. Viele der Suchenden befragten den Poſtillion: Ob ihm kein Soldat begegnet ſei? Karls Blut ſtol⸗ 44 fiofte, wenn fie fragten, Karls Blut rollte ſtaͤr— ker und leichter, wenn iener mit einem aus druksvollem Nein antwortete. 33 2 Ehe der Tag anbrach, erreichte der Wagen die Grenze und bald hernach ein kleines Fuͤrſt M'ſches Städtchen, in welchem die Pferde gewech⸗ ſelt wurden. Karl wuſte, daß er hier in Freiheit ſei, er kroch aus ſeinem Hinterhalte hervor, und ſties, weil eben ein Reiſender ſeinen Koffer forderte; ungeſcheut herab. Alle Reiſende, und unter die⸗ ſen am meiſten der Kondukteur und Poſtillion ſtaunten, daß fie unbewußt einen Deſerteur mit ſich gefuͤhrt, und gleichſam eines Verbrechens ſchuldig gemacht hatten. Alle beſtuͤrmten Karlu mit Fragen, aber er antwortete nicht, dankte nur fuͤr die gluͤkliche Gelegenheit, und eilte nach einem nahen Wirthshauſe, um dort auchn en und dann weiter zu wandern. ir, Mit dem ſüͤſſen Genuſſe der Freiheit, er⸗ wachte auch Begierde zum Genuſſe des Lebens in ihm. Vorher war der Wunſch eines nahen und ſchnellen Todes ſein Lieblingsgedanke, izt fuͤhlte er ſich ſtark genug, die Laſt des Lebens noch laͤnger zu tragen, und aufs neue zu verſu⸗ chen: Ob fuͤr ihn hienieden kein Gluͤk gruͤne, kei⸗ ne Zufriedenheit zu finden ſei? Wie er die drin⸗ gen⸗ 45 gende Forderung des Hungers geſtillt hatte, heiſch⸗ te der Koͤrper Ruhe, er miethete ſich eine Hin⸗ terſtube, und begann ſchon zu ſchlafen, als er ſich eben mit dem Plane ſeines kuͤnftigen Lebens beſchaͤftigen wollte. Erſt am Ende des Tages er⸗ wachte er wieder, ihm durſtete, er ſtieg nach dem Hofe herab, und ſchauderte zuruͤk, als er unfern von ſich einen alten Mann ſtehen ſah, der ſeinem Vater ganz aͤhnlich war. Wie er eben Faſſung ſuchte, dieſe Aehnlichkeit naͤher zu pruͤfen, trat ein Kutſcher aus dem nahen Stalle heraus. Du mußt, ſprach der alte Mann zu dieſem, ſchnell anſpannen, ſonſt erreichen wir M“ nicht, ehe die Thore geſchloſſen werden. Der Kutſcher ge⸗ lobte Eile, und der alte Mann entfernte ſich. Karl betrachtete izt den Kutſcher genauer, und ſah bald deutlich, daß dies der alte Hanns ſei, welcher ſchon lange Jahre bei feinem Vater dien⸗ te, ihn oft, da er noch Knabe war, aufs Pferd hob, und mit nach der Schwemme nahm. Daß der alte Mann ſein Vater ſei, ward ihm nach dieſer Entdekkung zur vollen Gewisheit. Die traurige, leidende Miene, welche ſo deutlich im Geſichte des Alten herrſchte, die Ueberzeugung, daß er nach M* reifen wolle, ſchienen Karln der ſicherſte Beweis, daß der Vater dem entflohnen Sohne vergeben würde, und wahrſcheinlich die 4 Rei⸗ Reiſe unternommen habe, um ihn aus feinem Elen⸗ de zu erretten. Er nahte ſich dem Kutſcher, wel⸗ cher eben am Wagen beſchaͤftigt war, fragte nach dem Namen ſeines Herrn, nach der Urſache ſei⸗ ner Reiſe, und dieſer war gefaͤllig genug, ihm beides zu entdekken. Der Name bewies deutlich, daß ſein Auge hell geſehen und den Vater erkannt habe, die Urſache der Reiſe entlokte Karls Augen viele Thraͤnen. Ach der arme Herr, ſprach der Kutſcher, hat viele Jahre hindurch Kummer und Jammer in Menge geduldet. Er hatte einen ein⸗ zigen Sohn, und dieſer entfloh ihm; ungeachtet er die halbe Welt nach ihm durchſpaͤhte, erhielte er doch nie eine troͤſtende Nachricht, ſchon be⸗ weinte er ſeinen Tod, als er mit einmal einen Brief von ihm und die gewiſſe Nachricht erhielt, daß er noch lebe, und als gemeiner Soldat zu M' in Garniſon ſtehe. Er hatte von dieſem Au⸗ genblikke an, nicht Raſt und Ruhe, er reiſte hin und her, und faͤhrt izt nach Mö, um ſeinen ver⸗ lornen Sohn wieder zu umarmen. Ich freue mich ſelbſt, fuͤgte der Kutſcher hinzu, auf dieſen Au⸗ genblik, ich werde meine alten Augen wakker wi⸗ ſchen muͤſſen, um dieſes mit anſehen zu koͤnnen, denn der arme Herr hat mir den langen Weg her ſchon manche Thraͤne entlokt, wenn er oft im Wage mit ſich ſelbſt ſprach, ſeinen Karl zu ſe⸗ ben 47 * - . — 5 > hen glaubte, die Sffnen Arme nach ihm ausſtrek⸗ te, und fi e innig aber leer an fein Er druͤkte. Katl branch Faſſung, ehe er weiter en chen konnte, endlich erhielte er doch Kraft, den Kutſcher zu bitten, ihn bei feinem Herrn zu mel⸗ den. Sagt ihm, ſprach er, daß ich ſeinen Sohn kenne, mit ihm bei einer Kompagnie gedient, und wichtige Nachrichten von ihm zu erzaͤhlen habe. Der Kutſcher eilte nach ſeines Herrn Zimmer, und Karl muſte ſogleich erſcheinen. Wie gehts mei⸗ nem Sohne? Welche Nachrichten bringt ihr mir von dem Ungluͤklichen? Wie ſieht er aus? Iſt er recht groß gewachſen? Sieht er mir aͤhnlich? Denkt er noch an feinen alten Vater? Dies was ren die Fragen, mit welchen der Alte Karln ſo⸗ gleich beſtuͤrmte, und ihm die Faſſung raubte, welche er noch einige Zeit beizubehalten hoffte. Er ſtuͤrzte zu des Alten Fuͤſſen nieder. Vater. rief er ſchluchzend aus, dein ungluͤklicher Sohn kniet vor dir, und harrt deiner nn dei⸗ nem Segen entgegen. | Es war aͤuſſerſ ruͤhrend und aͤchter Beſchrei⸗ dung unfaͤhig: Wie der Vater feinen Sohn zu erkennen bemuͤht war, oft zweifelte, oft glaubte, und endlich uͤberzeugt in ſeine Arme ſank. Bei⸗ der Freude und Wonne war groß und rein, die Aus⸗ 3 3 Ausbruͤche derſelben oft ſo heftig, daß der alte Vater mehr als einmal ermattet zu Boden ſank, und neue Kraͤfte ſammeln muſte, um das ſuͤſſe, h inreiſſende, vaͤterliche Gefühl genuͤſſen zu koͤn⸗ nen. Einige Stunden verfloſſen in der gewoͤhnli⸗ chen Verwirrung und dem ſuͤſſen Taumel, wel⸗ chen Szenen dieſer Art allemal folgt. Jeder frag⸗ te, ieder heiſchte Antwort, aber neue Fragen, neues Freudengefuͤhl verdraͤngte die leztere, und hinderte die ſehnlich gewuͤnſchte Erzählung, Schon nahte ſich die Nacht, als Karln auf die hundert⸗ mal wiederholte Frage die Nachricht ward, daß ſeine Mutter ſchon zwei lange Jahre ihm Grabe modere, mit banger Sorge und kraͤftigen Segen uͤber den verlornen Sohn aus der Welt geſchie⸗ den ſei. Karls Freudentaumel wich, ſein Won⸗ negefuͤhl ſank, er weinte, und erhielte dadurch Maͤſſigung, des Vaters Fragen zu beantworten, Auf ſein Verlangen muſte er dieſem alle Bege⸗ benheiten feines. Lebens erzaͤhlen, er thats mit Aufrichtigkeit, nur verſchwieg er ihm den Dieb⸗ ſtahl der lungen Ziegenboͤkke, weil er des Vaters Gefuͤhl kannte, und im Voraus wuſte, daß er ihm dieſen nie verzeihen, im Zorne immer vor⸗ werfen wuͤrde. Der Alte hoͤrte ſchweigend zu, und bemitleidete oft das harte Schickſal ſeines em als ee u aber erzaͤhlte, daß er Kat, * 49 Kaͤtchen wuͤrklich ehlichte, und ſie ſich, obgleich ungetreu, noch feine Frau nenne, da brauste fein Jah zorn fuͤtchtetlich auf, weil dieſer Um⸗ ſtand einen Lieblingsplan vernichtete, welchen er bei der erſten Nachricht von dem Leben feines Sohnes entworfen hatte, und izt ohne Hinder— nis auszuführen hoffte. In der Nachbarſchaft ſeiner Guͤter lebte ein alter, aber ſehr reicher Sdelmann, deſſen groſſes Vermoͤgen einſt feine einzige Tochter erben ſollte. Er war der Buſen⸗ freund von Karls Vater, beſas Phlegma genug die Ausbruͤche ſeines Jaͤhzorns mit Geduld und Gelaſſenheit zu ertragen, und war ihm daher lieb und theuer geworden. Oft, wenn dieſe bei- den Freunde beiſammen ſaſſen, und der erſtere ſeines verlornen Sohnes ſeufzend gedachte, da ſeufzte auch der leztere, und verficherte, daß er ſeine Tochter und ihr anſehnliches Erbe ſo gerne dem Sohne ſeines Freundes anvertraut haͤtte. Wie Karls Vater den Brief erbrach, welchen die⸗ ſer an ſeine Mutter geſchrieben hatte, da eilte er mit dieſer frohen Nachricht zu ſeinem Freunde, erinnerte ihn an ſein Verſprechen, und fand ihn bereit und willig, es zu erfuͤllen. Nur machte er einige Bedingungen, welche er ſelbſt zu befoͤr⸗ dern gelobte, aber der anſehnlichen Familien wer gen, mit welchen er in Verbindung ſtand, für D un⸗ so = unumgaͤnglich nothwendig hielt. Eine der erſten war dieſe, daß Karl nicht als ein gemeiner, ver⸗ abſchiedeter Soldat ruͤkkehren koͤnne, ſchon die bloſe Gewisheit, wenn ſolche auch niemand er⸗ fahre, beleidigte des Alten Stolz. Er war von lange her mit dem ' ſchen Geſanden bekannt, hats te ihm einſt einen groſſen Dienſt geleiſtet, konn⸗ te mit Recht Vergeltung fordern, und hoffte ſie eben ſo gewis zu erhalten. Er ſchrieb daher an den Geſanden, ſchilderte ihm die ganze Lage und beiſchte Verwendung bei feinem Monarchen, da⸗ mit Karl zum Offiziere befoͤrdert, und dann als ſolcher ver abſchiedet werde. Karls Vater uͤber⸗ nahms, dem Geſanden dieſen Brief ſelbſt zu uͤber⸗ bringen, die Bitte durch dringende Vorſtellung zu unterſtuͤzzen, und reiſte noch am nemlichen Tage nach der Reſidenz ab. Der dankbare Ge⸗ ſande verſprach alles moͤgliche anzuwenden, er forderte von ſeinem Monarchen dieſe Gnade als eine Belohnung ſeiner langen, treuen Dienſte, und dieſer war guͤtig genug, ſie ihm zu gewaͤh⸗ ven, Er ſande ihm für Karln ein Offizierpatent, der Geſande uͤbergab es dem erfreuten Vater, und dieſer reiſte nun mit der angenehmen Hoff⸗ nung nach M“, um von da feinen Sohn als Offizier in die Arme ſeines alten Freundes zu fuͤhren, und dann um ſeine Tochter zu werben. | Karls 51 Karls Eheſtand vernichtete izt dieſen gan⸗ zen und ſchoͤnen Plan. Er duldete es gelaſſen, wenn ihm der in ſeiner Hoffnung betrogne Va⸗ ter die bitterſten Vorwuͤrfe daruͤber machte, und ſchwieg ſeufzend, wenn er von ihm Mittel zur Abaͤnderung heiſchte. Dieſe ſchien und war wuͤrk⸗ lich unmoͤglich, weil Karl als ein Katholik wohl von ſeinem ungetreuen Weibe geſchieden werden, aber nie die Erlaubnis erhalten konnte, ſo lange fie lebe, eine andre zu heurathen. Die Ausbruͤ⸗ che und Stuͤrme des Zorns erneuerten ſich, als Karl endlich aufrichtig geſtand, daß er ſeiner Fah⸗ ne untreu geworden und deſertirt ſei. Der Ge⸗ danke, daß ſeines Sohnes Name am Galgen haͤngen werde, war dem Vater unausſtehlich, er konnte dieſen unuͤberlegten Schritt dem Sohne nicht vergeben, und weigerte ihm ſeinen Seegen, als er tief in der Nacht, ermattet von allzu vielem Nachdenken Ruhe ſuchte und keine fand. Karl hatte ſich indes wieder der Leitung der Melancholie uͤberlaſſen, er glaubte uͤberzeugt zu fein, daß für ihn kein Gluͤk grüne, und er hie⸗ nieden zum ewigen Leiden beſtimmt ſei. Er ſas am Morgen unempfindlich und mit ſtumpfen Gefuͤh⸗ le im Zimmer ſeines noch immer murrenden Va⸗ ters, als der Diener den Adiutanten des Regi⸗ Da ments, 52 ments, unter welchem Karl diente, anmeldete⸗ Er war Karln nachgeſandt worden, um von ihm in Guͤte die Art ſeiner Deſertion zu erfahren, da⸗ mit man moͤgliche Nachahmung verhindern koͤn⸗ ne, und hatte nebenbei den Auftrag, Karln durch Ueberredung oder Liſt zur Ruͤkkehr zu bewegen, weil ein Geſez denienigen Offizier, unter deſſen Aufſicht ein gemeiner Mann von der Wache gluͤklich deſertirte, ohne alle Entſchuldigung auf der Stel⸗ le kaſſirte, und man daher alles anwenden woll⸗ te, um durch noch moͤgliche Ruͤkkehr des Deſer⸗ teurs den wuͤrklich unſchuldigen Offizier zu ret⸗ ten. Der Wirth hatte ehe ſchon dem Adiutanten alles erzaͤhlt, was er durch die Bedienten erfah⸗ ren hatte, und dieſer trat unterrichtet, daß Karl eines reichen Edelmanns Sohn ſei, ins Zimmer, Er bat Karln auf die hoͤflichſte Art um die Er⸗ fuͤllung ſeiner erſten Abſicht, und dieſer gewaͤhr⸗ te ſie ihm zwar willig, doch konnte er ſich nicht enthalten, dieſe Erzaͤhlung mit vielen Wahrhei⸗ ten zu untermiſchen, welche dem Adiutanten uns moͤglich angenehm ſein konnten. | Der alte Bater hatte bisher ſtillſchweigend zugehoͤrt, fühlte noch immer tiefen Schmerz über die Vernichtung ſeines Lieblingsplans, und be⸗ gann izt aus der Abſicht mit zu ſprechen, um von dem Adiutanten Rath und Huͤlfe zu erhalten. Er \ eis + 53 erzaͤhlte dieſem alles, und dieſer war nur allzu willig, ihm mit gutem Rathe beizuſtehen. Aeuſ— ſerſt angenehm wars dem Alten, als der Adiu⸗ tant Karls aͤchte Heurath mit Kaͤtchen ſogleich bes zweifelte. Ich ſtand, ſprach er, ſelbſt auf Wer— bung, weis, was dort Sitte und Brauch iſt, und moͤchte ihnen beinahe gut dafuͤr ſtehen, daß der Prieſter, welcher ihren Herrn Sohn traute, ein verkleideter Werber war. Man thut dies oft, um den Rekruten ihren Willen zu erfuͤllen, wenn ſie mit ſolch einer liſtigen Kreatur im Werbehau⸗ ſe erſcheinen, ſie danken dann oft am Ende herz⸗ lich, wenn ſie von ihrer Untreue überzeugt, den unſchuldigen Betrug erfahren. Sie koͤnnen, fuhr er fort, mit ihrem Heren Sohne izt ohne Anſtand nach der Feſtung ruͤkkehren, das Offizierpatent des Monarchen ſchuͤzt ihn vor jeder Ahndung, er war von dem Augenblikke an, als es unter⸗ ſchrieben ward, kein gemeiner Soldat, konnte als dieſer nicht mehr deſertiren. Der Offizier, welcher ihn ehemals anwarb, ſteht izt in der Fe⸗ ſtung in Garniſon, wir werden es von ihm ſogleich erfahren: Ob die Heurath ihres Sohnes guͤl—⸗ tig vollzogen wurde? Ueberlaſſen ſie die Sache mir, ich will ſie nach Wunſche enden, denn es wäre in iedem Falle hoͤchſt ungerecht, wenn eine ſolche elende Kreatur den Plan zweier ſo anſehn⸗ N nt —li⸗ 54 lichen Familien vernichten ſollte. Doch iſt die freiwillige Ruͤkkehr ihres Sohnes aͤuſſerſt noth⸗ wendig, weil ſonſt der wachhabende Offizier kaſ⸗ firt, und ihres Sohnes Name ohne Ruͤkſicht an Galgen geſchlagen werden muͤſte. Seine Gegen⸗ wart, ſein Patent wird die Deſertion ganz ver⸗ nichten, und um fo mehr nicht geahndet werden, weil ihr Herr Sohn ohnehin ae ſeinen Ab⸗ ſchied fordern wird. Moͤglich und wahrſcheinlich, daß der Ad⸗ iutant wuͤrklich aus Ueberzeugung ſprach, aber auch moͤglich, daß er ungewis des Ausganges nur ſtreng ſeine Ordre befolgte, welche auf liſti⸗ ge Ruͤkfuͤhrung des Deſerteurs lautete. Genug, der alte Vater war von der Guͤte des Raths vollkommen uͤberzeugt, achtete Lift für unmöglich, und drohte ſeinem Sohne mit dem Fluche, wenn er ſich einen Augenblik weigern wuͤrde, ihm nach der Feſtung zu folgen. Er hoͤrte die Bitte deſ⸗ ſelben nicht, als dieſer wenigſtens im Voraus el⸗ nen ſchriftlichen Regimentspardon heiſchte, hielte dieſen ganz fuͤr unnoͤthig, und verſicherte ihn, daß man in des Vaters Gegenwart dem Sohne kein Haar kruͤmmen wuͤrde. Begierde nach der Ausfuͤhrung ſeines Plans verleitete den Alten zu dieſer Unvorſichtigkeit, die in iedem Betrachte ta⸗ delhaft war. Karl fuͤgte ſich endlich ohne Mur⸗ ren 55 ren in fein Schikſal, er unterdruͤkte die bange, unwillkuͤhrliche Ahndung, und glaubte beinahe ſelbſt, daß man bei dieſen Umſtaͤnden, und ſei⸗ ner freiwilligen Ruͤkkehr ſein Verbrechen nicht ahnden wuͤrde. Die Pferde wurden angeſpannt, Karl ſas in einem Mantel gehuͤllt dem hoffenden Vater zur Seite, nebenher ritt nebſt einem alten Korporale der Adiutant. Nahe an der Grenze heiſchten die Pferde Traͤnke, man hielt bei einer einzelnen ſogenannten Kneipe ſtille, auch Karls Vater fuͤhlte Durſt, und ging in Begleitung des Adiutantens in die Trinkſtube. Karl ſas tief⸗ denkend im Wagen, der alte Korporal ſtand un⸗ fern davon, und hielte die Pferde. Er nahte ſich ihm raſch, und ſchuͤttelte ihn zum Gefuͤhle empor. Herr, ſprach er haſtig, ihr eilt eurem Tode entgegen, euer Vater wird verzweifeln, und euch nicht retten koͤnnen. Ich ſtand geſtern hinter dem Obriſten, als er bei Gott und ſeiner Ehre ſchwur, daß ihr, wenn er eurer habhaft wuͤrde, haͤngen muͤßt! Ich diene ſchon dreiſig Jahre, und habe noch nie erlebt, daß unſer Obriſter ſeinen Schwur gebrochen haͤtte. Bei Gott, ihr haͤngt morgen ſchon am Galgen! Ich fuͤhre die Pferde zur Traͤnke, benuͤzt dieſen Au⸗ genblik, es iſt ſicher der lezte! ; Der | 56 Der Korporal fuͤhrte die Pferde fort, Karl ſtarrte erſchrokken in die Ferne, Hochgericht und Galgen glaͤnzten vor feinem Auge, er ſpraug aus dem Wagen, und eilte nach dem nahen Walde, den fie eben durchfahren waren. Er eilte raſtlos vorwaͤrts, der Anblik des Galgens und ſchmaͤh⸗ lichen Todes blendete noch immer ſein Auge, er ſah izt erſt, daß er auf der Straſſe wandelte, und hatte ſich eben abſelts gelenkt, als er Pfer⸗ detritte hinter ſich hoͤrte, er eilte ſtaͤrker, aber das Geraͤuſch naͤherte ſich, er ſah ruͤkwaͤrts, und erblikte feinen Vater auf des Adiutanten Pferde. Halt, Bube, halt! ſchrie er fuͤrchterlich! Laßt mich, Vater, laßt mich, rief Karl, ich entfliehe dem Galgen, aber dieſer achtete ſeines Rufes nicht, holte ihn bald ein, und ſprang vom Pfer⸗ de. Wollen ſie mich an Galgen ſchleppen? fragte izt der Sohn den zornigen Vater. An Galgen, ſchrie dieſer, an welchem ſchon der Name deiner ehrwuͤrdigen Familie glaͤnzt, er muß ausgeloͤſcht werden, und wenn du dich ſelbſt daran zu Tode zappeln follteſt. Unſtreitig wars, daß der Vater dieſe Worte im Grimme ausſprach, ſie unter fo ſchreklicher Bedingung nie ausgefuͤhrt haͤtte, aber ſte machten in dieſem Augenblikke tiefen Eindruk auf Karls geaͤngſtigtes Herz. Angſt und Schrek⸗ ken vernichteten die Ueberlegung. Karl glaubte wuͤrk⸗ 57 ee Sl wuͤrklich, daß der Vater nur die Ehre der Fami⸗ lie retten, und kaͤms zum aͤuſſerſten, den ohne⸗ hin ſchon laͤngſt entbehrten Sohn dafuͤr aufopfern wolle. Er nahm feinen Vater bei dieſen Umſtaͤn⸗ den fuͤr einen gefaͤhrlichen Feind, und ſuchte ihm aufs neue zu entfliehen. Kaum hatte er einige Schritte vorwaͤrts gewagt, ſo ris ihn ſein Vater beim Haare zurüf., er fiel ruͤklings zu Boden. Der Vater ſtand neben ihm mit entbloͤßten Jagd⸗ meſſer. Wollen ſie mich morden ? fragte Karl. Morden! antwortete iener, wenn du noch einen Schritt vorwaͤrts wagſt! — — Karls Wuth er⸗ wachte, er ſprang raſch empor und entwande dem kraftloſen Vater das Jagdmeſſer. Ich will, ich muß fliehen, ſagte er drohend und ſchritt aber⸗ mals vorwaͤrts. Sein Vater faßte ihn aufs neue am Arme, und ſchlug ihn mit der geballten Fauſt ins Angeſicht. Karln wars in dieſem Aus genblikke, als ob er Geraͤuſch hoͤre, er ahndete die Ankunft des Adiutanten, er wollte ſich los⸗ reiſſen, vermochte es nicht, ſties mit dem Jagd⸗ meſſer hinter ſich, und ſein ungluͤklicher Vater ſank — roͤchelnd — — ſterbend zu Boden. Karl verſicherte, daß der Stos unwillkuͤhr⸗ lich, nur aus Begierde zur Flucht geſchah, er wollte dieſe fortſezzen, wenn ihn nicht das fuͤrch⸗ terliche Todengeroͤchel ſeines Vaters zuruͤk gehal⸗ a ten 58 ten haͤtte. Gleich einer Dekke ſanks vor feinen. Augen nieder, und die Gewisheit des Mords ſtand felſenfeſt da. Er zitterte und bebte, er war nicht fähig das kleinſte Glied feines Körpers zu bewegen. Der Vater hatte geendet, das Blut, welches racheheiſchend aus feiner Bruſt empor ſprudelte, ſtokte und floß nicht mehr. Karl war auch in der Folge unfaͤhig zu erzaͤhlen: Wenn und wie er ſich vom Leichname des Vaters ent⸗ fernte? aber erwieſen wurde es durch fein Be⸗ kenntnis, daß er, ehe er ſich auf dem Pferde des Adiutanten entfernte, dem ermordeten Vater die Uhr und Goldboͤrſe raubte. Dieſer Umſtand er⸗ ſchwerte die That vor Gerichte um ein groſſes, und doch verſicherte Karl, daß ſeine Seele dieſen Raub nicht beſchloß, daß gleichſam ſein Koͤrper ihn mechaniſch uͤbte, daß er — als er zum erſten⸗ male Beſinnungskraft und Erkenntnis ſeines ſchreklichen Zuſtandes erhielt — ſich mit der groͤſten Anſtrengung nicht erinnern konnte, wenn und. wie er ihn unternommen N 6 Enthält. dies. Geſtändnis volle Wahrheit, ſo iſt dieſe Begebenheit aͤuſſerſt merkwuͤrdig. Der Gedanke zur Flucht hatte ſich mit der ſtaͤrkſten Kraft ſeiner Seele bemaͤchtigt, der Galgen, der nahe, ſchimpfliche Tod ſtand dicht neben ihm, er h fi ch ihm zu entreiſſen, und ſelbſt der Mord des 59 des Vaters war nicht fähig dieſen Gedanken, diefe Vorſtellung zu tilgen. Seine Seele rang auch izt noch nach Mitteln zur Ausfuͤhrung. Ein Blik auf die Uhrkette des toden Vaters, ein Blik auf das Pferd des Adiutanten war daher vielleicht ganz allein faͤhig, ihn zu beider Raub zu verleiten, ohne daß ſeine Seele Antheil daran nahm, oder ſein Gedaͤchtnis die That faßte. Es wird ſtarke Einbildungskraft erfordert, ſich in dieſe einzige, moͤgliche Lage zu verſezzen, aber wenn man die Handlungen der Menſchen pruͤft, ihrer Entſtehungsurſache nachſpaͤht, ſo wird man finden, daß viele derſelben unwillkuͤhrlich veruͤbt werden, ob ſie gleich das Gepraͤge des feſtgefaß⸗ ten und uͤberlegten Vorſazzes mit ſich fuͤhren. Als Karl zum erſtenmale wieder Beſin— nungskraft erhielt, denken und uͤberlegen konnte, daͤmmerte es ſchon maͤchtig um ihn her. Er be⸗ fand ſich auf einer grasreichen Wieſe, auf wel⸗ cher fein Pferd ungehindert weidete. Hinter ihm rauſchten die Fichten des nahen Waldes, vor ihm glaͤnzten in einer nicht allzuweiten Entfernung viele Lichter. Das Pferd hatte ihm den Zaum entriſſen, es wankte matt unter ihm, er hielte in - feiner Linken die geraubte Goldboͤrſe und Uhr, er war lange nicht faͤhig die erſtarrte Hand zu oͤff⸗ nen, und konnte ſich nur nach und nach durch Ge⸗ 5 fuͤh 60 fühl und Griff von dem Inhalte der Dinge, und durch angeſtrengte Ruͤkerinnerung von der Moͤg⸗ lichkeit ‚überzeugen „daß er beides dem ermorde⸗ ten Vater geraubt habe. Sein ermatteter Koͤrper zitterte, er fiel kraftlos vom Pferde ins Gras, verſuchte es ſeinen ſchreklichen Zuſtand zu faſſen, und verſank in neue Betaͤubung zuruͤk. Aus der Ferne ertoͤnte immer der Schlag der Thurmuhr, Schauder und Schrekken ergriff ihn, als er einſt eilfe zaͤhlte „der ermordete Vater ſtand vor ſei⸗ nem Auge, und ſchien ihm zu: drohen. Er muͤhte ſich vergebens, ihn durch eine einzige Thraͤne zu verſoͤhnen, die Quelle derſelben ſchien vertroknet, die ſchrekliche Laſt des Mordes ruhte auf ſeinem Herzen, und wollte fi ſich nicht loͤſen. ; Wie der Tag anbrach, mehrte ſich ſeine Angſt, er wuͤnſchte die Finſternis mit Begierde zuruͤk; die erſten Strahlen der Sonne beleuchte⸗ ten ihn, er war nicht faͤhig, ihren Glanz zu er: tragen, und eilte nach dem Walde zuruͤk. Die Furcht der Entdekkung trieb ihn aber aufs neue vorwaͤrts, bebend naͤherte er ſich der Straſſe, wel⸗ che ſich nach einem huͤbſchen Staͤdtchen hinab ſchlaͤngelte, fein: entkraͤftetes Pferd waukte noch immer unter ihm. Ein Jude begegnete ihm, ehe er das Staͤdtchen erreichte. So ſehr ſich auch Karl muͤhte, einem Geſpraͤche mit dieſem auszu⸗ wei⸗ 61 weichen, ſo wars doch nicht moͤglich, der Jude ward immer zudringlicher, und fragte ihn ende lich: Ob er ein Deſerteur ſei ? Da Karl dies beiahte, ſo rieth ihm der Jude, nicht nach der Stadt zu reiten, weil man dort leicht muthmaſen koͤnne, daß er das Pferd geſtohlen habe, und der Fuͤrſt des Landes ausdruͤklich gebiete, daß man alle Diebe, wenn ſie auch Deſerteurs waͤ⸗ ren, wieder nach ausliefern ſolle. Ueberhaupt, fügte der Jude hinzu, find die Deſerteurs bei uns nicht allzu ſicher, und man hat der Beiſpiele ſchon mehrere, daß ſie heimlich zuruͤkgefuͤhrt wur⸗ den. Da der ſchlaue Eigennuͤzzige ſahe, daß dieſe Erzählung ſehr ſtark auf Karlu wuͤrke, fo erbot er ſich, ihm das Pferd abzukaufen, und für den Preis deſſelben mit andern Kleidern zu verſehen. Kaͤrln war dies Anerbieten aus mehr als einer Ruͤkſicht herzlich lieb, vorzuͤglich aber deswegen, weil er ſich dadurch fuͤr moͤglicher Ent⸗ dekkung zu ſichern hoffte, er erſuchte den Juden, ihm dieſe Gefaͤlligkeit zu erweiſen, und ward von ihm auf einer Seitenſtraſſe nach einem Dorfe ge⸗ fuͤhrt, in welchem der Jude wohnte. Karl erin⸗ nerte ſich hier zum erſtenmale wieder an ſeine Goldboͤrſe, er fand bei dem Juden Kleider man⸗ cher Art, er ſuchte ſich die beſten aus, und als iener Ihm folche für das Pferd nicht uͤberlaſſen ' woll⸗ 62 CCC wollte, ſo verſprach er ſie baar zu bezahlen. Als der Jude Gold bei ihm erblikte, machte er ihm neue Vorſchlaͤge, verkaufte ihm auch Waͤſche ver⸗ ſchiedner Art, und endlich auch ein weit ſchlechte⸗ res, aber dennoch weit theueres Pferd. Daß der Jude bei dieſem ganzen Handel nur auf Gewinn ſah, und ihn auch reichlich erndete, kann man ſich leicht vorſtellen, doch war Karl ſehr damit zufrieden, weil er dadurch in den Stand geſezt wurde, ſeine Reiſe ohne wahrſchein⸗ liche Hindernis weiter fortzuſezzen. Er hatte durch den Juden erfahren, daß er am vorigen Tage neun Meilen weit geritten ſei, denn ſo weit lag, nach der Verſicherung des Juden, das nahe Staͤdtchen von der Stadt entfernt, wo er ſeinen Vater wieder fand. Karl fuͤhlte ſich maͤchtig geſtaͤrkt, als er ſich aus dem Hauſe des Juden entfernte der kounte freier athmen, und die erſten Thraͤnen rollten uͤber ſeine Wangen, als er ſich ſeinen ungluͤcklichen Zuſtand dachte. Er reiſte ungehin⸗ dert weiter im roͤmiſchen Reiche nach Holland hinab, er gab ſich fuͤr einen Kaufmann aus, und erregte nie einen Verdacht. Seine Abſicht war, in Amſterdam ein amerikaniſches Schiff zu beſtei⸗ gen, und auf dieſem nach einem Welttheile zu ſegeln, wo er zwar nicht Ruhe aber doch Sicher⸗ heit 63 heit und Friſt für fein elendes Leben zu finden hoffte, denn feiner Verſicherung nach, war ihm dies izt lieb und theuer, ehemals war Selbſt⸗ mord ſein Lieblingsgedanke, izt verabſcheute er dieſen, ihm graute vor der Ewigkeit, weil er dort Strafe feiner That ahndete, ſie erſt hienieden durch gute Handlungen zu verſoͤhnen hoffte. Wie er nahe bei Mannheim in einem Staͤdt⸗ chen einkehrte, und dort uͤbernachten wollte, be⸗ gegnete ihm auf der Treppe des Gaſthofes ein iunger Mann, welcher ihn ſtarr anſah, bald her⸗ nach unter dem Vorwande, daß er ſich in der Nummer geirrt habe, wieder in ſein Zimmer fiat , und ihn abermals neugierig betrachtete. Kaels Herz klopfte maͤchtig, er ahndete Entdek⸗ fung , und faßte fhon den Vorſaz zur neuen Flucht, als der iunge Fremde, begleitet von ei⸗ ner Gerichtsperſon und Wache aufs neue in ſein Zimmer trat. Karls Verwirrung war ohne Gren⸗ zen, er erholte ſich in Etwas, als die Gerichts⸗ perſon im Namen des Fremden von ihm Erklaͤ⸗ rung forderte: Von wem er dieſe Kleider, dieſen Mantel erhalten habe, und wie er das gerechte Eigenthum deſſelben erweiſen koͤnne? Karl verſi⸗ cherte ſog leich, daß er beides gekauft habe, als er aber den Ort und den Verkaͤufer nennen ſollte, und nun einſah, daß er dadurch den Juden vers 22 ra⸗ 64 DENN — —ÄLA—ç. — > rathen muͤſſe, und auf dieſe Art aͤuſſerſt wahr⸗ ſcheinlich ſein Vatermord entdekt wuͤrde, ſo nahm er ſeine Zuflucht zur Luͤge, und behauptete, daß er den Namen des Verkaͤufers nicht kenne, die Kleider zu Frankfurt von einem Juden gekauft habe. Das Gericht war natürlich mit dieſer all⸗ gemeinen Erklaͤrung nicht zufrieden, es forderte Beweiſe ſeines Standes, ſeiner redlichen Auf⸗ fuͤhrung. Karl konnte keines von beiden leiſten, widerſprach ſich oft, und mehrte den Verdacht. Man unterſuchte ſeinen Mantelſak, und der Frem⸗ de erkannte die meiſte Waͤſche und noch andere Sachen fuͤr dieienigen, welche ihm durch eine Raͤuberbande im 'ſchen Walde geraubt wurden. Er nahm ſogar das Gold, welches man in Karls Boͤrſe fand, in Anſpruch, weil ihm eine aͤhnliche Summe in aͤhnlichen Sorten war geraubt wor— den. Der Klaͤger erwies ſeinen Stand, ſeine Beſchaͤftigung durch Paͤſſe, Briefe und Zeugen, Karl konnte von ſeiner luͤgenvollen Erzaͤhlung kei⸗ nen Beweis beibringen, und muſte es ſich daher gefallen laſſen, nach dem Gefaͤngniſſe zu wandern. — Im erſten Verhoͤre beſtand Karl auf der Ausſage, daß er der Sohn eines reichen Leine⸗ wandhaͤndlers aus dem Staͤdtchen Rumburg in Böhmen fei, in Handlungs angelegenheiten feines Vaters nach Holland reiſe, und dort einen Kon⸗ 8 trakt * 65 trakt auf Leinewand ſchluͤſſen wolle. Sein Vater, erzaͤhlte er, ſei durch den Handel reich geworden, trage ſich aber immer noch ſehr buͤrgerlich, und haͤtte es ihm, ob er gleich ſein einziger Sohn ſei, nie erlauben wollen, ſich gleich andern Kaufs manns s Söhnen nach der Mode zu kleiden. Er habe daher der Verſuchung, wenigſtens auf der. Reiſe ſchoͤnere Kleider zu tragen, nicht widerſte⸗ hen koͤnnen, und ſei durch dieſe Begierde in das Ungluͤk gerathen, geſtohlene Kleider und Waͤſche zu kaufen. Er wolle, endete er, den Beraubten gerne fein Eigenthum zuruͤkſtellen, auch das Gold. welches er fuͤr das ſeinige erkenne, in ſo lange bei Gerichte deponiren, bis er den Irrthum, der in dieſem Falle obwalte, beweiſen koͤnne. Nur bat er, ihm ſo viel, als zur Reiſe nach Holland noͤthig ſei, davon zu geben, und dieſe Reiſe nicht laͤnger zu hindern, weil von ihrer Beſchleunigung das Gluͤk ſeiner Handlung abhange. Karl hoffte ganz gewis, ſich durch dieſe ſcheinbare Erzählung aus dem Arrefte zu befreien, er opferte willig ſein ganzes Haabe, und achtete folches nicht, weil bei offnem Geſtaͤndniſſe, ihm ſeiner ſichern Meinung nach, Entdekkung und ſchmaͤhlicher Tod drohe. Aber das Gericht bes ſchlos es anders, feine dringende Bitte ward vers worfen, er ins Gefaͤngnis zuruͤk gefuͤhrt, und | Zur 66 zur Entdekkung der Wahrheit fogleih vom Amtswegen nach Rumburg in Boͤhmen geſchrie⸗ ben. Sehr natuͤrlich erfolgte in einigen Wochen die Antwort, daß zu Rumburg kein Kaufmann dieſes Namens wohne, keiner ſeinen Sohn in Geſchaͤften nach Holland geſandt habe, und der Verhaftete ein Vagabund ſein muͤſſe, der durch dies falſche Vorgeben ſich nur der gerechten Strafe entziehen wolle. Durch dieſe Nachricht ward Karls Zuſtand ſehr verſchlimmert, ſeine Verhoͤre wurden haͤufiger und ſtrenger, er ſuchte ſich durch neue Luͤgen zu entſchuldigen, ward abermals da⸗ von uͤberwieſen; konnte am Ende die That nur leugnen aber ſich nie von dem immer wachſenden Verdachte befreien. Daß dieſes Leugnen die Ge- duld der Richter ermuͤden muſte, bedarf kaum einer Erwaͤhnung, ſie forderten offnes Bekenntnis ſeines Geburtsortes, ſeiner Lebensart, und der Abſicht feiner Reiſe, und drohten im Verweige— rungsfalle mit der Folter. Karln fiel in dieſer gefaͤhrlichen Lage bei, daß mit ihm eines Schul⸗ meiſters Sohn aus Sachſen unter einer Kompag⸗ nie diente, daß dieſer ein halbes Jahr vorher de⸗ ſertirte, und ihm einſt zum Vertrauten ſeiner ganzen Lebensgeſchichte machte. Er beſchlos die⸗ fer Umſtand zu benuzzen, erzählte dieſe Geſchichte als en eigne, und ſie ward auf die Nachfrage des 67 des Gerichts beſtaͤtigt, weil dieſer Menſch wuͤrk⸗ lich deſertirt war, und feine Freunde und Anver— wandten die Umſtaͤnde, welche Karl erzaͤhlte, als aͤcht und wahr anerkannten. Ein Gluͤk fuͤr leztern, daß iener nach ſeiner Deſertion nicht nach Hauſe ge⸗ kehrt war, ſeinen Freunden nicht geſchrieben hatte, wahrſcheinlich in der Welt umher irrte, und es daher unmoͤglich machte, die falſche Erzaͤhlung zu widerlegen. Karl ward izt vom Gerichte nicht beſſer be⸗ handelt, die gluͤkliche Beſtaͤtigung ſeiner Lebens⸗ geſchichte veraͤnderte nur die Fragen, auf welche man von Rechtswegen beſtimmte Antwort heiſch te. Du warſt eines armen Schulmeiſters Sohn, ſprach der Richter, du wardſt aus Noth Soldat, du des ſertirteſt nach deinem eignen Geſtaͤndniſſe im lei⸗ nenen Kuͤttel. Woher ward dir die volle Gold» boͤrſe, die ſchoͤne Repetiruhr ? Karl behauptete, daß er beides in einem Walde, deſſen Namen er nicht kenne, gefunden, und dann einen Theil die⸗ ſes Geldes zum Erkauf der Kleider verwandt has de, welche ihn wider Verſchulden in ein fo groſ⸗ ſes Ungluͤk geſtuͤrzt haͤtten. Der Gang feines Prozeſſes wird hier dunkel, Karl konnte die Wuͤr⸗ kungsurſachen ſelbſt nicht genau beſtimmen. Das Gericht beſtimmte uͤber ihn die Folter des erſten und zweiten Grades, da aber der menſchenfreund⸗ E 2 li⸗ 68 liche Landesfuͤrſt ſich es ausdruͤklich vorbehalten hatte, daß man ihm ſolche Urtheile zu Beſtaͤti⸗ gung vorlegen muſte, ſo fand er den Verbrecher nicht ſtrafbar genug zu dieſer Marter, und ver⸗ nichtete das Urtheil. Karl ſas nach dieſer Zeit noch vier Monate im Kerker, ward endlich vor die Gerichtsſchranken geführt, und ihm kund ge⸗ macht, daß er wegen nicht abgelehnten, hoͤchſter⸗ heblichen Inzichten zu einem ſechsiaͤhrigen Ve⸗ ſtungsbaue verurtheilt ſei. Er ward bald nach⸗ her dahin abgefuͤhrt, und muſte gleich andern Verbrechern karren. Er verſicherte, daß er dieſe Strafe mit hoͤchſter Ergebung in den unerforſch⸗ lichen Willen Gottes zu dulden beſchlos, weil er ſie fuͤr ein Mittel achtete, das ſchrekliche Ver⸗ brechen, welches ihn ohne Unterlas quälte, zu verſuͤhnen. Seine leidende, duldende Miene, noch mehr aber feine iugendliche und ſchoͤne Ge⸗ ſtalt erregte bald das Mitleid guter Buͤrger, und die warme Theilnahme manches empfindſamen Maͤdchens. Wenn er karrte, erhielte er reichli⸗ ches Almoſen, konnte ſich dadurch 1 ſeine ſchlechte Koſt verbeſſern. Eben war ein Jahr feines Duldens ver⸗ floſſen, und er im Begriffe am Abende in der Mitte der uͤbrigen Gefangnen nach ſeinem Arreſte ruͤtzukezren „als ein Fh Heishunger ihn noͤ thig⸗ 63 — thigte, ſich von dem Almoſen, welches er an die⸗ ſem Tage erhalten hatte, ein Brod und etwas Butter zu kaufen. Die Verkaͤuferin legte ihm die leztere auf ein Zeitungsblatt, und er trat wieder in die Reihe der Gefangnen. Dieſen war es von ieher erlaubt, im verſchlosnen Vorhofe des Zuchthauſes noch eine Stunde auszuruhen, ehe fie in ihr dumpfiges Schlafgemach eingeſperrt wurden. Karl benuͤzte dieſe Zeit zut Stillung ſeines Hungers, er verzehrte Brod und Butter in haſtiger Eile, und ergriff endlich aus bloſem Zufalle das Zeitungsblatt, welches izt neben ihm auf der Erde lag. Erſtaunen feſſelte ihn, als er ſogleich ſeinen wahren Namen darinne erblikte, er zitterte und bebte, ahndete anfangs die Bez ſchreibung ſeines Verbrechens und ſeiner Perſon. Er wollte aus dieſer Abſicht das Blatt ſchnell ver: nichten, aber eine geheime Ahndung hielte ihn zuruͤk, und zwang ihn, es wider Willen zu leſen. Es enthielt folgende Nachricht: Auf geziemendes Anſuchen der Freunde und Verwandten des im ' ſchen Walde durch Raͤuber ermordeten Erb⸗ Lehn und Gerichtsherrn Hanns von H *, wird fein einziger Sohn Karl von H“ hiemit vorgela⸗ den, die anſehnliche vaͤterliche Erbſchaft, entwe⸗ der in Empfang zu nehmen, oder wenigſtens bin⸗ nen drei Monaten ſeinen unbekannten Aufenthalt dem 70 dem Gerichte oder feinen Freunden namhaft zw machen. Frau Eliſabeth von 3 *, erbietet ſich in dieſem Falle, ihm uͤber alles genaue Nachricht zu erſtatten, und ieden ſeiner moͤglichen Wife auf die beruhigendſte Art zu loͤſen. Karl fuͤhlte izt zum erſtenmale das ganze ſchrekliche ſeines Zuſtandes, er durchwachte die ganze Nacht, faßte Entſchluͤſſe, und verwarf ſie wieder. Frau Eliſabeth von 3“, welche ſich zu ſeiner Korreſpondentin und Troͤſterin erbot, war die alte Tante, bei welcher er die erſten Jahre ſeiner Jugend durchlebt hatte, er wollte anfangs an fie ſchreiben, ihr fein ungluͤkliches Schikſal kund machen, und um Rettung flehen; als er aber überlegte, daß eben dadurch der Vatermord entdekt werden muͤſſe, ſo verwarf er dies Unter⸗ nehmen, rang nach neuen Mitteln, fand keines, und beſchlos nicht allein ganz zu ſchweigen, ſon⸗ dern auch die Jahre ſeiner Strafe auszudulden, und dann erſt ſeine Freunde von ſeinem Leben zu benachrichtigen. Dieſer Entſchlus war eine Fol⸗ ge ſeiner Ueberlegung und der hoͤchſten Nothwen⸗ digkeit: denn wollte er von ſeinen Freunden Er⸗ loͤſung aus dem Kerker hoffen, ſo muſte er ihre perſoͤnliche Gegenwart, und durch dieſe die Ueber⸗ zeugung des Gerichts fordern. Sehr natuͤrlich und dem gewoͤhnlichen Gange der Dinge gemaͤs wars 71 wars dann, daß dieſes die Urſache der Verhee— lung ſeines Namens, auch die Moͤglichkeit, wie er ſo viel Geld mit ſich fuͤhren konnte, zu erfah⸗ ren ſuchte, und dann wars doch weit wahrſchein⸗ licher, daß durch dieſe Unterſuchung der Raub, welchen er an ſeinem Vater uͤbte, um ſo mehr eutdekt werden muͤſſe, weil die Uhr, welche der beſtohlene Fremde nicht als fein Eigenthum er⸗ kaunt hatte, noch immer bei Gerichte erlag, und von ſeinen Freunden als jein Eigenthum ſeines Vaters erkannt werden muͤſſe. Von allen dieſen Folgen, welche ſeinen Zu⸗ ſtand noch weit mehr verſchlimmert haͤtten, ganz überzeugt, arbeitete er ohne Murren fort, ſeufzte nur ſtaͤrker dem Ende ſeiner Strafe entgegen. Im naͤchſten Winter muſte er mit fuͤnf andern Verbrechern im Hauſe des Buͤrgermeiſters Holz ſaͤgen, und ſpalten. Es herrſchte eben eine grim⸗ mige Kälte; um ſich ein wenig vor diefer zu ſchuͤz⸗ zen, und das Mitleid der Koͤchin zu erregen, trat er an den Heerd der Kuͤche, und kaͤute, in⸗ dem er ſeine erſtarrte Haͤnde waͤrmte, an einem Stüffe troknen Brodes. Die iunge, wuͤrklich ſchoͤne Koͤchin ſchenkte ihm etwas Fleiſch und Suppe, und trat dann an einen kleinen Tiſch, um die Ausgaben des Tages aufzuſchreiben. Als Karl fie ſchreiben ſah, erwachte in ihm eine un⸗ | will 72 willkuͤhrliche, heftige Begierde, feinen Freunden wenigſtens Nachricht von ſeinem Leben zu geben. Er näherte ſich der Köchin, bewunderte ihre ſchoͤ⸗ ne Schrift reizte dadurch die weibliche Eitelkeit, und fragte ſie endlich: Ob ſie ihm wohl die groſſe Gefaͤlligkeit erweiſen, und in ſeinem Namen einen Brief ſchreiben wolle, deſſen Inhalt er ihr dikti⸗ ren würde? Die Köchin war willig, feine Bitte zu erfuͤllen, er diktirte ihr folgendes: „Der un⸗ gluͤkliche Karl lebt noch, ebe er aber ſeinen Freun⸗ den ſeinen Aufenthalt entdekken kann, wuͤnſcht er zu erfahren: Ob ſein harter, ungluͤklicher Va⸗ ter wuͤrklich von Raͤubern ermordet wurde? Ob man nicht gleich ihm mehr darauf beſtehen wird, daß er zum Regimente, von welchem ihn Noth und Elend entfernte, ruͤkkehren muͤſſe, und ob es das Anſehen ſeiner Freunde nicht moͤglich machen koͤnne, daß er einen foͤrmlichen Abſchied von die⸗ ſem erhalte? Weil er im Verweigerungsfalle feſt entſchloſſen iſt, lieber Zeitlebens im Verborgnen und im unverdienten, haͤrteſten Elende zu ſchmach⸗ ten, als beſchimpft und ehrlos in der Mitte einer Familie zu leben, die ihn aus dieſer Urſache ver⸗ achten und haſſen wuͤrde. Wenn ſeine verehrungs⸗ wuͤrdige Tante ihm uͤber dieſe Fragen beruhigen⸗ de Nachrichten. zu geben im Stande iſt, fo bittet und beſchwoͤrt er ſie, ihm ſolche ſo eilig als moͤg⸗ lich unter folgender Addreſſe zukommen zu laſſen.“ Er 73 Er bat nun die Köchin, ihren Namen und Addreſſe herzuſezzen, und die Aufſchrift des Brie⸗ fes an die Frau von 3“ zu machen. Sehr natuͤrlich wars, daß er die Neugierde der Koͤchin dadurch maͤchtig reizte, er verſprach, ſie in der Folge gewis zu befriedigen, und ihren Dienſt, wenn gute Nachricht erfolge, reichlich zu belohnen. Unterdeſſen vertraute er ihr nur, daß er unverdient und unſchuldig im Kerker ſchmach⸗ te, vielleicht bald mit groͤſter Ehre daraus be— freit werden wuͤrde, und bat ſie dringend, die ganze Geſchichte niemanden zu entdekken. Die Koͤchin gelobte das leztere, und verſprach uͤber⸗ dies, ihm die Antwort ſogleich und verſchloſſen einzuhaͤndigen. Sie hatte bei dieſem Geſpraͤche Gelegenheit, Karln naͤher zu betrachten, ſeine wohlgebildete Geſtalt, ſein unbekanntes, aber in iedem Falle ungluͤkliches Schikfal ruͤhrte ihr offnes Herz tief, ſie bemuͤhte ſich von dieſem Au⸗ genblikke an, ihm die thaͤtigſten Beweiſe ihres Mitleids zu geben, ſie ſande oder brachte ihm ie⸗ den Tag einige Speiſen, ſuchte ihn uͤberall auf, und ſeine Ketten verhinderten ſie am Ende nicht, ihm offen zu geſtehen, daß er ihrem Herzen nicht gleichguͤltig ſei. Karl muͤhte ſich anfangs, dank⸗ bar zu ſein, aber bald war Muͤhe und Zwang nicht mehr noͤthig, auch er fand die Köchin lies bens⸗ 74 benswuͤrdig, und wenn er, wie dies denn oft ger ſchah, im Hauſe des Buͤrgermeiſters arbeitete, und ſie ihm heimlich und freiwillig kuͤßte, da fühlte er die Laſt der Ketten nicht, da ſchiens ihm, als ob er in ihren Armen die verlorne Ru⸗ he und ſein Gluͤk wiederfinden koͤnne. Je naͤher die Zeit ruͤkte, in welcher die Antwort von feiner Tante erfolgen konnte, ie ſtaͤr⸗ ker mehrte ſich Angſt und Furcht in Karls Herz zen. Er bereute ſehr oft den voreiligen Schritt, glaubte als gewis voraus zu ſehen, daß dieſer zur Entdekkung des Mords fuͤhren koͤnne, und durchwachte manche Nacht ſchlaflos. Oft troͤſte⸗ te er ſich auch mit angenehmehrer Hoffnung, weil er im Briefe abſichtlich die Furcht, als ob er wieder zum Regimente ruͤkkehren muͤſſe, als die Urſache ſeiner Flucht und izzigen Verhehlung an⸗ gegeben hatte, und auch mit dieſer vor Gerichte ſich entſchuldigen glaubte; wenn er aber wieder des Geldes und vorzuͤglich der vaͤterlichen Uhr gedachte, da ſtuͤrzte das Gebaͤude ſeiner Hoff⸗ nung nieder, und er blikte zagend in die fuͤrch⸗ terliche Zukunft. Seine treue Geliebte hatte auf ſein Begehren im Briefe an die Tante gefordert, daß fie auf die Ruͤkautwort ſezzen ſolle: Bleibt bis zur Nachfrage auf der Poſt Lies gen. Karl wollte dadurch alle moͤgliche Entdek⸗ a kung 75 kung verhindern, und ſich von der Sorge befreiz en, daß der Brief in die Hände des Burgermei⸗ ſters kommen, und von ihm erbrochen werden koͤnne. Dieſe Vorſicht macht es aber auch noͤthig, daß die Koͤchin iede Woche zweimal auf die Poſt gehen und Nachfrage halten muſte. Nach vier Wochen, als er eben wieder im Hauſe des Bur— germeiſters arbeitete, rollte Nachmittags der Poſtwagen vorüber, die Köchin ging bald her⸗ nach aus, ihr Wink gab ihm deutlich zu verſtehen, daß ſie des Briefes wegen Nachfrage zu halten elle. Schon begann es zu daͤmmern, ſchon ſuch⸗ te man ſie im ganzen Hauſe, und ſie war noch nicht ruͤkgekehrt, Karl ſollte eben nach ſeinem Ge⸗ faͤngniſſe wandern, als ein Wagen vor der Thuͤ⸗ re ſtille hielt, und Karls Tante mit der Koͤchin aus dieſem heraus ſtieg. Da ſteht er, ſprach die Koͤchin mit Thraͤ⸗ nen im Auge zur Tante, welche ſich auf ihren Arm ſtuͤzte, und nach ihm hinſtarrte. Karl er⸗ kannte in dieſem Augenblik ſeine alte, zitternde Tante, ihr Anblik, die Ahndung ſeines ſchrekli⸗ chen Schikſals uͤberwaͤltigten ſeine Kraͤfte, er ſank ohnmaͤchtig zu Boden. Wie er wieder den⸗ ken und empfinden konnte, lag er in einem ſau⸗ bern Zimmer auf einem Bette, neben ihm ſtand ein Wundarzt, welcher ihm die Ader verband, un⸗ fern 76 fern davon ſas feine Tante, welche der Burger meiſter zu troͤſten ſuchte. Sein erſter Athemzug erregte die Aufmerkſamkeit der erſtern, ſie naͤ⸗ berte ſich ihm haͤnderingend, und ſtuͤrzte weinend auf fein Bette. Ungluͤcklicher Sohn meiner gez liebten Schweſter, rief ſie aus, wie tief biſt du gefallen? So hoffte ich dich nicht wieder zu fin⸗ den! O es iſt unmoͤglich, daß du ein Raͤuber werden konnteſt! Du warſt in deiner Jugend ein ſo guter, ſanfter Junge, du kannſt uicht ſo ſchrek⸗ lich verwildert ſein, nicht alle meine Lehren ver⸗ geſſen haben! Gern wollte ichs glauben, was man mich zu uͤberreden ſucht, daß du nicht mein Karl ſeiſt, aber deine Geſichtszuͤge, die Narbe des Bakkens uͤberzeugen mich zu deutlich. Biſt du Karl, ſprich Ungluͤklicher, biſt du mein Karl? Ich bins! ſeufzte Karl. Er iſts! rief ſie im ge⸗ theilten Tone der Freude und Wehmuth, er iſts! Ach dann kann er auch kein Raͤuber ſein! — Karl ſchuͤttelte mit dem Kopfe, und die Freude der guten Alten mehrte ſich, ſie kuͤßte Karln, fie muͤhte ſich den Bugermeiſter von ſei⸗ ner Unſchuld zu uͤberzeugen, und dieſer war gutmuͤthig genug, ſich zu ſtellen, als ob er die⸗ ſe Ueberzeugung fuͤr moͤglich halte, doch forderte er von Karln bald hernach eine umſtaͤndliche Er⸗ zaͤhlung ſelnes Schikſals und den Beweis ſeiner Un⸗ — | 77 Unſchuld. Karl ahndete ſchon lange dieſe ſchrek⸗ liche Frage, da er aber izt nicht Antwort leiſten wollte, nicht leiſten konnte, ſo entſchuldigte er ſich mit feiner Schwaͤche. Morgen, ſprach er leiſe und mit verſtellter Anſtrergung aller Kraͤfte, morgen, izt vermag ichs nicht. Seine Liſt ge⸗ lang, der Burgermeiſter drang nicht weiter in ihn, und die Tante erhielte auch bald die Ges waͤhrung der Bitte, daß Karl dieſe Nacht in ſei⸗ nem Hauſe ruhen koͤnne. Karl hatte im Herzen der guten Alten neue Hoffnungen erwekt, und dieſe ſtaͤrkten fie maͤch⸗ tig, ſie ward nach Art des beinahe kindiſchen Alters geſchwaͤzzig, ſie begann hundert Erzaͤh⸗ lungen, ohne eine derſelben zu enden, und vers ſicherte dann immer den Burgermeiſter, daß ihr Karl ganz gewis unſchuldig ſei. Eine groſſe Laſt ſank von Karls Herzen, als iener ſich end» lich Geſchaͤfte halber entfernte, und Karl nun Freiheit erhielt, zu fragen, was ihm zu ſeiner Entſchuldigung am noͤthigſten ſchien. Vor allen forſchte er nach dem ungluͤklichen Ende ſeines Va⸗ ters, und nach der Urſache der Vermuthung, daß er durch Raͤuber ſei ermordet worden, er hoffte in dieſer Erzaͤhlung Stoff zu ſeiner Rettung zu finden, und fand ſie wuͤrklich. Die Tante erzaͤhl⸗ te ihm, daß die Ermordung ſeines Vaters durch Raͤu⸗ 78 Raͤuberhaͤnde nicht Vermuthung ſondern Gewis⸗ heit ſei. Wie du, ſprach fie, wider Vermuthen nahe an den Grenzen entflohſt, und dein Vater bald hernach dieſe Flucht entdekte, ſo beſtieg er das Pferd des Adiutanten, und eilte dir nach. Wahrſcheinlich hoffte er dich in einem groſſen Wal⸗ de wieder zu finden, und lenkte dahin, dies ſah der Adiutant und ſein Korporal deutlich. Als er nach einigen Stunden nicht wiederkehrte, ward dem Bedienten und Kutſcher bange um ihn, fie drangen in den Adiutanten, nahmen Pferde, und ritten nach dem Walde. Wie ſie dort anlangten, erbliken fie von Ferne einige Leute, fie ritten ab: ſeits darauf zu, aber die Leute entflohen, und wie Sie naher kamen, fanden fie deinen ungluͤk⸗ lichen Vater ermordet und nakkend am Boden liegen. Der ſchrekliche Anblik, der iähe Schrek⸗ ken hinderte ſie, den Thaͤtern ſogleich nachzuſez⸗ zen, als ſies unternahmen, waren fie ſchon aus ihren Augen verſchwunden. Die Furcht ein glei⸗ ches Schikſal zu erdulden, und vielleicht den all⸗ zumächtigen Näubern in der Einoͤde ohne Huͤlfe zu unterliegen, zwang ſie zur Ruͤkkehr. Wie ſich das Dikkicht ſchon lichtete, erblikten ſie zwei iunge Purſche, welche ein Paͤktchen trugen, die auffallende Bemuͤhung . mit welcher fie auszu⸗ weichen ſuchten, machte alle aufmerkſam. Sie 5 | e a ſez⸗ 79 ſezten ihnen nach, erreichten fie bald, und fans den im Pakke, welchen ſie trugen, die blutigen Kleider deines Vaters. Der Adiutant fuͤhrte fie ſelbſt vor Gerichte, fie geſtanden, daß fie die Söhne einer zahlreichen Raͤuberbande wären, wel⸗ che in den Felſenhoͤlen des Waldes wohne, und die Reiſenden beraube. Sie verſicherten, daß ſie noch keine Mordthat veruͤbt, auch deinen Vater nicht getoͤdet, ſondern nur von einigen fliehenden Raͤubern das Paͤktchen, und den Auftrag erhal⸗ ten hätten, ſolches zu einem Juden nach L“ zu tragen, welcher von lange her der Kaͤufer ihrer geraubten Sachen ſei, und alles in fremden Ges genden wieder zu verkaufen ſuche. Sie beſchrie⸗ ben die Felſenhoͤlen genau, da ſie aber verſicher⸗ ten, daß eine groſſe Anzahl kuͤhner Raͤuber dar⸗ inne wohne, ſo muſte vorher eine Kompagnie Soldaten herbei gerufen werden, um dieſe Hoͤlen mit Nachdruk und Gewisheit des guten Erfolgs beſtuͤrmen zu koͤnnen. Da bei dieſen Anſtalten ein voller Tag verfloß, und die Raͤuber wahr- ſcheinlich Nachricht von der Gefangennehmung ih⸗ rer Soͤhne erhielten, ſo fand man die Hoͤlen leer, und im ganzen Walde keinen Spur von ihnen; ſelbſt der Jude, welchen indes auch die Gerichte aufſuchten, war entflohen, nur fand man in ſeinem Stalle das Pferd des Adiutanten, und folglich den ſichern Beweis, daß er mit den Rau⸗ 80 eee eee Raͤubern im engen Verſtaͤndniſſe lebe, und dieſe ganz gewis deinen armen Vater ermordet haͤtten. Die gefangnen Raͤuber leugneten ſelbſt die That nicht, weil die blutigen Kleider wider ſie zeug⸗ ten, nur behaupteten ſie bis an ihren Tod, den ſie andrer eingeſtandner Raͤubereien wegen dulde⸗ ten, daß nicht ſie, ſondern wahrſcheinlich ihre entflohne Kammeraden deinen Vater ermordet haͤt⸗ ten, weil ſie von dieſen die Kleider, und den Auftrag erhalten haͤtten, nicht nach der Straſſe zu gehen, ſondern iene eilend zum Juden zu tra⸗ gen. Selbſt der Adiutant und die Bedienten ſag⸗ ten vor Gericht aus, daß die Raͤuber, welche ſie bei der Leiche deines Vaters erblikten, denienigen, wel⸗ che fie nachher gefangen nahmen, nicht ähnlich ſahen. Die Tante forderte nach dieſer umſtaͤndli⸗ chen Erzaͤhlung eine aͤhnliche Gefaͤlligkeit von Karln, und verlangte vorzüglich zu wiſſen: Was rum er ſich für eines ſaͤchſiſchen Schulmeiſters Sohn ausgegeben? Richt ſeinen wahren Stand aufrichtig bekannt, und ſich als einen Raͤuber habe verurtheilen laſſen? Karl wollte und konnte dieſe Frage noch nicht beantworten, Ideen zu ſei⸗ ner moͤglichen Rettung reihten ſich zwar ſchon in ſeinem Innern, aber ſie waren noch nicht geord⸗ net, er wollte zu dieſem Zeit gewinnen, entſchul⸗ digte ſich daher mit aͤuſſerſter Mattigkeit, und i ver⸗ 81 verſprach ſeine Erzaͤhlung den folgenden Morgen zu leiſten. Da er die Tante nebenbei verſicherte, daß er ganz gewis unſchuldig und nur aus allzu groſſer Furcht fuͤr dem Jaͤhzorn ſeines noch le⸗ bend geglaubten Vaters leide, ſo goͤnnte ſie ihm willig dieſen Aufſchub, und folgte bald hernach zur Abendtafel des Burgermeiſters, welcher ihr izt mit auszeichnender Hochachtung begegnete, weil der landesfuͤrſtliche Praͤſtdent zu ihm geſandt, fie ihm als eine Dame von Stande empfohlen, und von allen genaue Mathkiht verlangt hatte. Selbſt Karln Dat izt mit gröfferer Hoch⸗ achtung begegnet, man löste die Ketten von ſei⸗ nen Fuͤſſen, der Waͤchter, welcher in ſeinem Zim⸗ mer blieb, ſchien mehr zu ſeiner Aufwartung als Wache beſtimmt, und ſtoͤhrte ihn nicht im gering⸗ ſten in dem Plane, welchen er izt zu ſeiner noͤ— thigen Rettung entwarf. Ehe er dieſen vollendet, halte ichs fuͤr Pflicht, die Luͤkke meiner Erzählung zu fuͤllen, und meinen Leſern kund zu machen : Wie's kam, daß Karls Tante ſo ploͤzlich am Ar⸗ me der Koͤchin im Hauſe des Burgermeiſters er⸗ ſchien ? Sie war unter allen weiten und nahen welche ſeine Ruͤkkehr von Herzen wuͤnſchte, weil ſie keinen Anſpruch auf die reiche Erbſchaft ma⸗ chen konnte, und uͤberdies ihren ehemaligen Pfleg⸗ 8 ſohn 7 Anverwandten des ungluͤklichen Karls die einzige, 32 ſohn mit muͤtterlicher Zärtlichkeit liebte. Auf ihr Verlangen wurde die Vorladung, welche Karl fo zufallig las, in alle Zeitungen geſezt, und ſchon verzweifelte die gute Alte an dem guten Erfolge dieſes vielverſprechenden Mittels, als fie den Brief der Koͤchin erhielt. Ihre Freude daruͤber war rein und groß, da ſie aber aus dem Inhalte deutlich erſah, daß Karl ſeines Vaters Starrſinn und Jaͤhzorn immer noch zu fuͤrchten, ſeinen Tod nicht zu glauben ſchien, und fi vielleicht laͤnger noch verborgen halten wuͤrde, ſo beſchlos ſie ſogleich der rauhen Jahrszeit ungeachtet nach der Stadt, aus welcher der Brief kam, zu reifen und dort wo nicht ſeinen wuͤrklichen Aufenthalt doch den Ver⸗ faſſer des Briefes zu entdekken. Sie ging aus dieſer Abſicht vorher nach der Reſidenzſtadt, vers ſah ſich mit Empfehlungsſchreiben an den Praͤſt⸗ denten zu * „und trat nun ihre Reiſe dahin an. Wie ſie dort anlangte, vom Miniſter mit aller moͤglichen Freundſchaft empfangen wurde, und ihm ihr ganzes Anliegen entdekte, ſo gab dieſer auf der Poſt den ſtrengen Befehl, daß man den⸗ ienigen oder dieienige „welche unter der bekann⸗ ten Addreſſe nach einem Brief frägen wuͤrde, ſo⸗ i gleich mit aller Hoͤflichkeit aber auch Sicherheit anhalten ; und Zu. > von 3" ‘führen ſolle. Die 82 Die Koͤchin erſchien, man befolgte das Gebot des Miniſters, und die arme ſich ſtraͤubende Koͤchin ward zu iener geführt. Um ihres geliebten Karls Auftrag zu erfuͤllen, wollte ſie anfangs nicht ant⸗ Worten „als aber auf Verlangen der Frau von 5 ein Sekretair des Praͤſidenten erſchien, und ihr drohte, ſo bekannte ſie alles was ſie wuſte. Groß und innig war der Schmerz, wie die gute Alte erfuhr, daß der geliebte Sohn ihrer theuren Schweſter in Ketten ſchmachte, fie konnte dieſen Gedanken nicht faſſen, wollte ſich von der Moͤg⸗ lichkeit durch den Augenſchein uͤberzeugen, und lies ſich nach dem Hauſe des Burgermeiſters fuͤh⸗ ren, wo fie nach der Verſicherung der Köchin den Ungluͤklichen finden ſollte, und wuͤrklich fand. Der Sekretair begleitete fie, er erzählte den bes ſondern Vorfall dem Miniſter, daher kams, daß dieſer noch am Abende zum Burgermeiſter ſande, und am folgenden Morgen an der Tante Arm in Karls Zimmer trat. Er ſprach ſehr liebreich mit dem Ungluͤkli⸗ chen, verſicherte ihn, daß er an ſeiner Unſchuld nicht zweifle, und verſprach ihm aus dieſer Ruͤk⸗ ſicht ſeinen ganzen Beiſtand. Karls Muth ward durch dieſe Verſicherung mächtig geſtaͤrkt, er bez gann nun die E Erzaͤhlung ſeines ganzen Schikſals, F 2 ver⸗ 84 verſchwieg nur den Diebſtahl der iungen Ziegen, und ganz natürlich auch den Mord feines Vaters. Ich floh, erzaͤhlte er, ohne Hindernis durch den Wald, in welchem mich mein Vater ſuchte, und ſeinen Tod fand. Die Gewisheit, daß er mich wieder zum Regimente fuͤhren, daß ich dort den ſchmaͤhlichſten Tod finden wuͤrde, ſtaͤrkte meine Kraͤfte, und trieb mich die ganze Nacht raſtlos vorwaͤrts. Am andern Morgen erreichte ich das i Ende des Waldes, und ſah das Staͤdtchen “ vor mir liegen. Hunger und Durſt quaͤlte mich gleich ſtark, ich unterſuchte meine Taͤſchen, ob ich eini⸗ ges Geld bei mir haͤtte, und fand zu meinem groͤſten Erſtaunen, daß ich meines Vaters Gold⸗ boͤrſe und Uhr bei mir trug. Mit Mühe erin⸗ nerte ich mich, daß ich auf ſein Geheis die lez⸗ tere zu mir ſtekte, wie wir das Wirthshaus zu“ verlieſſen, und die erſtere im Wagen von ihm er⸗ hielt, als ein ungeſtuͤmmer Bettler uns folgte, und er eben mit ſeiner Tobakspfeife beſchaͤftigt war. Stekke ſie zu dir! ſagte er, als ich ſie ihm wiedergeben wollte, und er und ich vergaſen nachher ganz darauf. Ich kanns nicht leugnen, daß mir dieſer Zufall ſeht angenehm war, ich hoffte, daß er ſeine Nachfol⸗ ge verhindern, und meine Flucht fürdern würde. Ich hielts fuͤr einen kleinen Theil meines gerech⸗ ten Erbtheils, und beſchlos, es ſparſam zu mei⸗ nem fernern Fortkommen zu benuͤzzen. Nun 85 Nun erfolgte die Erzaͤhlung der wuͤrklichen Begebenheit mit dem Juden, Karl hatte izt kei⸗ ne Urſache ſie mehr zu verſchweigen, weil er durch der Tante Erzaͤhlung, von der Flucht des Juden uͤberzeugt war, dieſer es daher nicht verrathen konnte, daß er auf dem Pferde des Adiutanten bei ihm angelangt ſei, und es ihm verkauft ha⸗ be. Durch dieſe Erzaͤhlung, bewies Karl nun deutlich, daß er die geſtohlnen Kleider des Frem⸗ den rechtmaͤſſig erkauft habe, und durch das Ge⸗ richte ungerecht als ein Raͤuber ſei verurtheilt worden. Freilich ſchien es dem Praͤſidenten ſehr ſeltſam: Warum Karl das Gericht ſo oft hinter⸗ gangen, ſich endlich fuͤr eines Schulmeiſters Sohn ausgegeben, nie den rechtmaͤſſigen Beſiz der Uhr und der Boͤrſe erwieſen, und ſo das erſte⸗ re zu dieſem ungerechten Spruche verfuͤhrt habe, aber Karl entſchuldigte ſich immer mit der Furcht fuͤr dem Starrſinn ſeines Vaters. Haͤtte ich ſprach er, vor Gerichte meinen wahren Stand und Namen entdekt, ſo war ich im Voraus uͤber⸗ zeugt, daß man an meinen Vater ſchreiben wuͤr⸗ de, und da ich dieſen mir immer als lebend dachte, fo war ich auch im Voraus überzeugt, daß er for gleich ſelbſt erſcheinen, mich zwar aus dem Ge⸗ faͤngniſſe befreien, aber eben ſo gewis zu meinem Regimente fuͤhren wuͤrde, wo nach der Verſiche⸗ rung des alten Korporals der Tod meiner harte. Um 36 ä ů ů — —— Um dieſem zu entgehen, beſchlos ich daher lieber im Gefaͤngniſſe zu harren, das Urtheil des Ge⸗ richts abzuwarten, und ware dies gelinder, es willig zu dulden. Selbſt, fuhr Karl fort, die oͤffentliche Kundmachung des Todes meines Va⸗ ters ſchien mir eine Liſt deſſelben, und veraulaßte mich, mit aller moͤglichen a cht die en zu erforſchen. Da die Tante ieden Beweis des s ſchreklichen Starrſinns und Jaͤhzorns ſeines Vaters in des Miniſters Gegenwart nicht allein beſtaͤtigte, ſon⸗ dern noch weit mehrere Beweiſe dieſer Art an⸗ fuͤhrte, ſo verdachte es dieſer dem ungluͤklichen Juͤnglinge nicht länger, daß er ſechsiaͤhrigen Fe⸗ ſtungsbau dem ſo gewis ſcheinenden, noch ſchmaͤh⸗ lichern Tode vorgezogen habe, und verſprach ſo⸗ gleich zum Beweiſe ſeiner vollkommenen Unſchuld ſeinen Prozes aufs neue revidiren, und dann iene durch ein landesfuͤrſtliches Urtheil beſtaͤti⸗ gen zu laſſen. Um dies zu thun, wurden ſogleich die Akten von dem Gerichte, welches uͤbern Karln das Urtheil ſprach „ abgefordert. Mit dieſen langte auch die in gerichtlicher Verwahrung geleg⸗ ne Uhr an. Die Tante, und endlich auch der Kutſcher und Bediente, welche ſie nach des Va⸗ ters Tod in ihre Dienſte genommen hatte, ſagten ſogleich eidlich aus „daß dieſe Uhr wuͤrklich ſei⸗ 5 nem 87 nem Vater gehört habe. Die leztern fuͤgten ſo⸗ gar hinzu, daß ſie es ſelbſt geſehen und gehoͤrt haͤtten: Wie der iunge Herr dieſe Uhr auf Geheis ſeines Vaters im Wirthshauſe zu ſich geſtekt ha⸗ be. Sie thaten dies wahrſcheinlich, um die Frei⸗ heit ihres kuͤnftigen Herrn zu foͤrdern, ſich im Voraus bei ihm Verdienſte zu ſammeln, denn Karl verſicherte am Ende ſeiner Laufbahn ſelbſt, daß die Ausſage der Bedienten in dieſem Falle Unwahrheit enthalten habe. Auch an das Ge⸗ richt, unter welchem der Jude ſtand, ward ge— ſchrieben, denn der Beweis, daß diefer mit ges ſtohlnen Kleidern gehandelt habe, und aus Furcht der Entdekkung entflohen ſei, war zu Karls Recht⸗ fertigung unumgaͤnglich noͤthig. Furcht und Angſt quälte ihn, als er dies Unternehmen er⸗ fuhr, weil er immer noch der Ungewesheit lebte: Ob der Jude wuͤrklich entflohen, nicht vielleicht entdekt worden ſei? Freude fuͤllte ſein Herz, als ihm die Nachricht ward, daß die Antwort, ſo wie er hoffte und wuͤnſchte, erfolgt ſei. Das Gericht des Juden hatte nicht allein ſeine Flucht, ſondern auch ſeine Thaten beſtaͤtigt, und noch hinzugefuͤgt, daß man bei der gerichtlichen In⸗ ventur wuͤrklich im Hauſe des Juden eine voll⸗ ſtaͤndige Uniform des * fchen Regiments gefun⸗ den habe, welches hoͤchſtwahrſcheinlich dieienige - fein 88 ſein werde, die der ungluͤkliche 1 bei ihm ge⸗ gen andre Kleider vertauſcht habe. Dieſe und noch viele andere Beweiſe ſezten den Praͤſidenten in den Stand, Karls Unſchuld auf das deutlichſte darzuthun, und ſie mit allen erforderlichen Zeugniſſen dem Landesfuͤrſten zur Beſtaͤtigung vorzulegen. Dieſe erfolgte ſchnell und vollkommen, Karl ward des Arreſtes ent⸗ laſſen, und ſeine Unſchuld mit vielem Gepraͤnge in der Stadt oͤffentlich bekannt gemacht. Der Miniſter lud ihn nicht allein zur Tafel, fordern forderte es auch als einen Freundſchaftsbeweis, daß er die Zeit ſeines Aufenthaltes mit ſeiner Tante in ſeinem Hauſe wohne. Karl kleidete ſich nun feinem Stande gemaͤs, feine jugendliche Ge: ſtalt ward izt doppelt reizend, ſein ungluͤkliches Schikfal erregte allgemeine Aufmerkſamkeit, es war daher kein Wunder, daß iedermann ſeine Bekanntſchaft fuchte, und ihm immer ein gro ſſer Haufe folgte, wenn er in Geſellſchaft des Mini⸗ ſters, oder gar am Arme von deſſen Gattin uͤber die Gaſſe ging. Jeder, welcher ihn einſt in Ketten geſehen, oder gar ein Almoſen geſchenkt hatte, rief dann immer aus, daß ſeine leidende, duldende Miene ſeine Unſchuld ſchon lange vorher verkuͤndigt habe, und freute ſich herzlich, ſie izt im vollen Glanze zu erblikken. Dieſer allgenteis ne 89 ne Triumph war Nahrung fuͤr feinen Ehrgeiz, es gab Stunden und Tage, in welchen er ſich ſeines ſchreklichen Verbrechens nicht mehr erinnerte, im gluͤklichen Taumel fortlebte, und oft ſelbſt glaubte, daß er die Hochachtung, welche man ihm uͤberall zollte, mit Recht fordern koͤnne. Er verzoͤgerte ſeine Abreiſe von einer Woche zur andern, wuͤrde vielleicht noch laͤnger in dieſer Stadt geweilt ha⸗ ben, wenn ihm nicht ein aͤuſſerſt merkwuͤrdiger Zufall den Aufenthalt in ſolcher verbittert haͤtte. Wie er einſt an einem Morgen nach einem ſtark beſuchten Kaffeehauſe ging, erblikte er in der Ekke des Billiardzimmers einen ſchon betagten Alten, welcher ein Zeitungsblatt in der Hand hielt, dieſes aber bei feiner Ankunft ſogleich ſin— ken lies, und ihn ununterbrochen anſtarrte. Die finſtere Miene, noch mehr aber der ſcharfe Blik des Alten misfiel Karln, er ſuchte dem leztern auszuweichen, und entfernte ſich. Der Alte ſtand auf und folgte, Karl ging nach dem Haufe des Miniſters, der Alte verdoppelte ſeine Schritte, und winkte Karln, als er hinter ſich blikte. Karl bebte, fein Herz ahndete unbekannte Dinge, er ſtand und forſchte nach des Alten Begehren. Der Alte. Sie ſind doch der iunge Herr von H“? Ein Sohn des im 'ſchen Walde ermor⸗ deten Herrn von Hös? f Der 90 Der Ausdruk, mit welchem der Alte das Wort Ermordet ausſprach, bleichte Karls Wangen, er zitterte, und vermochte es kaum die Frage zu beiahen. Der Alte. Dann muß ich ſie nothwen⸗ dig allein ſprechen. Wollen ſie nicht erlauben, daß ich ihnen nach ihrem Zimmer folge? Karl nikte mit dem Kopfe, und der Alte folgte. Wie ſie im Zimmer anlangten, forſchte Karl nach ſeinem Begehren. Der Alte. (laͤchelnd.) Ich habe ein Ges heimnis zu verkaufen, und da fie izt alle Güter ihres ermordeten Vaters geerbt haben, ſo hoffe ich ganz gewis, daß ich in ihnen einen gu⸗ ten Käufer finde. | Karl. (duſſerſt verwirrt) Ein Geheimnis? Der Alte. (ſtandhaft) Ja! Der Preis iſt tauſend Loutsdor, erhalte ich dieſen von ihnen, ſo vergeſſe ichs auf ewig. Weigern ſie ſich Kaͤu⸗ fer zu ſein, ſo ſuche ich es bei dem Herrn Praͤ⸗ ſidenten zu verkaufen. Ihnen goͤnne ich den Vor⸗ zug, weils eben ihnen am nuͤzlichſten ſein kann. (Karl ſchwieg) Sie miskennen meine gute Abſicht? Ich empfehle mich Ihnen. Karl. 21 Karl. (den Alten dat haltend) Erklären fie ſich deutlicher. Der Alte. Nein! Laufend beutedor oder ich gehe zum Praͤſidenten! Karl. (ſich faſſend) Wenn ich auch der Sel⸗ tenheit wegen — — oder aus Scherz dieſen ſon— derbaren Kauf eingehen — — wagen wollte, fo werden ſie doch leicht begreifen, daß ich hier und in meinen izzigen Umſtaͤnden dieſe groſſe Summe nicht aufzubringen vermag. Der Alte. Dies weis ich, auch forde— re ich nicht baares Geld, fondern nur einen Wech⸗ ſel in einem Monate zahlbar, ausgeſtellt auf Herrn F' in L“. Ihre Sorge ſei es dann, daß mir der Wechſel richtig ausgezahlt wird. Bis zum Ausgang des Termins harre und ſchweige ich geduldig, und wenn ich das Geld erhalte, auf ewig. Izt bitte ich aber, mir ihren Entſchluß kund zu machen, denn meine Zeit iſt dringend, in einer Stunde muß ich weiter reiſen. Karl. Cangfivon) Ich habe in meinem geben noch keinen Wechſel geſchrieben und ausgeſtellt. Der Alte. Will ihnen die Muͤhe erſpa⸗ ren! (alen ſeine Schreibtafel) Ich war auf dieſe Eut⸗ en 9 Entſchuldigung ſchon vorbereitet, und habe ihn bereits aufgeſezt. Nur ihre Unterſchrift mangelt, und dieſe werden ſie mir wohl nicht länger ver⸗ weigern? K a r 1 (zagend) Nein! (fest ſich und na) Der Alte. (den Wechſel nehmend) Alſo, bin⸗ nen einem Monate tauſend Louisdor bei Herrn F in L'. Ich bitte, ſich deſſen wohl zu er⸗ innern, und wuͤnſche ihnen ruhige und ver⸗ gnuͤgte Tage. Karl. Aber das Geheimnis? | Der Alte. Wollen fie es wuͤrklich wiſ⸗ fen ? Wäre es nicht beſſer, wenn es in dieſer als ten Bruſt verborgen bliebe, und mit ihr vermo⸗ derte? Karl. Nein! Nein! Ich will Gewisheit baben. | Der Alte. Sie ſoll ihnen werden. Wenn mir der Wechsler das Geld auszahlt, will ich ihm dagegen einen verfiegelten Zettel unter ihrer Addreſſe uͤberreichen, er wird das Geheimnis enthalten; daß er aber nicht in fremde Haͤnde falle, ſei ihre Sorge. Sind ſie damit zufrieden? Karl. * ne — — —— — — — ; 93 Karl. Ich bins. Kennen ſie mich denn ? date fie mich vorher ſchon geſehen? ie Der Alte. Geſehen und geſprochen! 15 ben. fie wohl! Ich werde mein Wort halten, wohl ihnen, wenn ſie das rige eben ſo serie, a pat erfuͤllen! Er ging, und Karl ſtarrte ihm angſtvoll nach. Die Ruhe, welche bisher ſeine Seele ge— nos, war verſchwunden, Gewiſſensvorwuͤrfe mar⸗ terten und quälten fi ie. Ein Poſthorn wekte ihn nach einer Stunde aus ſeinem Tiefſiune, er trat ans Fenſter, ein Wagen rollte raſch voruͤber, der alte ſas darinne, und grüſte ihn felundtih Rail wife dem Wagen lange nach, ihm ward leichter, wie er das Raſſeln derſelben nicht mehr hörte, die Gefahr ſchwand, und neue Hoffnun⸗ gen verdraͤngten das peinigende Gefuͤhl. Er ging zu ſeiner Tante, und ſprach zum erſten male mit ihr von ſeiner Abreiſe. Sie hoͤrte dies gerne, weil ihr in der Fremde die haͤusliche, ſo ſehr ge⸗ wohnte Ruhe mangelte, und beſtaͤrkte Karln in feinem Entſchluſſe. Er konnte lzt mit vollem Triumphe und ohne Makel in der Mitte ſeiner Familie erſcheinen, ſelbſt ſeine Deſertion, was ich bisher zu erzaͤhlen vergas, hatte ſeine Ehre nicht beflekt. Ungeachtet der Oberſte des Regi⸗ ments 94 ments ſehr dagegen kämpfte, fo ward doch durch des Geſanden Vorwort auf ausdruͤklichen Befehl des Monarchen das bereits über Karln gefaͤllte, ſchimpfliche Urtheil unterdruͤkt, und ſeiner Fami⸗ lie der Abſchied als Offizier zugeſandt. Dieſer Umſtand machte ihm viel Freude, weil er izt oh⸗ ne Vorwurf und Kraͤnkung auf den väterlichen Guͤtern in Einſamkeit und Ruhe zu leben hoffte. Am Abende vor feiner Abreiſe aus *, klopf⸗ te etwas, als es ſchon daͤmmerte, leiſe an ſeine Thuͤre. Die Koͤchin, ſeine ehemalige Geliebte und Wohlthaͤterin, trat herein, um von ihm Ab⸗ ſchied zu nehmen. Karl hatte ehe ſchon ihrer | nicht vergeflen, das empfindſame Maͤdchen war für ihre Wohlthaten von ſeiner Tante mit hun⸗ dert Louisdor beſchenkt worden. Sie erkannte, daß dies ein allzureicher Lohn fei, aber ihr Herz war damit nicht zufrieden, weil es Karln auf: richtig und zaͤrtlich liebte, und ehemals die kraͤf⸗ tigſten Verſicherungen ſeiner Gegenliebe von ihm erhalten hatte. Sie ſah ein, daß er bei fo ver⸗ aͤnderten Umſtaͤnden nicht Wort halten koͤnne, aber : fie kam doch, ihn daran zu erinnern, und ihm aufrichtig zu geſtehen, daß mit ihm ihre Ruhe, ihre Zufriedenheit auf ewig aus ihrem Herzen weichen wuͤrde. Das Maͤdchen war ſehr ſchoͤn, und Karls Herz gefuͤhlvoll. Auch dieſem thats weh, 95 weh, fi) ohne Genuß von ihr zu trennen, er machte ihr Vorſchlaͤge, und die Liebende war ſchwach genug, ſie anzunehmen, ihm izt ſchon zu gewaͤhren, was er ſpaͤter nur fordern wollte. Er verſprach ihr dagegen, ſie binnen Monats⸗ ftiſt nach ſeinen Guͤtern abholen zu laſſen, ſich nie zu verheurathen, und fie als feine Haushaͤl⸗ terin zeitlebens bei ſich zu behalten. Karl ward bei ſeiner Ankunft im Vaterlan⸗ de von ſeinen zahlreichen Freunden mit groͤſter Freude empfangen. Viele dachten freilich nicht fo, wie ſie ſprachen, da aber ihre ehemalige Hoffnung geſcheitert war, ſo ſuchten ſie ſich wil⸗ lig in ihr Schikſal zu fügen, und es nach Kraͤf⸗ ten zu benuzzen. Alles iubelte, wie er im vaͤ⸗ terlichen Schloſſe einzog, alles freute ſich, nur Karl nicht. Jeder Gegenſtand erinnerte ihn an die Tage ſeiner Jugend, an ſeinen Vater, an ſeine Mutter. Sein Auge thraͤnte, wenn er an dieſe dachte, ſein Blut ſtokte, wenn er ienen vor ſich ſtehen ſah. Es war ihm unmoͤglich, die Wohnzimmer ſeines Vaters zu betreten, in al⸗ len Ekken derſelben ſahe er ſeine drohende, blu⸗ tige Geſtalt, und ſchauderte zuruͤk. Er hoffte Ruhe und Zufriedenheit auf ſeinen Guͤtern zu finden, aber beide flohen ihn gleich ſtark, weil ieder Gegenſtand ihn an ſeinen Vater und zugleich an 95 an fein Verbrechen erinnerte, er wuͤrde wog 1 ſcheinlich in ſtiller, unthaͤtiger Melancholie ſeine uͤbrigen Tage durchlebt haben, wenn nicht neue Begebenheiten ihn darinne geſtoͤhrt und zu groͤſ⸗ ſerm Ungluͤkke verleitet hätte. Der alte Freund ſeines Vaters, welcher ihm durch ſein Vorwort das Ofen aus⸗ gewuͤrkt hatte, nahm den lebhafteſten Antheil an Karls gluͤklicher Ruͤkkehr, ſeine Tochter wuͤnſch⸗ te eben ſo herzlich, den ſchoͤnen Ungluͤklichen naͤ⸗ her kennen zu lernen. Die Einladungen zu einem nachbarlichen Beſuche erfolgten daher von dem Alten faſt taͤglich, Karl hatte ſich anfangs immer mit ſei⸗ nen haͤufigen Geſchaͤften entſchuldigt, izt vermoch⸗ te ers des Wohlſtandswegen nicht laͤnger, weil er nach L* reifen wollte, um die tauſend Louis⸗ dor an den Wechsler F“ ſelbſt auszuzahlen, und es aͤuſſerſt auffallend geweſen waͤre, wenn er nicht vorher ſeinen alten Nachbar beſucht, ihm fuͤr ſei⸗ ne gluͤkliche Verwendung gedankt haͤtte. Die Straſſe nach L' ging durch dieſe Gegend, er bes ſchloß die Gelegenheit zu benuzzen, und bei dem Alten zu uͤbernachten. Sein Empfang war glaͤn⸗ zend. Der Alte umarmte ihn zaͤrtlich, die Toch⸗ ter duldete es willig, als Karl auf des Vaters Geheis ihre Wange kuͤßte. Er that dies ohne befondere Theilnahme, aber das . unwillkuͤhr⸗ li⸗ 97 ——— lliche, und doch ſo maͤchtige Gefuͤhl der Liebe diurchzitterte ihn, als fein Kuß ihre Wange hoch roͤthete, ihr gröffes Auge ſich ſchmachtend ſenkte, und der geſchlosne Mund den Seufzer unterdruͤkte, der ihren Buſen ſchwellte. Sie ſtammelte eini⸗ ge Worte der innigen Theilname an ſeinem einſt ſo unverdienten Schikſale, und Karl dankte ſtot⸗ ternd. Der beobachtende Vater ſah die erſten Fruͤhlingsknospen der keimenden Liebe, und freu⸗ te ſich herzlich. Ehe man ſich zur Tafel ſezte, hatte Karl ſchon oft die Hand der ſchoͤnen Emilie gekuͤßt, und deutlich den ſanften Druk der ihrigen gefuͤhlt. Nach der Tafel ſchlich der Alte nach feinem Schlaf: gemache, Karl trat mit Emilien ans Fenſter, die Bedienten entfernten ſich, beide ſprachen an⸗ fangs von gleichguͤltigen Dingen, bald wurde aber das Geſpraͤch intereſſanter, und ehe der Bas ter wieder erſchien, hatte Karl ſchon Emilien ge⸗ ſtanden, daß er heftige Liebe zu ihr fuͤhle. Emi⸗ lie war durch dies offne Geſtaͤndnis nicht belei⸗ digt worden, hatte nur laͤchelnd bemerkt, daß die ſchnellſte Empfindung ſelten von langer Dauer ſei. Eben wollte Karl das Gegentheil beweiſen, als der Vater wieder ins Zimmer trat, und das Geſpraͤch ſtoͤhrte. Karl hatte gleich bei ſeiner An⸗ kunft hoch und theuer verſichert, daß er wichti⸗ & ger 98 ger Geſchaͤfte wegen noch am nemlichen Tage ab⸗ reiſen muͤſſe, izt verſprach er ſogleich zu bleiben, als der Alte ſeine Bitte erneuerte. Ein herzli⸗ cher Kuß des Vaters, ein fuͤhlbarer Haͤndedruk der reizenden Tochter war Karls groſſer Lohn. Erſt am dritten Tage reiſte er nach L* ab, und nahm die Gewisheit mit ſich, daß Emilie ſeine innige Liebe bald und ſicher belohnen werde. Karl hatte noch nie aͤchte und wahre Liebe gefuͤhlt. Das ungetreue Kaͤtchen und die mitleidige Koͤchin hatte zwar Gefuͤhle der Liebe in ſeinem Herzen gewekt, aber ſie waren den izzigen nicht aͤhnlich, ſchienen nur Tropfen gegen den gewaltigen Strom, der izt in ſeinen Adern wallte, ſein Herz fuͤllte, und die kleinſten feiner Nerven zur heftigſten Em⸗ pfindung empor reizte. Oft kann wohl der Mann lieben, aber ſelten, vielleicht nie als nut einmal, mit anhaltender Heftigkeit, mit der unbeſchreibli⸗ chen 1 brennenden, verzehrenden Beglerde nach Beſi iz und immerwaͤhrenden Genus. Wenigſtens Karl fühlte dieſe Wahrheit im hoͤchſten Grade, er fuͤhlte „akthmete nur Liebe, er duͤnkte ſich uͤberſe⸗ lig „ uͤbergluͤklich, wenn er Emilien als feine Gattin dachte, und ſelbſtmoͤrderiſche Gedanken quaͤlten ſein Herz, wenn ſeine Einbildungskraft ſie in den Armen eines andern erblikte. 99 == 322 Ich ſchreibe eine wahre Geſchichte, und kei⸗ nen Roman; mein iſt daher die Pflicht nicht, zu beweiſen, daß Dinge , welche ſich wuͤrklich zuge⸗ tragen haben, auch eben ſo wahrſcheinlich geſche⸗ hen konnten. Dies zur Widerlegung aller derie⸗ nigen, welche zur Gründung einer folchen Liebe Jahre erfordern, und dies ſchnelle Gedeihen und Wachsthum fuͤr unmoͤglich halten. Oft gleicht die Liebe einer iungen Eiche, die nur unmerkbar und aͤuſſerſt langſam zum Baume empor reift; oft iſt ſie dem geilen Rankengewaͤchſe aͤhnlich, das in einem Sommer hoͤher als iene in einem Jahr⸗ hunderte klettert, und den ſtuͤzzenden Stab ſo feſt umwindet, daß nur gewaltſame en ſi ie von ihm trennen kann. Wie Karl zu L“ 4 war der Ter⸗ min des Wechſels ſchon bis auf einen Tag ver⸗ floſſen, er eilte daher noch am nemlichen Tage zum beſtimmten Wechsler, erlegte die Summe, und erhielte von ihm die Verſicherung, daß er ſeinen Wechſel reſpektiren, und die verſtegelte Quittung ſogleich zuſenden wolle. Karl zitterte, als am folgenden Morgen der Buchhalter wuͤrk⸗ lich erſchien, und den wohl verſiegelten Zettel mit der Nachricht uͤberbrachte, daß ein junges, ſchoͤ⸗ nes Frauenzimmer feinen beiliegenden Wechſel praͤſentirt und die Summe erhoben habe. Lange G 2 ver⸗ 100 FF GB dumm vermochte ers nicht, den Zettel zu öffnen , oft wollte er ihn in den lodernden Kamin werfen, und zur Befeſtigung ſeiner Ruhe ungeleſen ver⸗ nichten, aber eine unuͤberwindliche Begierde, zu erfahren, ob er auch recht geahndet habe, hin⸗ derte ihn immer an dieſem Vorſazze, er loͤſte end⸗ lich das Siegel und las folgende, ſchrekliche Worte: „Du haſt deinen Vater ermor⸗ det! Dies Geheimnis reift kuͤnftiges Fruͤhiahr mit mir nach Amerika, und wird dort mit mir begraben!“ Die ſchreklichen „ ſchon unterdruͤkten Ge⸗ fuͤhle eines Moͤrders erwachten izt wieder in ſei⸗ ner Seele, und quaͤlten ſie ſchreklich. Es ſchien ihm unausſtehlich, daß noch einer unter den Le⸗ benden ſein Verbrechen kenne, vielleicht einſt ſein Verraͤther und Anklaͤger werden koͤnne. Haͤtte nicht allmaͤchtige Liebe ihn gefeſſelt, er wuͤrde nicht in ſein Vaterland ruͤkgekehrt, gleich einem Kain unſtaͤtt und fluͤchtig umher geirrt ſein, und mit Begierde den Tod, als das Ende ſeiner Lei⸗ den geſucht haben. Aber dieſe maͤchtige Troͤſte⸗ rin hielte ihm im Sturme aufrecht, ſalbte die Wunde, welche die nagenden Gewiſſensbiſſe ihm verurſachten, oͤffnete ihm die Ausſicht in eine gluͤkliche und reizende Zukunft, und hinderte die ine der e „ mit welcher ſeine See⸗ 101 Seele oft ſchon kraftlos kaͤmpfte. Nach drei ſchlaflo⸗ ſen Naͤchten erhielt der Entſchlus, wieder heim zu kehren, volle Kraft zur Ausführung; die Verſiche⸗ rung, daß der Unbekaunte ſein Geheimnis mit nach Amerika nehmen, und dort der Erde anvertrauen wolle, troͤſtete ihn maͤchtig; die dunkeln Aus⸗ ſichten ſchwanden, reizende und lachende oͤffneten ſich. Als Emiliens Schloß von Ferne glaͤnzte, war er wieder der vorige, innige Freude und Wonne belebte ſein Auge, wie er Emilien am Fenſter erblikte, und ihre weiſſe Hand ihm den freudigſten Willkomm zuwinkte. e Auch ſie liebte Karln heftig, und mit einer Innigkeit, die ſich nur fuͤhlen, nicht beſchreiben laͤßt. Schon damals, als ſein Vater ihm entge⸗ gen reiſte, hatte der ihrige ihr kund gemacht, daß er ſie zu ſeiner Gattin beſtimme. Jeder Zwang thut dem freien, menſchlichen Gefuͤhle weh, auch ihr ſchmerzte dieſe eigenmaͤchtige Zuſage, und ſie hatte ſchon beſchloſſen, zu widerſtreben und mit Muthe zu kaͤmpfen, als ihr Karls Vater den Brief leſen lies, welchen iener an feine noch le⸗ bend geglaubte Mutter ſchrieb. Der natuͤrliche, und daher um ſo ſtaͤrker wuͤrkende Ton, mit welchem er ſeine Geſchichte erzaͤhlte, ſein Leiden ſchilderte, wuͤrkte kraͤftig auf ihr mitleidsvolles Herz, dies ward bald ein warmer Fuͤrbitter bei dem 102 dem gekraͤnkten weiblichen Stolze, und dieſer ach⸗ tete es am Ende ſelbſt fuͤr ungerecht, denienigen im Voraus zu haſſen, der keinen Theil am vaͤ⸗ terlichen Plane habe, und volles Gluͤk fuͤr ſein unverdientes Leiden fordern koͤnne. Die Sehn⸗ ſucht, ihn naͤher kennen zu lernen, bemaͤchtigte ſich nach und nach ihres Herzens; es wuͤnſchte, hoffte, ohne eigentlich zu wiſſen, was es wuͤn⸗ ſchen und hoffen ſollte; es duldete, und ſchmach⸗ tete, als es endlich die Gewisheit hoͤrte, daß der ungluͤkliche Karl abermals verſchwunden, und kein Anſchein zu ſeiner Ruͤkkehr zu hoffen ſei. Als Karls Tante den Brief der Koͤchin erhielt, machte ſie Emilien und ihren Vater zu ihren Ver⸗ krauten, die erſtere billigte vorzuͤglich die Reife nach ; fie konnte den Wunſch, mit zu reifen und den ungluͤklichen Juͤngling von Augeſicht zu Angeſicht keunen zu lernen, nicht unterdruͤkken; ſie beneidete zum erſten male eine ihrer Freun⸗ Binden, welche als eine vater ⸗ und mutterlofe Waiſe fich ganz uͤberlaſſen war, und ohne Scheu eine ähnliche Reiſe hätte unternehmen koͤnnen. Die Tante hatte zu ſchreiben verſprochen, Emi⸗ lie harrte mit Ungeduld auf den erſten Brief, ſie welnte bitterlich, als ſie durch dieſen Karls ſchrek⸗ liches Schikſal erfuhr, fie pries ſich gluͤklich, noch einen Vater zu haben, weil ſie in ſeinen Augen auch Thraͤnen des Mitleids glaͤnzen ſah. Von die⸗ * 10% dieſer Zeit an ward ihr Karl theuer; ſie nahm den innigſten Autheil an ſeinem Prozeſſe, ſie weinte Thraͤuen der Freude, als das landesfuͤrſt⸗ liche Urtheil ſeine Unſchuld beſtaͤtigte, und die alte Tante bald mit Karln ruͤkzukehren verſprach; fie ward tieffinnig und traurig, als die Ruͤkreiſe fo ſpaͤt erfolgte fie vergos Thraͤnen des Mis⸗ muths, als Karl auf fo vielfältige Einladung ihres Vaters nicht erſchien, und blikte ſchmach⸗ tend in die Ferne, wenn aller Zungen ſeine be⸗ ſcheidne Art, ſeine leidende, duldende Miene, ſei⸗ ne herrliche Geſtalt lobten. Endlich erſchien er, und mit ihm der Triumph über Emiliens kaͤm⸗ pfendes Herz. Karl war von feiner frühen. Ju⸗ gend an ſich und der Natur uͤberlaſſen worden, aber dieſe hatte an ihm nicht ſtiefmuͤtterlich gehan⸗ delt. Ob er gleich unter Bauern und auf den Al⸗ pen wohnte, nachher als gemeiner Soldat diente, und endlich in der Mitte groſſer Verbrecher dul⸗ dete; fo war er doch nicht Kenntnisleer, er wuſte angenehm zu ſprechen, und ſich gefaͤllig auszu⸗ dtuͤkken. Sein Ungluͤk hatte das vaͤterliche Erb⸗ theil, ein feuriges, hizziges Temperament, ge⸗ mildert, und ſeine wuͤrklich reizende, ſchoͤne Ge⸗ ſtalt, wurde durch eine aͤufferſt anziehende, ſchmach⸗ tend duldende Miene erhoͤht, die ſich oft uͤber fein ganzes Geſichte verbreitete, oft nur im Au⸗ ö 5 2, „dle, 104 ge, oder in der Falte des Mundes lächelte. Diefe vortheilhafte Bildung, das noch vortheilhaftere Betragen wuͤrkte gleich ſtark auf Emiliens Herz, welches ohnehin ſchon lange ihn ehrte, 1 unbekannt ſchon liebte. Emiliens Vater heiſchte, daß Kart izt we⸗ nigſtens acht Tage auf ſeinem Schloſſe weilen ſolle, und der verliebte Karl lies ſich nicht zwei⸗ mal bitten, er nuͤzte dieſe Zeit vortreflich, er uͤber? wand Emiliens verſtelltes Widerſtreben, ſie ſank ſchaamroth, aber auch freudegluͤhend in ſeine Ar⸗ me, und ſtammlete das Bekenntnis der reinſten, zärtlichſten Liebe. Sie hatte ſogar eingewilligt, daß Karl ihre Hand vom Vater heiſchen ſolle, und dieſer wollte eben aus dieſer Abſicht nach ſeinem Zimmer ſchleichen, als ihn mit einmal der Ge⸗ danke niederdonnerte, daß er mit Kaͤtchen noch immer verheurathet ſei, ohne Gefahr ſeines Les bens keine zweite Ehe eingehen koͤnne. Dieſen Gedanken, der ihn izt ſo heftig quaͤlte, hatte ſei⸗ ne Seele ſchon ein Jahr nicht gedacht, izt fuͤllte er fie mit einmal, vernichtete feine ganze Hoffe nung, ſein uͤbergroſſes Gluͤk, trieb ihn nach ſei⸗ nem Zimmer zuruͤk, und überlieferte ihn dort der Verzweiflung. Die liebende Emilie hatte ihn ſelbſt gewarnt, nur ia des Vaters Schwaͤche, ei⸗ nen oft uͤbertriebnen Stolz, zu ſchonen, ſie fuͤrch⸗ tes 105 tete fogar , daß dieſer, wenn er erwache, Anz ſtand nehmen wuͤrde, den ehemals ungluͤklichen Karl feinen Sohn zu nennen, doch hoffte fie wies der mit Grunde, daß der allgemein bekannte Tri⸗ umph ſeiner Unſchuld ihn vollkommen verſoͤhnt habe. Dieſe Warnung wurde izt der kraͤftigſte Gegenbeweis, die ſtaͤrkſte Hindernis, wenn Karl — wie es einigemal geſchah — den Vorſaz faßte, dem Alten alles zu entdekken, und um ſeinen Beiſtand zu flehen. Er ſah ein, daß der ſtolze Vater feine einzige Tochter nie einem Manne ge: ben würde, welcher ehemals ein armes Bauern— maͤdchen heurathete, izt noch ihr Mann war. Er glaubte ſogar, daß ſelbſt dies Geſtaͤndnis Emiliens Liebe vernichten, und ihn graͤnzenlos ungluͤklich machen würde. Die Folge dieſer Ueberzeugung, dieſes Glaubens war daher der feſte Vorſaz, dem Vater und der Tochter feine Heurath zu verſchwei— gen, die Werbung fortzuſezzen, und die Hochzeit ſo lange zu verzoͤgern, bis er ſich auf eine oder die andere Art von Kaͤtchens moͤglichen Anſpruͤ⸗ chen befreit habe. Er konnte dies mit Grunde hoffen, weil er ſich der Verſicherung des Adiutan⸗ ten erinnerte, und es izt feſter als ehemals glaubte, daß er mit ihr nicht auf rechtmaͤſſige Art verheurathet ſei. Eben hatte dieſer Entſchlus vollkommne Feſtigkeit erhalten, als die ungedul⸗ di⸗ 196 dige Emilie in fein Zimmer trat, und des Das ihr, daß das Gefuͤhl ſeiner Unwuͤrdigkeit mit ihm gekaͤmpft, und bisher verhindert habe, den ent⸗ ſcheidenden Schritt zu wagen, Emilie ſprach ihm Muth ein, und er ward gezwungen „ mit dem Vater entſcheldend zu ſprechen. Dem Greiſe kam dieſe Nachricht 3 un⸗ erwartet, er hatte ſie ſchon einige Tagelang ver⸗ muthet, und ſich zur Antwort vorbereitet. Sie ſoll die ihrige werden, ſprach er laͤchelnd, und ich hoffe zu Gott, daß ſte mit ihnen zufrieden und gluͤklich leben wird. Aber — nennen ſi es Laune, Vorſicht, oder Achtung fuͤr die Meinung der Welt. nennen fies wie fie wollen — fie koͤn⸗ nen, ſie dürfen fi fie unter Jahresfriſt nicht ehli⸗ chen. Dieſe Zeit iſt binlaͤnglich, mich zu über: . zeugen, daß fie meine Tochter aufrichtig und anz haltend lieben, iſt hoͤchſt noͤthig, um mich vor aller Augen zu rechtfertigen, daß ich ſie ihnen Ä nicht blindlings in die Arme warf, erſt pruͤfte. 8 ehe ich einwilligte. Sind ſte mit dieſer einzigen Bedingung zufrieden, ſo umarme ich ſie izt ſchön als meinen kuͤnftigen Schwiegerſohn. Karl wuͤr⸗ de Tags vorher, den Vater mit Bitten beſtuͤrmt haben, dieſen ſchreklichen Entſchlus zu vernichten, ſein Gluͤk nicht fo lange zu verzögern, izt kam er c N N | | 107 er ihm aber hoͤchſt erwuͤnſcht, er ehrte des Alten Weisheit, er fand ſich des herrlichen Gluͤks auch dann noch nicht wuͤrdig, und fuͤgte ſich willig der ſtrengſten Pruͤfung ſeiner aufrichtigen Geſinnun⸗ gen , weil er mit Grunde hoffte, daß er unter dieſer langen Zeit, ſich von Kaͤtchens Anſpruͤchen befreien, und ihre Ehe mit ihm vernichten koͤnne. Diefe Antwort erfreute des alten Vaters Herz, er hatte Widerſpruch erwartet, und hoͤrte izt mit Verguuͤgen, daß der liebende Juͤngling feine weis fen Abſichten billigte. Er beſchlos dieſen Gehor⸗ ſam auf der Stelle zu belohnen, berief feine Tochter, und fragte fie: Ob fie Karln liebe und heurathen welle ? Als fie verwirrt und langſam das Bekenntnis ihrer Liebe ſtammlete, legte er ihre Hand in Karls Rechte. Von nun an, ſprach er ſehr geruͤhrt, biſt du mit ihm verlobt, und — wenn Gott meinen heiſſen Wunſch erhoͤrt — in . Jahresfriſt ſein Weib! Warum nicht früher, nicht eher? 2 mag er dir ſelbſt erklaͤren, da er weiſe ges mug war, des Vaters klugen Nath zu achten, | ; und Gehorſam zu geloben. Der Vater ging, und Emiie . ſich unwillig aus Karls Armen. Warum nicht fruͤ⸗ ber, nicht eher? fragte ſie mit Pi Blikke, der die Aufrichtigkeit, wenigſtens die Heftigkeit ſei⸗ ner Liebe ſtark zu bezweifeln ſchien. Karl er⸗ zaͤhl⸗ 108 zählte ihr des Vaters Gründe, bewies durch neue, daß ſein ungluͤkliches Schikſal ihn verhinderte, ienen zu widerſtreben, erinnerte ſie an ihre eigne Warnung, und beruhigte dadurch Emilien voll⸗ kommen. Sie fand mit ihm die Pruͤfung hart, aber nicht ganz ungerecht, und verſicherte ihn offen, daß in ſeinem Umgange, im Genuſſe der reinen, verlobten Liebe ein Jahr ſchnell ſchwinden wuͤrde. | | Karl fands in der Folge hoͤchſt noͤthig, nach M! zu reiſen, dort nach Kaͤtchen zu fors ſchen, mit ihr ſich zu vergleichen, oder den ehe⸗ maligen Werbeoffizier zu bewegen, daß er ein Atteſt uͤber die Unguͤltigkeit ſeiner Ehe mit ihr ausſtelle. Er wollte es nicht wagen, dieſe Bitte einem Briefe anzuvertrauen, und ſprach daher bald hernach mit ſeiner Verlobten von einer hoͤchſt noͤthigen Reiſe, die er in Geldangelegenheiten nach L* unternehmen muͤſſe, aber die heftig lies. bende Emilie fand iede Trennung unerträglich, fie war eigenfinnig genug, feine Gründe nicht zu achten, beſchuldigte ihn des Mangels an Liebe, bat und drohte zugleich, und erzwang von ihm das Verſprechen, ſich nie mehr von ihrer Seite zu trennen. Karl mufte ieden Kuß mit Erneue⸗ rung dieſes Geluͤbdes von ihr erkaufen, und fand es in der Folge ganz unmoͤglich, ſeinen Vorſaz aus⸗ 109 b —— auszuführen. Er war überzeugt , daß er, wenn er nicht in ewiger Angſt und Unruhe leben wolle, die Sache doch endigen muͤſſe, da ſie aber mit Gefahr der Entdekkung verknuͤpft war, ſo zoͤger⸗ te er ſtets, und ſah mit Angſt und Zittern einen Monat nach dem andern ſchwinden. Schon war ein halbes Jahr feines Harrens verfloſſen, als er einſt — was ieden Nachmittag geſchah — feis ne Emilie zu beſuchen fuhr. Der Wagen rollte raſch die Anhoͤhe herab, er blikte links, und ſah eine gemeine Weibsperſon mit einem kleinen Päktchen unter dem Arme auf dem nahen Fuge ſteige wandeln. Die auffallende Aehnlichkeit mit Kaͤtchen ſchrekte ihn, er wollte ausſteigen, und ſich von ſeiner Ahndung uͤberzeugen, aber ſein Kutſcher meldete ihm in dieſem Augenblikke, daß das gnädige Fräulein ihm entgegen wandele, und er muſte weiter fahren, weil ihr weiſſes Schnupf⸗ tuch ihm ſchon einen freudigen Willkomm entge⸗ gen winkte. Er blikte nochmals nach dem ver⸗ meinten Kaͤtchen, aber ſie war in einem kleinen Gebuͤſche verſchwunden, er ſah fie nicht mehr. Karl ſuchte ſeine Angſt vor Emilien zu verbergen, er erzaͤhlte ihr, daß er vorige Nacht mit einem ſtarken Schnupfen ſei befallen worden, ſich nur aus Liebe zu ihr in die freie Luft gewagt habe, und bewog ſie dadurch, ihn ſogleich wieder zu entlaſſen, damit die kuͤhlt Abeudluft ihm nicht ſcha⸗ 110 ſchade. Er hatte ſich mit ihr im Thale unter dem Schatten einer Linde gelagert, ſein Auge konnte das kleine Gebuͤſche auf der Anhoͤhe deut⸗ lich uͤberblikken, die Fremde hatte ſolches noch nicht verlaſſen, als er von Emilien Abſchied nahm. Er zoͤgerte abſichtlich, wie Emilie ruͤkkehrte, und ihr Auge ihn nicht mehr ſehen konnte, ſo ſande er den Wagen voraus, um, wie er vorgab, durch maͤſſige Bewegung ſeinen Koͤrper zu ſtaͤrken. Er befahl dem Kutſcher, raſch fort zu fahren, und eilte nach dem Gebuͤſche. Wie er dort anlangte, erblikte er ſogleich unter einem Strauche die Frem⸗ de, fie lag auf der Erde, ihr Kopf ruhte auf dem kleinen Paͤktchen, welches ſie vorher unter dem Arme getragen hatte, ſie ſchlief feſt, und war durch das ſtarke Geraͤuſch, welches Karl verurſacht hatte, nicht gewekt worden. Er hatte izt volle Gelegenheit, ſie genau zu betrachten, ieder Blik uͤberzeugte ihn nur allzu deutlich, daß die Schla⸗ fende fein Weib, fein ungetreues Kaͤtchen ſei. Ihr Anzug verrieth groſſe Duͤrftigkeit, und erregte in ihm die ſuͤſſe Hoffnung, daß er fie durch Anbot einer Summe Geldes zum ewigen Stillſchweigen bereden wuͤrde. Eben wollte er ſie aus dieſer Abſicht wekken, als er das Stuͤk eines Briefes zwiſchen ihrer Schnuͤrbruſt und ihrem Buſen er⸗ blikte, leiſe und ee zog er ihn e und knirſch⸗ knirſchte mit den Zaͤhnen, wie er den Inhalt deſſelben las: „Mein gnaͤdiges Fraͤulein, ſtand darinne ge⸗ ſchrieben, ich bedaure ſie von ganzem Herzen, denn der Herr von H'hintergeht und betruͤgt fie ſchaͤndlich. Er verſpricht, ſie zu heurathen, und bedenkt nicht, daß er ſchon ein Weib hat, welches er ſchaͤndlich verlies, und izt wahrſcheinlich ganz ver⸗ leugnen will. Aber ich bin hergereiſt, um mei⸗ ne Rechte geltend zu machen, der Trauſchein, welchen ich erhoben habe, muß ſie klar und deut⸗ lich beweiſen. War ich ihm ehe gut genug, ſo muß ichs izt auch ſein, und will er mich nicht als ſein Weib erkennen, ſo mag das Gericht entſchei⸗ den, nur bitte ich ſie, mir eine kleine Beiſteuer zu ſchenken, damit ich den Prozes anfangen, i und ſie überzeugen kann, daß der Betruͤger nie ihr Mann werden darf. Ich hoffe, daß ſolch ei⸗ ne Nachricht wohl eines Geſchenkes werth ſei, und bitte daher nochmals, ſich eines verlaßnen Weibes anzunehmen. Ich bin mit aller Hochach⸗ tung die ungluͤkliche Katharina, rechtmaͤſſig vers. ehlichte von Hö.“ Karl ſchauderte ob der groſſen Gefahr, die ſeiner Liebe und dem Gluͤkke ſeines Lebens drohe, Emiliens Liebe war ihm alles, er konnte ſich oh⸗ ne ihren Beſitz kein Leben denken, und beſchlos daher, alles anzuwenden, um biefe groſſe Ges fahr 112 fahr zu entfernen. Der Brief, welcher feinen Zorn ſo ſehr gereizt, ihm die nahe Gefahr ſo ſchreklich geſchildert hatte, gab ihm izt Stoff zur moͤglichen Rettung, er erkannte daraus deut⸗ lich, daß Duͤrftigkeit und Armuth die Ungluͤkli⸗ che zu dieſem Schritte bewege, daß ſie ihrer Un⸗ treue wegen keine Unterſtuͤzung von ihm hoffe, ſie auf dieſe Art von ihm erzwingen wolle, er hoff⸗ te daher, ſie durch Guͤte, und Aufopferung einer groſſen Summe zum Stillſchweigen, zur Entſa⸗ gung ihrer Rechte zu bewegen. Mit dieſer Hoff⸗ nung wekte er die Schlafende, fie fuhr erſchrok⸗ ken empor, ſtarrte ihn an, und erkannte ihn. Karl hielte den Brief noch in der Hand, es war alſo hoͤchſt wahrſcheinlich, daß fie auch dieſen er⸗ kannte, und Strafe ahndete. Sie benuzte da⸗ her den guͤnſtigen Blik, und ſuchte zu entfliehen, Karl folgte, und ergriff ſie noch im Gebuͤſche beim Haare. Hoͤre mich ruhig an, rief er ihr leiſe zu, aber Kaͤtchen ſchrie erbaͤrmlich um Huͤl⸗ fe, und ſuchte ſich feinen Haͤnden zu entreiſſen. Karl bat aufs neue, und Kaͤtchen ſchrie noch ſtaͤrker. Einige Bauern akkerten in der Ferne, Karl ſah deutlich, daß fie ſich auf den Pflug lehn⸗ ten und horchten, im Drange der Rettung griff er mit ſeiner Rechten nach Kaͤtchens Halſe, und ſuchte dadurch ihr e zu daͤmpfen, ſie roͤ⸗ chel⸗ | | \ [ ö | | 113 chelte, ſeine Rechte ſank, und ihre Huͤlfe rufen⸗ de Stimme ertoͤnte von neuen, er faßte ihren Hals izt ſtaͤrker, wuͤrgte ſie laͤngere Zeit, und Kaͤtchen ſank endlich zu Boden. Mit dem Tode kaͤmpfend lag ſie zu Karls Fuͤſſen, ihre Bruſt hob ſich noch einige mal roͤchelnd empor, endlich athmete ſie nicht mehr. Der Moͤrder ſtand zit⸗ ternd und bebend vor ihr, ſein ſchuͤchternes Au— ge irrte in der Gegend umher, die Bauern hatz ten ihren Pflug verlaſſen, und ſchlenen ſich der Anhoͤhe zu naͤhern, Furcht und Angſt zwang ihn zur Flucht, wie er einige Schritte vorwaͤrts drang, fand er an einem Abgrunde ſtille, der ſich zu ſeinen Fuͤſſen oͤffnete. Dieſe Oeffnung bildete ein alter Bergſchacht, in welchem man ehemals Eil- ber geſucht, der geringen Ausbeute wegen aber laͤngſt ſchon verlaſſen hatte. Der Gedanke, daß er hier am beſten den Leichnam der Ermordeten verbergen koͤnnte, bemaͤchtigte ſich ſeiner Seele, er kehrte ſchnell zuruͤk, Kaͤtchen roͤchelte wieder, die Bauern naͤherten ſich noch immer, er faßte ſie mit Kraft, ſchleppte ſie zum Schachte, und ſtuͤrzte ſie hinab. Karl ſchlich nun durchs Gebuͤ⸗ ſche, ſprang in einen tiefen Hohlweg hinab, auf welchen er ungeſehen die Spizze des Berges ers reichte. Von da aus blikte er nach den Bauern zuruͤk, fie gingen im Thale umher, ſtanden oft H hor⸗ 114 horchten ſtille, und kehrten endlich wieder zu ih⸗ ren Pfluͤgen. Dieſer Umſtand machte ihn muthig genug, ſich noch einmal dem Schachte zu nähern er horchte dort, bis es daͤmmerte, hoͤrte nichts, und ging mit der Gewisheit b daß ſein zwei⸗ ter Mord vollendet ſei. | Ich bin nicht fähig, fein Gefühl zu beſchrei⸗ ben, vermochte er's doch ſelbſt nicht. Seine Bez ſchreibung, die er davon machte, war hoͤchſt unvoll⸗ kommen, es war ihm, als ob er traͤume, dann und wann erwache, und wieder zu traͤumen be⸗ ginne. Die nahende Verzweiflung, die innere Seelenangſt kaͤmpfte mit ſeinem Verſtande, ſchien oft den Sieg zu erringen. Wenigſtens konnte er ſich am andern Morgen nicht erinnern, wie er nach feinem Schlafgemache und in fein Bette ger kommen ſei. Ein treuer Diener ſas neben ihm, und erzaͤhlte, daß man fuͤr ſein Leben gezagt, und nach einem Arzt geſandt habe, weil er hefs tig zitternd nach Hauſe gekommen ſei, die ganze Nacht hindurch nicht geſchlafen, immer fuͤrchter⸗ lich um ſich her geſtarrt habe. Der ſchrekliche Kampf hatte geendet, Karl war vermoͤgend zu denken, und ſich zu faſſen, er verſicherte den Be⸗ dienten, daß er ſich beſſer befinde, lies dem Ars zte durch einen neuen Boten Ruͤkkehr gebieten, und ſande der fragenden Emilie die Nachricht, daß 115 daß er zwar die Nacht hindurch ein heftiges Fie⸗ ber gehabt, ſie aber ganz gewis am Nachmitta⸗ ge beſuchen werde. Um allen Verdachte zu ver: meiden, ſtieg er auch um dieſe Zeit in den Wa⸗ gen; unwillkuͤhrlicher Schauder durchzitterte feis nen Koͤrper, als er ſich dem Gebuͤſche naͤherte, und mehrte ſich ſchreklich, wie er in dieſem viele Stimmen, und groſſes Geraͤuſch hoͤrte. Emiliens Wagen ſtand auf der Straſſe, ſie ſelbſt erblikte fein ſuchendes Auge am Rande des alten Berg⸗ ſchachtes. Anfangs wollte er ſich, da er Entdek— kung ahndete, durch ſchnelle Flucht retten, aber die Macht der Liebe verhinderte ſie, er wollte erſt ſeines Ungluͤks ganz gewis ſein, ſprang aus dem Wagen, und naͤherte ſich der Anhoͤhe. O recht gut, daß ſie kommen, rief ihm die weinen⸗ de Emilie entgegen, vielleicht find wir fo gluͤk⸗— lich eine Ungluͤkliche zu retten, welche wahrſchein⸗ lich in den Bergſchacht ſtuͤrzte, als ſie die Straſ— ſe ſuchte oder verfehlte. Karl ſtarrte nach dem Schachte hin, und ſah, wie die mitleidigen Bau⸗ ern eine Walze uͤber ſolchen befeſtigten, und ei⸗ ner der Kuͤhnſten ſich an dem daran befindlichen Seile hinab laſſen wollte. Sein Gefuͤhl war ſchreklich, hingeriſſen von dieſem, ſchrie er dem Bauer zu, ſich nicht in die fuͤrchterliche Tiefe zu wagen, aber dieſer lächelte, und verficherte, daß die H 2 116 die Gefahr dem Gewinne nicht gleiche. Hoͤren ſie nur, ſprach er, wie ſie iammert, und verden⸗ ken ſie mir es dann noch, daß ich zu ihrer Ret⸗ tung mein Leben wage. Der ganze Haufe ſtand izt ſtille, und klaͤgliches, undeutliches Gewim⸗ mer, ſchrekliches Aechzen ertoͤnte aus der Tiefe. Laßt nach, rief der edelmuͤthige Bauer, laßt das Seil nach, ich rette ſie gewis! Karl ſtand be⸗ bend au Emiliens Seite, fein Körper drohte zu ſinken, ſie muſte ihn unterſtuͤzzen. Das Seil begann izt, ſich von der Walze zu loͤſen, und der Bauer, welcher ſich daran befeſtigt hatte, ſank hinab, eben wollte Karl entfliehen, und den entſcheidenden Augenblik nicht erwarten, als die Erde unter ſeinen Fuͤſſen zitterte, ein ſchrekliches Getoͤſe aus der Tiefe empor rollte, er ahndete Gottesgericht, und vermochte kaum aufrecht zu ſtehen. Und doch war dieſer dumpfe Knall, der dikke Rauch, welcher aus der Oeffnung empor ſtieg, das einzige, moͤgliche Mittel ſeiner Rettung. Die gutherzigen Bauern hatten die moͤgliche Ge⸗ fahr nicht erwogen, und, um die Ungluͤkliche zu retten, das Seil allzu ſchnell hinabgelaſſen, das durch wurde ganz natuͤrlich das Schwanken des Bauern, welcher daran befeſtigt war, um ein groſſes vermehrt. Um ſich an den hervorragen— den Steinen und morſchen Bretern nicht anzuſtoſ⸗ ſen, 117 fen, mufte er ſich mit den Fuͤſſen dagegen ſtem⸗ men, und ris wahrſcheinlich dadurch eins von bei⸗ den los, die Laſt ſank nach, und die ganze Deff- nung fuͤllte ſich in einem Augenblikke unter ihm. Ein aͤchtes Gluͤk wars, daß die hoͤhern Staͤz⸗ zen und Breter nicht ſogleich nachwichen, er ſchrie, die uͤbrigen zogen ihn heraus, und kaum war er vom Seile gelöst, kaum hatte er alle zur Flucht ermahnt und bewogen, als auch der uͤbrige, von unten ſchon ausgehoͤlte Keſſel in die Tiefe bins abfank. Zwei Bauern, welche nicht weit genug entfernt waren, wurden bis an die Haͤlfte des Koͤrpers verſchuͤttet, aber ſogleich gerettet. Die ganze, tiefe Oeffnung war nun bis auf einige wenige Klafter ausgefuͤllt, und keine Moͤglichkeit zur Rettung der Ungluͤklichen mehr vorhanden, ſie ruhte nach der Verſicherung eines alten Bau⸗ erns mehr als funfzig Ellen unter dem Schutte begraben. Karls Angſt und Furcht ging izt in eine wilde Freude uͤber, die ſelbſt Emilien auf⸗ fiel, die er aber dadurch entſchuldigte, daß dies ſer Zufall, der ſo vieler Leben haͤtte enden koͤn⸗ nen, ohne Ungluͤk vorüber gegangen ſei, auch er beſas Verſtellung genug, mit Emilien das ſchrek⸗ liche Ende der Ungluͤklichen zu bedauern, und widerſprach nicht, als fie ihr auf dem Schutt⸗ haufen einen Leichenſtein zu ſezzen gelobte. Nach 118 Nach einigen Wochen war Karl wieder der vorige, ſein tobendes Gewiſſen wich der nahen Hoffnung gekroͤnter und belohnter Liebe. Mit Kaͤtchens Tode war das moͤgliche 0 oft ſo furcht⸗ bare Hindernis verſchwunden, und da er uͤber⸗ zeugt war, daß ihr Mord nie mehr entdekt wer⸗ den koͤnne, ſo ſchwand auch nach und nach die Angſt, welche ſein Herz quaͤlte. Er wagte es izt, mehr als einmal, den Vater um Verkuͤrzung der Harrensfriſt zu bitten, und dieſer ſchien nicht abgeneigt, ſeine Bitte bald zu erhoͤren. Emilie wuͤnſchte dies vom ganzen Herzen, denn ſie lieb⸗ te ihren Karl ieden Tag zaͤrtlicher und inniger, ſte hing mit voller Seele, und mit einer Heftig⸗ keit an ihm, die ſich nicht beſchreiben laßt. Oft geſtand ſie ihm, daß ohne ſeinen Beſiz kein Leben fuͤr ſie ſei, daß die mindeſte Spur einer Untreue es enden wuͤrde und muͤſſe. Ihr Herz, das ſo ganz für feinen Liebling ſchlug, war daher ſehr zur Eiferſucht geneigt, Karl fand ſie ſtets wei⸗ nend, wenn er mit irgend einem Fraͤulein aus der Nachbarſchaft freundlich ſprach, und muſte die heftigſten Vorwuͤrfe beleidigender Liebe dul⸗ den, als er einſt ein Bauernmaͤdchen ſchoͤn wann: te. Da Karl ſie ebenfalls mit groͤſter Inbrunſt liebte, und die ſuͤſſe Verſoͤhnung ihm immer ſein Leiden tauſendfach lohnte, ſo duldete er die Ei⸗ fer⸗ 119 S nn = ferfucht feiner Geliebten willig, und huͤtete ſich emſig, ſie zu erregen. In der Haͤlfte des Oktobers feierte Emilie ihren Geburtstag. Karl hatte ſchon lange vor⸗ her vom Vater die Verſicherung erhalten, daß er an dieſem Tage mit ihr auf ſein Schloß kommen, und dort zu Mittage ſpeiſen wolle. Am Abende vorher wiederholte Karl feine Einladung und er— hielte nicht allein die vollkommene Zuſicherung, ſondern auch das freudenreiche Verſprechen, daß er bei der Tafel den Tag beſtimmen wolle, an welchem Emilie die ſeinige werden ſollte. Karl durchſchlummerte die Nacht mit angenehmen Traͤumen der Zukunft, froh und heuter ſtand er am Morgen auf, machte noch noͤthige Anſtal⸗ ten zu dem kleinen Feſte, welches er geben woll⸗ te, und wollte eben am Mittage feiner Gelieb⸗ ten entgegen reiten, als ee an die Wut ieh nes asp Blapiie. 51 Karl Sans fi ie, und. 5 N wie feine ehmalige Wohlthäterin , die von ihm ganz vergesne Koͤchin zu ihm eintrat. Der erſte Blik uͤber⸗ zeugte ihn deutlich, daß ſie hochſchwanger ſei. Ich wuͤrde, ſprach ſie weinend, die weite Reiſe nicht unternommen, ſie in ihrem Gluͤkke nicht ge⸗ ſtoͤbtt haben, wenn das noch ungeborne „aber ſchon 120 i ſchon lebende Kind nicht einen Vater forderte, wenn ich im Stande waͤre, es ohne feine Huͤlfe zu ernähren. — — Karl vermochte nicht zu ant⸗ worten — — Zagen ſie nicht, fuhr die Edle fort, ich habe geſtern ſchon vernommen, daß ſie mich mit Verſprechungen taͤuſchten, die ſie izt nicht er⸗ fuͤllen koͤnnen, ich haͤtte dies alles vorherſehen und vermuthen ſollen; die Schuld iſt mein, ich werde ſie willig und ohne Murren tragen. Auch gelobe ich ihnen ewiges Stillſchweigen, nur bitte und beſchwoͤre ich ſie, mich und mein Kind nicht ganze zu verlaſſen, mir ſo viel zu geben, daß ich irgend wo ingeheim niederkommen, mich und die: ſes ſo lange ernaͤhren kann, bis ich wieder Dienſt und Brod finde, denn meine Frau hat mich bei der Entdekkung meiner ungluͤklichen Schwanger⸗ ſchaft aus dem Hauſe verſtoſſen, ich wuͤrde in dieſem ferner Wohnung und Koſt gefunden haben, wenn ich mich nicht den Vater meines werdenden Kindes zu nennen ſtandhaft geweigert, und da⸗ durch die Eiferſucht der e on falſchen Ada gereizt 8 | Karl konnte ist nen und a ’ er fahle die edle Handlung des Maͤdchens, das nicht Verraͤther ſeines Rufes werden wollte, in ſeiner ganzen Groͤſſe, und war bereit ſie nach Kräften zu vergelten. Er troͤſtete die Bittende in mit 121 mit den liebreichſten Worten, ſtellte es ihr frei, die Summe ſelbſt zu beſtimmen, welche ſſe nicht zu ihrem noͤthigen, ſondern reichlichſten Unter⸗ halte hinreichend finden wuͤrde, und bat ſie nur, kuͤnftighin nicht die Stoͤhrerin ſeines Gluͤks zu werden. Hannchen, ſo nannte ſich die Koͤchin, gelobte dies feierlich. Ich habe, ſprach ſie, ih⸗ nen zwar meine Unſchuld nicht aus Eigennuz, ſon⸗ dern aus inniger und reiner Liebe geopfert, aber ich hätte es muthmaſen ſollen, daß der H* in Ketten, dem Herrn von H* im Glanze und Wohl⸗ leben nicht gleich denken koͤnne, ich fuͤge mich da⸗ her in mein Schikſal, und werde ihnen nie mehr einen Vorwurf dieſer Art machen, mich ſogar bes 15 em keinen ahnlichen zu denken. 5 — . —— ee hatte Hannchen dem fragenden Karl verſichert, daß keiner der Bedienten bei ihrem Eintritte ins Schlos nach ihrem Anbringen ge⸗ forſcht, keiner ſie befragt habe, ſchon hatte er ihr eine Summe Gelds uͤberreicht, mit deren Huͤlfe ſie nach der nahen Stadt reiſen, und dort im Verborgnen nieder kommen ſollte, als er Emi⸗ liens Stimme durch die Gemächer erſchallen hörtes- Wo iſt er denn? rief fie ohne Unterlas, und ſchien ſich dem Kabinete, in welchem ſich Karl mit Hannchen befand, zu naͤhern. Karl er⸗ ſchrak heftig, gebot Hannchen, ſich ia ſtille zu hal⸗ 722 halten, und eilte, indem er die Thuͤre hinter ſich verſchlos, Emilien entgegen. Er entſchuldigte den von ihr ſogleich bemerkten, verwirrten Blik dadurch, daß es ihm wehe thue, weil fie ihn ſo unvorbereitet uͤberraſcht, und ſein kleines Feſt vernichtet habe, welches ſchon an den Grenzen ſeines Gutes beginnen ſollte. Emilie geſtand, daß ſie dies voraus geſehen habe, und aus einem kleinen weiblichen Eigenſinn ſei bewogen worden, durch einen Umweg und fruͤher zu erſcheinen, um ſich zu uͤberzeugen: Ob ihre Gegenwart ihm nicht voller Erſaz fuͤr den Verluſt eines causchenden Empfangs fe, den fie ohnehin nicht liebe? Karl dankte, ſtammlete Gluͤtwuͤnſche und ging nun Hand in Hand mit ihr durch die Zim⸗ mer, um den Vater zu bewillkommen; er fand ihn im Tafelzimmer, und ward von ihm herzlich und als Sohn umarmt. Der Morgen hatte hei⸗ ter und ſchoͤn begonnen, izt wehte aber ein kalter Nordwind, welcher den Himmel truͤbte, und die Gegend mit einem dikken Herbſtnebel fuͤllte, der alte Vater fand es daher fuͤr ſeinen ſchwachen Körper zu kalt im groſſen Zimmer, und fragte bald: Ob Karl nicht irgend ein Zimmer geheizt habe, in welchem er ſich waͤrmen koͤnne? Ehe Karl dieſe Frage beantworten konnte, erinnerte fi ch Emilie, daß ſie in dem Zimmer, in welchem ihr 5 123 ihr Karl entgegen eilte, eine wohlthaͤtige Warme empfunden habe, nahm aus Scherz den Ton ei⸗ ner geſchaͤftigen Hausfrau an, reichte ihrem Va⸗ ter den Arm, und erbot ſich, ihm dahin zu fuͤh⸗ ren. Karl folgte mit ſchweren Herzen, weil er ſich eben erinnerte, daß zwiſchen dieſem Zimmer, und dem Kabinete, in welches er Hannchen vers ſperrt hatte, nur noch ein Zimmer lag, und man durch das erſtere gehen muͤſſe, wenn man aus dem Kabinete ins Vorhaus gelangen wolle. Seine Angſt mehrte ſich um ein groſſes, als es dem Vater im warmen Zimmer treflich behagte, und er ſichs zur Gefaͤlligkeit ausbat, daß man in die⸗ ſem Zimmer bleiben, und auch ſpeiſen moͤge. Vergebens muͤhte ſich Karl, ſo wohl den Vater als auch Emilien zu einem Spaziergange in Gar⸗ ten oder nach dem Hofe zu bewegen, der erſtere entſchuldigte ſich immer mit der rauhen Luft, und die leztere fand es unſchiklich, den Vater allein und ohne Geſellſchaft zu laſſen. Karin blieb da— her nichts uͤbrig, als ſich unter einem Vorwande nach dem Nebenzimmer zu ſchleichen, und dem eingeſperrten Hannchen durchs Schluͤſſelloch zuzu⸗ fluͤſtern, daß fie ſich ia ruhig und ſtill halten möge, weil er fie izt unmöglich befreien koͤnne. Schrekken und Angſt ergriff aber ſeine Seele und engte ſein Herz „als Hannchen antwortete, daß ſie 124 ſie ſtarke und nahe Geburtsſchmerzen fuͤhle, ihn dringend bitte, ihr eine Hebamme zu ſenden, Karl verſicherte, daß dies nicht möglich fei, und eilte zuruͤb, um keinen Verdacht zu erwekken. Wie er ins Zimmer trat, ward eben die Suppe aufgetragen; man denke ſich das marternde Ge⸗ fühl, mit welchem er ſich zum Tiſche und an Emi⸗ liens Seite ſezte, er war nicht fähig, fie zu un⸗ terhalten, er dachte nur immer an Hannchen, und an die moͤgliche, hoͤchſt wahrſcheinliche Entdek⸗ kung. Bei iedem Geraͤuſche fuhr er erſchrokken empor, und glaubte Hannchens huͤlferufende Stimme zu hoͤren. Er hatte Tafelmuſik beſtellt, ihm wars aͤuſſerſt angenehm, als fie mit groſſem Geraͤuſche begann, aber der Alte fand, daß eben dies Geräufs die Unterhaltung ſtoͤhre, er bat, und fie mufte ſchweigen. Um zu erfahren: Ob er alles fuͤrchten oder doch noch laͤngern Verzug hoffen koͤnne, ſtand er von der Tafel auf, und antwortete der fragenden Eriilie, daß er etwas vergeſſen habe, es izt ſelbſt beſorgen muͤſſe, weil er ſeinen Bedlenten den SAH nicht anvertrau⸗ en wolle. Wie er ius Hebe ee trat, ſchallte ihm ſchon aus dem Kabinete Hannchens aͤchzende Stim⸗ me entgegen, er ſchlug haſtig die Thuͤre zu, und oͤffnete leiſe das Kabinet. Haunchen lag auf ſei⸗ nem 125 nem Ruhebette, die Natur wuͤrkte eben am hef⸗ tigſten, der fuͤrchterliche Augenblik nahte, ſie ge⸗ bar, und ihr Schmerzenskind verkuͤndigte ſein Daſein durch lautes Geſchrei. Karl ſtuͤrzte nach dem Bette, ergriff , vielleicht aus Angſt, aus Drang nach Rettung, ein Kopfkiſſen, und druͤkte es kraftvoll auf das ſchreiende Kind, die Mutter ſahs, und ſuchte es angſtvoll zu verhindern. Karl hielte ſie mit den Haͤnden zuruͤk, und ſtuͤzte ſich mit den linken Ellbogen auf das Kiffen, unter welchem das Kind lag. Es ſchrie, es athmete nicht mehr, der ungluͤkliche Karl war ſein Moͤr⸗ der worden, hatte ihm, wie es die Folge bewies, ſogar durch den heftigen Druk das Genikke ge⸗ brochen. Noch rang Karl mit der beſorgten Mutter, und bat ſie flehentlich, ſich ſeiner zu erbarmen, als Emiliens Stimme ihn empor ſchrekte, ſie ſtand dicht neben ihm. Ihr Anblik, ihre fuͤrchterliche Frage: Jeſus Kriſtus! Was geht hier vor? don⸗ nerte ihn nieder, er ſank ohnmaͤchtig zu Boden. Ihr ſcharfſichtiger Blik hatte Karls Angſt und Verwirrung bemerkt, ſeine Unruhe beſtaͤrkte ihren Verdacht, und bewog ſie, als er von der Tafel aufſtand, zu folgen. Das Geraͤuſche im Kabinet leitete ſie ganz natuͤrlich dahin, und da Karl 126 Karl in der Angſt vergeſſen hatte, die Thuͤre hin⸗ ter ſich zu verſchluͤſſen, ſo war ſie ohne Hinder⸗ nis eingetreten. Der Aublik, ihren Geliebten mit einem fremden Maͤdchen fuͤrchterlich ringend zu finden, zwang ihr die ſchrekliche Frage ab, und bewog ſie, als Karl zu Boden ſank, heftig nach Huͤlfe zu rufen. Noch ahndete ſie ſein Verbre⸗ chen nicht, noch ahndete es keiner von allen, die ſogleich herbei eilten, und derwunderungsvoll da ſtanden. Nur nach und nach ward allen die ſchrekliche Aufklaͤrung. Man trug den ohnmaͤch⸗ tigen Karl nach einem andern Zimmer, der Va⸗ ter blieb zuruͤk, und forderte von Hannchen Ant⸗ wort, fie ſprach im Drange des muͤtterlichen Ges fuͤhls Wahrheit, man hob das Kiſſen empor, und fand unter dieſem das ermordete Kind. Emilie war unwillkuͤhrlich Karln gefolgt, ſie ſtand am Fenſter, ſtaunte gedankenlos in die Fer⸗ ne, und ſuchte ihr ſchrekliches Ungluͤk zu faſſen, als der Vater ſich ihr mit raſchem Schritte naͤ⸗ herte, ſie bei der Hand ergriff, und ihr Folge gebot. Wohin wollen ſie mich fuͤhren ? fragte ſie aͤngſtlich. Fort, aus dem Hauſe eines Moͤr⸗ ders! ſagte der Vater ſtandhaft. Ich mag ſein Anklaͤger nicht werden, aber Theilnehmer ſeines ſchreklichen Mordes wuͤrde ich und du ſein, wenn wir laͤnger weilten. Komm, er iſt fuͤr dich auf ewig 127 ewig verloren! — Moͤrder! Verloren! ſtamm⸗ lete Emilie, und ſank ohnmaͤchtig in die Arme ihres Vaters. Er lies ſie nach dem Wagen tra⸗ gen, und langte mit der ſchreklichen Ungewisheit auf ſeinem Schloſſe an: Ob er iemals wieder die Wonne genuͤſſen werde, ſein einziges Kind lebend in ſeine Arme zu ſchluͤſſen? Wie Emiliens Wagen fortrollte, erwachte Karl aus ſeiner Ohnmacht, er ſtarrte wild um ſich her, er ſuchte ſich der ſchreklichen Begeben⸗ heit zu erinnern, er muͤhte ſich, ſie zu bezwei⸗ feln, und fragte nach Emilien. Seine Diener, welche um ihn her ſtanden, hatten nicht Faſſung, nicht Schonung genug, ihm die Groͤſſe ſeines Un⸗ gluͤks zu verſchweigen, fie erzählten ihm, was ſie wuſten und gehoͤrt hatten, und Karl ſank ſprachlos zuruͤk. Er faltete feine Hände, rang ſie dann und wann ſchreklich, ſprach aber kein Wort mehr. Gegen Mitternacht trat ſein Ge⸗ richtsverwalter ins Zimmer, und gebot den Diez nern Entfernung. Gnaͤdiger Herr, ſprach er izt zu Karln, es iſt erwieſen, es iſt kein Zweifel uͤb⸗ rig, daß ſie ein Kind, und wahrſcheinlich ihr eig⸗ nes Kind ermordet haben. Die Umſtaͤnde, der Zufall, die Art, wie es geſchah, laͤßt mich hof⸗ fen, daß ich vielleicht ſo gluͤklich bin, ihr Leben, ihre kuͤnftige Freiheit zu retten, aber ſie muͤſſen flie: 128 fliehen, dieſe Nacht noch fliehen, ſonſt bin ich ge⸗ zwungen, alles dem Krimfnalrichter anzuzeigen, und dann iſt keine Flucht mehr moͤglich. Karl ſtarrte dem gutherzigen Alten lange an, er reichte ihm die Hand, und druͤkte ſie mit Inbrunſt. Ich danke ihnen, ſprach er endlich, ich danke ihnen fuͤr ihre edle Abſicht, aber ich kann, ich mag ſie nicht erfuͤllen. Ein dreifacher Moͤrder iſt ihres Mitleids nicht wuͤrdig. Ja, Freund, ſtaune nur immer, aber es bleibt reine Wahrheit: Ich habe Vater, Weib und Kind er⸗ mordet! Ich vermag das ſchrekliche Gefuͤhl nicht laͤnger zu ertragen, ich hoffe, daß gerechte und ſtrenge Strafe es lindern wird. Emilie iſt für mich verloren, und meine Hoffnung iſt nun der Tod. Der mitleidige Gerichtsverwalter bat noch laͤnger, aber Karl blieb ſtandhaft im Entſchluſſe, ſich ſelbſt der ſtrafenden Gerechtigkeit zu uͤberlie⸗ fern. Dieſer feſte Entſchlus, mit welchem bis⸗ her ſeine Seele gekaͤmpft hatte, machte ihn izt wieder muthig und thaͤtig. Er berief ſelbſt die Bedienten, und gebot, daß mit Tages Anbruch der Wagen angeſpannt werde, er erinnerte ſich des ungluͤklichen Hannchens, er forſchte nach ih⸗ rem Befinden, und hob ſeine Haͤnde dankend gen Himmel, als man ihm erzaͤhlte, daß fie zwar aͤuſſerſt ſchwach ſei, der herbei gerufne Wundarzt aber 129 aber an ihrer Beſſerung und vollkommnen Nets tung gar nicht zweifle. Bald hernach lies er ſich ſeine Schatulle bringen, er leerte ſie rein aus, wollte mit dem Gelde nach der Thüre gehen, blieb aber ſchaudernd ſtehen, und berief den Gerichts⸗ verwalter nach einem andern Zimmer, wo er ihm die ganze Summe mit der flehenden Bitte einhaͤn⸗ digte, es ia der Leidenden bald zu uͤbergeben, und fuͤr ihre Rettung die moͤglichſte Sorgfalt zu tra⸗ gen. Er forderte nachher Feder und Dinte, er wollte an Emilien ſchreiben, er begann ſehr oft, vernichtete aber allemal das Geſchriebne, und ſtand endlich wieder auf, ohne ſeine Abſicht er⸗ fuͤllt zu haben. Wie der Tag anbrach, fragte er oft: Ob der Wagen ſchon angeſpannt ſei? Da man ſeine Abſicht kannte, ſo zoͤgerte man immer noch, und vermehrte dadurch ſeine Ungeduld, die man endlich erfuͤllen muſte. Ehe er ſchied, be⸗ rief er alle ſeine Diener zu ſich, er theilte alle ſeine Koſtbarkeiten, und das Geld feiner Boͤrſe unter fie, er vergas keinen, und nahm von ie⸗ dem ruͤhrenden Abſchied. Alle folgten weinend und ſchluchzend, nur er blieb ſtandhaft. Wie er ſchon im Wagen ſas, berief er den Gerichts ver⸗ walter, und befahl ihm, daß er alle Schulden, welche ſeine Unterthanen an Zinſen und Gaben, in die Rentei reſtirten, als bezahlt loͤſchen, und N 3 ſis ‚130 ‚fie ermahnen ſolle, ‚feiner, in ihrem Gebete zu ges denken. Er gebot nun dem Kutſcher nach der Stadt zu fahren, und nahm keinen Bedienten mit ſich, ob ihn gleich alle begleiten wollten. Die Straſſe führte; nahe an Emiliens Schloſſe ‚vorüber, es blieb unfern derſelben auf: einer ſanf⸗ ten Anhöhe liegen. Wie ſie dort voruͤberfuhren, hoͤrte der Kutſcher deutlich, daß Karl laut ſchluchze, wie er gegen einen kleinen Wald lenken wollte, be⸗ fahl er ihm zu halten. Er ſtieg aus, trat auf einen Stein, und blikte ſehnſuchtsvoll nach Emi⸗ liens Wohnung hinab. Zweimal ſtieg er haͤnde⸗ ringend vom Steine, eilte vorwaͤrts, kehrte aber allemal wieder langſam um, und weinte ſchrek⸗ lich „endlich warf er ſich wieder haſtig in den Wagen, und rief dem nee zu, 5 er ſo ſchuell als moͤglich fahren ſelten A Der Burgermeiſter bewillkommte ihn mit Ehrfurcht, und Karl brauchte die groͤſte Ueberre⸗ dungskraft, ehe er ſeiner Erzaͤhlung Glauben bei⸗ meſſen, und ihn arretiren wollte. Man erſtattete ſogleich Bericht ans Ober⸗ Juſtizkollegium, und der Landesfuͤrſt ernannte beſondre Kommi ſſairs, welche Karls Bekenntnis unterſuchen muſten. Er erzaͤhlte mit ſtandhaftem Muthe beim erſten Ver⸗ hoͤre ſeine ganze Lebensgeſchichte, ſeine Thaten, ſeine Verbrechen. Da in Anſehung des Mordes, g wel⸗ 131 welchen Karl an ſeinem Kinde veruͤbt hatte, das er forder liche viſum repertum, die eidliche Zeugen⸗ ausſage vorhanden war, ſo muſten ihm die Rich⸗ ter dieſes Mordes bald ſchuldig erkennen, aber weit ſchwerer und beinahe unmoͤglich ward es ih— nen, ihn ebenfalls des Mordes ſeines Vaters und Weibes fhuldig zu achten, weil feine Aus- ſage, fein obgleich freies, doch nicht erwiesnes Bekenntnis zum vollen Beweiſe nicht binlaͤnglich war, er ſolches vielleicht aus Melancholie und Begierde nach dem Tode leiſten konnte, und überdies ſogar die Umſtaͤnde, welche man bei ſei⸗ nes Vaters Tode eidlich und gerichtlich aufge⸗ nommen hatte, feinem Bekeuntniſſe offenbar wi⸗ derſprachen. Sein Prozes verzog ſich daher ſehr in die Laͤnge, man ſande die Akten auf verſchie⸗ dene Univerſitaͤten, der einſtimmige Schlus der Rechtsgelehrten fiel dahin aus, daß man bei ſo widerſprechenden Umſtaͤnden über den Mord feis | nes Vaters und Weibes nichts entſcheiden koͤnne. | Merkwuͤrdig iſts und bleibts immer, daß Karl unter dieſer Zeit oft vor Gerichte erzählte; ſein Weib erſcheine ihm iede Nacht im Gefaͤng⸗ niſſe, und heiſche die Eroͤffnung des Bergſchach⸗ tes, weil man dort die Beſtaͤtigung feines Bez kenntniſſes finden wurde, Er bat dringend, dieſe Bitte auf Koſten ſeines Vermoͤgens zu erfuͤllen, J 2 wan⸗ 132 wande ſich deswegen ſelbſt an den Landesfuͤrſten. und erhielte endlich ſeine Einwilligung. Nach dreiviertel Jahren, in welchen man unermuͤdet arbeitete, ward endlich die Tiefe des Schachtes ergruͤndet, und das Gericht ſtieg hinab. Die herabgeſtuͤrzten Breter, Balken und Steine hatten uͤber dem Leichname der Ermordeten ein ordentliches Gewoͤlbs gebildet, er war durch die ungeheure Erdmaſſe, welche auf ihn hinabſtuͤrzte, nicht gedruͤkt, nicht beſchaͤdigt worden. Ungeach⸗ tet der Koͤrper ſchon anderthalb Jahre in der Tiefe ruhte, ſo fand man doch keine merklichen Spuren von Verweſung an ihm, man konnte an ſeinem Haupte drei toͤdliche Wunden erkennen, und ſah eben ſo deutlich am Halſe deſſelben ver⸗ ſchiedene ſchon faulende Streife, welche nach An⸗ zeige des Wundarztes des Moͤrders droſſelnde Hand verurſacht haben konnte. Im Schubſakke des obern Rokkes fand man drei Briefe, welche der Leutenaͤnt an Kaͤtchen geſchrieben hatte. Er weigerte ihr darinne alle fernere Unterſtuͤzung, und ertheilte ihr ſelbſt den Rath, ihren izt ſo reichen Mann, welcher zu“ in 3 * wohne, auf zuſuchen. Neben dieſen Briefen lag der Traus ſchein, welcher bezeugte, daß Karl H * mit Ka⸗ tharina F“ in der Mariehuͤlf-Kapelle zu 8 * auf ausdruͤkliches Verlangen des 'ſchen Werber offiziers ſei kopulirt und getraut worden. 133 Man ſande die Briefe nach *, und der Leu tenant ſagte eidlich aus, daß er ſolche an Karls Frau geſchrieben habe, von L“ langte ebenfalls der Bericht ein, daß Kaͤtchen den Trauſchein ſelbſt erhoben, und dem Prieſter erzaͤhlt habe, daß ſie izt zu ihrem reichen Manne reiſen wolle. Dieſe uͤbereintreffenden Umſtaͤnde bewogen das Gericht, ihn auch des Mordes ſeines Weibes ſchuldig zu erkennen. Ehe ihm dies Urtheil kund gemacht wurde, langte ein Brief unter Karls Addreſſe auf feinen ſequeſtrirten Gütern an. Er wurde dem Gerichte uͤberliefert und dort erbrochen. „Wider Vermuthen, ſchrieb ein Unbekannter an Karlu, ſehe ich mich gezwungen, nochmals an ſie zu ſchreiben. Mein ungluͤkliches Schikſal ver⸗ leitete mich die tauſend Louisdor, welche ich rich⸗ tig von ihnen erhalten habe, einer unſichern, aber viel verſprechenden Aſſekuranz zu Hamburs anzu⸗ vertrauen; das Schiff ſcheiterte, und der Verluſt meines Vermoͤgens hindert mich izt, meine Reiſe nach Amerika fortzuſezzen. Da es ihnen ſelbſt daran gelegen ſein muß, dieſe nach Kraͤften zu foͤrdern, ſo hoffe ich mit Zuverſicht, daß ſie mir abermals tauſend Louisdor bei Herrn F' in Leip⸗ zig auszahlen, und die erforderliche Anweiſung binnen Monatsfriſt an Herrn K“ in Hamburg uͤberſenden werden, weil ich ſonſt wider Willen gezwungen ſein wuͤrde, zu erwekken, was ich zu begraben verſprach.“ 134 Karl wurde über den Inhalt des Briefs ſogleich konſtituirt, er erzaͤhlte, was er wuſte, und das Gericht fande einen Kommiſſaͤr nach Ham⸗ burg, welcher den Auftrag hatte, ſich mit dem dortigen Gerichte einzuverſtehen, um des ſeltnen Unbekannten nicht allein habhaft zu werden, ſon⸗ dern ihn auch zum Geſtaͤndniſſe zu zwingen: Wie er das Geheimnis erfahren habe, und beweiſen koͤnne? Der Kommiſſaͤr erfuhr zu Hamburg, daß kein Herr K* dort wohne, er traf mit Huͤlfe des Gerichts Anſtalten auf der Poſt, und es erſchien bald hernach ein junges Frauenzimmer, welches unter dieſer Addreſſe nach einem Briefe fragte. Sie ward vor Gerichte gefuͤhrt, und verrieth dort den Aufenthalt ihres Vaters, welcher unter dem Karakter eines deutſchen Kaufmannes in ei⸗ nem Wirthshauſe wohnte, ſie geſtand uͤberdies, als man ſchaͤrfer in ſie drang, daß ihr Vater ein Jude, und wegen Einverſtaͤndnis mit einer Raͤu⸗ berbande aus dem * ſchen entflohen ſei. Der Jude ward ſogleich arretirt, und da er ſich verrathen ſah, fo bekannte auch er alles. Er war Theil⸗ nehmer an allen Raͤubereien, welche einige Zelt in Menge zu M * waren veruͤbt worden, er vers kaufte Karln wuͤrklich die Kleider, welche dem fremden Kaufmanne waren geftohlen worden, und handelte das Pferd und ſeine Uniform dagegen ein. 135 ein. Als bald bernach einige Mitglieder der Raͤuberbande in die Haͤnde des Gerichts fielen, ſo warnten ihn die uͤbrigen, und er ergriff mit ſeiner einzigen Tochter die ſchnelle Flucht in ih⸗ rer Mitte. Ehe er ſich von ihnen trennte, er- zaͤhlten ſie ihm, daß ſie den Edelmann bereits er⸗ mordet im Walde fanden, und ſicher uͤberzeugt waͤren, daß ein Soldat, der auf einem ſchwar⸗ zen Pferde kurz vorher durch den Wald bei ihnen voruͤber geiagt ſei, den Mord veruͤbt haben muͤſſe. Der Jude erinnerte ſich izt ſeines Handels mit Karln, und ſchlos ganz natuͤrlich; daß dies der Moͤrder waͤre. Wie er auf ſeiner Flucht hin und her irrte, durch ausgeſandte Spione den ganzen Gang des Prozeſſes erfuhr, und endlich nach der Stadt kam, in welcher eben Karls Unſchuld war anerkannt worden „ erblikte er dieſen in einem Kaffeehauſe „und ſah deutlich an der kleinen Bakkennarbe , daß dies der Soldat ei, welcher ihm das Pferd verkauft habe. Er erkundigte ſich ſogleich nach ſeinem Namen und erfuhr Karls ganze Geſchichte, welche eben aller Zungen, in der Stadt beſchaͤftigte. Durch dieſe ward er noch mehr in der Gewisheit beſtaͤtigt, wagte die Unterredung mit ibm, und fand, daß er ſi ch nicht betrogen habe. Karl erkaunte ihn nicht, weill er vorher einen groſſen Bart trug, und dieſen izt abgeſchoren ah Der 136 ; | Der Jude ward nun dem Kommiſſaire uͤber⸗ liefert, er fuͤhrte ihn nach der Stadt, in welcher Karl gefangen faß. Beide wurden izt mit einan⸗ der konfrontirt, und dadurch der wichtige Umſtand erwieſen, daß Karl das Pferd, welches ſein Va⸗ ter geritten hatte, an den Juden wuͤrklich ver⸗ kauft habe. Da der Jude in der Folge den Auf⸗ enthalt verſchiedner Raͤuber verrieth, dieſe ges fangen genommen wurden, und ihre Unſchuld am Morde des Edelmanns bewieſen, auch uͤberdies der Kutſcher und Bediente von Karls Tante die Aus ſage, welche ſie einſt zu Karls Gunſten ge⸗ leiſtet hatten, widerruften ‚ fo ward Karls Ge⸗ ſtaͤdnis als aͤcht angenommen, und er auch des Vatermordes ſchuldig erkannt. Das Gericht ſprach das Urtheil des Rades über ihn aus, aber der Landesfuͤrſt, welcher ſchon feit ſeiner zwanzigtaͤhrigen Regierung keinen Ver⸗ breche richten lies, verurtheilte ihn zum lebens⸗ laͤnglichen, unterirdiſchen Gefaͤngniſſe bei Waſſer und Brod. Karl weinte anhaltend und ſtark, als ihm dies Urtheil publizirt wurde, er hatte den Tod erwartet, und ſah ſich izt in ſeiner Hoffnung betrogen, er flehte vergebens um ienen. und ward nach einer Veſte des Landes gefuͤhrt, wo er noch angeſchmiedet im unterirdiſchen Kerker ſchmachtet, zu ſterben wuͤnſcht, und nicht ſterben kann. e u TE 137 Als ich Karln im Kerker ſprach, war Emiz lie ſchon hinuͤber gegangen, um im Gefilde des Lohns Erſaz, fuͤr ihr namloſes Leiden zu finden. Zehn lange Jahre hatte ſie ihres Karls ungluͤk— liches Schikſal beweint, beiammert. Fuͤnf Jahre hindurch nagte unheilbare Abzehrung, die Folge ihres Schmerzes, an ihrem ſchoͤnen Koͤrper, er verwelkte, verdorrte gleich einer Roſe, die kein Regen, kein Thau des Himmels traͤnkt, ihr alter Vater ſahs, konnte nicht helfen, nicht lindern, und ging mit der traurigen Hoffnung voran, daß ſein Stamm auf Erden verloͤſchen, ſein einziges Kind ihm bald folgen werde. Man verſchwieg ihr Karls Urtheil, aber ſie ahndete es, und flehte oft bis nach Mitternacht zu Gott, daß er ſich feiner erbarmen, und feine Duaal durch den Tod enden moͤge. Ein ganzes Jahr fragte ſie nicht: Wer und wo das Maͤdchen ſei, welches ſie in Karls Kabinete fand? Nach diefer Zeit forfchte- fie emſig nach Hannchens Aufenthalte, und ſchien zum erſtenmale wieder Freude zu fühlen, als fie ihn erfuhr. Sie nahm die Ungluͤkliche auf ihr Schlos, weinte, klagte mit ihr, verkaufte nach ihres Vaters Tode die geerbten Guͤter; zog mit Hannchen nach einer kleinen Stadt, und ſezte ſie endlich zur einzigen Erbin ihres seo Vermoͤ⸗ sog ein. Vie⸗ 138 Viele Juͤnglinge warben nun um des rei⸗ chen Hannchens Hand, aber ſie reichte ſie bis izt noch keinem; geht immer im Trauerkleide umher, welches ſo ganz mit ihrer leidenden Miene har⸗ monirt. Im Staͤdtchen, wo ſie wohnt, und in der umliegenden Gegend iſts allgemein bekannt, daß ſie mit vielem Vergnuͤgen unehliche Kinder aus der Taufe hebt. Die ungluͤkliche — wenig⸗ ſtens meiſtens ungluͤkliche Mutter iſt dann gewis, daß es ihr und ihrem Kinde an nichts gebricht, daß Hannchen fuͤr des leztern Erziehung ſorgt, und ſein Gluͤk zu gruͤnden ſucht. Wahrſcheinlich iſt dies ein Geluͤbde, welches die Ungluͤkliche machte, als ihr Vermoͤgen ward, are ui üben, Karls Tante ſtarb mit dem ſuͤſſen Traume, daß ihr theurer Pflegſohn in den Armen ſeiner Emilie lange Jahre gluͤklich und zufrieden leben wuͤrde, ſie endete, als noch meinden welt RM Karl ein Moͤrder ſei. Ben | Ehe auch ich dieſe ſchauderhafte, aber ger wis lehrreiche Geſchichte ende, achte ichs. für; Pflicht alle meine Leſer zu fragen: Ob fie Karlır nicht einen guten, lieben Jungen genannt, nicht ſeine That edel, und ſchoͤn gefunden haͤtten, wenn ich ohne feiner übrigen Thaten zu gedenken, im ſchwaͤr⸗ 139 ſchwaͤrmeriſchen, empfindſamen Romanentone, die Geſchichte, wie er Kaͤtchen die Ziege ſchenkte, er— zaͤhlt haͤtte? Ich wette, wenn ich die Antworten auf dieſe Fragen ſammlen koͤnnte, ſie wuͤrden alle ein lautes Ja enthalten. Und doch' war dieſe ſchoͤne, edelſcheinende That der Urſtoff feines Un⸗ gluͤks, die Leiter, auf welcher er zur furchtbaren Hoͤhe der Verbrechen empor ſtieg; ſie war die Mutter des Raubes, des Mordes, den er uͤbte, der ihn zum qualvollen Kerker verdammte. Merke dirs, gefuͤhlvoller, aber auch leichtſinniger Juͤng⸗ ling! Es iſt nicht gut, wenn man ſich vom Ge: fuͤhle hinreiſſen laͤßt, wenn es nicht in unſrer Macht ſteht, es ohne Gefahr, ohne Unrecht be— friedigen, erfuͤllen zu koͤnnen. Es iſt ſchoͤn, es iſt Pflicht, die Thraͤne des Leidenden zu troknen, aber noch groͤſſere Pflicht iſt es, nicht abzuwei⸗ chen vom Pfade des Rechts, nicht zu taͤndeln mit ſeinem Leitfaden, oder ihn gar zu vernichten! Man irrt dann in der Einoͤde umher, ſucht ver— gebens den ſchmalen Pfad des Guten, und ſtuͤrzt in den Abgrund, ehe man feine Tiefe ahndet! Zwvei⸗ 140 — ——ͤ—— —'ꝛ Zweite Wanderung. Schrekbar und tiefen Eindruk faſſend iſt das Gefühl, wenn man im alltäglichen Geſchaͤfte feine Straſſe wandelt, und mit einmal ein dicht gedraͤngter Haufe auf dieſer einherſtroͤmt, in deſ— ſen Mitte man einen Verbrecher erblikt, der dem Galgen oder Rabenſteine entgegen wankt, der oh⸗ ne Erbarmen, ohne Gnade aus der menſchlichen Geſellſchaft vertilgt wird, weil er die Bande ver⸗ lezte, die ſie vereinigen. Ich folgte einſt einem dieſer namenloſen Ungluͤklichen, er war meineidig worden, und hatte die Fahne verlaſſen, welcher er treu zu bleiben ſchwur. Ich zitterte, und bebte mit ihm, als aber der Profos dreimal um Gna⸗ de bat, der Obriſtwachtmeiſter ſein Pferd wande, und ausrief: Nur bei Gott iſt Gnade! da ſchau⸗ derte ich von dannen, und flehte zum Ewigen, daß er erfüllen moͤge, was der Richter ſprach, ſprechen muſte! Nur bei Gott iſt Gnade! Ach fo wirſt du fie gewis auch finden, armer L*, wenn du ausgelitten, ausgeduldet haſt deinen Todes⸗ kampf, den du morgen kaͤmpfen mußt! Ich will dich begleiten, ich wills verſuchen: Ob ich Kraft habe, den ſchreklichen und doch ſo troͤſtenden Ge⸗ danken; Nur bei Gott iſt Gnade! in deinem blei⸗ chen = 141 chen Geſichte zu leſen! Denn unnennbar fchrefs lich muß das Gefuͤhl des Verbrechers ſein, der unter der Hand ſeiner Bruͤder, Freunde und Mit⸗ menſchen bluten muß; der vergebens ſeine That innig bereut, vergebens ſeine Haͤnde um Huͤlfe, Schonung und Erbarmen ausſtrekt, der gewalt⸗ ſam binüber geſtoſſen wird zum Throne des ge⸗ rechteſten, aber auch des ſtrengſten Richters, dei fen Gnade und Barmherzigkeit keine Grenzen kennt, deſſen Straffe aber auch kein Ende hat. Verzweifeln muß ſolch ein Ungluͤklicher, wenn er nicht im ſchreklichen Todeskampfe den Gedan⸗ ken faßt: Nur bei Gott iſt Gnade! Wilhelm L* war eines armen Tagloͤhners Sohn. Der Pfarrer, in deſſen Sprengel er die Schule beſuchte, ſah Funken eines Genies in feis nem Innern glaͤnzen, er fachte ſie an, und der kleine Wilhelm las, ſchrieb und rechnete bald beſſer, als die ganze zahlreiche Jugend, welche mit ihm die Schule beſuchte. Wilhelms Vater ſtarb, und der Pfarrer nahm den verwaiſten Kna⸗ ben zu ſich. Durch ſeine mehr als vaͤterliche Huͤlfe ward es moͤglich, daß der Aermſte in ei⸗ ner benachbarten Stadt das Gimnaſium, und wie er dort die herrlichſten Zeugniſſen ſeines sun erhielt, die Univerſitaͤt beſuchen konnte. Er 142 Er fand hier neue Wohlthaͤter, fie unterſtuͤzten ihn nach Kraͤften, und verlieſen ihn nicht, als der | alte Pfarrer ſtarb, und mit ihm Wilhelms ganz ze Hoffnung zu Grabe getragen wurde. Wilhelm ſchlug den Fliegel meiſterhaft, ein alter, nicht reicher, aber vielvermoͤgender Hofrath nahm ihn in ſein Haus, gab ihm Koſt und Gehalt, damit er ſeiner einzigen Tochter Klavier 0 3 wi Nach Jahresfrist, als det immer beſchäf⸗ tigte Alte einſt hoͤren wollte, wie weit ſeine Toch⸗ ter in dieſer Kunſt vorgeruͤkt ſei, fand er ſie am Arme ihres Lehrers. Der ſchoͤne, bluͤhende, aber auch aͤuſſerſt demuͤthige Juͤngling hatte lange dem einladenden Winke des Maͤdchens widerſtanden, als ſie aber ſelbſt offne Erklaͤrung von ihm for⸗ derte, im Drange der erſten und daher auch rein⸗ ſten Liebe ihre Arme gegen ihn ausbreitete, da vermochte der Juͤngling nicht laͤnger zu Kämpfen, und raubte eben der inniggeliebten den erſten Kuß, wie der Vater ins Zimmer trat. Sein Zorn Nate wild, der Jüngling ſtand i ſchwelgend gleich dem verurtheilten Verbrecher; aber das Mädchen. war beredter, es bekannte, flehte, bat, und der gute Vater verzieh. War ich doch auch, ſprach er im gutherzigen Tone zu Wil⸗ 143 Wilhelms, noch ein armer Schlukker, als ich mit meinem ſeligen Weibe zum erſtenmale von Liebe ſprach, hatte kein Vermoͤgen, keinen Dienſt, keine Ausſicht dazu, nur einen Kopf, der auf dem rechten Flekke ſtand, und gefaßt hatte, was er faſſen ſollte. Ahmen fie mir nach, ſuchen fie ſich empor zu ſchwingen, und ich wills machen, wie's der Vater meines Weibes machte, ihnen die Tochter geben, wenn ſie ſich und ſie anſtaͤn⸗ dig ernähren konnen: | Bon dieſer Zeit an war Wilhelm der ers klaͤrte Liebhaber der Tochter des Hofraths. Als er ſeine Studien vollendet hatte, nahm ihn der leztere in ſeine Kanzlei. Er war Direktor der Fi⸗ nanzen des Landes, und da Wilhelm vorzuͤgliche Geſchtklichkeit im Kalkuliren verrieth, Mängel fand, wo andere keine fahen, fo erhielte er bald das volle Vertrauen des alten Hofraths, ward von ihm bei erſter Gelegenheit dem Monarchen empfohlen, und erhielte einen Dienſt, der ihm iaͤhrlich vierhundert Gulden eintrug. Der Ans fang iſt gemacht, ſagte der Alte, als Wilhelm an ſeiner Geliebten Hand ihm dankte, wenn ſie ſich durch Fleis und Anſtrengung zu einer wenig⸗ ſtens noch einmal ſo eintraͤglichen Beſoldung em⸗ por . ſo will ich mit Freuden meiner To; 144 | Tochter Hand in die ihrige legen, und er mitge⸗ ben, was ich vermag. Wilhelm verſprachs, und hielte redlich Wort, aber der Alte erfüllte fein Wort eben fo gewiſſenhaft. Nach drei langen Jahren, in wel⸗ chen Wilhelm ſehr emſig gearbeitet, aber auch wakker im arme der Geliebten geſchmachtet hatte, ſtarb ein Steuerkaſſirer des Landes. Sein Dienſt trug iaͤhrlich zwoͤlf hundert Gulden, viele kamen bittend darum ein, Wilhelm wagte es ebenfalls. Der gewiſſenhafte Hofrath weigerte ſich, ſein Gut⸗ achten uͤber die Bittſchrift des leztern zu erſtatten, aber das ganze Finanzkollegium entſchied, daß Wilhelm der wuͤrdig ſte ſei, und der Monarch bes ſtaͤtigte die Wahl. Sie find Steuerkaff.rer, ſag⸗ te der Hofrath einſt zu Wilhelmen, als ſie ſich eben zu Tiſche ſezten. Wilhelm zitterte und bebte, er blikte hoffend und fuͤrchtend auf ſeine Geliebte, und dieſe ſank freudegluͤhend mit der Verſiche⸗ rung in ſeine Arme, daß der gute Vater gewis Wort halten werde. Halten wird ers wie ein Mann, ſprach der Alte laͤchend, wenn nur auch Wilhem Wort halten kann. Er hat um einen Dienſt gebeten, der ſechs tauſend Gulden Kau⸗ zion erfordert, er hat den Dienſt erhalten, wo wird er die Kauzion hernehmen? Die Tochter ſtaunte erſchrokken den Vater an, und Wilhelm ſchlug 145 — HERNE TED. PIREDE INN PORIA ſchlug hoffnungslos die Augen nieder, denn er hatte dies wuͤrklich noch nicht erwogen, ſah ſich mit einmal aͤuſſerſt weit vom nahen Ziele ent⸗ fernt. Man kannte meine Armuth, rief er end⸗ lich im ſchmerzhaften Tone aus, und gab mir den Dienſt doch! — — Man hätte ihnen aber ſolchen nicht gegeben, antwortete der Alte haſtig, wenn ich am Ende nicht ius Mittel getreten waͤ⸗ re, und meine Mitkolegen gebeten hätte, nur uͤber das Verdienſt des Supplikanten zu entſchei⸗ den, und mir die Sorge fuͤr die Kauzion zu uͤber⸗ laſſen. So wollen ſie mein Retter werden? frag⸗ te Wilhelm von neuer Hoffnung belebt. So ſoll ich ihnen das ganze Gluͤk meiner Liebe zu dan⸗ ken haben? rief die Tochter noch freudiger. Der Alte laͤchelte zufrieden, und beide ſanken dankend zu ſeinen Fuͤſſen nieder. Ja, ſprach der geruͤhr⸗ te Vater, ich gebe willig, was ich vermag, und freue mich; te ichs ee Würklich 1280 Her redliche kan in ſei⸗ nem vieliährigen Dienſte durch kluge Sparſam⸗ keit nur dieſe Summe, welche Wilhelms Dienſt zur Kauzion erforderte, geſammlet, da aber das durch das Gluͤk ſeines Kindes befoͤrdert wurde, und er ohnehin nur fuͤr dieſes geſammelt hatte, ſo nahm er keinen Anſtand, wie man Wilhelmen fuͤr den wuͤrdigſten erkannte, ſich zur Leiſtung oe K der 146 der Kauz ion anzubieten. Er erfüllte bald nach: her ſein Verſprechen, legte die Summe in die Staatskaſſe mit dieſer Verbindlichkeit nieder, und Wilhelm ward Steuerkaſſirer, feierte kurz darauf en Hochzeit mit des ae Tochter. we Meh thats dem guten Alten, als er gh von dieſer trennen muſte, weil Wilhelms Dienſt ihn nach einer Provinzſtadt rief, und ganz natuͤr⸗ lich das Weib dem Manne folgen muſte, folgen wollte. Haͤtte ich dies vorausgeſehen, ſagte er beim Abſchiede im fehmershaften , aber doch ruͤh⸗ renden Tone, daß fie mir mein Kind ganz rau⸗ ben wuͤrden, ich haͤtte es ihnen nicht zur Frau gegeben! Nur die Hoffnung troͤſtet mich, daß ſie bald neue Verdienſte ſammlen, bald hoͤher, und mir naͤher ruͤkken werden! Wilhelm verdop⸗ pelte ſeinen Fleis, und ſehr wahrſcheinlich waͤre der Wunſch des Alten, den er nachher bei iedem Beſuche eifrig aͤuſſerte, bald gelungen , wenn der Tod nicht alle Hoffnung darzu vernichtet haͤtte. Er raffte den guten Vater durch einen Schleim⸗ ſchlag ploͤzlich von hinnen, und goͤnnte dem ins nig traurenden Paare nicht die einzige, aber auch aͤuſſerſt ſchmerzhafte Freude, von un 7 Haan zu nehmen. g 5 Wil⸗ 7 Wilhelms Achte Verdienſte wurden nach der Hand noch oft erkannt, aber nicht mehr be⸗ lohnt, er blieb, was er war, und ruͤkte nicht weiter vor, ob ihm gleich das leztere oft verſpro⸗ chen wurde. Dieſes Vergeſſen kraͤnkte ihn oft, aber es ſtoͤhrte doch nicht das Gluͤk feiner aͤuf⸗ ſerſt zufriednen und vergnuͤgten Ehe. Er vergas im Arme des geliebten Weibes ieden Kummer, ſah deutlich, daß ſie mit ihrem Looſe vollkommen zufrieden ſei, und entſagte endlich ganz der Be⸗ gierde hoͤher zu ſteigen, bat ſogar nicht mehr da⸗ rum, als ihn wuͤrklich ſeine Dienſtiahre zu dieſer Bikte berechtigten. Seine Karoline gebar ihm ſechs Kinder, aber er muſte fuͤnfe derſelben in ihrer fruͤhſten Jugend zu Grabe tragen, und zog nur eine einzige Tochter groß. Sebr natuͤrlich wars daher, daß Vater und Mutter dies einzige Pfand ihrer Ehe mit groͤſter Zärtlichkeit Tiebten , fie zwar ſorgfaͤltig erzogen, aber auch durch zu fruͤ⸗ hen, zu haͤufigen Puz ihre Eitelkeit ſo maͤchtig reizten, daß ſie, als iene groͤßer wurde, ſparſam haushalten muſten, um ieden ihrer oft heftigen Wuͤnſche befriedigen zu koͤnnen. Uebrigens war Wilhelmine ein gutes, dankbares Kind, hing mit gleicher Zaͤrtlichkeit an ihren Eltern, und machte ihnen durch die Vollkommenheit, die ſie ſich in vielen weiblichen Kenntniſſen erwarb, die groͤſte Freude. K 2 Als 148 10 Als ſie e achtzehn Jahr alt war, durch ihre Schoͤnheit und wuͤrklich ſtets eleganten Anzug manchen lungen Stadtbewohner zur Liebe reizte, aber ſein leiſes Flehn nicht hoͤrte, ward bei ei⸗ ner neuen Einrichtung ein Kavalerieregiment in die Gegend der Stadt, und der Stab deſſelben in dieſe verlegt. Die meiſten iungen und reichen Offiziers machten die Stadt bald lebhafter, man gab Pikkeniks, Baͤlle, und Wilhelmine erhielte auf einem derſelben den groͤſten Beifall im Tan⸗ ze, ward dadurch zum Beſuche aller gereizt, und bat ihre Eltern dringend, ihr doch dieſe unſchul⸗ dige Freude zu gönnen, wenn ſie Gefahr ahnde⸗ ten, und ſie vom zu 1 Balu en walken. | | 45 1 Der Sohn eines a 10 ausländischen Kaufmanns, welcher als Rittmeiſter im Regi⸗ mente diente, ein ſchoͤner, bluͤhender Juͤngling, ward bald Wilhelminens erklaͤrter Taͤnzer, und kurz nachher ihr eifrigſter Verehrer. Er kam, ſie zur Geſellſchaft „zum Balle abzuholen sek führte fie. von beiden wieder heim, ward von der Mutter einigemal zum Fruͤhſtuͤkke, zu Tiſch geladen, und kam nachher ſehr oft zum Beſuche, wenn er auch nicht geladen war. Dem Vater misfielen am erſten die zu haͤufigen Beſuche, er ſuchte Mittel, ſie ente aber er fand kein ſchik⸗ 149 ſchikliches, wenigſtens keines, welches ihn hätte für Verdruß ſchuͤzzen koͤnnen. Der Rittmeiſter betrug ſich auf die ehrfurchtsvollſte, anſtaͤndigſte Art gegen Vater und Mutter , vorzuͤglich aber gegen die Tochter. Er ſprach ſie nur in Gegen⸗ wart der Eltern, lobte mit Enthuſtasmus ihre herrlichen Eigenſchaften, pries ſich gluͤklich, ſie bewundern zu koͤnnen, und achtete denienigen fuͤr den gluͤklichſten, welchem ſie einſt Herz und Hand ſchenken wuͤrde! Dies war fein tägliches, aber auch nicht erklaͤrteres Geſpraͤche. Alle, die ihn kannten, gaben ihm das Zeugnis der rein⸗ ſten Sitten, der untadelhafteften Aufführung, und zwangen endlich dem Vater nach und nach den Wunſch ab, daß der Rittmeiſter ſich deutlicher erklaͤren, ſein Kind ehlichen moͤge. Er hinderte izt nicht mehr ſeine ſtets haͤufigern Beſuche, und griesgramte nicht, wenn die gefaͤllige Mutter es erlaubt hatte, daß der Rittmeiſter in den ſchoͤ⸗ nen Sommerabenden mit Wilhelminen ſpazieren ging. a m Des Vaters Amt brachte es mit ſich, daß er alle Monate die geſammleten Steuergelder nach der Hauptſtadt führen , und dort über den richtigen Empfang die noͤthigen Quittungen erhe⸗ ben muſte. Seine gluͤkliche Ruͤkkehr war dann immer in ſeiner kleinen Familie ein Feſt, das von 47 159 von lange ber der Rittmeiſter durch ſeine Gegen⸗ wart mit feierte. Nach Jahresfriſt kehrte der Vater einſt von dieſer Reiſe zuruͤk; Mutter und Tochter kamen ihm, nicht wie gewoͤhnlich an der Hausthuͤre entgegen, ſie bewillkommten ihn erſt in feinem Zimmer mit traurigeme, ſchuͤchternen Blikke. Der Vater fand daheim haͤufige Beſchaͤf⸗ tigung, beider Trauer fiel ihm nicht auf, als aber der Abend erſchien, die Suppe aufgetragen wur⸗ de, iedes ſich mit niedergeſchlagnem, verweintem Auge zu Tiſche ſezte, und der gewoͤhnliche Gaſt nicht erſchien, da begann er zu fragen, zu for⸗ ſchen. Die Mutter fuͤhrte das Wort; ſie ent⸗ ſchuldigte ihre und ihrer Tochter verdaͤchtige Au⸗ gen mit einem heftigen Schnupfen, und erzaͤhlte ihm, daß der Rittmeiſter ſchon ſeit drei Tagen auf Kommando ſei, erſt kuͤnftige Woche wieder⸗ kehren würde. Dieſe Erklärung beruhigte den Alten, er ging helter und munter ſchlafen, wuͤrde wahrſcheinlich erſt am Morgen erwacht ſein, wenn ihn nicht das laute Schluchzen und Seufzen ſei⸗ ner Gattin fruͤher gewekt haͤtte. Er horchte lan⸗ ge , und forſchte endlich mit Strenge nach der Urſache ihres Kummers. Die Dunkelheit der Nacht machte die Bekuͤmmerte beredter, das ſchrek⸗ liche Geheimnis, welches auf ihrem Herzen ruhte, loste ſich, fie entdekte dem e Vater, daß g | a fein 15 fein einziges, fein geliebtes Kind gefallen, und ſchwanger ſei. Groß war ſein Leiden, unnennbar ſein Schmerz, welchen er bei dieſer unerwarteten Nachricht fuͤhlte, er forſchte endlich weiter, und erfuhr, daß der Rittmeiſter ihn und ſein Kind ſo grenzenlos ungluͤklich gemacht habe. Die Mur ter hatte ſchon einige Wochen die Moͤglichkeit ge⸗ ahndet, verſchob abſichtlich die naͤhere Unterſu⸗ chung bis zur Abreiſe des Vaters, und ward durch Wilhelminens offnes Geſtaͤndnis belehrt, daß ſie ſich in ihrer Muthmaſung nicht betrogen habe. Ihr wuͤthender Schmerz verleitete ſie ſo⸗ gleich, dem Rittmeiſter aufs ſtrengſte ihr Haus zu verbieten, und ob dieſer gleich taͤglich ſchrieb, fein Verbrechen mit zu heftiger Liebe entſchuldigte, es durch ſchuelle Heurath wieder zu verſoͤhnen verſprach, ſo beharrte die Mutter doch auf ihrem gefaßten Entſchluſſe, und uͤberlies es izt dem Vater zu entſcheiden: Ob ſie recht und billig ge⸗ handelt habe? Der Vater tadelte ſogleich dieſen ſtrengen Entſchlus, weil er die einzige, moͤgliche Rettung ſeiner geliebten Tochter hinderte. Es iſt ſchreklich, rief er aus, daß ich ſo etwas erleben muſte, aber es hemmt doch meine Verzweiflung, da ich höre, daß nicht Vorſaz, nur Gröffe der Liebe das Verbrechen gebar, und daß der leicht⸗ ſinnige Juͤngling das Geluͤbde erfuͤllen will, wo⸗ mit 152 mit er wahrſcheinlich meine Tochter um ihre un⸗ ſchuld betrog. Am Morgen berief der Vater an Tochter zu fi ſich; ſonſt eilte ſie munter und froh in ſeine Arme, izt naͤherte ſie ſich langſam, weinend, und ſchluchzend, er konnte dieſen Unterſchied nicht er⸗ tragen, fein Herz brach, er wollte ſprechen, vers mochts nicht, und winkte, damit ſie ſich wieder entfernen ſollte. Als er ſich wieder gefaßt hatte, ſchrieb er dem Rittmeiſter einige Zeilen, er kam eilend, und hoͤrte mit Ehrfurcht die heftigen Vor⸗ wuͤrfe an, die ihm der Vater im gerechten Schmerze machte. Ich habe ſie verdient, ſprach er, ich habe ſie geahndet, und es iſt Pflicht, daß ich ſie dulde. Ich bin ihnen den vollſten Erſaz fuͤr ihr Leiden ſchuldig, und ich kann ſie izt nur dadurch leiſten, daß ich ihnen auf das heiligſte verſpreche, die Ehre ihrer Tochter zu retten, und ſie recht⸗ maͤſſig zu ehlichen. Daß es mir wahrer Ernſt ſei, wird ihnen dieſer Brief beweiſen, den ich an meinen Vater geſchrieben habe, und den ich ſie erſuche, ſelbſt auf die Poſt zu ſchikken. Wilhelm las ihn; er enthielte eine ruͤhrende Beſchreibung des Ungluͤks, welches er freilich aus allzu groſſer Liebe, aber doch aus ſchreklichem Leichtſinn, über eine aͤuſſerſt rechtſchaffne Familie gebracht habe. Er bat ſeinen Vater dringend, ihm zu erlauben, daß daß er fein Verbrechen durch ſchnelle Heurath wies der gut machen koͤnne, und erſuchte ihn am Ende, ihm von ſeinem anſehnlichen, muͤtterlichen Ver⸗ mögen aufs eiligſte ſechs tauſend Gulden zu ſen⸗ den, welche nach beſtehendem Geſezze ieder Haupt— mann oder Rittmeiſter beim Kriegskollegium um deswillen bei feiner Heurath erlegen muſte, damit die einſt mögliche Wittwe von den Intereſſen dies ſes Kapitals leben koͤnne, und dem er ur durch e zur Laſt falle. ; * Der Rittmeiſter bewies 1 dem zwei⸗ felnden Wilhelm durch dargereichte Schuldſcheine, daß ſein Vater ihm dieſe Summe gar nicht wei⸗ gern koͤnne, weil ſeine laͤngſt verſtorbne Mutter ihm vierzig tauſend Gulden hinterlaſſen hatte, welche in des Vaters Handlung lagen, und laut dieſen Schuldſcheinen iedes halbe Jahr aufgekuͤn⸗ digt werden konnten, von dem Vater aber indes gleich einem fremden Kapitale mit ſechs Prozent verintereſſirt wurden. Dieſe angenehme Naͤchrich⸗ ten ſtaͤrkten das vaͤterliche Herz maͤchtig, und machten es faͤhig, dem Verbrecher verzeihen zu koͤnnen. Wollte Gott, ſprach er, fie hatten mich eher zu ihrem Vertrauten gemacht, eher ihre Ge⸗ ſinnungen entdekt, dann haͤtten ſie meinem Kinde und ihren Eltern vielen Kummer und manche Thraͤne epſpart. Doch Vorwuͤrfe aͤndern das Un⸗ alüf 154 gluͤk nicht, ich will fie alſo unterdruͤkken, und mich mit der Hoffnung einer beſſern Ausſicht la⸗ ben. Gehen ſie indes zu meiner Tochter, troͤſten ſie ſolche, denn ſie hat des Troſtes von noͤthen. Wenn ich mich ſtaͤrk genug fühle, will ich folgen, und ihr ſagen, daß der ungluͤkliche Vater noch zu hoffen wagt. | as Der Rittmeiſter dankte und eilte zu feiner troſtloſen Geliebten; der Vater trug den Brief ſelbſt auf die Poſt, ſprach nachher troͤſtend mit ſeinem Kinde, und hoffte einer baldigen, guͤnſti⸗ gen Antwort entgegen. Er lebte einige zwanzig Jahre in der nicht allzu groſſen Stadt, genos unter dieſer Zeit die ungetheilte Freundſchaft aller Bürger; der meiſte Theil derſelben ehrte ihn fos gar als einen vernuͤnftigen Rathgeber, und nahm in ieder haͤuslichen Angelegenheit ſeine Zuflucht zu ihm. Sein Ruf war In dieſer langen Zeit nie beflekt, ſeine Handlungen nie getadelt worden; der Gedanke, daß izt beides geſchehen wuͤrde, ge⸗ ſchehen muͤſſe, war ihm daher aͤuſſerſt unertraͤg⸗ lich, quaͤlte ihn anhaltend in den Stunden des Nachdenkens. Um die Gefahr, welche ſeinem ed⸗ len Stolze drohte, zu vermeiden, wenigſtens zu entfernen, ließ er ſeine Tochter nicht mehr aus⸗ gehen, gab vor, daß fie krank ſei, und erhielt allgemeinen Glauben, weil ihr abgehaͤrmtes, lei⸗ den⸗ 2 | 155 dendes Geſichte, wenn man es dann und wann am Fenſter erblikte, die Erzaͤhlung des Vaters beſtaͤtigte. Dies mehrte feine Hoffnung um ein groſſes, er glaubte izt mit Grunde, daß er ſich und ſein Kind fuͤr oͤffentlichem Verdachte wuͤrde retten koͤnnen, wenn nur die Antwort des Be bald erfolge. | 2 Eben, wie er von der monatlichen Keife nach der Hauptſtadt ruͤkkehrte, trat der Rittmei⸗ ſter in ſein Zimmer, brachte ihm die vaͤterliche Einwilligung, und hielte in der andern Hand ei⸗ nen Wechſel, welcher an einem der erſten Wechsler in der Hauptſtadt ausgeſtellt, doch aber erſt bin⸗ nen Monatsfriſt zahlbar war. Der Vater ſchrieb, daß er den Wechſel des noͤthigen Aviſos, und der getroffnen Einrichtung gemaͤs feinen fruͤhern Zah⸗ lungstermin habe geben koͤnnen, daß aber dieſer kleine Verzug hoffentlich keinen Unterſchied ma⸗ chen werde. Und doch machte er ihn in dieſen Umſtaͤnden allerdings, denn binnen einem Monate muſte Wilhelminens Zuſtand auffallender und ver⸗ daͤchtiger werden. Wenn nun der Vater nachrech⸗ nete, daß, wenn man die Sache auch aufs ſchleu⸗ nigſte foͤrdere, doch noch ein zweiter, bis zur moͤg⸗ lichen Hochzeit verſtreichen muͤſſe, und uͤberdies uͤberlegte, daß um dieſe Zeit eben die Faſten be⸗ ginne, in welcher man nur aus dringenden, von J ie⸗ 156 | iedem leicht zu errathenden Umſtaͤnden Hochzeiten erlaube, ſo ward ſeine Freude ſehr gemaͤſſigt, ging nach und nach in wuͤrkliche Traurigkeit uͤber. Um nichts unverſucht zu laſſen, ſande er ſogleich einen Expreſſen an einen guten Freund nach der Haupt⸗ ſtadt ab, uͤberſchikte dieſem mit Einwilligung des Rittmeiſters den Wechſel, und bat ihn dringend, mit dieſem in die benannte Wechſelſtube zu ge— hen, ſich ein auch zwei Prozent Abzug gefallen zu laſſen, und das uͤbrige ſogleich zu erheben. Aber der Bote kam mit der Nachricht zuruͤk, daß der Banquier den Wechſel zu feiner Zeit zwar unfehls bar zu honoriren verſprochen, aber ungeachtet des angebotnen Profits wegen andern häufigen Ausgaben nicht auf der Stelle zahlen koͤnne. Dieſe unerwartete Nachricht kraͤnkte den um fei- nen Ruf ſo ſehr beſorgten Vater aufs aͤuſſerſte, er rang nach neuen Rettungsmitteln, und glaubte eines derſelben darinne zu finden, daß er die Sum⸗ me indes von den eingehenden Steuergeldern vor⸗ ſtrekte, und an deren Statt den ſichern Wechſel in ſeine Kaſſe legte. Der Tag der Zahlung war eben um die Zeit beſtimmt, in welcher er die Steuergelder nach der Hauptſtadt führen muſte, er wollte dann vorher das Geld erheben, die fehlende Summe erſezzen, und 1 dieſe hoͤchſt unſchuldige Hand⸗ he lung 157 lung feine und feiner Tochter Ehre und Ruf ret, ten. Der Rittmeiſter muſte ſogleich den Wechſel giriten, erhielte vom Vater das Geld, und flog damit nach der Hauptſtadt, um die Kauzion zu leiſten, und dann die noͤthige Erlaubnis zur Heu⸗ rath zu erhalten. Er fand Freunde, welche ſei⸗ ne Bitte foͤrderten, und kehrte ſchon am ſechſten Tage mit der ſchriftlichen Erlaubnis zuruͤk. Da es beim Mllitair gewoͤhnliche Sitte war, daß man ſich, ohne Verdacht zu erregen, vom noͤthi⸗ gen, dreimaligen Aufgebote dispenſiren, und fe* gleich trauen laſſen konnte, fo erlaubte der Date. auch hier dieſen angenehmen Kunſtgtiff, und ges nos, ehe et nach der Hauptſtadt reiſte, die reine Wonne, feine Wilhelmine als die Gaktin des Rittmeiſters zu ſegnen, und zu umarmen. Die ſchleunige Heurath erregte zwar die allgemeine Aufmerkſamkeit der Stadt, aber ſie kam keinem unerwartet, weils eben ſo bekannt war, daß der Rittmeiſter Wilhelminen liebe, und erregte kei⸗ nen Verdacht, weil der Rittmeiſter ſelbſt erzaͤhlte, daß der Vater ſchleunige Erklaͤrung oder Vermin⸗ derung des Beſuchs gefordert, und er, um ſeine redliche Abſicht zu bemeifen , nun ſo ſehr geeilt babe. | Izt, da ieder Freund dem alten Vater Gluͤk Ku und ſich mit ihm über das Gluͤk feines Kin⸗ 158 Kindes freute, ward fein Herz wieder. fröhlich, Er ſah ein, daß ſein Ruf nicht beflekt, ſeine Ehre untadelhaft dauern wuͤrde, da der Rittmeiſter überdies verſprach zur Zeit der nahenden Nieder⸗ kunft Urlaub zu nehmen und mit ſeiner Wilhelmi⸗ ne ins Reich zu reiſen, wo ſie, ohne Verdacht zu | erregen, früher niederkommen könne Wenn wir | dann, ſezte er hinzu, mit dem Kinde ruͤkkehren, ſo kann das Umwerfen des Wagens ſein Daſein beſchleunigt haben, oder wir geben es für einige Monate iuͤnger aus, als es wuͤrklich iſt. Um den Wechſel zu rechter Zeit zu erheben, und ſeinen Kaſſendefekt erſezzen zu koͤnnen, reiſte Wilhelm zwei Tage fruͤher als gewoͤhnlich nach der Hauptſtadt. Sein Weib und ſeine beiden Kinder begleiteten ihn einige Stunden weit, und ſchie⸗ den in der ſichern Hoffnung, ihn bald wieder vergnuͤgt und froh zu umarmen. Er kam Nach⸗ mittags nach der Stadt, und ging noch am Aben⸗ de ins Komptoir des Banquiers, wo er das Geld erheben ſollte. Der Wechſel war an dieſem Tage bereits zahlbar, und kein Schein vorhan⸗ den, daß er das erſtere nicht erhalten wuͤrde. Bleich und blaß fand Wilhelm da , als der Wechsler mit bedeutender Miene verſicherte, daß er dieſen Wechſel nicht auszahlen koͤnne, und er ſehr zu bedauern ti, wenn er ſich wuͤrklich damit / has 6. | | 159 habe betruͤgen laſſen. Wilhelm forſchte, fragte, und ihm ward ſchrekliche Aufklaͤrung. Waͤren ſie geſtern gekommen, fagte der Banquier, fo wuͤrde ich ohne Anſtand gezahlt haben, und izt um ſechs tauſend Gulden aͤrmer ſein. Heute brachte aber zum Gluͤske für mich, zum Ungluͤkke für fie, die hollaͤndiſche Poſt die ſichere Nachricht, daß der Ausſteller dieſes Wechſels fallirt, und ſich ent⸗ fernt habe. Kann ich meinem Korreſpondenten trauen, fo werden die aus waͤrtigen Gläubiger wenig oder gar nichts erhalten, denn das Falli⸗ ment fol groß und anfehnlich ſein. Wilhelm wankte von dannen nach feinem Quartire, als er dort anlangte, und ſeine Haͤnde hoffnungslos zum Himmel erhob, konnte er ſich nicht beſinnen, wie er hieher gekommen ſei. Er follte , mufte den zweiten Tag die ganze Summe der monatlichen Steuergelder abfuͤhren, keine Ausflucht fand ſtatt, und doch ſah er kein Mit⸗ tel, wie er ſich vor oͤffentlicher Schande und Strafe retten konnte. Er rang die ganze Nacht ſchlaflos nach Rettung; fruͤh klopfte ein bekannter Jude an ſein Zimmer, und bot ihm ſeine Dienſte an. Drang nach Huͤlfe bewog Wilhelmen, dem Juden zu geſtehen, daß er heute noch ſechs tauſend Gul⸗ den brauche, und ihn zu fragen: Ob er ihm ſol⸗ che gegen Verpfaͤndung ſeines Haabes und Ver⸗ moͤ⸗ 160 * — — — moͤgens, ſeiner izzigen und kuͤnftigen Beſoldung verſchaffen koͤnne? Der Jude — welcher in dieſem Geſchaͤfte Verdienſt zu finden hoffte = fand den Fall aͤuſſerſt hart, aber doch zur Ausfuͤhrung nicht unmoͤglich, wenn ſich Wilhelm ganz ſeiner Leitung uͤberlaſſen wolle. Wer zweifelt wohl, daß der Arme dies nicht ſogleich zu thun verſprach? Gnaͤdiger Herr, ſagte nun der Jude,, ihre be⸗ kannten, guten Umſtaͤnde, ihre ganz anſehnliche Beſoldung wird alle Makler meines Glaubens ge⸗ neigt machen, ihnen eine dieſen Umſtaͤnden ange⸗ mesne, aber keine ſo groſſe Summe zu leihen. Doch hat dies im Grunde nichts zu ſagen, weil ſie, wenn ſie bei mehrern borgen, die Summe doch zuſammen bringen, und es dem erſtern, wie dem leztern nicht zu erzaͤhlen brauchen, daß ſie mehr noch borgen wollen „oder ſchon geborgt ha⸗ ben. Ihnen nach und nach eine hinlaͤngliche Un? zahl herbeizufuͤhren, ſei meine Sorge, nur muß ich ihnen im Voraus offenherzig geſtehen, daß unſre Maͤkler, wenns Eile hat, gerne anſehnli⸗ chen Gewinn fordern, und auf kahle Wechſel nicht lange borgen. Finden ſie dieſe Bedingungen nicht zu hart, ſo eile ich ſie zu uͤberzeugen, daß 4 in i n pas 2 kate oe. 0 Wühelm e zu en mag le ii, und der Jude eilte EN Ehe die Sonne un⸗ 5 el ⸗ 161 terging, hatte der erſtere ſchon die ſechs tauſend Gulden beiſammen, aber er muſte ſolche von acht verſchiednen Juden borgen, zehn taufend Gulden dafuͤr verſchreiben, und hatte uͤberdies in allen dieſen Wechſeln gelobt, die Summe binnen ſechs, acht, hoͤchſtens zehn Monaten ruͤkzuzahlen. Er hoffte, dies thun zu koͤnnen, weil Erfahrung ihn belehrt hatte, daß bei ledem Bankerotte eines Kaufmanns die Gläubiger zwar oft viel nachlaſſen muͤſten, aber doch nicht leer ausgingen, und er alſo mit vollem Rechte hoffen konnte, daß ſein Schwieger⸗ ſohn fuͤr ſein in der Handlung liegendes, vierzig⸗ tauſend Gulden betragendes Kapital wenigſtens dieſe geringe Summe erhalten wuͤrde. i | Er dankte die folgende Nacht inbruͤnſtig Gott, daß er ihn aus ſo naher Gefahr vaͤterlich errettet habe, fuͤhrte ſeine Steuergelder ab, und eilte heim, um die ſchleunigſten Anſtalten zu ſei⸗ ner kuͤnftigen Rettung zu treffen. Froh und freu⸗ dig bewillkommte ihn ſeine Familie, aber traurig und erſchrokken ſtanden alle da, als feine ſchrek⸗ liche Erzählung begann. Dem wuͤrklich edelden⸗ kenden Rittmeiſter kraͤnkte fie am meiſten, er ers kannte ſich als die Urſache des Ungluͤks, und war daruͤber untroͤſtlich; aber er hoffte auch eben ſo gewis, daß Rettung moͤglich ſei, weil es ihm unbegreiflich ſchien, daß die ſolide Handlung ſei⸗ L nes 162 nes Vaters, den man ſtets für einen Millionaͤr achtete, fo rettungslos fallirt habe. Er kam ſo⸗ gleich um Urlaub ein; ehe er dies aber erhielt, ward ihm durch eine alte Muhme die Beftätigung ſeines wuͤrklichen Ungluͤks kund. Sie ſchrieb ihm alles dasienige, was der Wechsler Wilhelmen er⸗ zaͤhlt hatte. Die Urſache dieſes unerwarteten Falles fand ſie in unvorſichtiger Spekulation des Vaters, und vorzuͤglich in der auſſerordentlichen Verſchwendung und uͤbeln Wirthſchaft ſeiner zwei⸗ ten Gattin. Sie bat am Ende den Rittmeiſter, ſo ſchnell als moͤglich nach Hauſe zu kommen, und ſchleunige Anſtalten zu treffen, um wenigſtens einen Theil ſeines muͤtterlichen Vermoͤgens zu retten, welches deswegen allen uͤbrigen Glaͤubi⸗ gern vorgehen muͤſſe, weil es anvertrautes Wai⸗ ſengut geweſen. Dieſe leztere Bemerkung troͤſtete die leiden⸗ de Familie in etwas, und ſtaͤrkte fie mit der Hoff⸗ nung eines gluͤklichen Ausgangs. Der Rittmei⸗ ſter erhielte endlich Urlaub, und reiſte mit ſeinem Weibe, geſegnet vom Vater und Mutter, nach ſeiner Helmath, um dort Huͤlfe zu ſuchen und zu finden. Mit aͤuſſerſter Sehnſucht ſahen die armen Ser dem erſten er entgegen, er kam und / brach⸗ 163 5 — - —̃ — —n brachte neue Hoffnung. Der Rittmeiſter ſchrieb, daß zwar das ganze Aktiovermoͤgen ſeines Bas ters bereits mit mehr als zehnfachem Verbote belegt ſei; dieſes Verbot, nach Verſicherung als ler Rechtsgelehrten, feiner gerechten Forderung aber gar nicht nachtheilig ſein koͤnne, weil ſein muͤtterliches Erbtheil in den Handlungsbuͤchern verſichert ſei, und daher allen andern Glaͤubigern vorgehen muͤſſe. Doch ſei es noͤthig, daß er die⸗ ienigen, welche ſeinen Antheil mit Verbot belegt haͤtten, gerichtlich zur Abtretung belange und zwinge. Dies wuͤrde freilich einige Monate Zeit rauben, die er aber durch moͤglichſte Eile, und dringende Bitte bei Gerichte zu verkuͤrzen ſu⸗ chen werde. Bald nachher ſchrieb er aufs neue, daß ihm ein Maͤkler fuͤr ſeinen Antheil an der Konkursmaſſe ſeines Vaters mit dem Bedinge, daß er ihm alle mögliche Rechte abtrete, zehn— tauſend Gulden auszahlen wolle, er bat Wilbels men um Rath, und verſicherte ihn nebenbei, daß er dieſe geringe Summe mit Freuden nehmen wolle, um nur die theuern Eltern ſeines Weibes aus allen Kummer und Sorge zu retten. Wilhelm verbat in ſeiner Antwort dieſes groſſe Opfer ernſtlich, achtete es wenigſtens izt noch nicht, und nur dann noͤthig, wenn keine an⸗ dere Huͤlfe mehr moͤglich ſei; denn eben dieſer L 2 Ans 164 | | | Antrag eines wucheriſchen Maͤklers uͤberzeuge ihn deutlich, daß das volle Recht auf des Rittmei⸗ 1 j 1 ſters Seite ſein muͤſſe, weil iener ohne dieſes auch eine ſolche Summe nicht wagen wuͤrde, und ſicher nur ſeine, vielleicht zu aͤngſtlich geaͤuſſerte Verlegenheit benuzzen wolle. Verſchiedne Briefe | beftätigten nach der Hand, daß Wilhelm richtig geurtheilt habe, brachten aber auch allemal die | Nachricht, daß ſich, wegen des Anſehens feiner Gegners, der Prozes in eine unvorgeſehne Lange ziehe, die er durch dringende Bitte nicht zu ver⸗ kuͤrzen vermoͤge. | Da unter diefer Zeit zwei Wechſel, welche Wilhelm an die Juden ausgeſtellt hatte, im fol⸗ genden Monat ſchon faͤllig wurden , fo verſuchte er es, die Juden zu laängern Terminen zu bere⸗ den, aber alle verſicherten ihn, daß ſie keine Stunde warten, und nicht zoͤgern wuͤrden, am gehoͤrigen Orte zu klagen, wenn er ſein Wort nicht puͤnktlich erfuͤlle. Ein Geſez, welches iedem Kaſſebeamten des Dienſtes unfaͤhig erklaͤrte, wenn er mit vielen Schulden belaſtet war, machte dieſe Drohung fuͤrchterlich; Wilhelm konnte es daher auf keine Weiſe zur Klage kommen laſſen. Er berichtete dies alles dem Nittmeifter , und bat ihn izt ſelbſt, den Antrag des Maͤklers anzuneh⸗ men, weil keine andre Huͤlfe mehr moͤglich fei, 10 55 Mit — > — — 165 Mit dieſer Hoffnung troͤſtete er ſein iammerndes Weib, welche ſich und ihren Mann bereits am Bettelſtabe erblikte, deswegen aͤuſſerſt kraͤnkte, | 1 und wuͤrklich krank wurde. Zwei ſehnſuchts voll durchhaͤrrte Wochen verſtrichen, des Rittmeiſters Antwort kam, und mit ihr die ſchrekliche Nach⸗ richt, daß der Maͤkler izt nicht mehr Wort hal⸗ ten wolle, weil ſich ſeiner Meinung nach der Pro— zes in eine zu groſſe Laͤnge ziehen koͤnne. Der | Ritmeiſter widerſprach aber dieſer Meinung, hoffte das Ende deſſelben gewis binnen zwei Monaten zu befördern , bat feinen Schwiegervater drin⸗ gend, nur fo lange noch die hartherzigen Juden durch groſſe Verſprechungen zur Geduld zu bere: den, und berichtete am Ende, daß ſein geliebtes Weib hoͤchſt gluͤklich mit einem jungen Sohne ſei entbunden worden. Dieſe freudenvolle Nachricht war izt 1 faͤhig, das Herz der armen Eltern zu erfreuen, die Krankheit der alten Mutter mehrte ſich durch die nahende Entſcheidung ihres ungluͤklichen Schik⸗ ſals. Wilhelm wankte ſelbſt nur ſchwach umher, wuͤrde ebenfalls das Bette gehuͤtet haben, wenn ſich nicht eben die Zeit genaht haͤtte, in welcher er ſein Amt verwalten, und von den Landeinneh⸗ mern die Steuergelder feines Bezirkes annehmen muſte, um ſie alsdann in einer Summe in die Haupt⸗ 166 Hauptkaſſe abzuführen. Die entfernteften erſchie⸗ nen immer am erſten; es nahte eben der Winter, und ſie klagten ſehr, uͤber die beſchwerliche Reiſe, welche ſie aus einer hohen Gebirgsgegend ieden Monat oft mit Lebensgefahr machen muͤſten. Wir wagen, ſagten ſie am Ende zu Wilhelmen, eine Bitte an fie, deren Erhoͤrung wir zuver⸗ ſichtlich hoffen. Es iſt uns geboten , die Zahlung der Steuer unnachſichtlich einzutreiben, und zugleich erlaubt, ſolche im Voraus an⸗ zunehmen, unſre Kontribuenten find in gu⸗ ten Umſtaͤnden; die meiſten derſelben zahlen halb, auch ganziährig, unſre Kaſſen ſind gefuͤllt, und wir duͤrfen doch nur immer die monatliche Summe abfuͤhren. Wollten fie uns denn nicht den Gefallen erweiſen, und die Steuergelder im⸗ mer auf einige Monate im Voraus annehmen? Dadurch wird uns die oft ſo beſchwerliche Reiſe erſpart, und das Geld ruht ia bei ihnen eben ſo ſicher, wie bei uns. Wilhelm, der gedankenvoll da ſas, horchte hoch auf, weil er neue Rettung in dieſem Antrage erblikte; fein Gewiſſen fluͤ⸗ ſterte ihm freilich zu, daß dies nicht erlaubt, und der Gebrauch, den er davon machen wollte, hoͤchſt verboten ſei; aber der Reiz war zu groß, und die Gefahr aͤuſſerſt unwahrſcheinlich, da in den lan⸗ 167 langen Jahren feines Dienſtes noch keine allges meine Kaſſenunterſuchung um deswillen geſchehen war, weil er nie mit einem Reſte bei der Haupt⸗ kaſſe erſchien, ſeine Untereinnehmer iederzeit zur richtigen Zahlung ernſtlich anhielt. Kurz zu ſein: Der bedraͤngte Wilhelm ergriff die ſo wun⸗ derbare Rettung, nahm von iedem die Steuer⸗ gelder auf einige Monate im Voraus an, ward dadurch in den Stand geſezt, aus dem auf dieſe Art ſtets vorraͤthigen Gelde feine iüdifhen Glaͤu⸗ biger zu bezahlen, und den Ausgang des Prozeſ⸗ ſes ruhig abzuwarten. Da er die groſſe Aengſtlichkelt feines Wei⸗ bes kannte, izt oft in den Stunden des Jammers den gerechten Vorwurf hoͤren muſte, daß er ſich aus zu uͤbertriebner Sorge fuͤr ſeinen unbeflekten Ruf, in ein weit groͤſſeres Ungluͤk geſtuͤrzt habe, fo verſchwieg er ihr forgfältig die Art der Ret— tung, und machte ihr nur mit heiterm Geſichte kund, daß ein ſehr guter Freund, welchem er ſich in der Hauptſtadt anvertraut habe, ſo redlich handeln wolle, die Juden zu bezahlen, und ihm die Summe ſo lange zu borgen, bis der Prozes ſeines Schwiegerſohnes geendet ſei. Die gute Alte, welche uͤber die Erzaͤhlung ihres Mannes nie Beweiſe zu fordern gewohnt war, freute ſich herzlich uͤber dieſe unerwartete Nachricht, ihr f druͤt⸗ 168 druͤlkender Kummer wich, und Wilhelm genos die Freude, ſie bei ſeiner Abreiſe nach der Haupt⸗ ſtadt geſund zu verlaſſen. Er bezahlte die faͤlli⸗ gen Wechſel, und die Juden geſtanden ihm izt aufrichtig, daß ſie dies nicht erwartet haͤtten, weil ſie erſt nach der Hand hoͤrten, daß er bei mehrern borgte, und daher billig Betrug ahndeten. Wilhelm genos izt wieder ruhige Tage, weil er den baldigen Ausgang des Prozeſſes ſicher hoffte, und ſeine Untereinnehmer ihn durch beſtaͤndige, willige Vorausbezahlung in den Stand ſezten, alle ſeine Glaͤubiger nicht allein nach und nach zu bezahlen, ſondern auch nebenbei feine Steuergels der ieden Monat richtig abzufuͤhren. Aber dieſe Ruhe dauerte nicht lange, neues Ungluͤk nahte. Der Nachbar des Staates drohte mit feindlichen Abſichten, und die Truppen des Landes muſten an die Grenze ruͤkken. Des Rittmeiſters Urlaub, welchen man ſchon oft verlaͤngert hatte, muſte izt ſchnell enden, er ward unter der Drohung, daß er feine Charge verlieren würde, zum Regimente berufen; er konnte nicht kommen, weil Entfer⸗ nung ſeinen Prozes nicht allein verlaͤngert, ſon⸗ dern auch einen ungluͤklichen Ausgang verurſacht haͤtte. Er bat nur um einen Monat Aufſchub, man verſagte ihm ſolchen, und er war gezwun⸗ gen, zu quittiren, weil er ſonſt kaſſirt worden N waͤ⸗ N 169 waͤre. Ungeachtet er bei der Nachricht, die er deswegen ſeinen Schwiegereltern gab, ausdruͤk— lich zu beweiſen ſuchte, daß ihm keine andre Wahl uͤbrig blieb, er entweder quittiren, oder ſein ganzes Vermoͤgen mit dem Ruͤkken anſehen muͤſte; ſo ſah Wilhelm doch allzu wohl ein, daß mehr noch als dieſe Sorge, die allzu zaͤrtliche Liebe ſeines Weibes gewuͤrkt habe, welche ihn nicht in den Gefahren des Kriegs ſehen wollte, und ihn daher wahrſcheinlich zur Entſagung ſei— nes Dienſtes bewog. Dieſe Vorſtellung kraͤnkte den Alten ſehr, weil er feſt glaubte, daß der Prozes doch nach Recht haͤtte entſchieden werden muͤͤſſen, und er ſchrekliches Ungluͤk für ſich und feine Kinder ahndete, wenn ſolcher wuͤrklich vers loren gehen koͤnne. Der verabſchiedete Rittmeiſter zerſtreute aber bald dieſe Sorge durch ſeine folgenden Brie— fe, ſie enthielten alle die kraͤftigſte Verſicherung, daß der Prozes bald, und nach eigner Ausſage der Richter zu ſeinem Vortheil enden muͤſſe. Der Tag des Urtheils ward endlich feſt geſezt, der Rittmeiſter ſchrieb, daß er nach dieſem ſogleich mit ſeinem Weibe und Kinde in die Arme der El— tern eilen wuͤrde. Die Alten feierten den ent— ſcheidenden Tag im Gebete, und eilten nachher immer freudig ans Fenſter, wenn in den Straſſen der Stadt ein Wagen rollte. 170 Einſt ſaſſen fie Abends bei ihrem kleinen Nachtmahle, und ſprachen eben ven ihren fo ſehnlich erwarteten Kindern, als ſich leiſe die Thuͤre ihres Zimmers oͤffnete. Wilhelmine wankte an der Hand ihres Gatten herein, auf ſeiner Lin⸗ ken trug er ein kleines Kind, beide ſtuͤrzten wei— nend zu den Fuͤſſen der erſtaunten Alten nieder. Wilhelm erholte ſich zuerſt vom iähen Schrekken. Wie ſtehts mit dem Prozeſſe? fragte er ahndungs⸗ voll. Fluche mir nicht, ungluͤklicher Vater, ſprach der Rittmeiſter und hob das ſchlafende Kind in die Hoͤhe, fluche mir nicht, das iſt alles, was ich dir mit bringe! Wilhelm blieb ſtarr auf ſei⸗ nem Stuhle ſizzen, die alte Mutter ſank ohn⸗ maͤchtig hinab, er ſah, und fuͤhlte es nicht. Es war eine anhaltende, unbeſchreibliche Szene des tiefſten Jammers. Alle fuͤhlten, alle ſchmachte⸗ ten nach Huͤlfe, keiner konnte dem andern beiſte⸗ hen. Ein Gluͤk, und doch auch ein Unglüf, daß die Dienſtboten nicht gegenwaͤrtig waren, ſie waͤ⸗ ren freilich uͤberfluͤſſige Zeugen geweſen, aber fie haͤtten doch Huͤlfe leiſten koͤnnen. Wilhelms ſtarke Natur ſiegte am erſten, Thraͤuen erleichter⸗ ten ſein Herz, er erblikte ſein huͤlfloſes Weib am Boden, und ermahnte die uͤbrigen zu ihrem Bei⸗ ſtande. Auch ſie erwachte, vergas ihres Jam⸗ mers, druͤkte ihr ſo lang entbehrtes Kind an ihr Herz. um e m TER KURT Inn i 1 171 Herz, und kuͤßte den noch nie geſehnen Enkel, aber bald kaͤmpfte der Kummer aufs neue mit ihr, und verdraͤngte die ſanften Gefühle der muͤt— terlichen Zaͤrtlichkeit, es that ihr weh, daß eben die Gegenſtaͤnde derſelben Mangel und Noth lei— den ſollten. Wilhelm ſah den neuen Kampf, und ſuchte ſeinen Sieg zu hindern. Wir haben ſie wieder! wir haben ſie geſund wieder! ſagte er, indem er zu ihr hintrat, und ſie durch einen ſanften Haͤndedruk zum Mitgefuͤhl dieſes troſtreichen Gedankens zu wek— ken ſuchte. Wir haben ſie, antwortete die Alte klagend, aber mit ihnen auch die Gewisheit un— ſers Ungluͤks! Wie kannſt du nun zahlen? Wird dein Freund den du immer mit falſchen Hoffnun⸗ gen troͤſteteſt, nicht mit Rechte zuͤrnen, nicht kla⸗ gen, damit du deinen Dienſt verlierſt, und er ſich wenigſtens groͤſten Theils durch deine Kau— zien zahlbar machen kann. Der Rittmeiſter. (cchnell empor fabrend) Sorgen ſie nicht, theure Mutter, ſo kann, ſo wirds nicht kommen! Ich bin meines Dienſtes entlaſſen, habe fuͤr mich und mein Welb auf al— len Anſpruch einer Penſion entſagen muͤſſen, meis ne Kauzion iſt daher nicht mehr noͤthig, ich kann ſie ſogleich erheben, und ſie aus allem Kummer retten. Haͤtte dieſer Gedanke uns nicht auf unſrer Reiſe geſtaͤrkt, wir wurden es nicht gewagt ha⸗ ben, 172 ben, vor ihrem Angeſichte zu erſcheinen, weil wir mit Rechte ihren Fluch befuͤrchtet haͤtten. Die traurende Mutter ergriff dieſen Troſt mit groͤſter Begierde, er war ihr noch nie beige⸗ fallen, weil ſie glaubte, daß diefes Geld noch immer im oͤffentlichen Fonde liegen bleiben muͤſſe; auch Wilhelm, der ein gleiches ahndete, fuͤhlte die Laſt, welche auf ſeinem Herzen ruhte, um ein groſſes vermindert, aber bald druͤkte ſie ihn gleich ſtark nieder, da er ſich erinnerte, daß er ungeachtet deſſen noch immer vier tauſend Gul⸗ den reſtire; deren Ruͤkzahlung ihm aͤuſſerſt hart fallen, noch manche ſchlafloſe Nacht machen wuͤr⸗ de. Er erwaͤhnte aber dieſen Umſtand nicht, weil er ſeinem Weibe nicht die Freude rauben wollte, welche ſie izt ſo rein genos. Endlich erinnerte fie ſich deſſen ſelbſt, aber der Rittmeiſter erſchien mit neuen Troſtgruͤnden, er bewies ihnen, daß er groſſe Hoffnung habe, in einem benachbarten Staate, wo man keine ſolche Kauzion fordere, angeſtellt zu werden, er verſprach alsdann willig mit der halben Gage zu leben, und das uͤbrige abzuzahlen; nur bat er Wilhelmen, feinen Freund zur Geduld zu bereden, welches er um ſo ſicherer hoffte, da man izt ſogleich ſechs tauſend Gulden bezahlen wuͤrde, und auf den ſchlimmſten Fall der Glaͤubiger dann immer mit der vaͤterlichen Kauzion gedekt ſei. 173 Die alte Mutter blikte hoffnungsvoll auf Wilhelmen, und dieſer war gutherzig genug, ſo— gleich zu erklaͤren, daß er dies ganz ſicher zu be⸗ wuͤrken glaube, Alle genoſſen nun izt die reine Freude des Wiederſehens, ſelbſt Wilhelm genos ſie mit, weil er izt uͤberall gegruͤndete Hoffnung erblikte, ſich aus feinem Labirinthe zu retten, und es ſich feſt vornahm, ſeine Haushaltung ebenfalls aufs ſparſamſte einzuſchraͤnken, um nach Kraͤften zur Tilgung des Reſtes mitzuwuͤrken. Der Wagen, in welchem die Reiſenden an⸗ gekommen waren, und den ſie abſichtlich in der Ferne ſtehen lieſſen, ward nun durch den Ritt⸗ meiſter herbeigeholt, die Dienſtboten eilten ebens falls herbei, und die Szene des Willkomms ward um ihrerwillen noch einmal gefeiert. Erſt wie die ungluͤkliche Familie wieder allein war, forſchte Wilhelm nach der Urſache, um welcher willen der viel verſprechende Prozes ſo unverhofft verloren ging. Der Rittmeiſter erzaͤhlte nun, daß bei der Auktion, welche man uͤber ſeines entflohnen Va⸗ ters Sachen veranſtaltet hatte, ungluͤklicher weiſe einige Briefe dem Vertreter der Konkursmaſſe in die Haͤnde gefallen waͤren. Unter dieſen Briefen befand ſich eine Vollmacht des Rittmeiſters, wel⸗ che er bei ſeiner Großiaͤhrigkeit auf Verlangen des Vaters ausgeſtellt hatte, damit dieſer die Hi⸗ 174 Hipothek, mit welcher fein muͤtterliches Vermoͤ⸗ gen zum Beſten des Waiſen gerichtlich verſichert war, loͤſen, und nicht mehr gehalten ſein ſolle, daruͤber, wie ehemals Rechnung zu legen, ſon⸗ dern alles nach eignem Wohlgefallen zu verwen⸗ den. Der Vater hatte dieſe Vollmacht wahrſchein⸗ lich deswegen verlangt, um dadurch das Gericht zu hindern, feinen ſchon ſchwankenden Kaſſeſtand zu unterſuchen, aber ſicher auch um deswillen kei⸗ nen Gebrauch davon gemacht, weil man, da der Sohn als großiaͤhrig anerkannt war, keine Rech⸗ nung mehr forderte. Izt lies der Vertreter des ganzen Vermoͤgens dies Inſtrument ſogleich in die Handlungsbuͤcher eintragen, die Hipothek, des Rittmeiſters Vorrecht verlor dadurch alle Kraft, und der Prozes ging in dem Augenblikke, als er gewonnen werden ſollte, ohne Rettung ver⸗ loren. Der Rittmeiſter muſte noch alle ſeine Koſt⸗ barkeiten verkaufen, um die Koſten zu zahlen, behielte kaum die hoͤchſtnoͤthige Kleidung, und das unentbehrliche Reiſegeld. ’ Wilhelm ging bald hernach mit dem Ritt⸗ meiſter nach der Hauptſtadt, damit dieſer dort ſeine Kauzion erheben koͤnne. Bleich und zit⸗ ternd trat der leztere zu ſeinem Schwiegervater ins Zimmer, als ihm beim Kriegskollegium die Nachricht ward, daß der Staat, weil der befuͤrch⸗ te⸗ 175 tete Krieg wuͤrklich ausgebrochen war, keine Gel der bis zum hoffenden Frieden ruͤkzahle. Hart war dieſer neue, und unvermuthete Schlag, aber Wilhelm muſte, oder wuſte ſich wenigſtens zu faſſen. Er ging aus, kam mit verſtellter Freude zuruͤk, und erzaͤhlte dem trauernden Rittmeiſter, daß ſein alter Freund die Umſtaͤnde beherzigt, und mit der Zahlung ſo lange zu warten verſprochen haͤtte. Ehe ſie abreiſten, fand der Rittmeiſter verſchiedne Freunde wieder, ſie forſchten nach der Urſache feines Abſchiedes, und riethen ihm eins ſtimmig, dem Monarchen eine Bittſchrift um eine neue Anſtellung einzureichen. Der Rittmeiſter wollte der alsdann wieder erforderlichen Kauzion wegen dieſen Rath nicht Folge leiſten, als man ihn aber verſicherte, daß ein bereits Verheura—⸗ theter, wenn er in Dienſten trete, keiner Kauzion bedürfe , nur im Namen feines Weibes allem Auſpruche auf Penſton entſagen muͤſſe, fo ward ihm der Rath weit angenehmer, weil er lieber im Vaterlande ſeines Weibes dienen, mit ihr nicht ſo entfernt von ihren Eltern leben wollte, und hier ein offnes Feld ſah, ſich durch Tapfer⸗ keit bald empor zu ſchwingen. Er entdekte ſeine Meinung dem Vater, und dieſer billigte ſie ganz. Lezterer ging ſelbſt mit ſeinem Schwiegerſohne zum Monarchen, ruͤhrte ſein 176 fein edles Herz durch die Erzählung des Schikſals ſeines Sohnes, und erhielte das ſichere Verſpre⸗ chen, daß der Monarch ihn naͤchſtens wieder an⸗ ſtellen werde. Beide kehrten nun froh und munter nach Hauſe, Wilhelm verſchlos ſeinen nagenden Kum⸗ mer im Innern, und ſuchte ſich mit zu freuen, wenn die uͤbrigen alle ſich wuͤrklich freuten. Ehe noch Wilhelm ſeine gewoͤhnliche Reiſe nach der Hauptſtadt wieder beginnen muſte, langte die un⸗ erwartete, aber auch freudenvolle Nachricht in feiner Heimath an, daß der Monarch den verabs ſchiedeten Rittmeiſter aus Ruͤkſicht der angefuͤhr⸗ ten Umſtaͤnde, und vorzuͤglich als eine Belohnung, fuͤr die dem Staate ſo viele Jahre treu geleiſteten Dienſte ſeines wuͤrdigen Schwiegervaters, zum Maior bei dem neuerrichteten Freikorps, mit der weitern Verſicherung zu ernennen geruht habe, daß er mit Vorbehalt eines möglichen Avanze⸗ ments bei erfolgendem Frieden wieder als Ritt⸗ meiſter in fein ehemaliges Negiment eintreten Tonne. Wilhelms Ehrgeiz fand in dieſen gnaden⸗ vollen Ausdruͤkken Nahrung in Menge, er war ſchwach genug, das Dekret der ganzen Stadt kund zu machen. Er vergas die mögliche Gefahr, wel⸗ che 177 che ihm täglich drohte, er hoffte izt weit ficherer, daß ſie entfernt ſei, weil die Ausdruͤkke des Mo⸗ narchen ihn fuͤr iede Unterſuchung ſchuͤzten, er immer die noͤthigen Vorſchuͤſſe erhielt, und auf dieſe Art ruhig das Ende ſeines Kummers ab⸗ warten konnte, welches ſeiner Meinung nach doch in einigen Jahren nahen muͤſſe. Er bat Gott inbruͤnſtig um Geſundheit, damit der Tod ihn nicht uͤbereilen, Schande und Spott uͤber ſein Grab und ſeine arme Familie bringen moͤge. | Wie er wieder frohen Muths nach der Haupt⸗ ſtadt kam, hoͤrte er ſogleich, daß einer der uͤbri⸗ gen Steuerkaſſirer vieles Geld unterſchlagen, und ſich mit einer noch groͤſſern Summe gefluͤchtet ha⸗ be. Der Monarch hatte geboten, die Sache und vorzuͤglich: Wies moͤglich ſei, daß der Entflohne ſo lange einen ſo namhaften Reſt verbergen konn⸗ te? ſtreng zu unterſuchen. Man ſprach daher all⸗ gemein von einer ſtrengen Unterſuchung, die dem Steuerweſen drohe. Dieſe Nachricht machte ihn beben, ſchlug aber ſeinen Muth nicht ganz nie⸗ der, weil er immer noch eine Ausnahme zu vers dienen hoffte. Wie er aber zur Hauptkaſſe kam, dort das nemliche, und noch obendrein hoͤrte, daß ſchon im kuͤnftigen Monate zur Verhuͤtung alles moͤglichen Unterſchleifs eine ganz neue, allgemei⸗ a IR ne 178 ne Einrichtung erfolgen würde, da ſank fein Muth, da fuͤhlte er, daß er veelssen ſei. Er verſuchte es ſogleich, die fehlende Sum⸗ me, wo moͤglich wieder bei den Juden auszubor⸗ gen, da aber dieſen die Geſchichte des Entflohnen ebenfalls bekannt war, fie. vielleicht bei Wilhel⸗ men ein aͤhnliches ahndeten, ſo entſchuldigten ſich alle, und er muſte hoffnungslos nach Hauſe rei⸗ ſen. Ob er gleich ſorgfaͤltig zu ſchweigen beſchloſ⸗ fen hatte, ſich nach Möglichkeit verſtellte, fo fiel ſein tiefſinniges Betragen, ſeine Schlafloſigkeit der izt ſo freudenvollen Familie dennoch auf. Sein treues Weib forderte deswegen oft reines Bekennt⸗ nis von ihm, aber er ſchwieg, weil er allzu ge⸗ wis voraus ſah, daß dieſe ſchrekliche Nachricht ſie toͤdten muͤſſe. Der Rittmeiſter muſte einige Tage nachher zu ſeinem Korps abreiſen, Wilhelm nahm dieſe bevorſtehende Trennung zur Urſache feiner Traurigkeit, und wuͤrklich koſtete ſie ihm unzaͤh⸗ liche Thraͤnen. Er nahm mit der gewiſſen Ueber⸗ zeugung, daß er ihn nie wieder ſehen würde, Ab⸗ ſchied von ihm. Er ſprach mit groͤſter Ruͤhrung, empfahl ihm, wenn er etwann bald ſterben ſollte, ſein armes Weib zur treuen Fuͤrſorge, und verſi⸗ cherte ihn, daß er ienſeits mit ihm rechten wuͤrde, wenn er ſie hier darben laſſe. Die | 179 Die Abreiſe des Rittmeiſters verbreitete neue Trauer im Hauſe, iedes ſas ſchweigend und kummervoll, keines fragte das andre mehr: Wa— rum es weine und traure ? Ehe noch die Unterz einnehmer bei Wilhelmen mit ihren Geldern ers ſchienen, langte die Verordnung des Monarchen an, daß ieder dieſer Einnehmer in Zukunft ver⸗ bunden ſein ſolle: Die Quittung, welche er vom Steuerkaſſierer wie gewoͤhnlich erhalten muſte, bei der in ieder Stadt gegenwaͤrtigen politiſchen Stelle vorzuzeigen, damit dieſe die Summe, welche be⸗ zahlt wurde, in ein Buch eintragen koͤnne, und fo im Stand geſezt werde, ieden Steuerkaffierer, wenn er zur Hauptkaſſe reife, ein Zeugniß mit zu geben, daß dieſer den Monat nur ſo viel einge⸗ nommen habe, und folglich auch eben ſo viel ab⸗ fuͤhren muͤſſe. Dieſe Verordnung, welche ſogleich allen Un tereinnehmern bekannt gemacht wurde, vernichtete Wilhelms lezte Hoffnung, er ward nun uͤberzeugt, daß ſein Reſt ſchon dieſen Monat entdekt werden muͤſſe, er ging gleich einem Traͤumenden umher, ſuchte Rettung zu ergruͤnden, und fand keine. Er berechnete oft die Tage, welche er noch im Schooſe ſeiner Familie durchleben koͤnne, und fand , daß ihre Zahl aͤuſſerſt kurz ſei. Oft er⸗ griff der Vorſaz, zu fliehen, oder ſich ſelbſt zu M 2 mor⸗ 180 morden, ſeine Seele, aber der Gedanke, daß vielleicht noch Rettung erſcheinen koͤnne, kaͤmpfte immer mit ienem, und vernichtete ihn. Endlich erſchienen die Tage, in welchen ſeine Unterein⸗ nehmer ihre monatliche Einnahme an ihn abfuͤh⸗ ren muſten, die meiſten brachten diesmal leere Quittungen uͤber den geleiſteten Vorſchuß, und bedauerten herzlich, daß ſie izt gezwungen waͤ⸗ ren, wieder teden Monat die beſchwerliche Reiſe zu machen. Wilhelm ſah ein, daß er alle dieie⸗ nigen, welche mehr als einen Monat voraus be⸗ zahlt hatten, mit ungluͤklich machen wuͤrde, er war daher ſo gewiſſenhaft ihnen den Vorſchuß von dem baar eingehenden Gelde unter dem Vor⸗ wande zuruͤkzuzahlen, daß er bei ſo ſcharfer Ver⸗ ordnung und moͤglichen Unterſuchung keinen Ue⸗ berſchuß in ſeiner Kaſſe dulden koͤnne. Wie er am Ende ſeiner Einnahme ſein Geld zuſammen rechnete, fand er, daß er zehntauſend fuͤnfhun⸗ dert Gulden weniger in ſeiner Kaſſe habe, als er dieſen Monat zur Hauptkaſſe abfuͤhren ſollte. Er ſah izt erſt mit Erſtaunen, daß ſein Reſt ſich unwiſſend um fuͤnfhundert Gulden vermehrt ha⸗ be, aber er erinnerte ſich auch, daß er in den Stunden des Kummers oft zur anvertrauten Kaſſe ſeine Zuflucht genommen hatte, wenn irgend ie⸗ mand eine Bezahlung von ihm forderte, die er ſonſt nicht ſo ſchnell befriedigt haͤtte, wenn er | es 181 es in ſeinen Umſtaͤnden nicht fuͤr unumgaͤnglich noͤthig gehalten haͤtte, um ia keinen Verdacht zu erregen, bei allen Leuten feſten Kredit zu erhal: ten. Auch hatten die vielen Reiſen, ſelbſt die Begierde, ſich durch kleine Gaſtereien zu zerſtreu⸗ en, ſeine Ausgaben um vieles vermehrt. Ich achte es fuͤr beſondere Pflicht, dieſen gering ſchei⸗ nenden Umſtand deswegen ſo deutlich zu erzaͤhlen, weil ich meine Leſer zu uͤberzeugen wuͤnſchte, daß derienige, welcher einmal ein Verbrechen begeht, gleichſam unwiderſtehlich gezwungen wird, weit mehrere auszuuͤben, um das erſtere damit vor den ſcharfſichtigen Augen der Welt zu verbergen. Wil⸗ Helms feſter Vorſaz wars, feinen Reſt durch ſpar⸗ ſame Wirthſchaft zu verringern; aber der Gedan⸗ ke, daß die Leute über dieſe ungewoͤhnliche Spar— ſamkeit nachdenken koͤnnten, verleitete ihn oft zur kleinen Verſchwendung. Sonſt nahm er ſeine vierteliaͤhrige Beſoldung gewiſſenhaft aus der Kaſſe, und dekte dieſe mit der erforderlichen Quittung, izt lies er die erſtere zur Verminde— rung ſeines Reſtes immer in der Kaſſe liegen, nahm aber nach und nach mehr heraus, als er nehmen ſollte. Seine Gewohnheit und Liebe zur Richtigkeit und Ordnung mahnte ihn oft zur eig⸗ nen Unterſuchung, aber er wollte ſich den Gedan— ken, daß er wuͤrklich ſpare, und ſeinen Reſt min⸗ de⸗ 182 a (ET EEE ERLTEEEEHUENT EEE „ dere, nicht rauben, und zaͤhlte nicht nach. Ach, es iſt ſo leicht zu verdammen, aber aͤuſſerſt ſchwer, ſich aufrecht zu erhalten, wenn man einmal ge⸗ ſtrauchelt hat! Man haſcht nach ſchwachen Stuͤz⸗ zen umher, ergreift ieden Strohhalm, ſinkt im⸗ mer tiefer, und ſtuͤrzt endlich ohne Rettung zu Boden. Huͤtet euch vor dem erſten Fehltritte, denn die übrigen ſtehn nicht in eurer Willkuͤhr, Furcht, Angſt und falſche Schaam zwingt euch, fie zu thun, und euer Ungluͤk zu vergroͤſſern! Pruͤft dieſen wahrheitsvollen Gedanken in iedem Falle, und haͤlt er nur einmal 11 ganz Probe. io ſtraft mich Lügen! Der Tag, an welchem Wilhelm nach der Hauptſtadt reiſen ſollte, erſchien. Er zitterte und bebte, als er von ſeinem Weibe, Kinde und En⸗ kel Abſchied nehmen ſollte, aber der feſte Vorſaz, ihnen wenigſtens noch einige Tage den ſchrekli⸗ chen Kummer zu erſparen, hielt ihn im fuͤrchter⸗ lichen Kampfe aufrecht. Er ſchied ohne Thraͤnen, aber ſie floſſen unwillkuͤhrlich, wie er bei einem Spiegel voruͤberging, und ſeine grauen Haare darinne erblikte. Der Gedanke, daß ſie in Eh⸗ ren ergrauten, und izt, mit Schande bedekt, in die Grube fahren ſollten, uͤberwaͤltigte ſeine Stand⸗ haftigkeit, er ſchluchzte laut, und eilte fort, um ſeinen Zuffand vor den Seinigen zu verbergen» Um 183 Um die natürliche Leichtigkeit ſeiner Kaffe dem Fuhrmanne und Trägern zu verbergen, hatte er einen Theil derſelben in der Nacht mit Steis nen gefuͤllt, fie war dadurch ſchwerer als ges woͤhnlich geworden, und er muſte lange im Wa⸗ gen harren, ehe man ſie nachtrug, und aufpakte. Er wagte es unter dieſer Zeit nicht, mehr empor zu blikken zum Weibe und Kinde, die am Fen⸗ ſter ſtanden, und ihn bald und geſund wieder zu ſehen wuͤnſchten. Wie er aber eine ſanfte Anhos he auſſer der Stadt hinaufuhr, da ſtand er ruͤk⸗ waͤrts im Wagen, und ſuchte mit ſehnſuchtsvol⸗ len Blikken ſeine Wohnung, die er nie mehr wie⸗ der zu ſehen hoffen konnte; denn ſein feſter, reif⸗ durchdachter Vorſaz war, das noch vorraͤthige Geld richtig abzufuͤhren, ſeinen Reſt gewiſſenhaft anzuzeigen, und dann ſelbſt ins Gefaͤngnis zu gehen. a Ehe er die Hauptſtadt erreichte, muſte er allemal in einem Wirthshauſe uͤbernachten, er aß und trank aͤuſſerſt wenig, und da er ſein Zimmer grade uͤber des Wirthskammer hatte, hoͤrte ihn dieſer die meiſte Zeit der Nacht im Zimmer auf⸗ und abgehen. Wilhelm hatte dem Fuhrmanne geboten, noch vor Tages Anbruch anzuſpannen; fruͤh trat dieſer in ſein Zimmer, und erzaͤhlte ihm, daß es im Walde welchen ſie durchfahren 5 an | mus 184 muſten, nicht ficher fei, indem man erſt vor zwei Tagen einen Viehhaͤndler in dieſem uͤberfallen, und nach der Verſicherung des Wirths all ſein Geld geraubt habe; er bat daher Wilhelmen, nicht ſo fruͤh auszufahren, und ſeine Piſtolen zu laden. Wilhelm bewilligte ſogleich das erſtere, und verſicherte ihn, daß ſeine Piſtolen wie ge⸗ woͤhnlich geladen waͤren. Als er nachher in den Wagen ſtieg, ſchuͤttete er in Gegenwart des Wirths Pulver auf die Pfanne, und nahm mit duͤſtrer Miene Abſchied. Bald hernach erreich⸗ ten ſie den Wald. Wilhelm fragte ſeinen Fuhr⸗ mann: Wie alt er ſei? Ob er Weib und Kinder habe? Der Fuhrmann antwortete, daß er zwei und ſechzig Jahr alt ſei, ſein Weib mit ihren zwei Kindern ſchon voran geſchikt habe, und nun auch bald zu folgen hoffe. Wilhelm ſeufzte tief, und frach nicht mehr. In der Mitte des Walz des ſtellte er ſich im Wagen aufrecht, das Ge⸗ raͤuſch, welches er verurſachte, bewog den Fuhr⸗ mann ruͤkzublikken, er ſah eine Piſtole in ſeiner Hand. Ehe er noch fragen konnte: Was dies be⸗ deuten ſollte? hoͤrte er einen Knall, die Kugel durchdrang ſeinen Ruͤkken, er ſank ſinnlos vom Wagen herab. Der ungluͤkliche Wilhelm war ſein Moͤrder; die Erzaͤhlung des Fuhrmanns hat⸗ te ihm zu dieſem ſchreklichen Rettungsmittel ver⸗ leitet, ſein vorher gefaßter Entſchluß war ſchnell ver⸗ 185 verſchwunden, als er eine Moͤglichkeit ſah, durch welche er ſich fuͤr Spott und Schande retten konnte. Schreklich war ihm Anfangs der Ge— danke des Mords, welchen er natuͤrlich, um Entdekkung zu verhindern, und fein neues Vor— haben auszufuͤhren, an dem Fuhrmanne uͤben muſte, aber noch ſchreklicher war ihm die Ge— wisheit, daß er ſicher ſein Leben ohne dieſen Mord am Galgen enden, und feine ganze Fami— lie ungluͤklich machen muͤſſe. Seinem eignen Ge— ſtaͤndniſſe nach, war das erhaltne Lob des Mo— narchen ſelbſt ein Reiz zu dieſer ſchaudervollen That. Es duͤnkte ihm ſchreklicher, izt als ein Verbrecher vor ihm zu erſcheinen, er glaubte ſo— gar, daß die Entdekkung ſeines Reſtes, und das Geſtaͤndnis, welches er ihm beizufügen gezwun— gen waͤre, ſeinem Schwiegerſohne ſchaden, und wenigſtens ſeine Entlaſſung befoͤrdern wuͤrde. Kurz zu ſein: Das erſte Verbrechen ward mit der Hoffnung vollbracht, daß es nicht entdekt werden wuͤrde, das zweite begann mit eben dies ſer, ward raſch und ſchnell ausgefuͤhrt, weil es das einzige ſchien, welches noch retten koͤnne. Wie der Fuhrmann vom Wagen herabſank, ſprang Wilhelm raſch heraus, ergriff die Hakke, welche der erſtere zum moͤglichen Gebrauche mit ſich führte, und erbrach damit den Kaſten, in N wel⸗ 186 welchem das Geld lag; er warf die Steine | heraus, trug einige Geldſaͤkke nach einem hoh⸗ len Baume, ris einen derſelben auf, und ver⸗ ſtreute einiges Geld im Wagen und auf dem We⸗ ge. Nachher durchſchoß er mit der zweiten Pi⸗ | ſtole den Theil des Wagens in welchem er fag, und verwundete ſich mit einem ſcharfen Meſſer die linke Hand, welche ſtark blutete. Dieſe vor⸗ ſezlichen Handlungen wurden in raſcher Eile von ihm verrichtet, fie folgten einander aͤuſſerſt ſchnell, und waren in einer halben Viertelſtunde vollbracht. Er eilte alsdann ſogleich ruͤkwaͤrts, langte matt und kraftlos im Wirthshauſe an, welches er kurz vorher verlaſſen hatte. Hier erzaͤhlte er, daß er im Wagen eben ſanft gefchlafen habe, als er durch einen Schuß ſei aufgewekt worden. Er ſprang, ſeiner weitern Erzaͤhlung nach, erſchrok⸗ ken auf, ſah den Kutſcher vom Wagen herabſin⸗ ken, wollte ihm beiſtehen, und hörte noch meh⸗ rere Schuͤſſe, wovon einer derſelben dicht neben ihm ſeinen Wagen durchloͤcherte, er griff izt nach ſeinen Piſtolen, aber gegen zehn bis zwoͤlf Raͤu⸗ ber drangen auf ihn ein, riſſen ihm ſolche aus der Hand, einer derſelben hieb nach ihm, und berwundete ſeine ausgeſtrekte, linke Hand. Ein Schlag, den er uͤber das Haupt erhielt, betaͤubte eu, er ſank zu Boden, und erholte ſich erſt dann 9 5 dus 187 aus feiner Ohnmacht, als die Räuber feine Kaffe ſchon gelcert, und fih entfernt hatten. Er flehte, daß man ſeine Hand verbinden, uͤber ſein Haupt Umſchlaͤge machen, vor allen aber das Gerichte herbei rufen möge, damit dies ſes ſich nach dem Walde verfuͤgen, die Spezies Fakti aufnehmen, und ihn dadurch fuͤr ieder moglichen Verantwortung ſchuͤzzen möge. Der Wirth eilte nach dieſem und dem Wundarzte. Eben wie dieſer feinen Verband geendet, die Wande an der Hand nicht gefaͤhrlich, die Verle⸗ zung am Haupte kaum ſichtbar gefunden hatte, und das verſammlete Gerichte naͤhern Unterricht zur noͤthigen Unterſuchung heiſchte, hielt ein Baus ernivagen vor der Thuͤre ſtille. Einige Reiſende ſtiegen herab, und trugen in ihrer Mitte einen erwundeten, welchen der Wirth ſogleich fuͤr Wilhelms Fuhrmann erkannte, und mit vieler Theilnahme bewillkommte. Er lebte, athmete und ſprach, Wilhelm ſah und hoͤrte es. Des Verwundeten Stimme donnerte in ſeinen Ohren, er ſank ſprachlos zu Boden. Wie er wieder ers wachte, umgab ihn das Gericht, und forſchte: Ob des Fuhrmanns ſchrekliche Ausſage Wahrheit enthalte? Ich wollte, rief er aus, meine uns: gluͤkliche Familie, vor Schande und Spott retten, ich habe ihn izt tauſendfach vermehrt. Gottes | SGe⸗ 188 Gericht iſt gerecht, ſeine Wege ſind unerforſch⸗ lich, ich will — ich kann ihm nicht widerſtreben! Ich bin ein Moͤrder. Er bekannte ſogleich alles, und ward in Ketten nach der Haͤuptſtadt gefuͤhrt! Wilhelms raſcher, aber auch ſchreklicher Entſchluß war zwar wohl uͤberlegt, aber nicht mit der kal⸗ ten Vorſicht und Klugheit eines vorſezlichen Moͤr— ders ausgefuͤhrt worden, er ſah den Kutſcher vom Wagen herabſinken, achtete ihn fuͤr tod, und un⸗ terſuchte nicht: Ob er es wuͤrklich ſei? Die un⸗ gluͤkliche Kugel, welche er auf ihn abdruͤkte, hatte einen ledernen, dikken Guͤrtel getroffen, welchen Leute dieſer Gattung gewoͤhnlich um den Leib tra⸗ gen, ihre Kraft war dadurch ſehr vermindert worden, ſie blieb neben dem Ruͤkgrade im Fleiſche ſizzen. Ihre Wunde ſchmerzte ſogar dem Kutſcher wenig, er behielte Kraft zu ſehen und zu hoͤren, aber die gerechte Furcht, ganz getoͤdet zu werden, bewog ihn zur Verſtellung, er ruͤhrte ſich nicht, er athmete nicht, ſo lange Wilhelm gegenwaͤrtig war. Erſt als er dieſen weit von ſich entfernt ſah, wollte er aufſtehen, vermochte es aber nicht, und muſte liegen, bis einige Bauern, welche die Straſſe reiſten, ihn fanden, und mit nach dem Wirthshauſe nahmen. Als fie vom Kutſcher ver⸗ nahmen, daß das umher verſtreute Geld dem Landesfuͤrſten angehoͤre, ſtellten ſie einige aus ihnen zur Wache hin, und wagten es nicht, die Kutſche, 5 189 utſche mit fih zu nehmen. Erſt das Gericht erhob das Geld und die uͤbrigen Sachen. Die Treue der wachehaltenden Bauern beſtaͤtigte ſich vollkommen, da nach Wilhelms eigner Ausſage bei Ueberzaͤhlung des Geldes kein Groſchen fehlte. Der verwundete Kutſcher ward dem anweſenden Wundarzt uͤbergeben, dieſer verſuchte es, die Kugel aus dem Fleiſche herauszuſchneiden, aber der Kutſcher ſtarb, ehe er dieſe Operation vollen⸗ den konnte. Das daruͤber ausgeſtellte Viſum repertum bewies nun ganz natuͤrlich, daß die Wunde vollkommen toͤdlich war, und machte Wilhelmen zum vollendeten Moͤrder. Wie ſein Verhoͤr begann, ruͤhrte er durch die offne Erzaͤhlung ſeines ganzen, ungluͤklichen Schikſals die Herzen der Richter, ſie weihten ihm oft aͤchte Thraͤnen des Mitleids. Er ſuchte feinen Mord nicht zu entſchuldigen, er geſtand, daß er vorſezlich war, aber er bekannte auch eben ſo offen, daß er bis izt noch nicht begreifen koͤn⸗ ne, wie er ihn auszufuͤhren faͤhig war. Sein Herz hatte dieſen Gedanken vorher nie gedacht, wie ihm aber der arme Fuhrmann die Geſchichte des geſchehnen Raubs erzaͤhlte, da durchzitterte der Wunſch, daß ihm doch ein aͤhnliches wieder⸗ fahren moͤge, feine Seele, und kettete ſich feſt an ſie. Er konnte von dieſem Augenblikke an, nichts 190 nichts anders denken, er achtete es für das eins zige Rettungsmittel, und bruͤtete uͤber die moͤgli⸗ che Ausfuͤhrung. Schon, wie ſie den Wald er⸗ reicht hatten, ſah er ein, daß der Kutſcher ein Opfer ſeiner Rettung werden muͤſſe, und die Ant⸗ wort des Ungluͤklichen, daß er weder Weib noch Kinder habe, beſtaͤrkte ihn in ſeinem Vorſazze. Der Drang nach Rettung ris ihn bald hernach unwillkuͤhrlich in die Hoͤhe, die That ward in dieſem Augenblikke vollendet, und die ungluͤkli⸗ che Begierde nach Rettung dauerte fort. Die Richter verurtheilten ihn nach den Ge⸗ ſezzen zum Rade, der Landesfuͤrſt forderte die Akten, und milderte dies ſchrekliche Urtheil. Er ward mit dem Schwerdte hingerichtet. Viele Tau⸗ ſende begleiteten ihn zum Tode. Ob es wohl auch unter dieſen Tauſenden einige gab, die uͤberlegten und bedachten, daß fie — hätte fie gleiches Schik⸗ ſal betroffen — auch an diefer Stätte bluten wuͤr⸗ den 2 Wilhelm ging ſtandhaft zum Tode, nur ei⸗ nigemal ergrif er ſein langes, graues Haar, blikte mit Ruͤhrung darauf, und warf es unwillig hin⸗ ter ſich. Der guͤtige Monarch ſchenkte ſeiner ungluͤk⸗ chen Familie den ganzen Kaſſareſt, und befahl die Kauzion ohne Abzug auszuzahlen, aber die Un⸗ n.. — 191 Ungluͤklichen waren unfaͤhig, dieſe Gnade zu ge⸗ nuͤſſen. Der Maior erfuhr eben die ſchrekliche Nachricht, als er tapfer mit dem Feinde gefochten hatte, und ſiegreich in ſein Zelt zuruͤkkehrte. Eine halbe Stunde hernach hoͤrte man in dieſem einen Schuß, der Ungluͤkliche lag roͤchelnd am Boden, ein offner Brief, welcher die traurige Geſchichte enthielt, lag auf dem Tiſche, und verkuͤndigte die Urſache ſeines Selbſtmordes. Die alte Mut⸗ ter traf bei der erſten Nachricht der Schlag, und die ungluͤkliche Tochter verſchwand mit ihrem Kin⸗ de aus dem Hauſe, aus der ganzen Gegend. Nie- mand ſah, niemand hoͤrte mehr etwas von ihr. Wilhelm ſas drei Monden lang im Gefaͤng⸗ niſſe, und fragte nie nach ſeiner Familie. Nur als der Prieſter ihn ſchon beſuchte, und zum na⸗ hen Todeskampfe vorbereitete, ſagte er: Gern wuͤnſchte ich zu wiſſen, wie es den Ungluͤklichen ergehen mag, die meinem Herzen ſo nahe ſind, aber ich will, ich mag nicht fragen, ich fuͤrchte ſchrekliche Dinge zu hoͤren. Dort hoffe ich ſie wieder zu ſehen! Dies bitte ich ihnen zu ſagen, wenn ich ſie dort noch nicht treffen ſollte. \ P 5 \ 5 * CFC ERBETEN RETTET 8 2 n 3 en en m a he de e e eee x * 1 2 me Re 8 * een = dds 0 arte — Fee » & n „ 1 » * 5 2 en 7 S — LT 1 KENNE = = 2 = = = = = = = = — = = = 7 LE 7 wor 7 N Sim, I ale Surshs Die Sal blen de hl S eissächer 125 Nummer on 5 Kdt Wee Srif. Fe i Ss FFV BB Ss ea, and Lei hig N , / er Huser 7 Fr . ul be. , 0 2 ee A — . —˖ö˙%[᷑̃¶˖ĩᷣ[ᷣ] ee . Dritte Wanderung. Wes ſind die Menſchen? Ein Spiel, ein Ball des Gluͤks und Ungluͤks. Jenes wirft ſie oft un⸗ verdient in die Hoͤhe, dieſes ſchleudert ſie oft oh⸗ ne BVerſchulden in den ſchreklichſ ten Abgrund. Wir drehen und winden uns, um das erſtere zu er⸗ haſchen , um dem leztern auszuweichen. Jeder Glanz taͤuſcht unſer Auge, iede finſtere Wolke ſchrekt es zuruͤk. Wir ſpielen als Knabe und Juͤngling, als Mann und Greis! Erſt auf dem Todenbette wirds helle, und wir fehen zu ſpaͤt ein, daß wir nur mit Seifenblaſen der Einbil⸗ dungskraft ſpielten, und des Diamantes nicht achteten, der in den uͤbrigen Kraͤften der Seele verborgen lag. Kurz ſind die Tage des Lebens, und doch vertaͤndeln wir ſie im ſorgloſen Genuſſe, oder verwimmern fie unthaͤtig im Gemache des Jammers! Wenige achten, Wenige genüffen fie weiſe! Der Abend naht, und wir entſchlummern ohne Verdienſt, ohne Nachklang des aͤchten Ruhms Beiſpiele, ſagt man, ſind lehrreich und warnend, ich glaube s nicht, denn ſonſt wuͤrden Menſchen, A de⸗ 5 Br denen eine göttliche Eigenſchaft, die Vernunft, zu Theil ward, nicht in zahlloſer Menge nach ei⸗ ner Felſenſpitze emporklettern , auf der immer nur einer ſtehen, und von dem Nachfolgenden in den ſchreklichſten Abgrund geſtuͤrzt wird. Sie fe heu's und achten es nicht! Sie hoͤren's und wol⸗ len's nicht hoͤren! So taͤndelt und ſpielt euch dann in die Ewigkeit hinuͤber, deren Vorhang noch kein Sterblicher luͤftete, deren in noch kein Unſterblicher verrieth! Ich will fortfahren, euch De Spiegel der Thatenfolge vorzuhalten, und es ruhig abwarten: Obs nuͤtzen und fruchten wird? Es giebt eine gewiſſe Klaſſe der Menſchen, welche oft kuͤmmerlich am Verdienſte ihrer Vor— fahren nagen, und es fuͤr ſchimpflich achten, ſich durch eignes Verdienſt oder ihrer Haͤnde Arbeit zu ernaͤhren, ſie ſchmaruzen, und lekken lieber die Teller der Reichen, als daß ſi ſie daheim, ihr eignes Brod bauten, und es im frohen Gefuͤhle der Unabhaͤngigkeit verzehrten. Einer dieſer ſtol⸗ zen, aber hoͤchſt armen Edelleute war Friedrichs Vater. Seine uralte Familie beſaß einſt großen Reichthum und viele Guͤter; in ihren marmornen Saͤlen hingen die Bilder der kriegeriſchen Ahnen, die fuͤrs Vaterland ihr Blut vergoſſen hatten, N und EEE — 3 und dafuͤr reichlich waren belohnt worden. Die Nachkommen der Helden genoſſen dieſen Lohn in ſtolzer Ruhe, einige derſelben verſchwelgten ihn, und Friedrichs Vater erbte endlich nur einen klei⸗ nen Reſt dieſes Vermoͤgens, ein Guͤtchen, das ganz einem Bauernhofe glich, aber doch ein Edel⸗ ſitz genannt wurde, und auch die Vorrechte deſſel⸗ ben genoß. Wenn ein Haaſe ſich in ſeinem klei⸗ nen Aker lagerte, ſo konnte er ihn ungehindert ſchieſſen, und wenn der kleine Bach, der feine Wieſe bewaͤſſerte, nicht vertroknete, ſo konnte er das ganze Jahr hindurch die rechte des Schmer⸗ lenfangs darinne uͤben. Er konnte Bier brauen und Brandwein brennen, da aber von lange her zum erſtern die Pfanne, zum zweiten der Keſſel mangelte, ſo erzaͤhlte er iedem, daß er dies Recht aus oͤkonomiſchen Abſichten nicht übe In drei kleinen Huͤtten wohnten alle ſeine Unterthanen, uͤber welche er Gericht halten durfte, und die nach der Reihe ſeinen Jagdhund fuͤttern mußten, wenn er in der Nähe und Ferne ein Gelage witz terte, und auf ſeinem Leib- und Jagdroſſe dieſem Geruche entgegen zog. Sein Weib, an Ahnen ſo reich, an Vermoͤgen ſo arm als er, ſtarb, als ſie ihm den erſten Sohn gebahr. Dieſes Kind, welches Pflege und Wartung heiſchte, erregte in ihm den Bund zu einer zweiten Ehe, aber A 2 er 4 ae a u a a a er fand unter den vielen Fräulein des großen Landes kein einziges, welches ſein Kind warten, N und mit ihm in der kleinen Einoͤde hungern woll⸗ te. Da er der vielen Koͤrbe muͤde wurde, ſo ver⸗ käufte er feinen Jagdhund, und gebot feinen Uun⸗ terthanen, daß ſie an deſſen Stelle den jungen Herrn warten und ernähren ſollten. Die Erfin- dung gluͤkte, der Vater konnte ungehindert auf Gelagen umher reiten, und ſein Sohn gedeihte und wuchs in den Härten der Armen vortreflich. Die Natur hatte an den Knaben alle ihre Reitze verſchwendet, er war nicht allein ſchoͤn, ſondern er beſas auch groſſe Faͤhigkeit, alles leicht zu faſ⸗ ſen und zu begreifen; aber ſeine Erziehung wurde ganz vernachlaͤſſiget, niemand lehrte ihn das ge⸗ ringſte, niemand bildete ſein Herz, ſeine Seele; er war bis in ſein funfzehntes Jahr ſich ganz uͤber⸗ laſſen, konnte thun und machen was er wollte. Wie er dies Alter erreicht hatte, kleidete ihn der Vater fo anſtaͤndig, als es feine Armuth erlaub⸗ te, und nahm ihn mit nach einem Feſte, das in der Nachbarſchaft gegeben wurde. Die Schoͤn⸗ heit des werdenden Juͤnglings fiel jedem auf, ſeine Dreuſtigkeit, mit welcher er ieden fremden Gegenſtand anſtarrte, unterhielt, und ſeine albern, oft auch naiven Fragen erregten das laute Ge⸗ laͤchter der zahlreichen Geſellſchaft. Sein Vater 5 f ; be⸗ 5 beſas die Eitelkeit, fein Guͤtchen um einige hun⸗ dertmal zu vergroͤſſern. Er nannte einige Birken, welche hinter ſeinem Hofe gruͤnten, einen Forſt, und die kleine Viehſchwemme einen groſſen Teich. Alle lachten von jeher daruͤber, aber alle lachten diesmal hundertmal ſtaͤrker, weil Friedrich ge⸗ rade zu dem prahlenden Vater widerſprach, und ihn oͤffentlich Luͤgen ſtrafte. Einer alten, ſehr reichen, aber kinderloſen Dame behagte dieſe Un⸗ terhaltung beſonders, ſie bat den Vater, ihr die Geſellſchaft des luſtigen Jungens noch laͤnger zu goͤnnen, und dieſer war herzlich froh, daß er ihn von ſich entfernen konnte. Sie nahm ihn mit nach ihrem Schloſſe, wo er bald ihr Liebling wur⸗ de, und nach Gefallen umher ſchlendern konnte. Ein alter, ehrwuͤrdiger Geiſtlicher, welcher die beſondern Fähigkeiten des Juͤnglings entdeckte, und herzlich bedauerte, daß er fo verwildern ſoll⸗ te, ſprach ernſtlich mit der gnaͤdigen Frau. Sie ſah die Wichtigkeit ſeiner Gruͤnde ein, beſchloß wahre Mutterſtelle an dem armen Knaben zu ver⸗ treten, und ſande ihn in die Hauptſtadt auf eine Ritterakademie, wo er auf ihre Koſten alle des Adels wuͤrdige Kuͤnſte und Wiſſenſchaften lernen ſollte. Man ſande ihn zuruͤk, weil der funfzeh n⸗ iaͤhrige iunge Herr das A, B, C nicht kannte, das Vater unſer nicht beten konnte, aber fie ver⸗ ſprach, 6 — ſprach, einen eignen Hofmeifter für ihn zu beob⸗ len, und er ward aufgenommen. Anfangs lauteten die Nachrichten, welche ſie uͤber ſeine Auffuͤhrung erhielt, gar nicht troͤſt⸗ lich, der Direktor der Akademie drohte ſogar, wenn die letzten Verſuche nicht gelingen wuͤrden, den unbaͤndigen Wildfang ruͤkzuſenden. Bald her⸗ nach wurde ſein Tadel ſeltner, und am Ende des Jahrs geſtand er offenherzig, daß er unter allen feinen Schuͤlern keinen fo leicht faſſenden und fäs higen Kopf beſaͤſſe; er bat ſo gar, daß man die⸗ fern hofnungsvollen Herrn den Studien widmen follte, und verſicherte hoch und theuer, daß er einſt ein ſehr beruͤhmter Staatsmann und Mini⸗ ſter werden wuͤrde. Der Stolz der alten Frau fand in dieſer Verſicherung Nahrung, ſie ertheil⸗ te dem Direktor die Erlaubniß dazu, und forder⸗ te ieden Monat Bericht uͤber den Fortgang, wel⸗ chen Friedrich in ſeinen Studien machen wuͤrde. Sie enthielten ſtets das groͤßte Lob des fleißigen Juͤnglings, fie erſtaunte in der Folge oft uͤber die ſchoͤnen, dankbaren Briefe, welche Frirdrich ihr ſchrieb, und konnte, als drei Jahre ſeiner Abweſenheit verfloſſen waren, den Wunſch nicht unterdruͤken, ihren Liebling nach ſo langer Zeit einmal wieder zu ſehen. Er kam, er ſprach und e die 2 die geruͤhrte Alte vergoß Thraͤnen der Freude. Sie hatte viel, aber ſo viel doch nicht erwartet. Der rohe, wilde Knabe war ein herrlicher, ſittſamer, gefuͤhlvoller Juͤngling geworden, der den groſſen Werth ihrer Wohlthat erkannte, und ihr mit Wor⸗ ten dankte, die tief in das Herz der Alten dran⸗ gen. Seine natuͤrliche Schoͤnheit wurde durch ſein beſcheidnes Betragen, durch eine ſo leicht ſcheinende, und doch ſo ſchwere, ungezwungene, aber nicht freie Art um ein groſſes erhoͤht. Die entzuͤkte Alte druͤkte ihn oft an ihr Herz, und rief aus: Ich waͤre ganz gluͤklich, wenn ich ei⸗ nen ſolchen Sohn haͤtte! — Kann innige Dank: barkeit, antwortete Friedrich, mich dieſes ſchoͤnen Namens wuͤrdig machen, ſo bin ich wuͤrklich ihr Sohn. Du biſts! Du biſts! endete dann die Alte, und der Erbe all meines Vermoͤgens! Selbſt der Vater kannte, zur größten Freu⸗ de ſeiner Pflegmutter, ſeinen Sohn nicht mehr, und achtete es fuͤr gewohnten Scherz, wie ihn der Juͤngling mit Thraͤnen im Auge als Vater gruͤß⸗ te. Aehnlich ſieht der iunge Herr ihm ſchon, ſag⸗ te der Vater lachend, aber mein Bube muͤßte ganz aus der Art ſchlagen, wenn ein ſo ſchmuk⸗ ker Kerl aus ihn werden konnte! Er blikte zum erſtenmale in ſeinem Leben mit naſſen Augen um⸗ her, 8 her, als er uͤberzeugt wurde, daß man nicht ſcher⸗ ze, und dieſer edle Juͤngling doch ſein Sohn ſei. Friedrich, kehrte bald hernach nach der Stadt und zu ſeinen Studien zuruͤk, er nahm die volle Liebe der alten Dame mit ſich, er durfte nur wuͤnſchen und fordern, ſie war immer bereit, ihm alles zu gewähren; aber feine Wünfche waren aͤuſſerſt maͤſſig, immer erinnerte er ſich feiner ches maligen Armuth, und wenn er ia forderte, ſo wars zum Beſten ſeines armen Vaters, von wel⸗ chem er oft ſchrieb, daß es ihm wehe thue, wenn er hoͤre, daß er um ein befferes Gerichte zu ge⸗ nuͤſſen, meilenweit reiſe, und den Spaßmacher an der Tafel vorſtelle. So reichlich auch die Alte des Lieblings Bitte erfuͤllte, und ſeinem Vater ein gutes Auskommen ſicherte, ſo entſagte er doch ſeiner Lebensart nicht, und ſchwur oft, daß er krank werden muͤſſe, wenn er nicht mehr reiſen Tonne. Die Alte lebte in ihrem Pflegeſohne, und da ſein anhaltender Fleiß ihr immer neue Freude gewaͤhrte, ſo genoß ſie das heiterſte und ruhigſte Alter, lebte noch, als Friedrich öffentlich auf der Univerſitaͤt mit größtem Beifalle uͤber die Rechte disputirte, die Aufmerkſamkeit des Monarchen en und von ihm zum Kammerherrn ernannt wur⸗ 9 wurde. Daß ihr dieſer auszeichnende Lohn vol: len Stof zur neuen Freude gab, kann man leicht denken, ſie wurde dadurch um ein groſſes ver⸗ mehrt, als Friedrich nach vollendeten Studien ſie oͤfterer beſuchen konnte. Eben war er vom Monarchen zum Landrathe ernennt worden, wie die Schwaͤche des Alters fie ſchnell beſiegte. Ihr herbei eilender Liebling fand ſie ſchon auf der Baa⸗ re, und weihte ihrem geheiligten Andenken maͤnn⸗ liche Thraͤnen. Sie war mit Seegen uͤber ihn aus der Welt gegangen, ihre Kammerfrau uͤber— reichte ihm auf ihren ausdruͤcklichen Befehl ihr Teſtament, welches ihn zum Univerſalerben aller ihrer Güter und Vermögens einſezte. Beides uͤber⸗ flieg den Werth von einer Million, und der ar- me Friedrich, den bis in ſein funfzehntes Jahr noch aͤrmere Bauern ernaͤhren mußten, war izt einer der reichſten des Landes. Als er ſeine zwei— te, aber warlich einzige Mutter begraben hatte, ſchenkte er ſeinem Vater ein ſehr eintraͤgliches Gut, und theilte ſein kleines Guͤtchen unter die drei en welche ihn fo IRRE mußten. Sein groſſes Vermoͤgen hinderte ihn nicht an der Pflicht, welche er dem Staate gelobt hats te, machte ihn nicht nachlaͤſſig in feinem Amte, er 5 es mit groͤßter Treue, ſtieg durch ei⸗ 10 eignes Verdienſt, nicht durch Gunſt, bis zum geheimen Rath empor, und war erſt ſechs und dreiſig Jahr alt, als ihn der Monarch zum Mi⸗ niſter ernannte. Viele Vaͤter trugen ihn unter dieſer Zeit ihre Toͤchter an, viele der leztern ka⸗ men durch geheime Winke dem Wunſche des Va⸗ ters zuvor, aber Friedrich wich immer ehrerbie- tig zuruͤk. Endlich erwachte auch in ſeinem Her⸗ zen die Liebe, er waͤhlte aus wahrer Neigung, nicht aus Nebenabſichten ein ſehr armes Fraͤulein zu ſeiner Gattin, und erregte dadurch freilich den Reid aller Hofdamen. Der Monarch, deſſen Lieb⸗ ling er feit einiger Zeit ſchon war, beſchenkte ihn an ſeinem Hochzeittage mit der Wuͤrde eines Gra⸗ fen, die ſich auf ſeine Nachkommen erblich fort⸗ pflanzen ſollte. Seine geliebte Gattin hatte ihn oft verſichert, daß alle ihre nahen und entfern⸗ ten Freunde ſchon geſtorben waͤren, aber kaum war ſie einen Monat mit dem Miniſter und Gra⸗ fen Friedrich verheurathet, als viele Edle des Landes ſich zu ihr draͤngten, und ihr zu bewei⸗ ſen ſuchten, daß ſie freilich im entfernten Grade, aber doch mit ihr verwandt waͤren, und daher mit Rechte hoffen koͤnnten, daß der Miniſter in dieſer oder iener Sache ſich ihrer als Freund an⸗ nehmen wuͤrde. Unter dieſen Eigennuͤtzigen befand ſich auch eine Dame vom Lande, die zwar nur aus Ehr⸗ 11 Ehrgeiz die Tante von Friedrichs Gattin ſein woll⸗ te, ſich aber unter dieſem Vorwande in alle freund⸗ ſchaftliche Zirkel eindraͤngte, welche Friedrich und feine Gattin dann und wann um ſich verſamlete. Beide hatten Nachſicht mit der Eitelkeit der Land⸗ dame, und ob ſie gleich uͤberzeugt waren, daß ſie ihre Tante nicht ſei, ſo ehrten ſie in ihr doch das hohe Alter, und begegneten ihr mit der ge⸗ ziemenden Ehrfurcht, die ſie dieſem ſchuldig zu ſein erachteten. Die Alte fuͤhlte dieſe hohe Ehre im ſtaͤrkſten Grade, und machte nach einem hal⸗ ben Jahre Friedrichs Gattin zur Erbin ihrer an: ſehnlichen Güter, welche alle in einem benachbar⸗ ten Staate lagen, und iährlich oft mehr als zwanzig tauſend Thaler rentirten. Als die muntere Gattin Friedrichen mit dieſem Teſtamente entgegen huͤpfte, und ihn lä⸗ chelnd verſicherte, daß er nun ein ſehr reiches Weib habe, da trat er nachdenkend ans Fenſter, und ſtarrte traurig in die Ferne. Seine Gattin forſchte theilnehmend nach der Urſache ſeines Kum⸗ mers. Ich fuͤrchte die Zukunft, ſprach Friedrich laͤchelnd, mein Gluͤk iſt allzu groß, es kann nicht von Dauer fein. Gewaͤchſe, welche fo ſchnell ent: por wachſen, verdorren bald! Wenn ich ruͤkdenke, was ich war, und uͤberlege, was ich izt bin, ſo i ſchau⸗ 12 =? u ſchaudere ich vor der Höhe, auf welcher ich mich erblike⸗ Das Gluͤk iſt ein Frauenzimmer! Du mußt es am beſten twiſſen, ob alle gleich treu find; ob alle dir gleichen? Karoline lächelte, uud ver⸗ ſicherte ihn, daß ſie wenigſtens allemal beweiſen werde, daß Weibertreue kein Naͤrchen fei. Auch ſchien wuͤrklich in der Folge, das wan⸗ kelmuͤthige Gluͤk ihm treu zu bleiben, des Mo⸗ narchen Gunſt mehrte ſich mit iedem Tage, er unternahm nichts ohne Friedrichs Rath, und bez folgte dieſen ſtets, wenn auch andere Raͤthe wi⸗ derſprachen. Sein geliebtes Weib gebahr ihm ei⸗ nen geſunden Sohn, und vermehrte dadurch ſein haͤusliches Gluͤk um ein groſſes. Er genoß die Freuden eines Vaters im vollen Maaſe, und fuͤhl⸗ te ſich ganz glüf lich, wenn er ſein kleines bh bild an feine Bruſt druͤkken konnte. | Bald nachher ſtarb ein benachbarter Fuͤrſt, mit ihm erloſch fein männlicher Stam, und viele der Fuͤrſten ringsumher machten Anſpruch auf das verwaiſte Land. Unter dieſen befand ſich auch Friedrichs Monarch, er handelte raſcher als ie, nahm ſogleich das Land in Beſitz, und fragte 5 edrichen dann erſt: Ob er recht gehandelt ha⸗ be? Friedrich bewies das Gegentheil mit Gruͤn⸗ den, 13 * den, der Monarch ward unwillig, aber Friedrich behauptete ſeine Gruͤnde ſtandhaft, ſah voraus, daß ein Krieg entſtehen, und mehr koſten wuͤrde, als das Laͤndchen werth ſei. Dies wollen wir al⸗ ſo erwarten, ſprach der Monarch ernſthaft, und dann unſre Rechte vertheidigen. Von dieſer Zeit an, verſammlete der Fuͤrſt oft feine Raͤthe, aber Friedrich war nicht mehr unter der Zahl derſel⸗ ben, erfuhr ſelbſt nie, was man beſchloſſen ha⸗ be. Dachte ichs doch, ſprach dann immer Fried⸗ tich zu ſeiner Gattin, daß mein Gluͤk von keiner Dauer ſein koͤnne, ich fange an zu ſinken, und will herzlich froh ſein, wenn ich in deinen Armen die Tiefe unbeſchaͤdigt erreiche. Was Friedrich vorher geſehen hatte, erfolg⸗ te richtig, es entſtand ein Krieg, deſſen Dauer lange zu fein ſchien, der gleich Anfangs mit groſ⸗ ſer Heftigkeit begann, und ſein gluͤkliches Vater⸗ land maͤchtig verheerte. Friedrich wuͤnſchte zu helfen, aber man achtete ſeines Raths nicht mehr, ihm blieb zwar der Titel eines Miniſters, aber ſeine Geſchaͤfte beſorgten andre, und er ſas un⸗ thaͤtig und oft traurend daheim. Als auf diefe Art ein halbes Jahr verfloſſen war, wurde Frie⸗ drichen die Klage eines ihm ganz unbekannten Edelmanns zur Rechtfertigung überreicht. Dieſer bes 14 — 1 bewies durch ein Inſtrument, daß Friedrichs Pfleg⸗ mutter ihn einſt in ſeiner fruͤhen Jugend an Kin⸗ desſtatt angenommen, und zum Erben ihres ganz zen Vermoͤgens eingeſezt habe. Dieſes Inſtru⸗ ment, fuhr der Klaͤger fort, mache ihn aller Rechte eines wuͤrklichen Kindes theilhaftig, und da er ohne Urſache von ſeiner angenommenen Mut⸗ — ter ſei enterbt worden, nach den Geſetzen des Lan⸗ des als ein Kind aber nicht enterbt werden koͤn⸗ ne, ſo erſuche er das Gericht, das ungerechte Teſtament zu vernichten, und ihm, als dem ein⸗ zigen, rechtmaͤſſigen Erben, das ganze Vermoͤgen der Verſtorbenen einzuantworten. \ Friedrich vertheidigte feine Rechte mit vier len Gruͤnden. Er bewies, daß die Adoption des Kindes auſſergerichtlich geſchehen ſei, und folglich nicht die erforderliche Kraft habe, auch koͤnne, fuhr er in ſeiner Vertheidigung fort, das vom Gerichte beſtaͤtigte Teſtament nicht mehr umgeftof- ſen, und vernichtet werden, weil das Geſetz zum Widerſpruche ausdruͤklich ein Jahr und ſechs Wo⸗ chen beſtimme, und dieſe Zeit ſchon laͤngſt ver⸗ floſſen wäre. Ueberdies habe ſich der Kläger ſchon dadurch alles Anſpruchs auf ein vaterlaͤndiſches Erbtheil verluſtig gemacht, als er ohne Erlaubniß das 2 13 das Vaterland verlaſſen, fremde Dienſte geſucht, und wuͤrklich angenommen habe, Zu einer andern Zeit wuͤrden dieſe Gruͤnde vol⸗ les Gewichte gehabt haben, izt wars anders. Das Gericht entſchied mit einer auffallenden Eile, er⸗ kannte die Adoptlon für guͤltig, bewies, daß die Rechte eines Kindes nicht veriähren koͤnnten, und fand den Klaͤger des Verbrechens der Emigration nicht ſchuldig, weil er freiwillig ruͤkgekehrt ſei. Das Urtheil ward dem Monarchen zur Beſtaͤti⸗ gung vorgelegt, er fands billig, und Friedrichen ward geboten, die Güter und das übrige Vermoͤ⸗ gen ſeiner Pflegmutter an den Klaͤger abzutreten. Er thats ohne Murren, aber mit wehmuthsvol⸗ lem Gefuͤhle, weil er Unrecht zu dulden glaubte. Ein Troſt fuͤr ihn wars, daß ſein alter Vater kurz zuvor ſtarb, denn dieſer wuͤrde unwilliger das ſchoͤne Gut verlaſſen haben, welches ihm ſein Sohn ſchenkte, und das ihm ſo treflich behagte. Sein edles Weib ſuchte ihn auf alle moͤgliche Art zu erheitern, ſie wollte ihm ſogar ihr eignes Erbtheil abtreten, aber er nahms nicht an, verſprach nur, die Einkuͤnfte mit ihr zu genuͤſſen. Doch nicht lange vermochte er dies, denn der Fuͤrſt des Lan⸗ des, in welchem ſeines Weibes Guͤter lagen, und der izt mit Friedrichs Monarchen kriegte, forder⸗ te 16 te ausdruͤklich, das alle dieienigen, welche aus ſeinem Lande Einkuͤnfte zoͤgen, es daheim, und nicht in des Feindes Land genuͤſſen ſollten, er ſez⸗ te zu freiwilligen Ruͤkkehr eine kurze Friſt feſt, und drohte mit der Konfiskation, wenn dieſe nicht erfolgen wuͤrde. Um nicht alles zu verliehren, und feinem Sohne ein Erbtheil zu erhalten, bere⸗ dete Friedrich ſeine Gattin zur aufferft ſchmerzhaf⸗ ten aber hoͤchſt noͤthigen Trennung, er ſande ſie mit ſeinem kieinen Lieblinge nach ihren Guͤtern, und gebot ihr dort, um keinen Verdacht zu erre⸗ gen, in ſtiller Einſamkeit des Friedens zu har⸗ ren, der fie bald mit ihm vereinigen würde. Ehe ſie abreiſte, achtete es Friedrich fuͤr Pflicht, die Urſache ihrer Abreiſe dem Fuͤrſten zu melden, dieſer laͤchelte kalt, und verſicherte, daß er es nicht hindern koͤnne, nicht hindern wolle. Kaum war die Gräfin abgereiſet, und Friedrich noch im vollen Genuſſe der ſchmerzhaften Trennung, als ein Kammerhuſar ihm ein Handbillet ſeines Fuͤr⸗ ſten uͤberbrachte. „Mein lieber Graf,“ ſchrieb dieſer, „ich habe mich mit vieler Theilnahme uͤberzeugt, daß ihre beſtaͤndige Hipokondrie ſie hindert, laͤnger das Amt zu verwalten, welches ich ihnen anvertraute. Ich erinnere mich mit Ver⸗ gnuͤgen der treuen Dienſte, welche ſie mir einſt ee und entlaſſe fie des Dienſtes, ohne ih⸗ nen — nen den Vortheil deſſelben zu rauben. Meine Haupt⸗ kaſſe hat bereits den Auftrag, ihnen ihren vollen Gehalt zeitlebens als eine verdiente Penſton aus⸗ zuzahlen. Doch fordete ich bei Verluſt derſelben, daß ſie ſolche nicht im fremden Lande verzehren, und waͤhrend dem mir abgedrungnen Kriege I nach des Feindes Land kotreſpondiren.“ Wer kann, wer wirds wohl Friedrichen ver: denken, daß er unter ſo harter Bedingung, die ihn hinderte, an ſein Weib zu ſchreiben, die Pen⸗ fion nicht annahm? Doch verwarf er dieſe nicht ſchlechterdings, ſondern uͤberreichte dem Monars chen eine ehrfürchtsvolle Bittſchrift, in welcher er ihm ſeine Verlegenheit dringend vorſtellte, und ihn demuͤthig bat, ihm zu erlauben, daß er nur mit feinem entfernten Weibe korreſpondiren dürfe. Er erhielt in einigen Tagen den trocknen Beſcheid, daß es bei dem einmal gefaßten Schluſſe ſein Be⸗ wenden habe, und Bittſtellern frei ſtuͤnde, nach ſeinem beſſern Vortheile zu handeln. Friedrich dankte nun erſt fuͤr die ſo unverdient verliehene Penſton, geſtand offen, daß er ſie unter ſolchen Bedingungen nicht annehmen koͤnne, und entfern⸗ te ſich bald hernach aus der Hauptſtadt, um in die Arme ſeines Weibes zu eilen, der er zwei volle Wochen des Verbots wegen nicht geſchrieben B hat⸗ 18 hatte, und deren Angſt und Kummer er ſich leb⸗ haft denken konnte. — Wie er die Graͤnze erreichte, ward er von einem Huſaren-Pikete angehalten, und nach dem Lager gefuͤhrt. Er hofte hier ſogleich, indem er ſeinen Namen nannte, ſeine Freiheit zu erhalten, aber er betrog ſich, denn der General behandelte ihn ſehr geringſchaͤzzig, gebot, ihn nach der Wa⸗ che zu fuͤhren, und ließ ihn dort einen vollen Tag ſchmachten. Fruͤh ward Friedrich nach ſei⸗ nem Zelte gerufen. Da leſen ſie, und entſcheiden, damit ich weitern Bericht erſtatten kann! ſprach der General, und uͤberreichte ihm ein Papier, auf welchem Friedrich fogleich feines Fuͤrſten Un⸗ terſchrift erkannte. Da es, ſchrieb der Fuͤrſt an den General, immer wahrſcheinlicher wird, daß der ehemals in meinen Dienſten geſtandne Mini⸗ ſter Graf Friedrich von —, mit dem Feinde kor⸗ reſpondirt, und izt ſogar unter einem ſcheinbaren Vorwande ins feindliche Land übergehen will, fo werden ſie allen Vorpoſten den gemeßnen Befehl ertheilen, ſolchen im Betretungsfalle anzuhalten, und ins Hauptquartier zu liefern. Dort werden ſie den Undankbaren dieſen ſchriftlichen Befehl le⸗ ſen laſſen, und es ihm freiſtellen: Ob er ſich 1 als ein e deſſen Frei: heit 19 heit von meiner Willkuͤhe abhangen wird, auf die Feſtung M — begeben, oder lieber beiliegen⸗ den Revers unterſchreiben will, der mich vor ie⸗ dem moͤglichen Betruge ſichert, und ihn alsdann die Freiheit ertheilt, ſich aus meinem Lande zu entfernen. en Dieſer Revers war aͤuſſerſt hart, er enthielt die eidliche Verſicherung, daß er nie, unter kei⸗ nem moͤglichen Vorwande mehr in ſein Vaterland ruͤkkehren, keinen Anſpruch auf irgend eine Be⸗ lohnung ſeiner ehemaligen Dienſte machen, ſich nicht des Titels ſeiner gehabten Wuͤrde bedienen, und vorzuͤglich niemanden ein Wort von allem entdekken wolle, was ihm etwan von den Geheim— niſſen des Staates bekannt fein koͤnne. Er unters ziehe ſich, lautete der Revers weiter, im Ueber⸗ tretungsfalle der Strafe eines Meineidigen, eines Staasverbrechers, und fordere ausdruͤklich, daß man ihn alsdenn nach aller Strenge der Geſezze, mit Begebung der Appellation an die Gnade des Monarchen, richten ſolle und moͤge. g Friedrich ſtand ſtaunend und ſchweigend, es war ihm unbegreiflich: Wie der gerechte Monarch nur an ihm fo hart und grauſam handeln koͤnne ? Er wuͤrde noch lange nicht geantwortet haben, | B 2 wenn 20 — wenn der General nicht in raſchen Ausdruͤkken feinen Entſchluß gefordert hätte. Friedrich nahte ſich, ohne ein Wort zu ſprechen, dem Schreibti⸗ ſche des Generals, unterzeichnete den Revers, und uͤbergab ſolchen laut ſeufzend dem General. Er konnte in dieſem Augenblikke kein an⸗ dres Mittel waͤhlen, weil es ihm unertraͤglich ſchien, ſich auf unbeſtimmte, wahrſcheinlich ſehr lange Zeit von ſeinem geliebten Weibe, und ſei⸗ nem Kinde zu trennen, ſie dem Grame zu uͤber⸗ laſſen, und einſam auf einer Feſtung zu ſchmach⸗ ten. Der General ließ ihn ſogleich wieder nach der Graͤnze fuͤhren, er verließ mit Thraͤnen ſein Vaterland, und troknete ſie nicht eher, als bis er ungehindert am dritten Tage, ſeines Weibes Schloß von Ferne erblikte. Sie fank wonnetrun⸗ ken in ſeine Arme! O der guͤtige Monarch, rief ſie aus, ſo hat er dirs doch vergoͤnnt, vorher dein Weib zu ſehen, dein Kind zu fegnen ! Oder iſt dies ganz das Werk deiner Liebe ? Haft du den noͤthigen Schlaf dir geraubt, um deine Ka⸗ roline zu umarmen? Du ſchweigſt? Ach fo ha, be ich mich doch nicht betrogen, wenn ich im tie⸗ fen Kummer verſenkt, am Fenſter ſtand, mit meinen Blikken deine ſchnelle Entfernung zu meſ⸗ fen ſuchte, und immer ahndungsvoll hofte, fei auch der Umweg noch fo groß , die Liebe 1 8 21 dich doch zu mir leiten. Nimm meinen heiſſen, gluͤhenden Dank dafuͤr, ich will nicht weinen, nicht iammern, wenn du auch nach einigen Stun⸗ den dich wieder entfernen, und deinem wichtigen Geſchaͤfte entgegen eilen mußt. Habe ich dich doch geſund geſehen, weiß ich doch, daß du mich innig und zaͤrtlich liebſt! — — Friedrich verſtand den groͤßten Theil ihrer Rede nicht, er forſchte nach der Urſache ihrer feltnen Vermuthung, und erfuhr zu ſeinem nicht geringen Erſtaunen, daß ſeine Gattin vor ungefaͤhr zehn Tagen einen Brief von Friedrichs Monarchen erhalten hatte, in wel⸗ chem er ihr berichtete, daß er ihren Mann in hoͤchſt wichtigen und eben fo geheimen Staatsge— ſchaͤften nach einem fremden Lande geſandt, und ausdruͤklich verboten habe, damit niemand ſeinen Aufenthalt erfahre, auch ſeiner Gattin unter der Zeit feiner Abweſenheit nicht zu ſchreiben, Er mache, lautete der Brief ferner, ihr dieſes auf des Gatten Bitte kund, und ſchreibe eigenhaͤndig, damit ſie nicht Urſache habe, an der Wahrheit zu zweifeln. Friedrich konnte mit all feinem Scharfſinne die Urſache dieſes Briefes nicht ergründen, er er⸗ zaͤhlte ſeiner Gattin ſein ganzes, ungluͤkliches a und fie ſtaunte mit ihm. Moͤglich, ſag⸗ te 22 te er, daß es Mitleid mit einem unſchüldigen Weibe war, aber wenn ich das übrige Betragen damit vergleiche, ſo ſinkt die ſtolze Meinung in ein Nichts zuruͤk. Und doch wars aͤchtes Mitleid des Monarchens, wär noch mehr als dies, wie es die Folge ihm bald lehrtet. Denn noch hatte er nicht acht volle Tage das Gluͤk des laͤndlichen, ruhigen Lebens in der geliebten Gattin Armen genoſſen, als er einen Brief von ſeinem ehemali⸗ gen Monarchen erhielt Er zoͤgerte lange, ehe er ihn erbrach, weil er neuen Kummer ahndete, auch ward ihm dieſer wuͤrklich, doch auf eine an⸗ dre Art, als er vermurhete. Der Monarch ſchrieb ihm nicht zuͤenend, nicht erbittert, aber im Tone des tiefgekraͤnkten Freundes. „So bin ich wuͤrk⸗ lich nicht betrogen worden, begann er, ſo mußten fie mich ſelbſt uͤberzeugen, daß ich einen Ungetreu⸗ en zu meinem Lieblinge und Rathgeber erwaͤhlte. Die Ueberzeugung iſt klar, ich muß fie glauben, ob ſie gleich meinem Herzen weher thut, als ſie vielleicht denken. Sahen, fuͤhlten ſies denn nicht, wie ſchwer und hart es mir fiel, als ich ſie we⸗ gen nicht ungegruͤndetem Verdachte aus meinem Mathe nach und nach entfernte? Sie ſanden ihre Gattin ins Feindes Land, fanden fie ohne Urſa⸗ che, weil ſie als Staatsmann überzeugt fein mußten „daß ich im nörhigen Falle Repreſſalien üben, 23 üben, und ihnen erſezzen konnte, was fie allen⸗ falls verlohren haͤtten; aber ſie thatens doch, und ich mußte glauben, was man mir ſagte, daß ſie den ihnen ſo widrigen Krieg durch geheimes Ver⸗ ſtaͤndniß enden wollten. Ich entließ ſte meiner Dienſte unter den ehrenvollſten Bedingungen, forderte eine hoͤchſt noͤthige Einſchraͤnkung, und fie verwarfen fie ſtolz, gingen gar in des Feindes Land uͤber. Noch zweifelte, noch hofte ich, ich ließ ihnen die Wahl zwiſchen meiner Gnade und einem hoͤchſt ſchimpflichen Reverſe, fie unkerſchrie⸗ ben ihn, und raubten mir die Hoffnung, ſie ie wieder an meiner Seite zu ſehen. O Ungetreuer! Haͤtteſt du die Feſtung gewählt, haͤtteſt du dich meiner Willkuͤhr uͤberlaſſen, ich wuͤrde ſelbſt ge⸗ eilt ſein, dich ruͤkzufuͤhren, und deine Unſchuld zu beweiſen. Daß dies mir Ernſt war, daß ich im⸗ mer fuͤr dein Beſtes ſorgte, und ſogar bei der noͤ⸗ thigen Probe deinem Weibe allen Kummer erſpa⸗ ren wollte, wird dich der Brief uͤberzeugen, den ich an ſie ſchrieb. Wie wird ſie, wie wirſt du uͤber den beſondern Einfall gelacht haben, aber er macht meinem Herzen keine Schande, dies allzu gute und leider zu leichtglaͤubige Ding glaubte uͤber⸗ zeugt zu ſein, daß du die Feſtung waͤhlen wuͤrdeſt, und achtete dieſe Vorſicht fuͤr noͤthig. Aber nun liegt er offen vor mir, der Beweis deiner Uu⸗ treue, de 24 — — treue, deiner Schande! Du biſt dadurch auf ewig von mir getrennt! — — Warum ich euch dies alles ſchreibe? Damit ihr einſehen ſollt, welch einen Freund — denn dein Herr war ich nie — ihr verlaſſen habt, damit gerechte Reue euch mar⸗ tert, wenn ihr in der Verraͤtherei den Lohn nicht findet, welchen ihr erwartet. Dies ſei meine Ra⸗ che, dies deine Strafe. Noch eins: Ich weis, daß du mir Inſtrumente entwendet haſt, die ich zur Vertheidigung meiner Rechte nothwendig be⸗ darf, aber triumphire nicht zu fruͤh ‚du wirſt ein doppelter Verbrecher, du betrüͤgſt auch dei⸗ nen Kaͤufer, denn es find nur unnuͤzze Kopien.“ Friedrich verſtand die lezten Worte gar nicht, aber ſie waren ihm ſo wie der ganze Brief ein uͤberzeugender Beweis, daß er der heimlichen Feinde in Menge hatte, daß ſie ſich von lange her ſchon bemuͤhten, ihn zu ſtuͤrzen, und daß es ihnen nun vollkommen gelungen ſei. Dies leztere ſchmerzte ihn nicht, denn er war des ewigen Draͤn⸗ gens und Nekkens herzlich müde, aber tief kraͤnk⸗ te, und ruͤhrte es ihn, daß ſein Monarch — deſ⸗ ſen edles Herz er izt erſt ganz kennen lernte — ſo betrogen wurde, und ihn als den Treueſten ſeiner Unterthanen fuͤr einen Verraͤther achtete. Noch mehr als alles dieſes, kraͤnkte es ihn, daß er \ 25 ——. q́ꝗſ— — er die Großmuth, die Probe des Monarchen mise kannte, den wuͤrklich ſchimpflichen Revers unter⸗ ſchrieb, und dadurch feinen Feinden den Triumph erleichterte, aber er ſollte waͤhlen zwiſchen ihm und ewiger Gefangenſchaft, ſein Weib, ſein Kind nie mehr ſehen, und er unterzeichnete, weil er ſich der Willkuͤhr desienigen nicht uͤberlaſſen woll⸗ te, der ihn, feiner Meinung nach, ſchon vorher ſo willkuͤhrlich und ungerecht behandelt hatte. Nicht um Gnade zu erbetteln, ſondern um ſeine gekraͤnkte Unſchuld zu rechtfertigen, ſchrieb er an ſeinen ehemaligen Monarchen, bewies ihm aufs deutlichſte, daß er noch immer der treue, obgleich verſtoßne Diener ſei, und erwartete nun ruhig, was iener darüber entſcheiden wuͤrde. Er harrte einige Wochen vergebens, endlich kam die Poſt, und mit ihr ein Paket; er oͤfnete es haſtig, und ſah mit Erſtaunen, daß ſeine noch uneroͤfnete Rechtfertigung darinne lag, auf dem Umſchlage derſelben ſtand nur folgendes geſchrieben: Auf ausdruͤklichen allergnaͤdigſten Spezialbefehl wird hiemit dem Verfaſſer bedeutet, daß er unter der ſchaͤrfſten Ahndung ſich nicht unterfangen ſoll, den Monarchen mit irgend einem Geſuche oder Bitt⸗ ſchrift zu belaͤſtigen, weil beides allemal gleich dieſer uneroͤfnet zuruͤkgeſand werden wird. Fried⸗ \ 2 Friedrich fuhr mit der Hand uͤber ſein blei⸗ ches Angeſicht, und ſprach zu ſeiner Gattin: Un⸗ geachtet der Ausgang aͤuſſerſt traurig iſt, ſo reut mich doch meine Arbeit nicht, ſie wird unſerm Sohne einſt zum Gegenbeweiſe dienen, wenn man ihm ſeines Vaters Untreue vorwerfen wird! Er legte die Schrift nachher in ſein Schreibpult, und ſuchte ſich durch laͤndliche Unterhaltung zu zer— streuen. Kurz darauf erhielte er Einladung nach der Reſidenz, man ſchrieb ihm, daß man dort das Unrecht, welches ihm in ſeinem Vaterlande wlederfahren ſei, recht wohl kenne, und ſich freu⸗ en wuͤrde, wenn ein fo faͤhiger Mann ſich dem Dienſte ſeines neuen Vaterlands weihen wolle; 5 aber Friedrich ging nicht nach der Reſidenz, weil ihm ſein haͤusliches Gluͤk beſſer behagte, und er es uͤberdies fuͤr Pflicht achtete, nicht in der That zu werden, was er bis izt nur zu ſein ſchien. Der Krieg dauerte noch immer fort, fein ehemaliger Fuͤrſt kaͤmpfte izt mit entſcheidendem Gluͤtke, es war ihm gelungen, die wohl verwahr⸗ te Graͤnze zu umgehen, und das gegen ihm ſte⸗ hende Heer tief ins Land zuruͤk zu drängen. Sei⸗ ne Vorpoſten ſtanden nicht allzu entfernt von dem Schloſſe, welches Friedrich mit ſeiner Gattin be⸗ wohnte, und dieſer machte wuͤrklich Anſtalt, ſol⸗ ches 27. ches zu verlaſſen, als an einem Nachmittage ein Offizier mit zwanzig Mann, in den Schloß hof eintritt. Friedrich, dem bei dieſer Zeit Beſuche dieſer Art nicht ungewoͤhnlich waren, ging dem 282 Offtzier, welcher ſeinem izzigen Landesfuͤrſten dien⸗ te, mit gaſtfreundlichem Blikke entgegen, aber wie erſtaunte er, als dieſer ihm kund machte, daß er im Namen des Monarchen abgeſandt fei, ihn ſo⸗ gleich gefangen fortzufuͤhren. Ehe Friedrich ant⸗ worten konnte, war er ſchon von den Soldaten umtingt. Vergebens bat er, nur Abſchied von ſeinem Weibe und Kinde nehmen zu dürfen; man widerſprach ſeiner Bitte trozzig, und fuͤhrte ihn zu einem Wagen, der vor dem Thore des Schloſ⸗ ſes ſtand. In dieſen mußte er ſich ſezzen, und nun gings raſch von dannen. Der Offizier ſas bei ihm in Wagen, aber er ſprach kein Wort mit ihm, und zukte die Achſeln, wenn Friedrich frag⸗ te und Antwort heiſchte. Bald nachher ward er einem andern Kommando uͤbergeben, das ihn auf gleiche Art behandelte, und immer weiter fuͤhrte. Nach einer fiebentägigen Reiſe langte er gegen Abend in einer Feſtung an, und ward durch die⸗ fe nach der Zitadelle geführt. Wie er ein kleines Zimmer derſelben betrat, raſſelten die Riegel hin⸗ ter ihm, und er war nun ganz ſich, und ſeinem Kummer uͤberlaſſen. Er wuste nicht, wo er war, ahn⸗ 28 . ahndete anfangs Verrath, 985 glaubte, daß man ihn in ſein Vaterland zuruͤkgefuͤhrt habe, aber bald uͤberzeugte er ſich, daß er auf einer Feſtung ſeines izzigen Landesherrn ſizze, weil die Solda⸗ ten, welche ihn ſtets ſtillſchweigend bedienten, ſei⸗ ne Uniform trugen. Mehr konnte er aber nicht er⸗ gruͤnden, noch weniger die Urſache: Warum er hier gefangen ſizze? Die ſo ſchnell auf einander folgenden Ungluͤksfaͤlle hatten feinen Muth ges ſchwaͤcht, feine Sinne abgeſtumpft, er wuͤrde ſein Ungluͤk nicht fo tief gefühlt haben, wenn nicht das Andenken ſeines Weibes und Kindes ihn nur allzu oft aus ſeinem Schlummer gewekt haͤtte. Er hoͤrte ihre rufende und iammernde Stim⸗ me, als das Kommando ihn ſo ſchnell mit ſich fortfuͤhrte, er wollte ihr antworten, und vermochts nicht, izt war ſein einziger Wunſch, ihnen wenig⸗ ſtens Nachricht geben zu koͤnnen, daß er noch ler be, ſich ihrer mit Thraͤnen erinnere. Aber dieſer ſehnliche Wunſch ward nie befriedigt, denn nie⸗ mand antwortete, wenn er Feder und Diente for⸗ derte, ieder blikte ihn mitleidig, aber ohne Thaͤ⸗ tigkeit an, wenn er verſicherte, daß er nur einen ofnen Brief an ſein verlaßnes Weib ſchreiben wol⸗ le. Nach Monatsfriſt beſuchte ihn zwar der Kom, mendant der Feſtung, und fragte ihn: Ob er wohl bedient und gut bewirthet wuͤrde? Aber dies war war auch alles, was er mit ihm ſprach, denn wenn Friedrich weiter forſchte, ihm feinen einzi⸗ gen Wunſch entdekte, da ſchwieg auch er, und ſchuͤzte ſtrengen Befehl vor. Friedrich ſas acht Jahr auf dieſer Feſtung, ihm gebrachs an guter Speiſe und Trank nie, er ward regelmaͤſſig, und wohl bedient, aber er durfte unter dieſer langen Zeit nie ſein Zimmer verlaſſen, er erhielt, fo oft er auch bat, nie ein Buch, nie Feder und Dinte, er mußte ſeine Tage mit Muͤſſiggang toͤdten, und erfuhr auch nicht die geringſte Begebenheit, welche ſich indes im Lande zutrug. Anfangs lag er meiſtens auf ſei⸗ nem Bette, und durchbruͤtete die Tage in ſtiller Schwermuth, als er aber ſah, daß dieſe Lebens⸗ art feiner Geſundheit offenbar ſchadete, und in ſeinem Herzen doch immer noch ein Funken Hof⸗ nung der moͤglichen Freiheit glimmte, da beſchlos er Aenderung, ging meiſtens in ſeinem kleinen Zimmer auf und ab, und machte ſich dieſe Be⸗ wegung endlich ſo zur Gewohnheit, daß er ſie oft ganze Tage mechaniſch uͤbte. Seine einzige und immerwaͤhrende Beſchaͤftigung wars dann, daß er jeden Schritt eifrig zählte, und oft ſich ſel bſt wunderte, wie bei einer ſo einfoͤrmigen, unnuͤtzen Beſchaͤftigung der Tag fo ſchnell ſchwinden Eönne. Er Er ward unter dieſer Zeit noch oft vom Kommen⸗ danten beſucht, und ob er gleich dieſen allemal fragte: Wenn man ihn über fein. mögliches und unbekanntes Verbrechen verhören werde 2 Wie man ihn ohne dieſes zu ſo harter, langer ien genſchaft verurtheilen koͤnne ? So zukte doch die: ſer wie gewoͤhnlich die Achſel, und ging ſchwei⸗ gend von dannen. | Einſt, als er wie gewöhnlich feine Schritte zaͤhlte, ſchrekte ihn der Donner der Kanonen, wel⸗ che man auf der Feſtung loͤßte, aus ſeinem Trau⸗ me empor , er hoͤrte bald hernach die Trommel ruͤhren, und die Wache ins Gewehr treten. Wie er noch horchte, ward feine Thuͤre geoͤfnet, ein iunger, ihm unbekannter Herr mit maieſtaͤtiſchem Blike und Mine, umgeben von einer Menge Stabsoffizier, trat in die Oefnung, und blickte mitleidig nach Friedrichen hin. Dieſer ſchwieg, und erwartete mit ſtoiſcher Gelaſſenheit den Aus⸗ gang, aber es erfolgte keiner, der fremde Herr trat ſchweigend zuruͤk, und die Thuͤre ward wie⸗ der verriegelt. Friedrich hatte dieſe Begebenheit ſchon ganz vergeſſen, zaͤhlte wie ehe und zuvor ſeine Schritte, als der Kommendant zu unge⸗ woͤhnlicher Zeit in ſein Zimmer trat. Sie ſind frei! ſprach er mit ofner, heiterer Mine. Frei? ſtamm⸗ ar ee — —— — — —— — — nn ] ſtammlete Friedrich, und ſank auf ſein Lager. Sie ſind frei, wiederholte der Kommendant, koͤn⸗ nen abreiſen, wenn es ihnen beliebt. Eben ers hielte ich dieſen mir gewiß angenehmen Befehl, uud eilte ihnen ſolchen kund zu machen. Frei? Kann reiſen wohin ich will ? ſtammlete Friedrich noch einmal, und ſank vom Lager herab auf feia ne Knie, der Kommendant harrte geduldig des Endes ſeines eifrigen Gebets, er wollte mehr mit ihm ſprechen, aber er vermochts nicht, denn Friedrich glich ganz einem Kinde, das unverhoft eine Menge Spielwerk erhaͤlt, von einem zum andern eilt, und ſich nicht entſchlieſſen kann, be? einem zu verweilen. Frei? Frei? Wuͤrklich freis fragte er immer, eilte zur ofnen Thüre , blickte hinaus, rannte wieder auf und ab, und zählte endlich ſeine Schritte wie gewoͤhnlich. Da der Kommendant ſah, daß Friedrich Zeit brauche, ſein Gluͤk zu faſſen, ſo verlies er ihn endlich mit der Verſicherung, daß er ihn morgen fruͤh wieder be— ſuchen werde; doch befahl er ausdruͤklich der Wa⸗ che, das die Thuͤre feines Zimmers geoͤfnet hlei⸗ ben ſolle, und man ihn, iedoch mit Vorſicht, un⸗ gehindert in freier Luft ſpazieren laſſen koͤnne. Friedrich horchte hoch auf, als er dieſen Befehl hoͤrte, und beſchlos ſogleich Gebrauch da⸗ 5 | von 22 von zu machen, aber die freie Luft, der heitre Sonnenſchein wuͤrkte gleich ſtark und heftig auf ihn, man mußte ihn fuͤhren, und doch konnte ers nicht lange ertragen, mußte wieder nach ſeinent Zimmer ruͤkkehren. Er ſchlief die ganze Nacht nicht, oͤfnete wohl dreiſigmal ſein Zimmer, und wollte ohne Zweifel ſich uͤberzeugen: Ob ſeine Freiheit kein angenehmer Traum ſei ? Als ihn der Kommendant am andern Morgen beſuchte, fand er ihn faͤhiger, mit ihm zu ſprechen. Frie⸗ drich heiſchte izt vor allem Erklaͤrung: Warum er hier ſo lange geſchmachtet habe? Wie es ſeinem Weibe, feinem Kinde gehe? Der Kommendant konnte aber keine ſeiner Fragen beantworten. Sie ſind mir, ſagte er, als ein vornehmer, unbekann⸗ ter Staatsgefangener uͤberliefert worden, der Be⸗ fehl, den ich zugleich mit ihnen erhielt, unterſag⸗ te mirs ausdruͤklich, nach ihrem Namen und Ka⸗ rakter zu forſchen, gebot mir auch eben ſo ſtren⸗ ge, keine ihrer Fragen zu beantworten, ihr Zim⸗ mer niemanden zu oͤfnen, und fie nach der ſtreng⸗ ſten Vorſicht , die mir bei Staatsgefangnen vor⸗ geſchrieben iſt, zu behandeln. Urtheilen ſie nun ſelbſt: Ob ich im Stande bin, ihnen Nachricht bon ihrer Gattin und Kinde zu geben? Vor vier⸗ zehn Tagen beſuchte der Kronprinz unſre Feſtung, er lies ſich ieden Staatsgefangnen vorzeigen. Ehe 2 ih⸗ N vr pi, | 33 ihre Thuͤre geöfner ward, erzählte ich ihm, was ich wußte, er ſchuͤttelte mit dem Kopfe, ſchrieb etwas in ſeine Schreibtafel, und geſtern erhielte ich den Befehl, fie ungehindert nach ihrem Bar terlande reifen zu laſſen. Dem Befehle lagen zweihundert Louisdor bei, und ich habe den Auf— trag, ſie ihnen als ein noͤthiges Reiſegeld auszu— zahlen. Mehr kann ich ihnen nicht ſagen, mehr werden ſie wahrſcheinlich in der Reſidenz erfahren, denn ſie wurden auf ausdruͤklichen Befehl des Monarchens mein Gefangner. Friedrich erzaͤhlte izt den Kommendanten ſeine ganze Geſchichte, dieſer fand in dieſer kein Licht zur noͤthigen Aufklaͤrung, denn er war von ieher blos Soldat, bekuͤmmerte ſich wenig um Staatsneuigkeiten, hatte von Friedrichs Schik⸗ falen nie ein Wort gehört, und konnte ihm wei⸗ ter nichts erzaͤhlen, als daß ſchon ſeit zwei Jah⸗ ren Friede geſchloſſen ſei, und die Feſtung von Friedrichs Guͤtern gegen ſechzig Meilen entfernt liege. Friedrich mußte laͤnger als vierzehn Tage noch auf der Feſtung weilen, ehe er ſeine Reiſe antreten konnte, weil er vorher ſich im Genuſſe der freien Luft uͤben und ſtaͤrken mußte. Oft wollte er unter dieſer Zeit ſeiner Gattin ſchreiben, aber allemal unterlies ers, weil er ſich die Freu⸗ C de 34 de der Ueberraſchung nicht rauben wollte, ſchon im Voraus die ſeelige Szene genoß, wie ſie ihn nach und nach erkennen, und endlich mit innig⸗ ſter Zaͤrtlichkeit in ihre Arme druͤkken wuͤrde. Er benuzte dieſe Zeit daher anders, ſchrieb eine heiſ⸗ ſe Dankſagung an ſeinen Retter, den edlen Kron⸗ prinzen, und flehte zugleich, um Bekanntmachung feines möglichen Verbrechens. Er erzählte auch ihm fein ganzes Schikſal, und fügte am Ende die Bitte bei, daß man ihn unter die Zahl treuer Vaſallen aufnehmen, und erlauben moͤge, ſeine Tage in ruhiger, ſtiller Einſamkeit auf den Guͤ⸗ tern ſeines Weibes zu beſchlieſſen. Da ich mir, endete er, keines Verbrechens bewußt bin, da meine Unſchuld izt vielleicht entdekt ſein wird, ſo werde ich es als die groͤßte Belohnung meiner Drangſalen erkennen, wenn man mir dieſe Bitte gewaͤhrt. Er ſande dieſe Bittſchrift mit der Poſt an den Kronprinzen, und reiſte endlich mit fro⸗ hem Vorgeſchmakke der harrenden Freude nach dem Schloſſe ſeiner Gattin. Anfangs erkundigte er ſich oft nach der Geſundheit und Lebensart ſeiner Gattin, da er aber noch allzu weit von der Gegend entfernt war, ſo kannte ſie keiner, und konnte ihm nicht Antwort ertheilen. Wie er naͤ⸗ her kam, forſchte er nicht mehr, weil er ſich zu verrathen, und durch mögliche frühere Nachricht die „„ 1 35 die Freude der Ueberraſchung zu rauben glaubte. Er freute ſich innig, als ihn in einem nah gelegs nen Städtchen einige Perſonen, die er ehemals oft ſah und ſprach, nicht mehr kannten, er hofte, daß ſelbſt ſeine Gattin ihn im erſten Augenblikke nicht kennen, und dadurch ſeine Freude vermeh— ren wuͤrde. Er konnte dies mit Grunde hoffen, denn Kummer und Kerker hatten ſtark an feinem Geſichte genagt, ſeine rothen Wangen waren ge— bleicht, die glatte Stirne gefurcht, und ſein ſonſt lachendes Auge blikte duͤſter und traurig. Wie er die Thuͤrme des Schloſſes von Fer⸗ ne erblikte, und nahes Freudengefuͤhl ihn im Wagen empor hob, ging eben ein Bauer neben feinem Wagen her , er konnte feine Neugierde nicht mehr unterdruͤkken, der Wagen mußte des ſchlechten Weges wegen langſam fahren, er ſtieg aus, und geſellte ſich zu dem Bauer. Friedrich Wie gehts der gnaͤdigen Frau da drüben im Schloffe ? Der Bauer. Wie's reichen Leuten ges woͤhnlich hienieden geht. Recht gut! Was kann ihr mangeln? C2 Frie⸗ Friedrich. Hat fie nicht einen Sohn? Der Bauer. Einen? Ich glaube: drei oder viere! Wie ich neulich dem gnaͤdigen Herrn ein paar Pferde abkaufte, da huͤpften wenigſtens einige ſolche iunge Herrn um ihn herum, nah— men mir meinen Stock, und gallopirten damit im Zimmer auf und ab. Friedrich. (ſtaunend.) Gnaͤdigen Deren Da druͤben in dieſem Schloſſe? Bauer. Nun ia! In biefent Schloſſe? Friedrich. Drei, oder vier 1 ? Sf fie den verheurathet? 4 Bauer. Wie der Herr nur ſo albern fra gen kann? Wenn ſie Soͤhne hat, ſo muß ſie auch einen Mann haben. Friedrich. Bei ſich? Im Schloſſe? Bauer. Richtig! Richtig! Sie iſt ſchon zum zweitenmale verheurathet! Wie ſie aus dem Auslande herkam, da hatte ſie ſchon einen Mann, der ſpaͤter auch aufs Schloß nachkam. Mit die⸗ ſem 37 ſem iſts aber ganz kurios zugegangen, unfer einer verſteht ſich in ſo etwas nicht. Sicher iſts, daß er wie ein Spion im Kriege von einer Menge Soldaten fortgefuͤhrt wurde. Damals weinte und lamentirte die gnaͤdige Frau ganz entſezlich, her- nach ward fie aber nach und nach ſtille, und ſah nur traurig aus. Endlich gings Gerede unter den Leuten, daß der gnaͤdige Herr wuͤrklich auf unrechten Dingen ſei erwiſcht, und heimlich ges richtet worden. Ganz gewiß muß aber die Sa; che doch nicht geweſen ſein, denn wie der izzige gnaͤdige Herr um die gnaͤdige Frau freute, und er ihr fo gar ſtark gefiel , da ließ fie ihren vori⸗ gen Mann durch die Zeitungen zitiren und wie er nicht erſchien, ſich ordentlich von ihm ſcheiden, ehe fie den andern heurathete. Friedrich ſtaunte ſtill vor ſich hin, wollte und konnte die Groͤſſe ſeines Jammers nicht faſſen, ohne Gefuͤhl, ohne Beſinnungskraft wankte er vorwärts, verſank in feine fo gewoͤhnliche Melan⸗ cholie, und zahlte ‚, ohne es ſelbſt zu wollen, im Gehen ſeine Schritte. Der Wagen rollte hinter ihm, und der Bauer, welchen nicht gleiches Ge— fuͤhl vorwaͤrts trieb, blieb zuruͤk. Friedrichs Seele ward izt thaͤtiger, fie begann mit der Ges wisheit ihres namloſen Ungluͤks zu kaͤmpfen, ſie woll⸗ 38 wollte es durch NRüferinnerung , durch Zweifel ſchwaͤchen. Sein Auge ſuchte den Bauer, und fand ihn nicht, bald blieb es an einem zehniaͤh⸗ rigen Knaben hangen, welcher mit haſtigen Schrit⸗ ten vom nahen Schloſſe heraufwandelte, einen kleinen Buͤndel unter ſeinen Armen trug, bald hernach an einem Haſelſtrauch ſtehen blieb, und ſich mit ſichtbarer Eile aus einer ſchlanken Ru⸗ the deſſelben einen Stok zu bilden ſuchte. Frie⸗ drich trat naͤher, ſein Blik ſtarrte nach dem be⸗ ſchaͤftigten Knaben hin; die Vermuthung, daß dies fein Sohn ſei, ward zur Gewisheit, Dies war einſt, dachte er, dein Auge, dein Blik! und das mächtige , unwiderſtehliche Vatergefuͤhl ver⸗ draͤngte auf einige Augenblikke den Jammer, wel⸗ cher ſein Herz fuͤllte. Friedrich! ſtammlete er, Friedrich! Wo willſt du hin? Der Knabe. (flͤchtig nach ihm aufbliffend,) Fort! In die weite Welt! Friedrich. Fort? Warum Der Knabe. Kanns nicht mehr aushal⸗ ten! Will hoͤren, will ſehen: Ob ich keinen Va⸗ ter mehr habe? Ob man ihn wuͤrklich koͤdtete? (mit ſeinem Stokke drohend.) Aber finde, treffe ich | ibn; 89 ihn; ſo ſolls den Buben, die mich immer ſo nek⸗ ten, übel gehen, fo ſollen ſie's fruͤh genug erfah⸗ ren, daß ich Rache zu nehmen verſtehe. Friedrich. Wer? Wo iſt dein Vater? Der Knabe. Mein Vater war einſt ein groſſer, vornehmer Mann, izt — — doch was hilfts! — — Wenn fie aufs Schloß fahren, ſo bitte ich ſie, niemanden zu ſagen, daß fie mie hier begegneten, man moͤchte mir ſonſt nachſezzen, und dann bekaͤme ich ſchrekliche Schlaͤge. Ach! mein Ruͤkken iſt ohnehin noch wund! — — Ich kanns nicht mehr aushalten! Ich muß fort! Friedrich. (baſtig mit e Wer ſchlug dich ſo erbaͤrmlich? Der Knabe. Ein Mann, den ich haſſe und doch Vater nennen muß. Friedrich. Und deine Mutter. Der Knabe. (wehmuͤthig) Meine Mutter? Sie war's einſt, aber fie iſt's nicht mehr! Sie ſieht gelaſſen zu, wenn mich ihre Buben nekken, und der Vater mit der Peitſche geiſſelt. Geſtern, wie 185 40 asian wie ich feine ſchreklichen Streiche nicht mehr dul den konnte, ſuchte ich mich in ihrem Schooſe zu verbergen, aber ſie ſtieß mich unbarmherzig von ſich, und wuͤnſchte mir den Tod. 0 Sele (ibn wild bet der Hand faſſend.) Komm, ich will Gericht halten! Ueber ihn! Ue⸗ ber ſie! — Ach! Ueber die nn Die a or er Knabe Wer on du? Du biiff för! 0 Gerte br lch, Sareftch: & its Wacht Ja bara ſolls denz Der Knabe. (öittende Wer biſt du 2 Friedrich. Dein Vater! den du ſuchteſt, den du gefunden haft, der dich raͤchen wird ſchreklich, armer Knabe, ſchreklich raͤchen muß! Komm, du ſollſt zuſehen, und das Feſt mit feiern! Der Knabe. Sie ? Sie? Mein Vater 2. Mein, ſo ſah, ſo blikte er nicht, wenn ich ihn mir vorſtellte, wenn ich mich ihm in Gedanken nahte! Ach, da war er ſo freundlich, kuͤßte, druͤk⸗ 41 druͤkte mich an ſein Herz! Nein, wilder Mann, du kannſt mein Vater nicht ſein! Friedrich antwortete dem Knaben nicht, ſein Auge ſtarrte nach einer nahen Allee, in welcher ein Mann und Weib ihm Arm in Arm entgegen wandelte, neben ihnen huͤpften zwei muntere Kna⸗ ben umher, und ſpielten mit einen kleinen Hun⸗ de, der immer ihren Ball auffing und ruͤktrug. Friedrich. (mit langſamer, füͤrchterlicher Stim⸗ me zum Knaben.) Wer find diefe ? Der Knabe. CHmabbliffend.) Ach Gott! Ach Gott! Das iſt der Vater, und die Mutter! Ich habe einen ihrer Buben eine Ohrfeige gege— ben, daß das Blut aus der Naſe rann! Siehſt du die Peitſche in ſeiner Hand! Sie ſuchen mich! Er wird mich ſchreklich ſchlagen! Laß mich los, ich will mich verſtekken! (will ſich hinter den Se verbergen.) | Friedrich. Nicht von der Stelle! Du biſt mein Sohn nicht, wenn du an Flucht denkeſt! Komm! Dein Vater wird dich ſchuͤzzen und raͤ⸗ chen! Er 42 Er riß den armen Knaben nun haſtig vor: waͤrts, und zog ſein Jagdmeſſer, als er naͤher kam. Das Blinken des Schwerdes machte die Luſtwandelnden aufmerkſam, ſie ſtanden, und Friedrichs ungetreue Gattin trat geſchrekt von innerer Ahndung einige Schritte ruͤkwerts. Frie⸗ drich ging auf ſie zu, Eiferſucht und Rache, die zwei ſchreklichſten und gefaͤhrlichſten Leidenſchaf⸗ ten eines Menſchen, waren feine Fuͤhrer, er hob ſein Schwerd raſch empor, er wollte die Urſache ſeines Jammers vernichten, das nagende Gefuͤhl ſeiner Rache ſaͤttigen; aber eine unvorhergeſehene Laft zog feinen ausgeſpannten Arm kraftlos zu⸗ ruͤk, ſein Sohn hieng daran, und bog ihn zur Erde. Es iſt doch meine Mutter! ſchrie der Klei⸗ ne mit wehmuͤthiger Stimme, und blikte flehend zum Raͤcher empor. Fliehen ſie, fliehen ſie, rief der Knabe der Zitternden zu, es iſt der Vater, mein Vater! Er will ſie ermorden! Fliehen ſie! Kaum hatte der Knabe dieſe fuͤrchterlichen Worte ausgeſprochen, ſo eilte die Ungetreue mit einem lauten Schrei ruͤkwaͤrts, ihr izziger Gatte folgte eben ſo ſchnell, und die zwei verlaßnen Kleinen ſtanden zitternd da, wagten es nicht, zu folgen. Friedrichs Auge folgte den Fliehenden, end⸗ lich erſchallte fuͤrchterliches Gelaͤchter aus ſeinem Mun⸗ 43 Munde! O die Schaͤndlichen! O die Elenden! rief er endlich aus! Sie fliehen, und laſſen die ehebrecheriſche Brut in des Raͤchers Händen! Dürs ſtete meine Seele nach Blut, ich koͤnnte den Durſt an dieſen ſaͤttigen, aber fern, fern bleibe der Ge— danke, ich will ihn nie mehr denken. Ich danke es Gott und dir, (feinen Sohn an ſich drüffend.) daß kein Mord mein Gewiſſen beflekt! (er hob feine Haͤn⸗ de gen Himmel.) Dir! Dir uͤberlaſſe ich die Rache! Biſt du gerecht, ſo muß ſie ſchreklich beginnen! Hienieden noch beginnen, und dort nie enden! (zu ſeinem Sohne.) Komm! Komm! Ich habe hier nichts mehr zu thun! Ich will fort, fort in eine Einoͤde, und dort ruhig meinen Tod erwarten. Fuͤhlſt du dich ſtark genug, deinem ungluͤklichen Vater zu folgen, und ihm bald das gebrochne Auge zuzudruͤken? (der Knabe ſchwieg.) Oder willſt du ruͤkkehren ins Haus des Laſters, und zuſehen, wie die iungen Kukuke in deinem Neſte niſten, ſich mit deinem Erbtheile maͤſten! Der Knabe. (ſtandbaft) Vater, ich folge dir! Friedrich. Ach, dann biſt du mein Sohn? (sum Himmel.) Vergieb mir, wenn ich dich in der Groͤſſe meines Jammergefuͤhls etwann unbarm⸗ her⸗ 44 herzig, und ungerecht nannte, du biſt keins von beiden, du biſt barmherziger, als ich dachte! Du raubſt mir Ehre, Gut und Vermoͤgen! Du laͤßt mich mein geliebtes Weib treulos wieder finden! Das war mehr als pruͤfend, das war hart! Aber du giebſt mir meinen Sohn wieder! Das iſt gnaͤ⸗ dig und troͤſtend! Das uͤberzeugt mich, daß du auch Vater, daß du aller Menſchen Vater biſt! Er gebot izt dem Kutſcher umzulenken, warf ſeinen Sohn in den Wagen, und folgte nach. Er reiſte nun ohne Plan, ohne Abſicht umher, weil⸗ te in keiner Stadt, oft auf abgelegnen Doͤrfern. Er ſprach wenig, viele Tage gar nichts, aber ſeinem Sohne begegnete er ſtets mit vaͤterlicher Zärtlichkeit, und nannte ihn oft ſeinen einzigen Troſt. Bald hernach, als er mit ihm in einem Walde planlos umher irrte, zaͤhlte er ſein Geld. Die Summe, welche ihm der großmuͤthige Prinz geſchenkt hatte, ward durch die fortdauernde Rei— ſe bis auf einige wenige Louisdors geſchmolzen, er ſtarrte fie lange an, und fein Sohn bemerkte es deutlich, wie er anhaltend weinte. Von die⸗ ſer Zeit an, ging er ſtets zu Fuſſe, uͤbernachtete oft im Walde, und weilte nur dann in Doͤrfern, wenn ſein Sohn uͤber Hunger klagte. Wie er den lezten Louisdor gewechſelt hatte, krank und kraft⸗ 45 kraftlos durch einen kleinen Wald an der leitens den Hand ſeines Sohnes wankte, blieb er am Ausgange deſſelben verwunderungsvoll ſtehen. Freude und Wehmuth ſchien lange in feinem Ger ſichte zu kaͤmpfen, endlich errang die leztere den Sieg, Mit Thraͤnen machte er es feinem Soh—⸗ ne kund, daß das kleine Doͤrfchen im Thale ſein Geburtsort ſei. Gott hat mich und dich wunder— bar hergeleitet, rief er endlich aus, vielleicht iſts ſein Wille, daß ich hier ſterben ſoll, daß du hier Nahrung und Unterhalt findeſt. Er trat endlich in eine der Huͤtten, die izt reinlich und gut ge= baut war. Ein alter Bauer bewillkommte ihn mit aͤchter Gaſtfreiheit. Friedrich ſprach lange mit ihm, aber der Bauer erkannte ihn nicht, end⸗ lich gab ſich Friedrich ſelbſt zu erkennen, und die Freude des Alten war groß und ruͤhrend. Er verſammlete in haſtiger Eile alle Bewohner des Dorfes um ihn, und alle freuten ſich innig ihren Herrn und Wohlthaͤter wieder zu ſehen. Sie hat— ten ſein ungluͤkliches Schikſal eheſchon vernom⸗ men, und oft aufrichtig zu Gott gefleht, daß ers aͤndern moͤge. Sie vereinigten ſich ſogleich zum edlen Entſchluſſe, ihm fein Guͤtchen, das er ih⸗ nen einſt ſchenkte, wieder abzutreten, aber er nahm dieſen dankbaren Antrag nicht an, bat ſie nur, daß ſie ihn bis an ſeinen Tod ernaͤhren, ſei⸗ | nen 46 nen Sohn immer unter ſich dulden, und feinen Aufenthalt niemanden verrathen ſollten. Sie ge⸗ lobten es, und erfuͤllten es mit gewiſſenhafter Treue. Friedrich bezog in der Huͤtte, welche er zuerſt betreten hatte, ein kleines Hinterſtuͤbchen, in welchem er noch funfzehn Jahre lang dem To⸗ de entgegen ſchmachtete, ſehr oft zu Gott um Auf⸗ loͤſung, aber immer vergebens flehte. Eine pei⸗ nigende Gicht, die Folge ſeines ungluͤklichen Schikſals, verbitterte ieden ſeiner Lebenstage, und verhinderten ihn, durch die lezten ſechs Jah⸗ re ſeines Lebens das Lager zu verlaſſen. Sein Sohn mußte ſich auf feinen ausdruͤklichen Ber fehl, in allen Arbeiten des Landmanns uͤben, und es ihm eidlich verſprechen, daß er, wenn auch das Gluͤt und Zufall winke, dieſen Stand nicht vers Saffen wolle. Er lächelte zufrieden, wie ihm einſt ſein Sohn entdekte, daß er die Tochter ſeines Bauern liebe, er ſchien all fein Leiden zu vergefe fen, und ſich innig mit zu freuen, wie der alte Vater dieſe Liebe billigte, und die Hand ſeiner Tochter willig in die ſeinige legte. Ein reicher Edelmann, der ſich der Bota⸗ nik widmete, und aus dieſer Abſicht oft in Ein⸗ oͤden umher kletterte, fand Friedrichen in den Huͤtten, er hatte ihn einſt genau gekannt, mit | ihm 47 ihm ſtudirt, aber er glaubte nicht, ihn im Ge mache des Jammers wieder zu finden, und er— kannte ihn daher lange nicht. Als aber innige Theilnahme an ſeiner Krankheit, und oͤfterer Be— ſuch Friedrichs Herz oͤfnete, da wurde endlich auch der Edelmann mit der merkwuͤrdigen Geſchich⸗ te bekannt, ihm verdanke ich die ganze Erzaͤhlung derſelben, und auch noch folgende Bruchſtuͤkke, welche der Edelmann erſt nach Friedrichs Tode ſammlete, und mir ebenfalls erzaͤhlte. Schon Friedrichs Ankunft in einem Lande, das eben mit feinem Monarchen Krieg führte, mußte ganz natuͤrlich Verdacht erwekken, und zur Aufmerkſamkeit reizen. Man war allerdings berechtigt, zu glauben, daß die Ungnade ſeines Monarchen nur Verſtellung, und Friedrich unter dieſem Vorwande vielleicht auf Spaͤhe ausgeſandt ſei. Sein neuer Monarch trug ihm abſichtlich Dienſte an feinem Hofe an, als er fie aber vers weigerte, da mehrte er unwiſſend den Verdacht gegen ſich. Er ward von dieſer Zeit an, ſorgfaͤl⸗ tig beobachtet, und endlich aufs ſchleunigſte auf eine entlegene Feſtung geführt, weil ein in ſei⸗ nem Dienſte geſtandner, nun aber entlaßner Kut⸗ ſcher die Feinde auf Nebenwegen uͤber die Graͤn⸗ ze gefuͤhrt, und das ganze Heer zum Ruͤkzuge | ges 48 gezwungen hatte. Dieſer Kutſcher war, obgleich feine That gluͤkte, durch Zufall gefangen wor- den, er konnte ſein Verbrechen nicht laͤugnen, und ſuchte es dadurch zu mindern, daß er im Verhoͤr bekannte: Er habe den Auftrag von feinem ehe: maligen Herrn dazu erhalten! Friedrichs neuer Monarch war gut und gerecht, aber raſch in feis nen Entſchluͤſſen, er gebot Friedrichs Gefangen⸗ fchaft, und vergas den Befehl zu feiner Freiheit, als ſeine ganze Unſchuld eben ſo zufaͤllig entdekt wurde. Erſt der Kronprinz wagte es, den Vater an den Ungluͤklichen zu erinnern, und erhtelte fo: gleich den Auftrag, ihm die laͤngſt verdiente Frei⸗ heit zu ſchenken. Der Edelmann reiſte vorher abſichtlich nach dem Schloſſe, auf welchem Friedrichs ungetreue Gattin wohnte, er wollte hart mit ihr ſprechen, und ihr Gewiſſen zu Gunſten der unverdienten Ungluͤklichen ruͤhren, aber er fand ſie ſchon im Grabe, und ihr Vermögen in den Händen der Vormuͤnder ihrer Kinder. Angſt, Furcht und Ge⸗ wiſſensqual hatten ſie beim Anblikke ihres noch lebenden Gatten ergriffen, immerwaͤhrend an ihe rem Leben genagt, ſie in finſtere Melancholie ge— ſtuͤrzt, und endlich in die Arme des Todes gelie— fert. Sie liebte ihren zweiten Gatten innig und, | zaͤrt⸗ / 49 zärtlich, als aber der erſte lebend und drohend vor ihr ſtand, ſchwand dieſe Liebe, und wandelte ſich in wuͤrklichen Haß um, der nie mehr endete, ſelbſt noch in der Todesſtunde mit ihr kaͤmpfte, und die Verzeihung hinderte, welche er von ihr zu erflehen ſuchte. Ein deutlicher Beweis, daß er ſie durch Scheingruͤnde getaͤuſcht, und zur Untreue verleitet hatte. Ihre Kammerfrau erzaͤhlte, daß die Leidende kurz vor ihrem Tode ein Teſtament gemacht, und es ihr ausdruͤklich erzaͤhlt habe, daß ſie darinne ihren erſten Gatten zu verſoͤhnen ſuche, aber das Teſtament ward nach ihrem Tode nicht gefunden, und ihr Vermoͤgen erbten die. Kinder der zweiten Ehe. Als der Edelmann dies alles Friedrichen wieder erzaͤhlte, laͤchelte er ſchmerzhaft, kehrte ſein Auge zum Himmel, und ſprach feierlich: Ar⸗ me Betrogne, ich verzeihe dir, und hoffe dich dort wieder zu finden! Er nahm kein Geſchenk von ſeinem Freunde an, und verbots ſtreng, als dieſer wenigſtens ſeinem Sohne ein beſſeres Schik⸗ ſal bereiten wollte. Vor fünf Jahren vollendete er feine irdi⸗ ſche Laufbahn , er ſtarb muthig und mit heiterer Froͤhlichkeit. Kein Stein, kein Kreuz bezeichnet D ſein 30 fein Grab, denn er verbots ausdruͤklich! Nie⸗ mand ahndet's, daß im Winkel des kleinen Kirch⸗ Hofes der Miniſter des Landes ruht. Sein gluͤk⸗ licher Sohn iſt Vater vieler munteren Kinder, und wallt noch oft mit den dankbaren Huͤttenbe⸗ wohnern nach dem berasten Huͤgel, um dem une gluͤklichen Vater eine Thraͤne zu weihen. Wenn muntere Knaben Ball ſpielen, und dieſen mit angeſtrengten Kräften hoch in die Hr he treiben, erinnere ich mich immer des unglüfs lichen same Er flieg, er ſank gleich die⸗ fem ? Vierte Wanderung. Eine Erzählung meines Freundes, den ich ſabn ſprechen Falle: | Wer ſich rein duͤnkt, der hebe den erſten Stein auf! Richtet nicht, ſo werdet ihr auch nicht gerichtet! So ſprach Gott ſelbſt, wie er als Men⸗ ſchenerloͤſer auf Erden wandelte. Und doch wird die⸗ 31 dieſe Warnung, dieſe goͤttliche Lehre, ſo wenig beobachtet, ſo oft vergeſſen! Man erwaͤgt nur das Gegenwaͤrtige, nie das Vergangne; nur die Folge, nicht Wirkung und Urſache; urtheilt feſt und entſchloſſen, und urtheilt oft falſch, wenig— ſtens lieblos! Ich waͤhle unter hunderten ein Beiſpiel. Vielleicht wuͤrkts, vielleicht machts aufs merkſamer auf Gotteslehre, und duldſamer gegen die Fehler unſers Naͤchſten! . Gelobt ſei Jeſus Kriſtus! So ſprach er, als er nahe bei mir vorüber ging, und in die Straſſe hinab trat, damit ich auf dem troknern Fußſteige ungehindert weiter wandeln konnte. Er ſprachs mit einer Janigkeit, die feſten Glauben verrieth, er ſprachs mit einem Tone, der vom Herzen kam, und zum Herzen ging. Ich blikte nach ihm zuruͤk, er ſah mich an und ſeufzte. Sei— ne Kleidung verrieth groſſe Armuth und hohe Duͤrftigkeit, ich greif in die Taſche, er ſchuͤttelte mit dem Kopfe, ich zog meinen Beutel heraus, er ging haſtig fort. Ich ſah ihm lange nach, er blikte nicht ruͤkwaͤrts, erſt als der Weg ſich kruͤm⸗ te, kehrte er ſich um, ſchien etwas zu uͤberlegen, zukte mit den Achſeln, und verſchwand aus met— nen Augen. Sein Bild begleitete mich auf dem einſamen Spaziergange, ich betrachtete es genauz | D 2 er, 5 1 — er, und fand unverkennbare Züge des Elends, des Jammers darinne. Seine Struͤmpfe und Schuhe waren ſehr ſtark zerriſſen, die leztern fos gar mit kleinen Strikken am Fuſſe befeſtigt, er trug einen alten Ueberrok, deſſen Farbe ich nicht unterſcheiden, deſſen Loͤcher ich nicht zaͤhlen konn⸗ te. Sein ſchwarzes Haar, das ſich ſchon merk⸗ lich bleichte, hing verworren umher, ſein Geſicht war lang und hager , die Farbe deſſelben ſehr gelb, ſein groſſes, ſchwarzes Auge blikte matt, feine breite Stirne war ſtark gefaltet. — — Noth und Hunger ſchienen ſeine treuen Gefaͤhrden zu ſein, und doch ſchuͤttelte er mit dem Kopfe, als ich in die Taſche grief, eilte ſchnell fort, wie er Geld erblikte. Dieſer Widerſpruch befchäftigte meinen Verſtand anhaltend, war von ihm noch nicht geloͤſt, als ich ruͤkkehrte, und nahe am Tho⸗ re den raͤthſelhaften Mann unfern von mir ſte⸗ hen ſah. Er hatte ſich an eine Gartenmauer an⸗ gelehnt, krazte mit ſeiner Rechten den Kalch von dieſer, und ſah zu, wie die kleinen Stuͤkke auf den Weg umher rollten. Mein feſter Tritt, ein oft wiederholter Huſten wekte ihn nicht aus ſei⸗ nem Tiefſinne, ſtoͤhrte ihn nicht in ſeinem Spiele. Ich ging unbefriedigt voruͤber, weil ich nicht Kuͤhnheit genug beſas den Ungluͤklichen auf frei⸗ er Straſſe anzureden, ihn geradezu nach der Ur⸗ ſa⸗ / 53 fache feines Ungluͤks zu fragen. Wie ich eben in eine Seitengaſſe einlenkte, eilte der Unbegreifli⸗ che abermals bei mir voruͤber. Er blieb an ei— nem Baͤkkerladen ſtehen, und ſchien mich zu ers warten. Als ich mich nahte, grief er ſchnell nach einem Brode, welches vor dem Fenſter lag. Wol⸗ len fie dieſes nicht zahlen? fragte er haſtig, in⸗ dem er das Brod mit zitternder Hand gegen mich ausſtrekte. Von Herzen gerne! antwortete ich, und er eilte ſchnell mit dem Brode fort. Eben wollte ihm der Baͤkker nachrufen, als ich mich bei ihm als Zahler ſtellte. Wer iſt dieſer Mann? fragte ich. Ich weis es nicht! antwortete er trok⸗ ken, nahm das Geld und ſchob das Fenſter zu. Ich blikte ruͤkwaͤrts, und der Mann mit dem Brode ſchwand eben aus meinen Augen. Er ward aufs neue meines Nachdenkens Beſchaͤftigung, vieles haͤtte ich darum gegeben, wenn ich haͤtte mit ihm ſprechen koͤnnen; aber die Moͤglichkeit ſchwand, weil ich, ob mich gleich die Neugierde ruͤkwaͤrts trieb, ihn nirgends mehr erblikte. Mei⸗ ne Einbildungskraft vertrat die Stelle der Wahr: heit, ſie ſchuf manche Gruppe des Elends, in welcher ich den Unbekannten, als Gatte und Vater handeln ſah. Ich wurde heiterer, wenn ich mir dachte, daß er eben das Brod unter ſeine hun⸗ 54 SL mare nme mn hungrigen Kinder austheilen, fih und fein Weib mit dem Ueberreſte ſaͤttigen würde. Sechs Tage lang ging ich um die nemliche Stunde, auf der nemlichen Straſſe ſpazieren, und ſah ihn nicht. Am ſiebenden, es war eben ein Sonntag, begegnete er mir aufs neue. Seine Stirne war ſtaͤrker gefaltet, fein grofes Auge blikte feuriger, aber auch wilder, er ſchien mit ſich zu kaͤmpfen. Erſt, als er ohne Grus bei mir voruͤber gehen wollte, erkannte er mich. Die Falten ſchwanden, fein Auge blikte fteundlicher, ſeine Lippen wollten ſich oͤfnen, aber er preßte ſie gewaltſam zuſammen, und ſchritt haſtig vorwaͤrts. Ehe ich uͤberlegen konnte, ob ich ihm folgen und mit ihm ſprechen ſollte, kehrte er um, und ging auf mich zu. Ich blieb ſtehen, und erwartete ihn. es | Derunbekannte. (mich freundlich geäfend) Brauchen fie nicht dann und wann einen Boten? Ich. O ia, es trift ſich dann und wann, und meine Freunde — — Der Unbekannte. Wollten ſie mir nicht dies kleine Verdienſt goͤnnen? Ich. 55 Ich. Warum nicht! Der Unbekannte. Sachen vom Wer⸗ the werden fie mir wohl nicht anvertrauen, obs gleich meine Ehrlichkeit fuͤr alles buͤrgte, aber Briefe kann ich doch hin und her tragen. We⸗ nigſtens wird fie meine ſchnelle Zurükkunft von meinem Eifer uͤberzeigen. Ich. Ganz wohl! — — Der Un bekannte. Ich wuͤrde gerne, recht gerne arbeiten, wenn ichs vermoͤchte, aber Noth, Elend und Krankheit haben wakker an mir gezehrt, haben mich zu ieder ſchweren Arbeit untuͤchtig gemacht, und leichte, meinen Kraͤften angemeſſene Arbeit will mir niemand geben. Ich. Wo wohnen fie? Der Unbekannte. In der Stadt. Ich. Aber in welcher Gaſſe? (er ſchwieg.) Ich frage nicht aus Neugierde, denn einen Bo⸗ ten braucht man oft ungefaͤhr — — Der Unbekannte. Ich will ſchon taͤ⸗ glich bei ihnen anfragen. Ich. 56 * — — —e un Ich. Wiſſen fie, wo ich wohne? Der Unbekannte. Ich weis es. Ich. So kommen ſie morgen um zehn Uhr zu mir, ich habe dann einen Brief nach — zu ſenden. Der Gang ſoll ihnen gut bezahlt werden, wenn ſie mir am nemlichen Tage noch Antwort bringen. Der Unbekannte. O das vermag ich recht leicht! Ich werde gewiß erſcheinen. Ich. Hier haben ſie indeſſen eine Lleintg⸗ keit. Es iſt Sonntag — Der Unbekannte. (zurüͤktretend.) Ich bitte ſehr um Verzeihung, ich nehme nichts im Voraus. Das Stuͤkchen Brod ſchmekt ſuͤſſer, wenn mans ſchon verdient hat, als wenn mans erſt verdienen ſoll. Ich. Ich werde es nicht anrechnen. Der Unbekannte. Dann muß ich es ſchlechterdings ganz verbitten. (webmüͤthig.) Ich kann, ich darf kein Geſchenk annehmen. Ich. 57 I ch. So nehmen fie es wenigſtens als eis ne Angabe auf den morgenden Botengang. Denn, wenn ich mich nicht j cher darauf verlaſſen koͤnnte, 1 Der Unbekannte. (das Geld mit Wi⸗ derwillen annehmend.) So geben fie nur! (gedanken— voll.) Ich werde doch wohl —— ich kann ia doch ich will (han — — Indem er dieſe Worte oft wiederholte, durch— ſuchte er feine Taſchen, zog endlich ein zerriß nes Schnupftuch heraus, wikkelte das Geld darein und verknuͤpfte es wenigſtens mit einem zehnfa— chen Knoten, den er iedesmal ſtaͤrker zuzog. Um zehn Uhr alſo? fragte er endlich, als er das Tuch in die Taſche geſtekt hatte, und wie ich feine Fra⸗ ge beiahte, ſo eilte er ſchnell fort. Ich blieb ſte⸗ hen, und ſah ihm nach. Rechts und links ſtan— den an der Straſſe Haͤuſer, ſo oft er bei einem derſelben voruͤber ging, ſtand er ſtille. Einige⸗ mal betrat er ſchon die Stuffen, die dahin fuͤhr— ten, aber immer kehrte er wieder um, und eilte nach dem Thore, durch welches ich ihn endlich in die Stadt gehen ſah. Ich hatte wuͤrklich etwas in — zu beftellen, aber 58 aber es war nicht dringend, haͤtte auf eine min⸗ der koſtbare Gelegenheit warten koͤnnen, da ich aber ein gutes Werk uͤben wollte, ſo machte ich den Brief fertig, und harrte am andern Morgen des Botens, aber er kam nicht, und ob ich gleich den Brief drei Tage lang liegen ließ, ſo mußte ich ihn doch am Ende durch eine andere Gelegen⸗ heit befoͤrdern. Ich ging oft wieder des Weges, aber ich traf meinen Unbekannten nie. Erſt in der dritten Woche begegnete er mir in einer an⸗ dern Gegend. Ich ſahs deutlich, daß er verlegen war, wie er mich erblikte, daß er gerne ausge⸗ wichen wäre, wenn er hätte ausweichen Fönnen. Ich. (ibn freundlich grüfend.) Warum find ſie nicht gekommen? Der unbe e kannt e. (ſeufzend.) Der N denkt und Gott lenkt! Ich. Sie hatten wahrſcheinlich wichtigere Geſchaͤfte? Der Unbekannte. (etwas bitter.) Ge⸗ ſchaͤfte? Doch ka! Es iſt das lezte, und oft auch das wichtigſte! In eben der Stunde, in welcher ich bei ihnen erſcheinen ſollte, vollendete eines mei⸗ 59 meiner Kinder feine irdiſche Laufbahn. Heil ihm, daß es vollendet hat! Weh dem, welcher der Voll— endung vergebens entgegen harren muß! Ich ha— be zwar noch fuͤnf Kinder, ich ſehe ſie taͤglich Noth und Mangel leiden, es waͤre beſſer, wenn ſie alle dort Freuden ſuchten, die ihnen hier nicht werden koͤnnen, aber ich bin Vater, und kann das zaͤrtliche Gefuͤhl deſſelben nicht unterdruͤkken. Elend und Jammer, Sturm und Ungluͤk kaͤm⸗ pfen mit Rieſenſtaͤrke dagegen, aber das vaͤterli— che Gefuͤhl iſt einzig in der Natur, es ſteht feſt, es wankt, es weicht nicht. Auch der Arme weint, wenn er im toden Kinde einen groſſen Theil ſei⸗ nes Kummers und ſeiner Sorgen zu Grabe traͤgt, er fuͤhlts dann am lebhafteſten, wie er oft hunz gerte, damit das Kleine eſſen konnte. — — Ver⸗ geben ſie, daß ich ihnen mit ſolchen Klagen laͤ⸗ ſtig falle. Ich. (ſebr gerührt.) Laͤſtig? Dann waͤre ich nicht würdig Menfch zu fein. Der Unbekannte. Zwei Tage hindurch raubte mir der Anblik des toden Kindes alle Kraft, etwas verdienen zu koͤnnen, am dritten mußte ich Huͤlfe ſuchen, um es zu begraben. Ich 69 Ich. Warum find fie niche zu mir gekom⸗ men? Ich hätte — — Der Unbekannte. Wie konnte ich dies ſes? Ich hatte zum erſtenmale nicht Wort gehal⸗ ten, ich mußte ihren Zorn faͤrchten— — Ich. Bei ſolch einer wichtigen Entſchul⸗ digung? — Der Unbekannte. Man glaubt den Ar⸗ men ſo wenig! Ich konnte nicht vermuthen, daß ich bei ihnen eine Ausnahme finden wuͤrde. Nicht erfuͤllte Hofnung, geoͤfnete und wieder verſchwun⸗ dene Ausſicht iſt mir ſchon zur Gewohnheit ge⸗ worden, und doch haſche ich nach ieder, die ſich mir von ferne nähere. Wollen fie mich kuͤnftig ihres Vertrauens wuͤrdigen, ſo ſtehe ich zu Dienſten. Meine hungrigen Kinder, mein armes Weib ver: dienen Unterſtuͤzzung! Ich fuͤhle mich izt wieder fähig, etwas für beide thun zu koͤnnen⸗ Ich. Kommen ſie Morgen fruͤh zu mir, ich werde ſicher eines Boten noͤthig haben. Der Unbekannte. Ich werde ſicher er⸗ cheinen. Ich. 61 Ich. (In die Taſche greifend) Und hier — Der Unbekannte. Nein! Durchaus nicht! — — Haben ſie Mitleid mit meiner Em⸗ pfindung! Tadeln fie ſolche nicht! — — Ich kann im Voraus nichts annehmen. Wollen fie aber ei⸗ ne Wohlthat uͤben, ſo kaufen ſie mir da unten bei dem Baͤkker wieder ein Brod. Ich. Herzlich gerne! Wenn ſie nur erlaub⸗ ten, daß ich mehr thun duͤrfte. Der Un bekannte. Mehr nicht! Mehr wahrlich nicht! Ich wuͤrde dies nicht fordern, wenn meine Kinder nicht hungerten. Ich eilte hinab, ich kaufte das groͤßte Brod, Hier find, ſprach ich, noch fünf Semmeln fuͤr ih⸗ re Kinder. Er grief haſtig nach beiden und ent⸗ ſchwand ſchnell aus meinen Augen. Ich hatte nirgends etwas noͤthiges zu beſtellen, aber ich hatte den merkwuͤrdigen Unbekannten Verdienſt zu⸗ geſagt, und ſchrieb noch Abends einen gleichguͤl— tigen Brief an einen Freund in der Nachbarſchaft. Fruͤh erſchien der Unbekannte richtig, er fuͤhrte einen zehniaͤhrigen Knaben an der Hand, deſſen Geſicht eben ſo deutlich en und Kummer ver: | rieth. 62 rieth. Der Kleine hatte einen Stok in der Hand, und lachte mich freundlich an. Er will mit mir 17 9 8 ſprach der Unbe kaunte, ich konnte es ihm nicht abſchlagen, weil es ihm Freude macht, und ich dieſe meinen Kindern fo ſelten gewähren kann. Ich gab ihm den Brief, und wollte ihm auch ei⸗ niges Geld zur Zehrung geben, aber er nahms nicht an. Es hat Zeit, bis ich die Antwort brin⸗ ge, wir haben ſchon Proviant mit uns genommen. Nicht wahr, Wilhelm? ſo ſprach er, und laͤchelte freundlich auf den Knaben herab. Ja! wir ha⸗ ben genug, antwortete der Knabe, und zog ein groſſes Stuͤk Brod und eine halbe Semmel aus ſeiner Taſche. Die Mutter hat redlich mit uns getheilt, und wenn wir etwas zuruͤkbringen, ſo kann die Schweſter kochen, Fleiſch und Braten aus dem Brode machen. Es iſt kurios, aber wahr iſts doch! Wenn ſie ein Stuͤk Brod in ihre kleine Pfanne legt, es hin und her wendet, mit Waſſer begießt, und endlich laut aufſchreit: Kommt Bruͤ⸗ der, izt iſt der Kaͤlberbraten fertig! ſo ſchmekt das Brod akkurat wie „ Der u nbefannte. (ſeufzend.) Eine gluͤkli⸗ che Einbildungskraft! Nicht war, mein Herr? (ſtaͤrker ſeufzend.) Aber gehts uns wohl beſſer? Traͤu⸗ men wir nicht oft ſtaͤrker? Macht uns unſere Ein⸗ bil⸗ 63 bildungskraft nicht oft zu Koͤnigen und Fuͤrſten? — — Wenn man nur immer träumen koͤnnte, nicht erwachen muͤßte! O dann — dann fuͤhlt man ſeinen elenden Zuſtand am heftigſten! —— Komm, Wilhelm, komm! Wir haben einen weiten Marſch vor uns! Du reiteſt auf deinem Stekken voraus, und ich folge. Der Knabe. Dann ſolls ſchnell gehen. Der Knabe huͤpfte fort, der Vater folgte, und ich dachte noch lang an den gluͤklichen Kna⸗ ben, dem Brod mit Waſſer begoſſen, wie Braten ſchmekte. Ich ſpeiß te zu Mittage bei einem guten Freun⸗ de. Noch vor Tiſche hörte ich, daß er morgen eis ne Schachtel nach — zu ſchikken habe. Ich er⸗ zaͤhlte ihm die Geſchichte meines Unbekannten, und bat ihn, mir die Schachtel zu uͤbergeben, da⸗ mit ich dieſem ein neues Verdienſt zuwenden koͤnn⸗ te. Der Werth der Schachtel, ſprach mein Freund laͤchelnd, iſt fo groß nicht, und endlich wohl zu verſchmerzen, wenn am Ende ihr unbekannter Bo⸗ te damit unbekannt bleiben ſollte. Ich will ſie ihnen ſenden, und verlaſſe mich auf die richtige Beſtellung. Ich verſicherte ibm ganz empfindlich daß 64 — daß ich fuͤr die leztere buͤrge, und die Schachtel ward nach meiner Wohnung geſand. Bei Tiſche ward aufs neue von dem Unbekannten gefprochen; die Gattin meines Freundes nahm innigen An⸗ theil am Geſpraͤche, der kleine Wilhelm, dem Brod wie Braten ſchmekte, ruͤhrte ihr gutes Herz, wie ich Achſchied nahm, bat ſie mich, ihm ein groſſes Stuͤk Braten mit zu nehmen, damit er einmal verſuchen koͤnne: Ob Einbildung nicht von der Wuͤrklichkeit uͤbertroffen wuͤrde? Ich dankte in feinem Namen, und ging nach Haufe, um die Ruͤk⸗ kunft meines Botens abzuwarten. Ehe ichs vermuthete, trat er mit ſeinem Sohne in mein Zimmer, Er hatte den Brief rich- tig beſtellt, und brachte mir Antwort. Es iſt heu⸗ te ſehr warm, ſprach er, und wiſchte ſich den Schweiß von der Stirne. Ja wohl iſts warm! lallte der Knabe nach, und troknete ſich ebenfalls fein Geſichte. Aber dafür wollen wir's uns heu⸗ te auch recht herrlich ſchmekken laſſen, ſagte der Vater, und die Ruhe mit dankbarem Herzen ge— nuͤſſen, denn wir haben unſer Tagwerk redlich vollbracht. Nicht wahr, Wilhelm? Der Knabe. Ja, Vater, ia! Und wenns der Mutter, der Schweſter und den Bruͤdern recht | gut Bm Tun f — gut ſchmekt, ſo wollen wir ſagen: Seht ihr, ſo lohnt Arbeit und Thaͤtigkeit! Der Unbekannte. Recht ſo, lieber Sohn! | Du haſt dirs gut gemerkt, was ich dir, als du auf dem Wege muͤde wurdeſt, einzupraͤgen ſuchte. (mich lächelnd anblikkend) Verzeihen ſie! Hofnung iſt oft das Brod der Armen, ſie muͤſſen ſogar ihre Kinder damit fuͤttern, wenns am wuͤrklichen Bro⸗ de gebricht. Ich (zum Knaben.) Nun? Iſt etwas Brod | zum Kochen für die Schwerter übrig geblieben 2 Der Knabe. (die Achſeln zukkend.) Nichts! (auf feine Taſchen klopfend.) Gar nichts! Ich hatte wohl ein Stuͤkchen auf die Seite geſtekt, wie mich aber nahe an der Stadt ſo ſehr durſtete, und ich an einem Brunnen trinken wollte, da ſagte der Vater, daß ich nicht trinken duͤrfte, bis ich nicht etwas Brod gegeſſen haͤtte, und da erinnerte ich mich an das verborgne Stuͤk, und aß, und aß, bis ich nichts mehr hatte. — — Der Unbekannte. Und wir den gefaͤhr— lichen Brunnen ſchon aus dem Geſichte verlohren hatten. N E Der 66 Der Knabe. Je nun! Gott wird un ſchon etwas anders beſcheren! Ich. Er hats ſchon gethan! (ihm den Bed | ten gebend.) Da iſt etwas, das vielleicht beffer ſchmek⸗ ken wird. | Der Knabe. (voll Freude.) Vater! Bra⸗ ten! Wuͤrklicher Braten! Seht nur! Koſtet nur. Der Un bekannte. Ich ſehs! Der Knabe. Das wird eine Freude fein! Den Braten muß die Mutter und der Vater eſſen, und wir werden zuſehen, und uns freuen, wies ihnen ſchmekt. Der Unb e kannte. (ibn mie Heftigkeit an ſich druͤkkend.) Gutes Kind! Ohne euch würde er bitter ſchmekken. | Der Knabe. Je nein, wir kochen Brod, und eſſens ſtatt Braten. Das ſchmekt eben ſo gut! 0 | | Der Unbekannte. (auf den Knaben deus tend.) Bin ich nicht reich? Ich. O reicher als mancher Fuͤrſt! Der Unbekannte. Das ſoll heute der Gedanke ſein, welcher mich in den Schlaf wiegt, wenns Muͤdigkeit nicht vermag. — — Ich dan⸗ ke vielmals, und empfehle mich ihnen. Ich. Sie werden doch nicht ohne Ban- Fun geben ? Der Unbekannte, Bin ich nicht ihr Schuldner? Haben ſie nicht meinen Buben fa, hinlaͤnglich belohnt? Ich. Nein! Ohne Bezahlung duͤrfen ſie nicht von binnen. Ich bitte, nehmen fiel — — Der Unbekannte. Es waͤre Thorheit, wenn ich mich weigern wollte, etwas zu nehmen, da ichs ſo noͤthig brauche. (zum Knaben.) Nimm dus! Du haſts mit verdient, trags der Mutter heim, und mache ihr damit einmal Freude! Ach fie genuͤßt fie fo ſelten! (Der Knabe nahm das Gelb, und zeigte es iubelnd dem Vater.) 1 Der Unbekannte, Es iſt viel! Zu viel! Aber meine Kinder ſollen fuͤr ſie beten, und das 22 Ge⸗ 68 Gebet der Kinder hoͤrt Gott gerne! (zum Knaben.) Nimms! Danke und trags der Mutter heim! Der Knabe. Sie muͤſſen mit mir gehen, ſonſt freut ſich die Mutter nicht, em weint fie, und meint gleich — — Der Unbekannte. Schweig nur, ich gehe mit dir heim! Ich. Wenn ſie morgen nicht zu muͤde ſind, und nach — gehen wollen, ſo habe ich hier eine ſehr leichte Schachtel, die ich dahin ſchikken muß. Der u unbekannte, Ich will fie richtig beſtellen. Ich. Wenn ſie mir ihre Wohnung ſagen wollten, fo würde ich fie ihnen morgen früh — — Der Unbekannte. Ich werde ſie ſelbſt abholen. Der Knabe. Und ich gehe wieder mit? Der Unbekannte. Wenns deine Fuͤſſe erlauben. | Der 69 Der Knabe. O es wird ſchon gehen! Die gute Mutter wird Freude haben, wenn ſie morgen wieder etwas verdienen koͤnnen. Vater, lieber Vater, wenns ſo fort geht, ſo koͤnnen wir recht gut und gluͤklich leben! Der Vater wiſchte eine Thraͤne aus ſeinen Augen, er wollte ſprechen, aber er vermochte es nicht, er dankte mit beredtem Blikke, und wankte an der Hand ſeines Sohnes zur Thuͤre hinaus. Mir war ſo leicht, ſo wohl, auch ich eilte bald ins Freie. Der Abend war ſchoͤn, alle Spazier⸗ gaͤnger klagten über ſchwuͤle Hizze; ich ſah meine arme Familie vergnuͤgt am Tiſche ſtzzen, und fuͤhl⸗ te keine Hizze, ruhte ſanft bis an den Morgen! Kaum war ich erwacht, fo erſchien der Une bekannte, um die Schachtel abzuholen, er ſah heiter und munter aus, und verſicherte mich mit edler Offenherzigkeit, daß er ſchon ſo viele Jahre keinen ſo gluͤklichen Abend genoſſen habe. Ich fragte nach ſeinem Wilhelm. Der arme Bube, antwortete er, waͤre gerne mit gegangen, aber er hat Blaſen an den Fuͤſſen, und kann kaum ſtehen, ich muß allein gehen, und mir die Zeit mit der Hofnung verkuͤrzen, daß meiner wieder ein froͤh— licher Abend harrt. Er ging, und ich eilte zu mei⸗ 8 i nem 76 nem Freunde, um mir wieder ein Stuͤk Braten zu beſtellen. Die gute Gattin deſſelben fande mehr, als ich forderte, und ich freute mich ſo innig, ſo herzlich auf die Ruͤkkunft meines Unbekannten, aber er kam nicht. Ich harrte drei Tage lang, und er kam nicht. Am vierten ſchlich ich zu mei⸗ nem Freunde, und erkundigte mich von Ferne nach dem Inhalte der Schachtel. Er merkte ſogleich Melt Verlegenheit, ſcherzte anfangs, und bekann⸗ te mir endlich, daß nur einige Puzſachen darinne lagen, welche ſeine Frau einer Freundin zum Ge⸗ ſchenke nach — ſande, des Dankes dafür aber ger⸗ ne entbehren wuͤrde, weil ihr meine empfindſame Erzaͤhlung einige fuͤſſe Thraͤnen entlokt haͤtten, die weit mehr als Freundes Dank werth waͤren. Ob mich gleich ſein Spott aͤrgerte, ſo fuͤhlte ich ihn doch, ich mußte ſchweigen, und konnte ſeinen Gruͤn⸗ den nur die Hofnung entgegen ſezzen, daß die Schach⸗ tel doch wohl richtig beſtellt, und der arme Bote krank geworden ſei. Um Gewißheit zu 1 babe ſande ich am an⸗ dern Tage einen zweiten Boten nach — Er kam zuruͤk, und brachte die Nachricht, daß niemand eine Schachtel uͤberbracht habe. Nun ſank meine Hofnung freilich ſehr tief, aber ich konnte mich doch un überreden, daß der Unbekannte ein Be⸗ truͤ⸗ 7» truͤger fei, und wenn mein Freund — welches denn oft geſchah — die Geſchichte mit der Schach⸗ tel begann, ſo hatte ich immer eine Menge Schein⸗ gruͤnde in Bereitſchaft, die ſein liebloſes Urtheil widerlegen ſollten. Indeſſen konnte ichs doch nicht hindern, wenn er einleuchtend bewieſe, daß zu groſſe Empfindſamkeit nichts nuͤzze, und mußte dem goldnen Spruche der Alten: Trau, ſchau, wem! Gerechtigkeit wiederfahren laſſen. Ich ſuchte in der Folge auf allen meinen Spaziergaͤngen den Un; bekannten, und fand ihn nirgends, nur einmal ſchiens mir, daß er an einer Ekke ſtehe, und wie er mich erblikte, ſogleich forteilte. Dein Auge kann dich betrogen haben! ſo dachte ich damals, ſo dachte ich immer, wenn mirs einleuchtend werden wollte, daß mein Freund Recht habe. Einen langen Monat hindurch blieb ich in dieſer Ungewißheit, als ich aber kurz nachher mei⸗ nen Freund beſuchte, war ſein Spott uͤber die verlohrne Schachtel lauter und anhaltender als iemals, feine Gattin, die ſonſt immer meine Ver⸗ theidigerin ward, ſchwieg diesmal ganz, und laͤ⸗ chelte einigemal bedeutend. Ich erfuhr endlich» daß man die Schachtel wieder erhalten habe, er⸗ ſtaunte aber noch weit mehr, als ich uͤberzeugt ward, daß mein unbekannter Bote ſie in der Vor⸗ ſtadt 72 ſtadt in einem Brandweinhauſe für drei Groſchen verſezt hatte. Wie ich anfangs noch zweifeln woll⸗ te, ward die Tochter des Wirths herein gerufen, welche die Schachtel eben uͤberbracht hatte. Sie beftätigte die ganze Geſchichte, nur war ſie nicht zu Hauſe, als ſie geſchah, und konnte mir die — wu en — Geſtalt des Unbekannten nicht beſchreiben. Der Erzählung ihres Vaters gemäß, trat an eben dem Tage, als ich den Boten abſande, ein aͤuſſerſt ſchlecht gekleideter Mann mit der Schachtel unter dem Arme ins Zimmer, und forderte Brandwein. Da der Wirth die Verhaͤltniſſe ſeines Kleides ganz richtig mit dem Beutel berechnete, ſo woll⸗ ke er eher nicht einſchenken, bis der Brandwein nicht im Voraus bezahlt wuͤrde. Der Bote ſchien darüber entruͤſtet, und gab nach einigem Wort: wechſel die Schachtel mit der Verſicherung zum Pfande, daß er fie nicht eher zuruͤkfordern wurde. als bis er die Zeche bezahlt habe. Der Wirth ſchenkt ihm nun dreimal ein, wie er ſich nach der Hand nach ſeinem Gaſte, welcher ſehr luſtig ge⸗ worden war, umſah, war dieſer verſchwunden, und die Schachtel blieb in ſeinen Haͤnden. Da ſie in ſo langer Zeit nicht ausgeloͤſt ward, er den Inhalt der Schachtel nicht kannte, und mit Recht beſorgte, daß vielleicht Sachen, die berderben koͤnn⸗ en, e auch gar nichts darinne enthalten ſein 73 fein koͤnne, fo oͤfnete er ſolche, fand nebſt den Pußzſachen ein kleines Zettelchen darinne, welches die Gattin meines Freundes geſchrieben, und mit ihrem Namen bezeichnet hatte. Er erkannte dar: aus die Eigenthuͤmerin der Sachen, und ſande ſie mit der Bitte zuruͤk, daß man ihm die drei Groſchen zahlen moͤge. Nach dieſer ſichern Ueberzeugung blieb mir freilich kein Zweifel, aber das Betragen des iz bekannten ward mir hingegen ein um ſo ſtaͤrkeres Raͤthſel. Er ſprach ſo richtig, ſo treffend, er liebte ſeine Kinder ſo innig, ſo zaͤrtlich, und ſoll⸗ te faͤhig geweſen ſein, eine That zu begehen, wozu ihn nicht Noth nur Luͤſternheit des Gaumens zwang, durch welche er ſich uͤberdies die Hofnung eines fernern Verdienſtes, und ſeinen armen Kindern manchen Biſſen Brod raubte! Ich wuͤnſchte herzlich, ihn nur noch eins mal zu ſprechen, um von ihm ſelbſt Erklaͤrung zu erhalten, ich wollte nicht mit ihm zanken, ihm kei⸗ ne Vorwuͤrfe machen, nur die Urſache erforſchen, die den Menſchen oft zu dem macht, was er nicht iſt, nicht einmal ſein will. Mein Wunſch ward lange nicht erfuͤllt; ſchon nahte ſich der Winter, ſchon dekte tiefer Schnee die Erde, wie ich meinen Un⸗ 8 be⸗ 74 | | „FF TG bekannten auf einmal hinter einer Dame erblikte, die er dringend um ein Almoſen anflehte. Ich wuͤrde ſie nicht plagen, gerne hungern, ſprach er im geruͤhrten Tone, wenn ich nur wenigſtens Koh⸗ len hätte, um die erſtarrten Glieder meines Wei⸗ bes und meiner Kinder zu waͤrmen. Die Dame gab ihm ein reichliches Almoſen, denn ich ſah, als er ſich umkehrte, Silbergeld in feiner Hand glaͤn⸗ zen. Ich ſtand dicht vor ihm, er zitterte und beb⸗ te, als er mich erkannte. Seine Kleidung war noch die nehmliche, aber weit ſtaͤrker zerriſſen; er ſah erbarmungswuͤrdig aus. Verzeihen, vers geben ſie — — ſtammlete er, und wollte ſich ent⸗ fernen. | | J ch. Ich denke nicht mehr daran, nur er⸗ ſuche ich ſie, mir eine einzige Gefaͤlligkeit zu er⸗ weiſen — — 5 | Der Unbekannte. Befehlen fie. Ich bin in ihren Händen, e Ich. Warum verſezten ſie die Schachtel, welche ich ihnen anvertraute, fuͤr ſolch eine Klei⸗ nigkeit, und noch uͤberdieß für Brandwein? Der t 75 Der Unbekannte. Verſezzen ? fuͤr Brandwein? . Ich. Ja! Es iſt alles entdekt, der Wirth hat die Schachtel zuruͤkgebracht! Der Unbekannte. Zuruͤkgebracht ? Gott ſey Dank! Wenn fie ſolche nur wieder has ben, dann bin ich ia nicht ſo ungluͤklich, als ich zu ſein glaubte, dann darf ich ia nicht mehr wie ein Dieb bei der Nacht umher ſchleichen. Gott ſei Dank! Mir geſchieht Unrecht, aber fie haben doch das Ihrige zuruͤk, und ich kann doch wenigſtens Ver⸗ gebung hoffen. Ich wollte ihnen gerne alles er- zaͤhlen, aber ſie ſehen, wie ich zittere, ich kanns fuͤr Kaͤlte nicht mehr aushalten. Ich. Kommen ſie mit mir nach meiner Wohnung, der Gang ſoll ſie nicht reuen. Der Unbekannte. Ich verließ mein Weib, meine Kinder in den elendeſten Umſtaͤnden, Sie waren ſchon ſtarr fuͤr Kaͤlte, ſie werden er— frieren, wenn ich nicht Holz bringe. (ſeine Hand öfnend.) Ich habe Geld, ich muß meine Kinder retten. Ich komme heute noch zu ihnen, ich er⸗ zaͤhle ihnen alles. Ich. 76 Ich. Waͤrs auch neuer Trug, ich kann, ich will ſie nicht laͤnger aufhalten. Der Unbekannte. Gott wirds (oßnen. Er eilte fort. Die Berfuchung war groß, ich wollte ihm folgen, aber er blikte ſo ſchuͤchtern zuruͤk, und eilte dann ſtaͤrker, wenn er mich noch ſtehen ſah, ich unterdruͤkte meine Neugierde, und ging endlich heim, als er noch einmal hinter der Ekke einer Seitengaſſe nach mir hervorblikte. Eine Stunde nachher klopfte es an meiner Thuͤre. Der Unbekannte trat herein. Seine Mie⸗ ne war nicht mehr verlegen, er blikte freundlich. Izt ſizzen meine Kinder am warmen Ofen, ſprach er, und eſſen ihr Stuͤkchen Brod mit vollen Bak⸗ ken, izt bin ich hieher geeilt, um mich bei ihnen zu rechtfertigen. Sie ſehen einen der elendeſten Menſchen auf Gottes Erdboden vor ſich ſtehen, aber er behauptet kuͤhn, und wills beweiſen, daß er dies Ungluͤk nicht verdiente, daß es nicht Strafe, nur Pruͤfung des Ewigen ſein kann. Ich binein Seidenfabrikant. Noch vor ſechs Jahren er⸗ naͤhrte ich mich und meine Gattin redlich, ich ge⸗ noß fogar das ſeltne Gluͤk, mein Vermoͤgen taͤg⸗ lich wachſen zu ſehen. Mein Weib gebahr mir N ie⸗ — 3 iedes Jahr ein Kind, ich empfings mit inniger Freude, weil ichs naͤbren und erziehen konnte. Meine Fabrik beſchaͤftigte mehr als hundert Haͤu⸗ de, ich hatte ausgebreiteten Kredit, mußte aber auch meinen Kaͤufern wieder kreditiren. Ich han⸗ delte bisher mit bekannten, groſſen Kaufleuten, nahm wenig Gewinn, wurde aber auch richtig bes zahlt. Wollte Gott, ich waͤre dieſem Grundſazze getreu geblieben, ſo duͤrfte ich izt nicht ſo ſchrek⸗ lich darben. Es ſind nunmehr ſieben Jahre, als zwei fremde Juden in meine Niederlage traten, meine Waaren ſehr lobten, und mich offenherzig verſicherten, daß ich zu wohlfeil verkaufe. Sie verſprachen mir iedes Stuͤk fuͤr zwei Thaler theue— rer, und baar zu bezahlen, wenn ich mich ent⸗ ſchluͤſſen wollte, fie mit hinlaͤnglicher Waare zu verſehen. Ich verſprachs, und fie übernahmen ſogleich einen Theil meines Vorraths, holten ei⸗ nigemal mehr, und zahlten ſtets baar. Dieſer ſtarke, unverhofte Abſaz bewog mich, meine Fa⸗ brik mit zwanzig Stühlen zu vermehren, die Ar⸗ beit vollauf hatten, weil die Juden immer ſtaͤrke⸗ re Abnehmer wurden. In der Folge kamen fie nicht ſelbſt mehr, ſondern ſchrieben, und beſtellten am Ende des Jahres aufs neue fuͤr zwanzig tau⸗ ſend Gulden Waare, welche ich ihnen nach Trieſt fenden ſollte. Als ich die Wagre ſchon bereit lie⸗ gen 78 gen hatte, ſo kamen ſie ſelbſt, und fragten an: ob ich ihnen ſoſche auf vier Monate lang gegen beſſere Preiſe und Wechſel borgen wollte, weil ſie diesmal zu viele Waaren gekauft hatten, und nicht ſogleich baar zahlen koͤnnten ? Sie beriefen ſich auf die Empfehlung bekannter Haͤuſer, und ich verſprach, ihnen am andern Tage Antwort zu ſa⸗ gen. Ich fragte nach, und erfuhr überall, daß man ſie als redliche Zahler kenne. Ich borgte, und ſie reiſten mit der Verſicherung ab, daß ſie ihre Wechſel noch vor dem Termine einloͤſen wuͤr⸗ den. Als der Termin nahte, erwartete ich ieden Poſttag Nachricht und erhielte keine, als der Ter⸗ min voruͤber war, erkundigte ich mich uͤberall nach ihrem Aufenthalte, und hoͤrte bei den meiſten aͤhn⸗ liche Klagen. Die Folge bewies, daß ſie in un⸗ ſerer Stadt allein, über einmal hundert funfsig tauſend Gulden Waaren herausgenommen hatten, und damit wahrfcheinlich nach einem fremden Lan⸗ de geflohen waren, um el Raub in ea zu verzehren. Ich beſaß nicht mehr als zehntauſend Gul⸗ den eigenes Vermoͤgen, ich konnte nicht laͤnger rich⸗ tig zahlen, und mußte fallen. Ob ich gleich all mein Haab und Gut redlich bekannte, meinen Glaͤu⸗ bigern auch nicht das geringſte verſchwieg ſo ver⸗ 72 verloren dieſe, da die koſtbaren Geraͤthe und Werks zeuge ſehr wohlfeil verkauft wurden, doch eine ſehr nahmhafte Summe, und ich wanderte mit meinem Weibe und Kindern, aller Habſeligkeiten ganz entbloͤßt, in eine elende Herberge. Es war allgemein bekannt, daß ich nicht aus Bosheit und Hinterliſt bankerut gemacht hatte, es wuͤrde mir daher ſehr leicht geweſen ſein, bei einem andern Fabrikanten in Dienſt zu treten, und auf dieſe Art mein Weib und meine Kinder wenigſtens nothe dürftig zu ernähren. Aber Angſt und Kummer warfen mich aufs Krankenbette, wie ichs wieder verlaſſen konnte, klagten meine Kinder uͤber Hun⸗ ger, und mein Weib bewies mir deutlich, daß ſie nichts mehr habe, um ihn zu ſtillen. Ich ſchwieg, aber es nagte gewaltig an meinem Herzen, wie ich meine Kinder aufs neue weinen hoͤrte, ergrif ich meinen Stok, und ſchlich zu einigen Bekannten, denen ich einſt wo nicht wirkliche Wohlthaten, doch groſſe Gefaͤlligkelten erwieſen hatte. Sie begegneten mir mit Haͤrte, ſie behandelten mich gleich einem gemeinen Bettler. Schmerz, Jam⸗ mer und Wuth erreichte den hoͤchſten Grad, man fand mich ohnmaͤchtig auf der Gaſſe, und trug mich als tod nach Hauſe. O waͤre ich nie mehr erwacht! Nach einigen Wochen wards zur ſchreklichen Ge⸗ wißheit, daß ich mit der fallenden Sucht behaf⸗ f tek. 80 tet fet, die fein Arzt heilen konnte. Es faͤllt mir auſſerſt ſchwer, ihnen ein Bekenntniß zu machen, das ich bisher ſo ſorgfaͤltig vor aller Menſchen Ohren verbarg. Ich weiß, daß man Ungluͤkliche dieſer Art verabſcheut, und ihnen eben deswegen oft die Wohlthat des Menſchenfreundes entzogen wird, aber ihnen muß ichs geſtehen, weils mich allein rechtfertigen kaun. Dieſe ſchrekliche Krank⸗ heit iſt die Urſache, daß ich nirgends Arbeit fin de, nicht einmal durch Taglohn mein Brod ver⸗ dienen kann. Seit einem Jahre ſchien die Wuth derſelben etwas nachzulaſſen, ein Arzt verſicherte mich, daß häufige, nicht zu heftige Bewegung fie noch mehr mindern wuͤrde. Dieſe Verſicherung er⸗ regte die Hofnung in mir, daß ich vielleicht als Bote meinen Kindern Brod verſchaffen koͤnnte, und veranlaßte die Bitte, welche ich an ſie wagte. Weil ich mir ſelbſt nicht traute, kurz zuvor einen neuen Anfall geduldet hatte, nahm ich das erſtemal mei⸗ nen Gohn mit mir, damit ich auf dem Wege nicht ganz huͤlflos ſein moͤge. Der Verſuch gelang gluͤklich, ich kehrte ohne Anſtoß zuruͤk, ruhte ſanft, und befand mich am andern Morgen leicht und munter. Dies machte mich kuͤhner; der arme Knabe hatte ſich die Fuͤſſe wund gegangen, ich konnte ihn nicht mit mir nehmen, und troͤſtete meine bekuͤmmerte Frau mit der Verſicherung, daß 1 ich 81 ich gluͤklich zuruͤk kommen wuͤrde. Sie uͤberga⸗ ben mir die Schachtel, und ich ging muthig fort, auf der Haͤlfte des Wegs fuͤhlte ich die Annaͤh⸗ rung meiner ſchreklichen Krankheit, ich wollte ab⸗ waͤrts von der Straſſe eilen, aber ich ſank ſinn⸗ los nieder, und erwachte, da mir niemand bei⸗ ſtand, aͤuſſerſt entkraͤftet. Wie ich wieder Erin⸗ nerungskraft bekam, ſuchte ich die Schachtel, aber fie war verſchwunden. Ein Voruͤberwandelnder hatte ſie vielleicht gefunden, des armen Leidenden nicht geachtet, und ſie wahrſcheinlich bei dem Wir⸗ the fuͤr einige Seidel Brandwein verſezt. O wenn er gewußt haͤtte, daß ich einen ieden Tropfen die⸗ ſes ſchreklichen Getraͤnkes mit einer doppelten Thraͤne bezahlt habe, er haͤtte Mitleid mit mir gehabt, mich nicht ſo graͤnzenlos ungluͤklich ge⸗ macht! Ich. Warum kamen ſie nicht mehr zu BE Warum erzaͤhlten ſie mir Ae, damals gleich alles? Der Unbekannte. Warum? Heil ih⸗ rem guten Herzen, welches ſo fragen kann? Ver⸗ zeihen ſie, aber ich bekenne es aufrichtig, ich ach⸗ tete ſie nicht fuͤr großmuͤthig genug! Ich glaubte, fie wuͤrden Wahrheit für eine Nothluͤge achten, mich 82 mm mich vielleicht gar ins Gefaͤngniß 8 „ und vollends ganz ungluͤklich machen. Ich floh ſorg⸗ fältig alle Gegenden, in welchen ich fie vermu⸗ then konnte, ich hungerte oft mit meinem Weibe und Kindern, um nur nicht ausgehen zu muͤſſen, aber nun hat das Elend bei mir den hoͤchſten Grad erreicht, vorher war ich nur ein verſchaͤm⸗ ter Hausbettler, izt bin ich ein unverſchaͤmter Gaſſenbettler geworden, ich muß die wenigen gen ſunden Augenblikke nuzzen, damit mein armes Weib wenigſtens nicht hungern darf, wenn 10 je mich warten und pflegen muß. ö Die Erzählung des Ungluͤklichen hatte mich tief geruͤhrt. Ich gab, was ich vermochte, ich brachte ihm einige alte Kleidungsſtuͤkke, damit er ſich beſſer vor der Kaͤlte ſchuͤzzen koͤnne. ET nahms mit tiefer Ruͤhrung, er verſicherte mich, daß er dieſen Tag unter die gluͤklichſten feines elenden Lebens zaͤhle, weil er nun ungeſcheut auf der Gaſſe betteln koͤnne, nicht immer gleich einem Diebe an den Ekken lauern muͤſſe. Ich. Wo wohnen fie? Der unbekannte. (mit einem tlefen Seuf⸗ zer.) Ach! dieſe Frage Rab ich lange gefuͤrchtet, weil S | — 83 weil mir meine Antwort abermals einen Wohle thaͤter rauben wird. (im entſchloßnen Tone.) Ich kann, ich darf ihnen meine Wohnung nicht ſagen. Ich. Meine Frage — Der Unbekannte. Hat nicht Reugier⸗ de zum Hinterhalte. — — Das weiß, das fühle ich! Aber ich habs meinem Weibe theuer gelobt, niemanden in die Wohnung meines Jammers zu leiten, und ich muß dies Geluͤbde halten. Seis auch falſche Schaam, aber ſie kann ſie nicht un⸗ terdruͤkken, und ich muß fie ehren. Einſt wan⸗ delte ſie ſchoͤn, iung und in Seide gekleidet auf den Straſſen umher, izt — — Erſparen ſie mir die Schilderung ihres hoͤchſt elenden Anzugs, ſie würde die Schamhaftigkeit meines Weibes belei⸗ digen, und ich ihre Thraͤnen lange nicht ſtillen koͤnnen, wenn ich Zeugen herbei fuͤhrte, die ihren erbarmungswuͤrdigen Anzug naͤher betrachten wuͤr⸗ den. Ich ehrte die Gruͤnde des Ungluͤklichen, und bat ihn nur, mich oͤfters zu beſuchen, weil ich feſt entſchloſſen war, ihn, fo viel es meine ſchwa⸗ chen Kraͤfte erlaubten, zu unterſtuͤzzen. Er ver⸗ ſprachs, und eilte fort, um zu genuͤſſen, was er N 52 er⸗ 64 g erhalten hatte. Ich geſtehe es offenherzig, daß ich ſogleich meinen Freund beſuchte, ihm mit als ler Waͤrme, die mir verliehen iſt, die Geſchichte des armen Ungluͤklichen erzaͤhlte, und mit trium⸗ phirenden Laͤcheln fragte: Ob Empfindſamkeit im⸗ mer irre fuͤhre? Ob es nicht beſſer ſei, wenn man in dieſen Faͤllen das warme Herz, und nicht die kalte Vernunft handeln laſſe ? Er fühlte die ſchrek⸗ liche Lage des Ungluͤklichen tief, er widerſprach nicht, nur verſicherte er mich in der Folge unſers Geſpraͤchs, daß er wider ſeinen Willen an der Wahrheit der Geſchichte zweifeln muͤſſe, weil er ſeit vielen Jahren alle Seidenfabrikanten in der groſſen Stadt kenne, von keinem ſich eines aͤnn⸗ lichen Bankerots erinnere, doch nicht entſcheiden wolle, bis er ſich nicht genauer erkundigt habe, Ich drang ſelbſt auf dieſe Erkundigung, und am andern Tage erzaͤhlte mir mein Freund, daß er ſich geirrt, daß wuͤrklich einer dieſer Fabrikanten durch zu unſichere Spekulazion verleitet, fallirt habe, und nach der Zeit aus der Stadt, wenig⸗ ſtens aus dem Zirkel ſeiner Bekannten verſchwun⸗ den ſei, und nun wahrſcheinlich der unbekannte Ungluͤkliche ſein koͤnne. Der biedere, redliche Freund ward nun ſelbſt der Wohlthaͤter meines armen Unbekannten, ich erhielte oft von ihm ein e Geſchenk, das ich immer mit groͤßter Freu⸗ 85 Freude dem Ungluͤklichen gab, wenn er an meiner Thuͤre klopfte, oder ich ihn auf der Gaffe bege⸗ gnete. Er verſicherte mich dann allemal, daß es ihm izt beſſer gehe, daß er freilich nicht vergnuͤgt, doch auch 1 85 mehr ſo hoͤchſt ungluͤklich lebe. Als ich lande nachher ben vom Genuſſe e ei⸗ nes der erſten, aber auch aͤuſſerſt angenehmen Fruͤh⸗ lingstage ruͤkkehrte, begegnete mir abermals mein Unbekannter. Er ſprach mich nie um eine Gabe an, aber wenn ſein Auge wehmuͤthig im Gruſſe zur Erde blikte, fo war ich uͤberzeugt, daß grof- ſe Noth ihn druͤkke, ich gab ihm daher einiges Geld, und eilte weiter, um ihm den ſchweren Dank zu erſparren. Ein armes Weib folgte mir, und bat ebenfalls um ein Allmoſen, ich gab ihr einen Kreuzer. Ich wuͤrde tauſend Bezahls Gott ſagen, ſprach ſie ſeufzend, wenn ich diesmal 3 ebe erwartet haͤtte. Ich. Gute Frau, ich bin nicht reich, ich kann nicht mehr er ; Die Alte. Aber dem Saufaus gaben ſie doch weit mehr. i Ich. Welchem Saufaus? ü Die Die Alte. Der erſt izt bei ihnen voruͤ⸗ ber ging, ſie nur gruͤßte, nicht einmal bat. Er eilte wakker, um noch zur rechten Zeit ins Brand⸗ weinhaus zu kommen. Ich. O pfui! das iſt nicht ſchoͤn! Ver⸗ laͤumdung iſt eine groſſe Sünde, Die Alte. Ja wohl iſt Verlaͤumdung eine ſchrekliche Suͤnde, ſo nahe am Grabe wuͤrde ich mich ihr gemis nicht ſchuldig machen, wenn ich nicht von der ſichern Wahrheit uͤberzeugt waͤ⸗ re, wenns mir nicht weh thaͤte, daß mancher gu⸗ ter Herr einem ſolchen Lumpen ein reichliches All⸗ moſen gaͤbe, da indes der wahre Arme hungern muß. Sehen ſie da unten am Berge das Haͤus⸗ chen, dort wird Brandwein geſchenkt, und dort finden ſie izt den Saufaus, finden ihn alle Ta⸗ ge, wenn er irgend wo ein Paar Kreuzer zuſam⸗ mengebettelt hat. Er verlaͤßt es nie, fo kange er noch einen Pfennig im Sakke hat, und tau⸗ melt oft auf der Gaſſe umher, daß es eine Schan⸗ de und Spott iſt. Er ſoll Weib und Kinder ha⸗ ben, aber wenn ſie Gott nicht wunderbar ernaͤhrt, ſo muͤſſen ſie ſchon laͤngſt verhungert ſein. Zuͤr⸗ nen ſie nicht, lieber Herr, erkundigen ſie ſich ge⸗ nauer, und wenn ich ein Falles Wort geſpro⸗ : chen 87 E — — chen habe, wenn ſies nicht weit aͤrger finden, ſo verſagen fie mir in Zukunft iede Gabe, und tie fen fie mir kuͤhn zu: Du biſt eine alte Luͤgnerin! Ich. Unmoͤglich! — — Wo wohnt denn dieſer Mann? Die Alte. Das weiß ich nicht, wills aber wohl erfahren, wenn ihnen etwas daran ge⸗ legen iſt. Morgen bettle ich wieder in dieſer Ge⸗ gend, und dann will ichs ihnen ſagen, wenn ſie voruͤber gehen. Ich ging fort. Herz und Vernunft ſtritt heftig, meine Fuͤſſe trugen mich mechaniſch in mein Zimmer. Der Unbekannte war mir vor ei⸗ ner Woche begegnet, mir ſchiens damals, daß er taumle, da ich aber waͤbnte, daß ſich vielleicht ſeine ſchrekliche Krankheit nahe, ſo unterſuchte ichs nicht deutlicher, wuͤnſchte vielmehr herzlich, daß er noch fruͤh genug ſeine Wohnung erreichen moͤge. Izt fiel mir erſt ſein wankender Gang aufs neue auf, und ich beſchloß einen neuen Spa⸗ ziergang, um mich zu überzeugen: ob er wuͤrk⸗ lich, wie die Alte verſicherte, nach dem Brand⸗ weinhauſe gegangen ſei? Wie ich dort anlangte, gieng eben die Sonne unter, ich hoͤrte von ferne ſchon 8 — nn ſchon das Jauchzen der Trunknen. Einige ſaſſen im Zimmer, deſſen Fenſter geoͤfnet waren, ande⸗ re hatten im kleinen Gaͤrtchen, das nahe am Hau⸗ ſe lag, und nur mit einem hoͤlzernen Zaune ver⸗ wahrt war, Plaz genommen. Wo ich hinblikte, ſah ich das Bild des Elendes, aber auch der ſtaͤrkſten Trunkenheit, es ſchien, als ob alle Bett⸗ ler ſich hier verſammlet haͤtten, um der Guther⸗ zigkeit ihrer Mitbruͤder zu ſpotten, und ihrer Em⸗ pfindſamkeit Hohn zu lachen. Ich wagte es nicht naͤher zu treten, weil ich Beleidigung fuͤrchtete, nur mein Auge irrte unter den Trinkern umher, meine Bruſt athmete freier, mein Herz ſchlug ſanfter, als es den Unbekannten nirgends fand, aber mein Ohr horchte von neuem, als ich mit einmal ſeine Stimme zu hoͤren glaubte. Ich trat näher zum Zaune, weil fie im Garten ertoͤnte. Gerade neben mir ſrend eine kleine Laube, die von Tannenaͤſten gebildet war, und in dieſer ſas wuͤrklich mein ungluͤklicher unbekannter. Ihm zur Seite ſas ein rothfinniges Geſicht, das zum aͤchten Sinnbilde der Trunkenheit dienen konnte, beide Hände unterſtuͤzten es, damit es nicht ſin⸗ ken konnte. Der Unbekannte war mit dieſem ſchrek⸗ lichen Manne im Geſpraͤche begriffen. Ja, ſprach der erſtere, indem er mit der Fauſt auf den Tiſch ſchlug, dich mache ich zu meinem Miniſter, und ge⸗ 89 | gebe dir meine einzige Tochter zur Gemahlin, und ehre dich gleich einem Haaman. Der Fremde. (lallend.) Bedanke mich! der ward am Ende an den hoͤchſten Galgen in der Welt aufgehaͤngt. Der Unbekannte. (wild lachend.) Rich⸗ tig! Und an dieſen haͤnge ich auch dich, wenn dus in meinem Lande an Brandwein fehlen läßt. (fie: gend.) Brandwein! Brandwein iſt Labſal, iſt Nek⸗ tar! (redend.) Trink, Bruder, trink! Der Fremde. Wenn du zahlſt = Der Unbekannte. Ich zahle! der Koͤ⸗ nig zahlt alles! Das verſteht ſich! Dafuͤr zahlen die Unterthanen Steuer. Regieren kann, wem's beliebt, wenn wir nur trinken können, Nicht wahr, Bruder Miniſter? Der Fremde. Ja, ia! Wenn wir nur trinken koͤnnen! 5 Der unbekannte. Stoß an! (das Glas nehmend.) Alle unſere Wohlthaͤter ſollen leben! So lange dieſe ihre Hand aufthun, ſo koͤnnen 83 | wie 90 P are wir auch luſtig fein, und uns gluͤklich träumen ! Nicht wahr, Bruder? | Der g remde. Richtig! Der Unbekannte. Drum, trink! Da⸗ mit du lange Miniſter bleibſt, denn wenn der Rauſch verfliegt, fo iſts alle! Und wenn man verhungert, fo iſts auch alle! Trink, Miniſter, trink! Meine Tochter ſoll dir werden, denn du biſt ein Mann fuͤr ſie und fuͤr mich! Morgen ſamm⸗ le ich wieder Steuer, dann trinken wir wieder, und ſo gehts fort, bis uns das duͤrre Senſenge⸗ rippe den Schaͤdel vom Rumpfe ſaͤbelt. Der Fremde. Dann iſts alle! Der Unbekannte. O nicht alle! Dann trinken wir ewig! Verſtehſt dus ? Wenn du's nicht verſtehſt, ſo kann ich dir auch nicht helfen. Im Rauſche zu ſterben, iſt wahres Mehle Nicht wahr, Miniſter? | Der Frem de. Ja, Euer Maieſtaͤt! Der Unbekannte. So iſts recht! Koͤ⸗ nig bin, Koͤnig bleib ich, fo a ich einen Rausch habe. Der == Der Fremde. Deswegen ſorgſt du im⸗ mer fuͤr einen neuen, wenn der alte ausraucht. Der Unbekannte. Wohl geſprochen! Bruder Miniſter! Trink! Trink! damit er lanz ger dauert. He! Eingeſchenkt! Hier iſt Geld! Eingeſchenkt! Er taumelte mit dem Glafe in der Hand nach dem Hauſe, ich trat zuruͤk, und ſchlich traurig heim. Ich war nun uͤberzeugt, daß der liſtige Unbekannte mein leichtglaͤubiges Herz ſchreklich betrogen habe, da aber dies lauf für ſein unſchuldiges Weib, fuͤr ſeine ungluͤklichen Kinder ſprach, ſo eilte ich am andern Tage nach dem Orte, wo ich geſtern die alte Bettlerin traf, um durch dieſe die Wohnung der Ungluͤklichen zu erfahren, mich durch meine Augen von der Wahr: heit zu uͤberzeugen, ehe ich thaͤtiger handelte. Ich traf ſie nicht, ſchlenderte zwiſchen den Gaͤrten umher, und ging endlich am Brandwein⸗ hauſe voruͤber. Der Unbekannte ſas mit ſeinem rothfinnigten Freunde abermals in der Laube, ich phoͤrte feine Stimme von Ferne, aber ich nahte mich nicht, weil ich mit Grunde fuͤrchtete, daß gerechter Zorn mich zu einem uͤbereilten Schritt verleiten koͤnne. Wie ich Gedankenvoll die Ans hoͤhe hinaufſtieg, ſuchte ein Knabe meine Hand | au 92 zu haſchen, und zog meinen Blik abwaͤrts. Es war der Sohn des Unbekannten, der kleine Wil⸗ helm, er laͤchelte mich freundlich an, aber Thraͤ⸗ nen, die er zu verbergen fußzte truͤbten 1 Auge. | Ich. Wo eilſt du hin | Wilhelm. Ich fuche meinen Vater. Er ging ſchon am Morgen aus, er verſprach uns ſo gewiß, Brod zu bringen. Der Hunger plagt uns ſehr, die Mutter hat's erlaubt, daß ich ihn ſu⸗ chen darf. ; 3 ch. Wo hofſt du ihn zu finden 2 Wilhe lm. Da unten — . (fosternd, ) Ich weiß ſelbſt nicht, wo ich ihn 1897 werde. Ich. (etwas bissig.) Dort im Brandwein⸗ | haufe wirſt du ihn ſicher treffen. 5 | Der Kuabe. (def ſeufzenb. ) Ach Hal a freilich! 035 Er ging, ich folgte, und blieb am FAR des Gartens ſtehen, in e der Knabe ſo⸗ gleich 93 — — nn un — gleich eintrat. Vater, ſeid ihr da ? ſprach der Knabe ſchmeichelnd, und blikte ihn wehmuͤthig au. Ja, mein Erſtgebohrner, antwortete der Trunkne, ich bin hier, um deine Bitte zu hoͤren. Fordere kuͤhn, ich bin heute geneigt, vieles zu gewaͤhren. Schaft mir den Buben von hinnen, ſchrie er, als ihn der Knabe etwas ins Ohr fluͤ⸗ ſterte, werft ihn in tiefſten Kerker, er will mich in meinem Vergnuͤgen ſtoͤhren. Zeterbube, willſt du gehen, oder ich ſchlage dir Arm und Bein ent⸗ zwei! rief der rothfinnigte Fremde, und der ges aͤngſtigte Knabe entſprang. So iſts recht, Bru⸗ der Miniſter! fprach der Unbekannte, du vermals teſt dein Amt treflich, du ſollſt ſtets der naͤchſte an meinem 1 u Der Knabe ging weinend bet mir rüber Haſt du deinen Vater gefunden? fragte ich ihn. Ach lieber Gott, ſchluchzte er, heute muͤſſen wir ſchon hungrig ſchlafen gehen. Der Vater trinkt, ſo lange er einen Pfennig im Sakke hat, und kommt er heim, ſo duͤrfen wir nicht mukſen, ſonſt ſezt es Schlaͤge. Koͤnnte ich nur betteln, ich wuͤrde es heute zum erſtenmale verſuchen, aber der Vater ſagt immer: Betteln ſei die ſchwerſte Arbeit des Menſchen, und ſchwere 2 Arbeit kann ich noch nicht verrichten! Ich. 94 Ich. Wie viel haſt du Geſchwiſter s Der Knabe. Noch eine Schueßetr und 5 Brüder, Er | | 30. SM nicht vor ungefaͤhr dusk einer deiner e geſtorben? Der habe Nein! noch leben fie ale, ob ſie gleich oft alte leiden muͤſſen. ih Sf dein Vater oft krank? Der Knabe. Nein! J ch. Hat er nicht die eds Sucht? ; Der Aae Gott belite und behüte ihn vor dieſem Ungluͤkke. Mein Vater iſt im⸗ mer geſund, aber die Mutter meint, daß der haͤu⸗ fige Brandwein ihm ſchaden, und eine Lungen⸗ ſucht eee werde. ; | Ich. Wo if deine Wohnung! 2 — Ei nannte ſie mir, und ich beſchloß, ihm zu folgen, um wenigſtens auf einige Tage das Ungluͤk der⸗ ite zu lindern, die der Trunkenbold ganz zu ver⸗ 95 gerlaffen ſchien. Mein Herz widerſtand heftig ie= dem Gefuͤhle des Mitleids, wenn es ſich erin⸗ nerte, wie er durch Trug und Luͤge meine Em⸗ pfindung gewekt und getaͤuſcht hatte, aber es dach⸗ te auch redlich genug, dies alles nicht dem un⸗ ſchuldigen Weibe und Kindern entgelten zu laſſen, beſchloß vielmehr, alle Kraͤfte anzuwenden, um das ſchrekliche Elend derſelben zu lindern. Noch immer mit dieſem Vorſazze beſchaͤftigt, langte ich, indem ich den Knaben folgte, in ei⸗ nem ſchlechten Dintergebäude eines kleinen Hauſes an, das in einer einſamen Seitengaſſe lag. Un⸗ willkuͤhrlicher Schauer ergrif mich, als der Kna⸗ be einige Stuffen hinab ſtieg, und endlich die nie⸗ dre Thuͤre eines Gemaches oͤfnete, das fo ganz eis nem Kerker, wenigſtens einem Keller glich. Vier halbnakkende Kinder, die nur die ſchaamhafteſten Theile des Koͤrpers in einige Lumpen huͤllten, ſprangen von einer Bank herab, die den Ofen um⸗ gab, ſie umringten den kommenden Bruder, und forſchten im weinenden Tone: Ob er Brod brin⸗ ge? Der Knabe ſchwieg und blikte wehmuͤthig nach mir zuruͤk. Ich ſtand noch vor der Thuͤre, war noch unentſchloſſen: Ob ich ruͤkkehren, oder folgen ſolle? Hinter dem Ofen raſchelte es izt im Stro⸗ he. Eine hagere Figur, die einem kranken Weibe aͤhn⸗ 96 0 z — SEEN ER N 4 i aͤhnlich ſah, hob fih langſam empor. Rabenvas ter, ſprach fie mit einer Stimme, die den hoͤch⸗ ſten Grad des Schmerzens verrieth, die bis ins Innerſte drang, Rabenvater, kehrſt du endlich heim? Noch nie habe ich ſo hart mit dir geſpro⸗ chen, aber Gottes Langmuth endet, wie ſolls die meinige nicht? Wenn du kein Brod bringſt, ſo kannſt du morgen deine Kinder begraben 2 — Ich zitterte und bebte, ich vermochte nicht zu antwor⸗ ten. Der Knabe eilte zu ihr, und erklaͤrte ihr den Irrthum. Gott im Himmel! Ein fremder Herr? Was will er? Was ſucht er hier ? ſtamm⸗ lete fie, wollte aufſtehen, und ſank kraftlos zu⸗ tuͤk. Auf meinem Herzen ruhte zentnerſchwere Laſt, ich konnte kaum athmen, nur wenig ſpre⸗ chen. Madam, bleiben ſie ruhig, ſtammlete ich endlich, nicht Neugierde nur Mitleid fuͤhrte mich hieher. Ich will ſie nicht laͤnger aͤngſtigen, ſezte ich hinzu, und winkte dem Knaben, welcher mir ſogleich folgte. Wie ich im Hofe und der Knabe neben mir ſtand, gab ich ihm einiges Geld, er ſprang dankend fort, und mein Herz ſchlug froher und leichter, wie ich ſah, daß er am naͤchſten Baͤk⸗ kerladen Brod und Semmel kaufte, und in ſchnel⸗ ler Eile heim eilte. Ich wollte anfangs folgen, als ich aber uͤberlegte, daß ich nur Stoͤhrer des froͤhlichen Mahls der armen Kinder fein wuͤrde, da 97 da ging ich fort, wanderte planlos durch die Gaſ— ſen, und ward bald wieder traurig, als ich mit Huͤlfe meiner Einbildungskraft in den groſſen Irr⸗ garten des menſchlichen Elends umher irrte, tauſend Wege und Gaͤnge, aber nirgends einen Ausgang fand. i In der halbſchlafloſen Nacht beſchloß ich ernſtlich, das Elend der ungluͤklichen Familie nach Kraͤften zu lindern, und da ich mich zu ſchwach da⸗ zu fuͤhlte, alle meine Freunde zu gleicher Thaͤtig⸗ keit zu ermuntern. Eben war ich im Begriffe, die Ungluͤklichen aufs neue zu beſuchen, als es an meiner Thuͤre klopfte, und zu meinem groͤßten Er⸗ ſtaunen der Unbekannte herein trat. Ich muß offenherzig geſtehen, daß ſein Anblik mich empoͤr⸗ te, daß der feſte Tritt, mit welchem er eintrat, meinen Zern wekte, als ich aber überlegte, daß Armuth und Verzweiflung oft eng verbruͤdert find, fo uns terdruͤkte ich iede Rachbegierde, und fragte ihn nut etwas haſtig: Was er wolle? Was er ſuche? Der Unbekannte. (mit efnem Glikke, aber mit tiefer Rührung.) Ich komme ihnen zu danken, weil fie geſtern Vater und Retter meiner hun- grigen Kinder waren. (eine Pauſe, in welcher Thraͤs nen uͤber ſeine Wangen rollten.) Und wenn der Weg, ä G aus 98 aus ihrem Zimmer ins ewige Gefaͤngniß fuͤhrte, fo würde ich doch eine Pflicht erfuͤllt haben, zu wel⸗ cher mich ſeit einigen Stunden mein Gewiſſen un, aufhoͤrlich auffordert. Ich habe fie beleidigt, ich habe fie ſchaͤndlich belogen, ich habe ihr Mitleid mißbraucht. Ich fuͤhle meine That tief, aber ich fuͤhls noch tiefer, daß ich nicht ihre Verachtung, daß ich wahrlich immer noch ihr Mitleid verdiene. Nur eine Bitte ſei mir erlaubt! — Sie ſchwei⸗ gen, ich wage ſie doch: Erbarmen ſie ſich ferner meines armen Weibes, meiner unſchuldigen | Kinder, und wenn der Rabensvater einſt trun⸗ ken bei ihnen voruͤber taumlet, ſo fluchen ſie ihm nicht, gönnen fie ihm vielmehr ein Gluͤk, welches er theuer erkaufen muß, das ſtets an Verzwei⸗ flung graͤnzt, ihn einſt ſi cher zum Opfer 1 machen wird. Er buͤkte ſich und 11 55 ich ſtaunte ihm ſprachlos nach. Ehe ich noch ſeine Rede faſſen konn⸗ te, trat er abermals ein. Das noͤthigſte ‚ fprach er, hätte ich bald vergeſſen. Meine Frau flikt emſig ihre morſchen Kleider, gelingts ihr, fie fo zu flikken, daß ſie wenigſtens in der Daͤmmerung ohne Schaam über die Gaſſe gehen kann, fo will ſie zu ihnen kommen, um ihnen zu danken, und fie zum Vertrauten unſers freien Schik, ſals 99 ſals zu machen. Spesen Se je bis dahin ihr Urtheil uͤber den ungluͤklichſten Gatten und Vatet, und wiſſen ſie Rettung und Huͤlfe fuͤr ihn, ſo wer⸗ den ſie eines der wohlthaͤtigſten Werke auf Er⸗ den uͤben. ; \ Mit dieſen Worten verließ er mich, und ich harrte mit Sehnſucht der Kommenden. Schon daͤmmerte es maͤchtig, als ſie endlich an der Hand ihres Sohnes erſchien. Ihre Geſtalt war das redende Bild des Kummers, ich wage keine Schil⸗ derung, denn ſie wuͤrde doch nicht gluͤkken. Sie wankte, ich bot ihr einen Siz, ſie nahm ihn mit Dank an. Seit zwei langen Jahren, ſprach ſie, verlaſſe ich heute zum erſtenmale mein elendes Gemach, ſelbſt den Tempel des Ewigen beſuchte ich nicht, weil ich immer waͤhnte, daß Gott mein Flehen auch aus der Tiefe hoͤren werde, aber zu ihnen eile ich, weil ich zuverſichtlich hoffe, daß er mir in ihnen einen Freund und Linderer meines Elendes ſande. Noch habe ich keinem in dieſem Lande meine Geſchichte vertraut, fie ſollen fie er— fahren, ſie ſollen urtheilen: Ob Rettung und Huͤl⸗ fe moͤglich ſei? Misbrauch des Vertrauens kann, will ich von ihnen nicht erwarten: . Ich 100 me Ich bin die einzige Tochter des Freiherrn von, — deſſen Vorfahren dem —ſchen Staate mit Treue und Eifer dienten, deſſen Vater, wie er als Geſandter nach — gehen mußte, dem Staa- te den groͤßten Theil ſeines anſehnlichen Vermoͤ⸗ gens opferte, vollen Erſaz erhalten ſollte, ihn im⸗ mer hofte, und endlich auf feinem Sterbebette feinen einzigen Sohn zum Erben dieſer Hofnung einſezte. Mein Vater ſah bald ein, daß ihm die⸗ ſer Erſaz nicht werden koͤnne, weil er keine doku⸗ mentirten Beweiſe aufzeigen, ſich nur auf das Ver⸗ ſprechen des ſeligen Koͤnigs, der ſchon viele Jah⸗ re tod war, berufen konnte. Er verkaufte daher die vaͤterlichen Guͤther, bezahlte ſeine Schulden, und bezog ein kleines Guͤtchen, das iährlich ſechs⸗ hundert Thaler rentirte, und ihm als das einzige Erbtheil ſeines Vaters uͤbrig geblieben war. Dort lebte er in ruhiger Stille und Haͤuslichkeit, heurathete ein armes, aber aͤuſſerſt reizendes Fraͤu⸗ lein, die meine Geburt mit ihrem Leben bezahlte Ihr Tod ſtuͤrzte meinen Vater in eine tiefe, un“ heilbare Melancholie, die nach langen Quaalen endlich ſeine Tage endete, als ich eben zwanzig Jahre alt war. Er liebte mich aufs zaͤrtlichſte, und wuͤrde weit fruͤher geſtorben ſein, wenn meine Er⸗ ziehung ihn nicht beſchaͤftigt, meine Liebe ihn nicht das Leben ertraͤglich gemacht haͤtte. Wie ich mei⸗ nen 101 nen Vater begraben hatte, meldete ſich ein naher Pachter als Käufer meines Guthes. Der zaͤrtli⸗ che Vater hatte mich in allen weiblichen Arbeiten und Vollkommenheiten, aber keinesweges in der Landoͤkonomie unterrichten laſſen, ich achtete es daher fuͤrs beſte, den Antrag anzunehmen, und zog nach einer benachbarten Stadt, um unter dem Schuzze einer alten Muhme mein kuͤnftiges Schik⸗ ſal abzuwarten. Mein Vermoͤgen beſtand in funfzehntauſend Thalern, ich hofte mit dem Er⸗ trage derſelben ruhig und zufrieden zu leben, ich glaubte damit einen Mann beglüffen zu koͤnnen, wenn einſt einer derſelben meine Hand fordern wuͤrde. Doch kannte mein Herz noch keinen, fuͤhl⸗ te nur dann und wann in einſamen Stunden, daß Liebe ein Beduͤrfniß, und ihre Frucht ſehr ange⸗ nehm ſein muͤſſe. Meine Muhme empfing mich mit Freuden, und aͤuſſerte kurz darauf den Wunſch, daß ich einen Vetter ihres ſeligen Mannes heura— then moͤge. Er war ein bluͤhender Juͤngling, be⸗ ſas ſeltne Talente, und hatte ſich im Umgange mit der feinen Welt aͤuſſerſt und ſehr vortheilhaft gebildet, und doch war ſein Ton beſcheiden, und nie ſuchte er eine Meinung zu behaupten, wel⸗ cher ein anderer widerſprach. Er kleidete ſich aͤuſ— ſerſt ſauber, aber nicht praͤchtig, er aß aͤuſſerſt maͤſſig, und trank nur Waſſer. Seine groſſen | Kennt⸗ 102 Kenntniſſe berechtigten ihn, eine gute Verſorgung im Vaterlande zu erwarten, aber er mußte mans chem Dummkopfe weichen, hatte zwar eben die ſichere Hofnung zu einem anſehnlichen Dienſte er⸗ halten, ſah ſie aber wieder ſchwinden, weil er keinen Freund fand, der ihm mit der erforderli⸗ chen Kauzion unterſtuͤzzen wollte. Dies war die Haupturſache, daß meine Muhme, welcher die Verſorgung des iungen Mannes ſehr am Herzen lag, mich zu feiner kuͤnftigen Gattin beſtimmen wollte, weil mein Vermoͤgen mehr als hinreichte, dies Hinderniß zu heben. Anfangs kannte ich dieſen Beweggrund nicht, und war ſchon ganz ge: neigt, dem Zureden meiner Anverwandtin nach⸗ zugeben, das dringende Flehen des ſchoͤnen Juͤng⸗ lings zu erhoͤren, als ichs endlich durch Zufall erfuhr. Von diefem Augenblikke an, ſchwand dle ſchon keimende Liebe aus meinem Herzen, ich haß⸗ te und verachtete den Mann, welcher mich ſchon tauſendmal verſichert hatte, daß er aus wahrer, aͤchter Liebe meine Hand ſuche, von dem ich nun uͤberzeugt zu ſein glaubte, daß nur Eigennuz und Begierde nach einem Dienſte ihn zu dieſer Spra⸗ che verleitet habe. Ich widerſtand iedem neuen Verſuche hartnaͤkkig, ich weigerte mich, ihn ferner zu ſprechen, ich drohte die Stadt zu verlaſſen, wenn man mich laͤnger mit dieſem Antrage quälen wuͤr⸗ KKK u mm En UL 103 würde, und blikte ganz gleichguͤltig umher, als er hoͤchſt geruͤhrt, und mit vielen Thraͤnen von mir Abſchied nahm, mich flehend bat, ihn wenig⸗ ſtens nicht zu verachten. Mit wuͤrklich freiem Herzen, ſeiner ſchon gar nicht mehr gedenkend, ging ich einen Monat nach⸗ her am Ufer des Fluſſes, welcher nahe an der Stadt vorüber ſtroͤmte, ſpazieren. Einige Ber kannte luden mich in ihren Garten, ſie beſchaͤf⸗ tigten ſich mit ihren Blumen, und ich ging nach dem Gartenhauſe, welches eine herrliche Ausſicht auf den Strom gewährte. Ein ähnliches Land⸗ haus lag am ienſeitigen Ufer, der Garten reichte bis auf den Fluß, an der Thuͤre der Mauer, wel⸗ che der leztere benezte, ſtand ein Kahn, in welchem ein Kind ſpielte, immer einige Stuͤkchen Holz ins Waſſer warf, und dann eilend im ſchwankenden Kahne herablief, um ſolche am Ende deſſelben wieder aufzufangen. Dies gefaͤhrliche Spiel zog meine ganze Aufmerkſamkeit auf ſich, ich zitterte und bebte, wenn das mit der Gefahr ganz unbe- kannte Kind ſich ſorglos uͤber den Kahn herab bog, um das ſchwimmende Holz zu erhaſchen. Eben wollte ichs verſuchen: Ob meine ruffende Stimme es warnen koͤnne? als es vor meinen Augen in den Fluß ſtüͤrzte, und von ſeinen Wellen ſogleich fort⸗ ge⸗ 104 getragen wurde. Ich ſchrie entſezlich, ein Mann, in einen Ueberrok gehuͤllt, ſprang aus dem Gar: ten heraus, trat in den Kahn, und ſchien horchend nach dem Geſchrei zu forſchen, ich rief aufs neue, und zeigte mit der Hand nach dem ſchwimmenden Kinde, welches die Wellen noch immer empor waͤlz⸗ ten. Der Unbekannte ſahs, er warf ſeinen Ueber⸗ rok von ſich, wollte mit dem Kahne nachrudern, aber er vermochte es nicht, weil dieſer angekettet war. Ohne ſich lange zu bedenken, ſprang er in den Fluß, und ſuchte das Kind durch Schwimmen zu erreichen. Ich frohlokte, wie ers wuͤrklich faßte, und im Waſſer empor hob, aber ich rufte aufs neue nach Huͤlfe, weil der ſchnelle Strom ihn, da er nicht mehr widerſtehen konnte, und doch das Kind nicht laſſen wollte, mit ſich fortriß, oft ganz untertauchte. Mein Geſchrei, welches meine herbeigeeilten Freundinnen anſehnlich vermehrten, wekte einige Fiſcher, die am Ufer angelten, aus ihrem Tiefſinne, fie ſprangten in ihre Kaͤhne, und ruderten dem noch immer Kaͤmpfenden eilend ent⸗ gegen. Wir eilten alle am Fluſſe hinab, und langten eben am Ufer an, als die Fiſcher den Un⸗ bekannten ſamt dem Kinde gluͤklich erreichten, und mit vieler Muͤhe in den Kahn hoben. Ich wein⸗ te heftig, als ſie gegen uns ruderten, und ich deutlich ſah, daß beide Gerettete leblos im Schif⸗ | chen en 105 chen lagen, ich ſchrie laut auf, als ich endlich in dem Unbekannten meinen ehemaligen Liebhaber erkannte. Er lag leblos zu meinen Fuͤſſen, ſei⸗ ne rothen Wangen waren gebleicht, fein ofnes Auge ſtarrte mich fuͤrchterlich an, und ſchien mir zu drohen, weil ich die Urſache feines Todes ei. Schon ſind ſeit dieſer Zeit zwoͤlf Jahre verfloſſen, aber wenn ich mich dieſer ſchreklichen Szene aufs neue erinnere, ſo iſts, als ob er noch vor mir laͤge, mich noch eben ſo anſtarre. Meine Freun⸗ dinnen handelten an meiner Stelle, ich wars nicht vermoͤgend. Sie lieſſen den Erblaßten nach ih⸗ rem Hauſe tragen, ſie ſanden nach Wundaͤrzten, um iedes Rettungsmittel zu verſuchen. Ich ging weinend hinter ihnen, ich ſtand troſtlos neben ihn, als die Aerzte anlangten. Das durch ihn gerettete, auch todſcheinende Kind wekten ſie bald zum Leben, aber an dem ſeinigen zweifelten ſte, weil die ſtaͤrkſten Mittel ſeine Empfindung nicht reizen konnten. Ich hatte mich entfernen muͤſſen, und harrfe in einem andern Zimmer der Entſchei⸗ dung entgegen, noch kehrten viele abgefandte Bo— then ohne Troſt zuruͤk, endlich erſchien ein ſchnel⸗ ler Eilender, und brachte die froͤhliche Nachricht, daß er zu athmen beginne. Noch mußte ich eine bange Stunde harren, bis er ſprechen konnte, und ich erſcheinen durfte. Ich ſtuͤrzte weinend an 106 an feinem Lager nieder, ich nannte mich feine Moͤr⸗ derin, und flehte um Vergebung. Er ergrif mei⸗ ne Hand, und druͤkte ſie an ſein Herz. Eine die⸗ ſer Thraͤnen, ſprach er ſtamlend, lohnt mir die Gefahr, und dies wenige Leiden tauſendfach. Spa⸗ ren ſie die uͤbrigen, ich verdiene ſie nicht, ſie ma⸗ chen mich uͤberdies hoͤchſt ungluͤklich. Wenn ich noch hundertmal ihre Huͤlfe rufende Stimme hoͤ⸗ re, ſo werde ich mich immer mit Freuden in die Fluthen ſtuͤrzen, und hoͤchſt gluͤklich ſchaͤzzen, wenn ich endlich in denſelben das Ende meiner namloſen Leiden finde. Er blikte mich ſchmachtend an, ich ward verwirrt, und zog meine Hand zuruͤk. O nur noch einen Augenblik, rief er aufs neue, wenn ſie mir Lohn ſchuldig zu ſein glauben, ſo werde ich den groͤßten darinne finden, wenn ſie mich ei⸗ nige Sekunden ruhig anhoͤren. Ich verſprachs, und harrte geduldig feiner Rede, aber er vermoch⸗ te aus Uebermaas der Empfindung nicht zu ſpre⸗ chen. Ich werde ſie ewig lieben, ſtamlete er end⸗ lich, und ließ meine Hand fahren. Ich war auf ſerſt bewegt, mein Herz fuͤhlte in dieſem Augen⸗ blikke zum erſtenmale die Groͤſſe ſeiner Liebe, es rang nach Wiedervergeltung, ich reichte ihm mei⸗ de Hand aufs neue. O waͤre ſie mein! rief er ; aus. 107 aus. Ewig! Ewig! ſtamlete ich von innerer Em⸗ pfindung hingeriſſen. Ewig? ſchrie er, und ſtuͤrz⸗ te vom Lager herab, zu meinen Fuͤſſen nieder. Meine Sinne verlieſſen mich; wie ich wieder denken und empfinden konnte, befand ich mich im Gemache meiner Freundinnen, ſie erzaͤhlten mir, daß man mich auf Befehl des Arztes fortgefuͤhrt haͤtte, weil er fuͤr das Leben des ſchoͤnen Juͤng⸗ lings bangte, der gleich einem Wahnſinnigen ges handelt und geſprochen habe, leicht durch zu ſchnel⸗ le und groſſe Freude getoͤdet werden koͤnne. Sie wuͤnſchten mir Gluͤk zu meiner Verlobung, und nannten mich eine gluͤkliche Braut, weil mein Braͤutigam nicht allein ſchoͤn handle, ſondern auch zaͤrtlich und heftig liebe. Mir wars, als ob ich getraͤumet haͤtte, aber mein Herz uͤberzeugte mich bald deutlich, daß es hoͤchſt ungluͤklich ſein wer⸗ de, wenn es nur ein Traum ſei. Ich kanns noch nicht begreifen, und es ihnen daher um fo weni⸗ ger erklaͤren, wie es kam, daß ich von diefem Au⸗ genblikke an, die heftigſte Liebe zu einem Manz ne fuͤhlte, den ich vorher auf gewiſſe Art haßte. Moͤglich, daß ſeine ſchoͤne That, noch woͤglicher, daß die Feſte Ueberzeugung ſeiner aͤchten Liebe ſo ſtark auf mich wuͤrkte, den ehemaligen widrigen Eindruk ganz tilgte, den iszigen mit unausloͤſch⸗ baren Zuͤgen in mein Herz grub. Er iſt in der Fol⸗ 108 3 a Folge die Urſache meiner ſchreklichen Leiden ge: worden, ich habe aus Liebe zu ihm Quaalen ge⸗ duldet, die keine menſchliche Zunge auszuſprechen vermag, ich ſehe noch weit groͤſſere und ſtaͤrkere mit ſchnellen Schritten nahen, aber ich liebe ihn immer, und werde ihn ewig lieben, denn ich ver⸗ ſprachs ihm einſt ſo gewiß, ſo feſt, und mein Herz erinnert mich ſtets noch an dies feierliche Verſprechen ! Er hatte unter der Zeit meiner Ohnmacht ſchon mehrere Bothen nach dem Zimmer geſandt, er wollte durchaus ſein Lager verlaſſen, und der Arzt verſicherte endlich, daß nur meine Gegen⸗ wart ihn beruhigen koͤnne. Ich folgte willig, und er gelobte feierlich, daß er ieden Wink des Arz⸗ tes erfuͤllen wuͤrde, wenn ich mein Verſprechen wiederholte. Ich thats, und ſchied als ſeine wuͤrk⸗ lich Verlobte von ihm. Ich will, ich vermag ih⸗ nen nicht eine Beſchreibung der gluͤklichen Tage der Liebe zu liefern, die Empfindung meiner izzi⸗ gen ſchreklichen Lage iſt keiner ſolchen Schilderung fähig. Genug, daß meine Liebe zu ihm ſſch taͤg⸗ lich mehrte, daß Verzweiflung mein Loos geweſen waͤre, wenn man mich von ihm getrennt haͤtte. Die Folge ſeiner edlen That war ein hartnaͤkki⸗ ges Fieber, welches ihn durch einen Monat lang ans 109 ans Bette feſſelte. Ich war feine treue Waͤrte— rin, wir beſchloſſen, daß er nun, da mein Ver⸗ moͤgen die erforderliche Kauzion ſicherte, aufs neue den Dienſt zu erhalten ſuchen ſollte, zu wel⸗ chem er bereits alle Hofnung aufgegeben hatte. Er ſchrieb, und erhielte bald nachher den Auf— trag, ſich nach der Reſidenz zu begeben, weil ſei⸗ ne Freunde ſeine Gegenwart als aͤuſſerſt noth— wendig ſchilderten, ihn im Voraus verſicherten, daß ohne dieſe alle ihre Muͤhe vergebens ſein wuͤr⸗ de. Als er geſund war, entriß er ſich mit groͤß⸗ tem Zwange meiner Umarmung, und eilte fort, um bald ruͤkkehren zu koͤnnen. Schon die erſten Tage ſeiner Ankunft in der Reſidenz erhielte ich von ihm die Nachricht, daß er beim Monarchen eine Audienz erlangen werde, ich erwartete die Wuͤrkung derſelben mit groͤßter Ungeduld. Erſt nach acht langen Tagen, kam neue Nachricht, wel—⸗ che aͤuſſerſte Verwunderung und freudiges Erſtau- nen in mir erregte. Mein Karl berichtete mir, daß der Monarch ihn ſehr gnaͤdig aufgenommen, ſich der Verdienſte ſeines Vaters ſehr wohl erin⸗ nert, und ſich gefreut habe, ſie im Sohne beloh⸗ nen zu koͤnen. Doch verſicherte er ihm zugleich, daß er ihm feine erſte Bitte nicht gewähren koͤn⸗ ne, weil der Dienſt, welchen er zu erlangen wuͤnſch⸗ te, ſchon vergeben ſei. Wie Karl über dieſe un⸗ er⸗ 110 N ” - eee erwartete Antwort traurig zuruͤk wich, laͤchelte der Monarch freundlich, und fragte ihn: Ob er wohl glaube, daß diefer Dienſt die einzige Ver⸗ ſorgung ſei, welche er ihm in ſeinem Staate ge⸗ währen koͤnne? Zum Gluͤkke, fuhr er fort, iſt eben eine Stelle leer, die ſich beſſer fuͤr ſie ſchikt, und uͤberdies weit eintraͤglicher iſt. Der Ober⸗ forſtmeiſter zu O — iſt vor einigen Tagen geſtor⸗ ben. Er ſtand ſich iaͤhrlich nahe an viertauſend Thaler, ſie ſollen ſeinen Dienſt erhalten, weil ih⸗ re Zeugniſſe beweiſen, daß ihr wuͤrdiger Vater fie auch in dieſer Wiſſenſchaft unterrichten lies. Melden ſie ſich Morgen bei meinem Miniſter, ſie werden durch ihn ihr Anſtellungsdekret erhalten: Karl dankte innig, und eilte heim, um mir ſein wuͤrklich groſſes Gluͤk zu berichten. Ach der Aerm⸗ ſte ſah nicht ein, daß die Gnade feines Monar⸗ chen in der Folge die Quelle ſeines groſſen Un⸗ gluͤks ſein wuͤrde! Schon als ich ſeinen dritten Brief erhalten und geleſen hatte, ahndete ich ſol⸗ ches. Die Frau des verſtorbnen Oberforſtmei⸗ ſters war eine nahe Verwandin des Miniſters. Ihr Gatte hatte aͤuſſerſt verſchwenderiſch gelebt, und ihr zum Erbtheile feine Schulden hinterlaſ—⸗ ſen. Er war ſchon alt, und ſie noch iung und liebenswuͤrdig, fie machte ſich daher gegründete Hofnung mit Huͤlfe des Miniſters demienigen f die 111 die eintraͤgliche Stelle zu verſchaffen, welchen ſie ſich zum kuͤnftigen Gatten erwaͤhlt hatte. Sie war aus dieſer Abſicht nach der Reſidenz geeilt, und hatte von ihrem Onkel das gewiſſe Verſpre⸗ chen erhalten, daß er dieſen, wenn der Monarch wie gewoͤhnlich einen Vorſchlag heiſchen wuͤrde, als den wuͤrdigſten vorſchlagen wolle. Karl ward daher von dem in ſeinem ſichern Plane geſtoͤhrten Miniſter aͤuſſerſt ungnaͤdig empfangen. Er verſi⸗ cherte ihm grade zu, daß der Monarch ſein Ver⸗ ſprechen zuruͤknehmen muͤſſe, wenn er ihm vor⸗ ſtellen würde, daß weit verdienſtvollere Männer . dadurch aͤuſſerſt gekraͤnkt wuͤrden. Er war ſchwach genug, ihm zu ſagen, daß er etwas beim Mo⸗ narchen vermoͤge, und dies Vertrauen ganz dazu anwenden werde, um ſeine Hofnung zu vereiteln. Ich harrte mit Angſt und Sehnſucht dem Ausgange entgegen. Vier lange Wochen vergin⸗ gen, Karl ſchrieb und antwortete nicht. Ich fuͤrch⸗ tete Krankheit, und ſchrieb ihm, daß ich noch die Antwort auf dieſen lezten Brief erwarten, und, kaͤme ſie nicht, ohne weiteres nach der Reſidenz eilen wuͤrde, um mich zu uͤberzeugen: Ob meine Angſt gegruͤndet ſei? Auf dieſen Brief erhielte ich endlich Antwort, aber welch eine Antwort! O ich ſchaudere noch, wenn ich mich ihrer erin⸗ nere! Sie 112 Sie ſuchte izt in der Taſche ihres Rokkes, oͤfuete eine alte Brieftaſche, und übergab mir eis nen Brief. Als ich ihn oͤfnete, ſah ich deutlich, daß die Buchſtaben deſſelben durch das Salz der Thraͤnen mächtig gebleicht waren. Mein ungluͤk⸗ licher Gatte, ſprach ſie ſeufzend, weiß es nicht, daß ich dieſen ſchreklichen Brief noch beſizze, aber ich habe ihn in der Abſicht aufgehoben, daß er mit mir begraben werden ſoll, und ich oͤfne ihn nur dann, wenn mein izziges Elend mich allzu ſehr druͤkt, und Thraͤnen meine Laſt nicht mehr erleichtern wollen. So oft ich dann den Inhalt deſſelben erblikke, fo fluͤſſen fie haufig. Leſen fie nur, ſprach ſie nach einer Pauſe, denn ſo weit hab ichs noch nicht gebracht, daß ich ſeinen In⸗ halt ohne die ſchreklichſte Empfindung erzaͤhlen kann. Ich las folgendes: „Ewig Unvergeßliche! Unbekannt mit den Raͤnken der Groſſen bin ich mitten in den Strom derſelben gerathen. Er hat mich wuͤthend mit ſich fortgeriſſen, ich ſeufze nach Rettung, aber niemand kann mich retten, ich hof⸗ fe zu Gott, daß der wilde Strom mich bald an einen Felß ſchleudern, und mein elendes Leben enden wird. Ich bin bereits zum Oberforſt mei⸗ ſter zu D- ernannt, aber ich bin auch — Meine Hand zittert, und doch muß ich es ſchreiben! — ich bin auch mit der Witwe des Verſtorbnen ver⸗ 5 ſpro⸗ 113 fprochen, werde in acht Tagen ihr vor dem Alta- re des Ewigen Treue und Liebe ſchwoͤren. Wie dies geſchah, wie dies geſchehen konnte? Das alles weiß ich ſelbſt nicht, aber Gott ſoll mir auch ienſeits gleiches unertraͤgliches Leiden aufbuͤrden, wenns mein Wille war, wenn nicht noch izt mein Herz ganz fuͤr dich, du Unvergeßliche, ſchlaͤgt, wenn ich iemals dich vergeſſen, und eine andere lieben kann. Ich bin hoͤchſt ungluͤklich, ich leide und dulde ohne Schuld. Dies iſt mein einziger Troſt, wenn mich Verzwei⸗ flung ergreift, dies laͤßt mich hoffen, daß ſie mich nicht haſſen und verabſcheuen, als einen Unglüfs lichen bemitleiden, als ihren Geliebten vergeſſen werden. Vergeſſen! O es iſt ein ſchrekliches Wort, das ich nur denken, nicht ausſprechen kann! Ich kann meine kuͤnftige Gattin nicht lieben, ich wer⸗ de dich, einzige und erſte Liebe, ewig verehren, und im lezten Augenblikke meines Lebens noch ſtamlend bekennen, daß du in meinem Herzen un⸗ ausloͤſchlich thronſt!“ Meine Hand ſank, und die arme Leidende ſah, daß ich geendet hatte, ſie wiſchte Thraͤnen aus ihren Augen, die immer aufs neue hervor— ſtroͤmten, und ſie zur Wiederholung zwangen. Fließt ungehindert, ſprach ſie endlich, ihr muͤßt ia doch enden, wenn ihr nicht ewig ſtroͤmen wollt. Als 114 1 Als ich zum erſtenmal dieſen Brief las, fuhr ſie fort, da oͤfnete ſich die Quelle, und feit dieſer Zeit, fließt fie beinahe täglich, oft ſtuͤndlich. Mein Zuſtand war anfangs ſchreklich, und keiner Be⸗ ſchreibung faͤhig, ich hatte ihn ſo innig, ſo zaͤrt⸗ lich geliebt, und ſollte ihn izt vergeſſen, in den Armen einer andern ſehen! Dieſer Gedanke warf mich aufs Krankenlager, aber er hob mich bald wieder empor, wie ich uͤberlegte, daß D— nicht weit von der Stadt entfernt liege, in welcher ich eben wohnte, und es leicht moͤglich ſei, daß der Ungetreue mit ſeiner Gattin ſie oft beſuchen, und mein namloſes Leiden vermehren koͤnne. Ich hat: te kurz zuvor in den oͤffentlichen Blaͤttern die Nach⸗ richt von einer Stiftung geleſen, in welcher ſchon erwachſene Frauenzimmer, ſo lange ſie ſich nicht verheurathen wollten, anſtaͤndige Wohnung und Koſt finden, auch gegen Bezahlung darinne auf⸗ genommen werden koͤnnten, und ſuchte izt mit vieler Begierde dies Blat hervor. Als ich ſah, daß dieſe Anſtalt auſſer meinem Vaterlande, und in einem benachbarten Fuͤrſtenthume beſtehe, da entdekte ich meinen Vorſaz ſogleich meiner alten Muhme, und ließ mich durch kein Zureden abhalten, ihn auszufuͤhren Ich bat ſie dringend, mein Vorhaben niemanden zu entdekken, und rei⸗ ſte ab, ehe der Ungetreue mit ſeiner Gattin in der | us = der Gegend anlangte. Ich hatte ihm nicht geant: wortet, ich achtete ſeine Klagen fuͤr leere Entſchul⸗ digung, und konnte mich — ſo ſehr mein Herz es auch wuͤnſchte — nicht Überzeugen, daß er, oh⸗ ne Willen und Vorſaz, ſolche ſchrekliche Untreue an mie verübt habe. Ich muͤhte mich, ihn zu vergeſſen, aber ſein Bild ſchwebte unaufhoͤrlich vor meinen Augen, immer ſah ich ihn mit dem Strome kaͤmpfend, das gerettete Kind empor hal- tend, und ſchrie oft laut um Huͤlfe. Man nahm mich zu M—, wohin ich mich begab, mit groͤß⸗ ter Bereitwilligkeit auf. Die Vorſteherin dieſer Auſtalt war eine verehrungswuͤrdige Dame, wel⸗ che ieder ihrer Koſtgaͤngerin den Aufenthalt ſo angenehm als möglich zu machen, und alle ohne den mindeſten Zwang in ihren vortreflichen und nuͤzlichen Kenntniſſen zu unterrichten ſuchte. Ich fand dort gegen dreijig Frauenzimmer, welche meiſtens aͤlter als ich waren, nur einige wenige waren mir am Alter gleich, ich waͤhlte ſie zu mei⸗ nen Freundinnen, und erfuhr bald, daß auch ſie unglütlihe oder verſchmaͤhte Liebe nach dieſem Zufluchtsort geführt hatte. Wir vertrauten eins ander unſer Leiden, wir ſprachen oft davon, aber eben dieſe Erinnerung erneuerte taͤglich die Wunde unſers Herzens, wir fuͤhlten ſie ſtaͤrker, aber wir duldeten ſtandhaft, weil wir bei der Vermehrung 8 92 der 116 der Schmerzen das ſchnellere Ende deſſelben er: warteten. Bald erfuhr ich durch meine Muhme, daß mein Karl zwar wuͤrklich verheurathet fei, aber in einer hoͤchſt ungluͤklichen Ehe lebe. Die Gute glaubte mich mit dieſer Nachricht zu troͤſten, aber fie betrog ſich, denn meine Thraͤnen floſſen nun haͤufiger, weil ich uͤberzeugt zu ſein glaubte, daß er wuͤrklich durch Liſt in eine Falle gelokt wurde, in welcher er nun ohne Rettung ſchmach⸗ tete. Nach Jahresfriſt ward mir die Nachricht, daß Karl mit einer groſſen Vermehrung ſeines Gehaltes in einer andern Provinz angeſtellt, und bereits mit ſeiner ſehr kraͤnklichen Gattin dahin abgereiſt ſei. Selbſt dieſe Entfernung, ich geſte⸗ he es offenherzig, machte groſſen Eindruk auf mein leidendes Herz. Man hatte mir ſchon in mehrern Briefen die Krankheit ſeiner Gattin, wel⸗ che einer Abzehrung aͤuſſerſt aͤhnlich ſah, berich⸗ tet. Man hatte mir noch oͤfterer geſchrieben, daß er ſich unaufhoͤrlich nach mir erkundige, und of⸗ fen geſtehe, daß er mich ewig verehren, nie ver⸗ geſſen werde. Dies alles hatte Hofnung in mei⸗ nem liebenden Herzen erregt, die nun weichen mußte, weil ich voraus ſah, daß die weite Ent⸗ fernung andere Verbindungen bilden, und, wenn auch ſeine Gattin ſterben ſollte, ihn bald in die Arme einer andern führen würde. Schon 117 Schon weiſſagten mir die Aerzte eine ſiche⸗ re Abzehrung, als ich in den erſten Tagen eines ſehr angenehmen Fruͤhlings zwiſchen einſamen Gärten ſpazieren ging, und mich mit der Hofnung troͤſtete, daß, wenn die izt keimenden Blaͤtter wel⸗ ken wuͤrden, auch mein Leiden enden muͤſſe. Ein Geraͤuſch, das hinter mir entſtand, und ſich zu naͤhern ſchien, wekte mich aus meinem Tiefſinne, ich blikte zuruͤk, und ſah einen alten Bettler auf mich zu eilen, welcher mich freundlich gruͤßte, und mir einen verſiegelten Zettel uͤberreichte. Ein fremder Herr, ſprach er, als ich ihn nicht an⸗ nehmen wollte, hat mir ihn gegeben, und mir einen Louisdor verſprochen, wenn ich ihm mor⸗ gen Früh antwort bringe. Ein Louisdor kann mich gluͤklich machen, erbarmen ſie ſich meiner, leſen ſie den Brief, und geben ſie mir morgen eine Antwort. Ich zitterte und bebte, ein inne⸗ res Gefühl weiſſagte mir Möglichkeiten, ich ritz den Zettel haſtig auf, und erblikte Karls Schrift. Meine Augen waren nicht faͤhig, den Inhalt zu leſen, die Buchſtaben ſchienen hin und her zu wan⸗ ken, ich ſtekte den Brief in die Taſche, und eilte heim. An der Hausthuͤre fragte mich der Bett⸗ ler, welcher mir athemlos gefolgt war: Ob er morgen um Antwort anfragen koͤnne? Ich nikte wit. dem Kopfe, und er ging dankend fort. Lan⸗ 118 . Lange zoͤgerte ich, ehe ich den Brief wieder oͤfnete, noch laͤnger ehe ich ſeinen Inhalt las. Endlich vermochte ichs. Die verhaßten Bande, ſchrieb er, hat der Tod zerriſſen, ich bin wieder frei, aber ich bin ungluͤklicher als vorher, wenn ich meine Freiheit nicht genieſſen kann, wenn mich dieienige vergeſſen hat, fuͤr die ich allein zu le⸗ ben wuͤnſche. Ich habe ſchreklich fuͤr meine Uns treue gebuͤſſet, ich habe unſchuldig geduldet. Er⸗ lauben ſie wenigſtens, daß ich ihnen dies bewei⸗ fen darf, denn ich muß verzweifeln, wenn ich oh⸗ ne Rechtfertigung von hier wieder abreiſen muß Aus Urſachen, die ich ihnen erklären werde, bin ich unter falſchem Namen hier angelangt , ich | kann ſie nur ingeheim ſprechen. Ein Wink von ihnen, und ich erſcheine morgen auf dem einſa⸗ men Spaziergange, auf welchem ich ſie geſtern und heute erblikte. Kann ich ihre Liebe nicht ge⸗ winnen, ſo werde ich doch ihr Mitleid mit mir nehmen, wenn fie. mich anhoͤren werden. Dies iſt die einzige Hofnung, die mich noch aufrecht erhaͤlt, noch ans ren feſſelt! Ze Er flehte am Ende ns einge um ai ne Antwort, und ich hatte dieſe ſchon geſchrieben, ehe ich noch uͤberlegen konnte: Ob es raͤthlich ſei, dem Ungetreuen ſo Töne zu verzeihen? Mein Herz 119 Herz handelte, und wenn dieſes handelt, ſo muß der Berſtand immer ſchweigen, es fand Entſchul⸗ digungen fuͤr ihn, die er nicht wiederlegen konnte, es ſehnte ſich fo innig nach Linderung, und fand ſie in der Hofnung, daß er izt vergelten wuͤrde, was er an mir verübt hatte. Kein Schlaf er; guikte mein Auge, ich ſah und dachte nur ihn, alle meine Freundinnen zagten am Morgen für meine Geſundheit, und ich fand doch, daß ich mich ſeit langer Zeit nicht ſo wohl befunden hatte. Der Bettler ſtand bald nachher vor meiner Thuͤre, er erhielte die Antwort, und ich eilte fruͤher als gez woͤhnlich nach meinem Spaziergange. Ich war feſt entſchloſſen, ihm wenigſtens Anfangs tiefen Kaltſinn fühlen zu laſſen, als er aber hinter ei- ner Hekke hervorwankte, als fein bleiches, lei⸗ dendes Geſichte fo deutlich fein erduldetes Unglüf bewies, da ſtuͤrzten Thraͤnen aus meinen Augen, da ſank ich weinend in ſeine Arme. Er fuͤhrte mich nach einem nahen Gartenhauſe, und fiel ſprach⸗ los zu meinen Fuͤſſen nieder. Es verging eine Stunde, und wir konnten nicht ſprechen, es daͤm⸗ merte ſchon maͤchtig, und ich hatte noch nicht nach ſeiner Rechtfertigung geforſcht, noch nicht die Er⸗ zaͤhlung ſeines Schikſals gefordert, aber er ging mit der Gewißheit fort, daß ich ihn noch zaͤrtlich liebe, auch bereit und willig ſei, ihm meine Hand 3 zu 120 zu reichen, und bis ans Ende der Welt zu folgen. 80 Erſt am andern Tage, als wir uns am nemlichen Orte ſahen und ſprachen, gewann der Verſtand dem leichtglaͤubigen Herzen den Rang ab. Ich forderte Erklaͤrung: Warum er aus⸗ druͤklich verlange, daß ich niemanden ſeine Ge⸗ genwart entdekken, daß ich mein Vermoͤgen ſamm⸗ len und mit ihm nach einem fremden Lande flie⸗ hen ſollte? Und nun erfolgte ſeine Erzaͤhlung : Mit welchem Kaltſinne, ſprach er, mich der Mi⸗ niſter aufnahm, mit welcher Drohung er mich entließ, habe ich ihnen, wenn ich nicht ganz irre, bereits geſchrieben. Ich erſtaunte ſehr, als er mich am andern Tage zur Tafel laden ließ, ich erſtaunte noch ſtaͤrker, wie er mich, da ich erſchien, aufs freundlichſte bewillkommte. Es waren ſehr wenige Gaͤſte, und nur innige Freunde des Mi⸗ niſters zugegen, mein Erſtaunen erreichte den hoͤch⸗ ſten Grad, wie er mich grade zu verſicherte, daß er mich unter dieſe zaͤhle. Erſt als wir uns zur Tafel ſezzen wollten, trat die Nichte des Mini⸗ ſters in den Saal, und nahm am Mahle Theil. Ich achtete es fuͤr ein Ungefaͤhr, ſogar fuͤr eine beſondere Ehre, als ſie ſich mir zur Seite ſezte, ſie ſprach nur mit mir, und meiſtens nur von den An⸗ 121 Annehmlichkeiten meines Fünftigen Amtes, die fie als Wittwe des verſtorbenen Oberforſtmeiſters ſehr genau kannte. Wie die Aufwaͤrter abtraten, trank der Miniſter meine Geſundheit, und wuͤnſch⸗ te mir zu meinem neuen, eintraͤglichen Amte Gluͤk. Ich hatte von meiner Jugend an nichts als Waſ⸗ ſer getrunken, aber ich ſchaͤmte mich, dieſe gute Eigenſchaft zu bekennen, und nipte daher zur ſchul⸗ digen Dankſagung am Weinglaſe. Man ſpottete uͤber mein iungfraͤuliches Trinken, und ich leerte, wie man die Geſundheit wiederholte, das Glas mit einem Zuge. Bald ward ich mehr zu trinken genoͤthigt, der ungewohnte, ſtarke Wein gluͤhte in meinen Adern, machte mich aͤuſſerſt munter, zum Scherze aufgelegt, und ausgelaſſen luſtig. Ich erinnere mich recht wohl, daß ich der Nichte des Miniſters tauſend Schmeicheleien ſagte, ſie meiner innigſten Verehrung und Liebe verſicherte, aber ich erinnere mich noch gewiffer, daß mich nur der Rauſch, nicht mein Herz zu dieſem Schritte verleitete, daß ich einen unwiderſtehbaren Trieb zum Scherze in mir fuͤhlte, und dieſen ganz zu befriedigen glaubte, wenn ich alle Gegen waͤrtige zu uͤberzeugen ſuchte, daß ich wuͤrklich in die Nich⸗ te des Miniſters verliebt ſei. Erſt um Mitter⸗ nacht verließ ich das Haus deſſelben in einer Trun⸗ RE die mich beinahe meines Verſtandes be: raubt 122 raubt hatte. Wie ich am Morgen erwachte, und mich vergebens bemühte, die geſtrigen Begebenhei— ten zu ordnen, erhielte ich eine neue Einladung des Miniſters, und zugleich ein Billet von ſeiner Nichte, in welchem ſie mich ihren Verlobten nann⸗ te, zaͤrtlich nach meinem Wohlſein forſchte, und ſich nach einem neuen Kuſſe ſehnte. Ehe ich mich von meinem Erſtaunen erholen, und ant⸗ worten konnte, wurde ich zum Monarchen beru⸗ fen. Ich traf den Miniſter in ſeinem Kabinete. So wie ich hoͤre, ſprach der Monarch zu mir, ha⸗ ben ſie ſich geſtern eine Gattin gewaͤhlt. Ich ließ ſie rufen, um ſie zu verſichern, daß mir dieſe Wahl aͤuſſerſt angenehm ſei, daß ich, um meinen wuͤr⸗ digen Miniſter in ſeinen Verwandten zu belohnen, ihrer ferner gedenken, und ihrer nicht vergeſſen werde. Wann wird ihre Hochzeit fin? — — Ich vermochte nicht zu antworten. — — Es ſcheint, fuhr der Monarch laͤchelnd fort, daß ſie mir die Wahl des Tages uͤberlaſſen. Wohl dann! Ich will Vaterſtelle bei ihnen vertreten, wir wollen ſie heute uͤber acht Tage auf meinem Luſtſchloſſe feiern. Gehen ſie, bereiten ſie ſich zum Feſte, und berufen ſie ſich kuͤhn auf mich, wenn ihre Braut ſich etwan weigert, fo ſchnell die ihrige zu werden. Er trat zu ſeinem Schreibtiſche, er winkte dem Miniſter herbei, und ich ſtand noch ſprach⸗ und faſ⸗ 123 faſſungslos in feinem Kabinete. Er blikte von Reuem nach mir hin. Ich entlaſſe fie des Dan⸗ kes, Sprach er ſehr herablaſſend, muͤhen ſie ſich nicht Worte zu ſuchen, die ſeine Groͤſſe doch nur ſchwach ausdruͤkken wuͤrden. Der gute Monarch war gleich mir hintergangen und betrogen worden, er nahm mein Erſtaunen, den Kampf meiner in⸗ nern Empfindung fuͤr Begierde nach Dank, ich war nicht vermoͤgend, mich naher zu erklaͤren, ich neigte mich, und ging. 6 6 | Wie ich 1085 dle kam; ſtaud ihr Bild vor ebnen Augen, ich verglichs mit dem Bilde, und dem Betragen meiner Fünftigen Braut. Ich wuͤthete und raste, weil ich mich immer mehr überzeugte, daß ich nur fie lieben, nur mit ihnen gluͤklich leben koͤnne. Ich vermaledeite meinen wenigen Muth, der mich hinderte, dem Monar⸗ chen den Irrthum zu erklaͤren, und faßte den fe⸗ ſten Entſchluß, lieber dem eintraͤglichen Amte, und ieder fernern Ausſicht zu entſagen, als ein Opfer des liſtigen Betrugs zu werden. Um dies dem Miniſter mit troknen Worten zu erklaͤren, folgte ich der Einladung, welche er um Mittags⸗ zeit erneuerte. Ich fand ihn in einer groſſen, zahlrei⸗ chen Geſellſchaft, alle Anweſende eilten mir ſogleich entgegen, und wuͤnſchten mir zu einer Verbindung | Gluͤk, 124 Gtluüf, nach welcher Tauſende geſtrebt, und ich nur allein erreicht haͤtte. Der Miniſter kuͤßte mich in aller Gegenwart, und nannte mich ſeinen lie⸗ ben Sohn, aber er vermied es ſorgfaͤltig, mir Gelegenheit zu gönnen, mit ihm allein zu fpres chen. Man ging zur Tafel, ohne daß meine ver⸗ haßte Braut erſchien. Der Miniſter entſchuldig⸗ te ſie mit einem heftigen Kopfweh, fuͤgte aber laͤchelnd hinzu, daß er mir nach der Tafel die Er⸗ laubniß erwuͤrken wolle, ſie in ihrem Zimmer be⸗ ſuchen zu koͤnnen. Ich ſezte mich mit dem feſten Vorſaze nieder, keinen Tropfen Wein zu trinken, mein Herz nannte ihn einen liſtigen Verfuͤhrer und Betruͤger, als aber die erſten Glaͤſer herum getragen wurden, da grif ich begierig darnach, weil mein Leiden unertraͤglich ward, weil ich mei⸗ nen ſchreklichen Zuſtand damit zu lindern hofte. Ich geſtehe es offenherzig, daß ſeine Wuͤrkung ſchnell, und fuͤr die Abſichten des Miniſters wun⸗ derthaͤtig waren, ich ſprach bald viel, und for⸗ derte endlich ſelbſt, daß der Miniſter ſein Wort erfuͤllen, und mich zu meiner Braut fuͤhren ſolle. Er thats nach aufgehobener Tafel, ich fand ſie ſchmachtend und leidend, und muͤhte mich vom Weine erhizt, von aͤchtem Mitleid beſeelt, durch Liebkoſungen ihren Schmerz zu lindern. Ich ſuch⸗ te mich in dieſen Stunden ſelbit au überreden, daß ich 125 Be ich nun, da der Monarch meine Heurath billige, nicht mehr zuruͤktreten koͤnne, und hofte zuvers ſichtlich, durch Zeit und Gewohnheit meine vorige Liebe zu vergeſſen, und mir durch Zerſtreuung mein Schikſal wenigſtens ertraͤglich zu machen, aber wenn ich wieder allein war, wenn ernſthafte Ueberlegung den erhaſchten Leichtſinn veriagte, mir die Allgeliebte vors Auge ſtellte, ich fie um⸗ armen wollte, und nun das trugvolle Weib, das ich nicht lieben konnte, dazwiſchen trat, da fuͤhl— te ich Hoͤllenpein, da rannte ich ſinulos umher, und war oft nahe der Aus fuͤhrung, mein elendes Leben durch den Selbſtmord zu enden. Ich will. ſie nicht laͤnger mit der Beſchreibung meiner ſtets erneuerten, immer fortdauernden Quaal unterhal⸗ ten, fie war ſchreklich, wie mein kuͤnftiges Schike ſal, das ich immer vor mir ſelbſt zu verbergen ſuchte. Da das liſtige Weib mich zaͤrtlich zu lie⸗ ben ſchien, mir oft ſelbſt bekannte, daß ſie, als ſie mich zum erſtenmale ſah, in ihrem Herzen feſt gelobt habe, mich oder keinen Mann mehr zu heu⸗ rathen; da ſie uͤberdies ſo ſicher hofte, daß ich ihr dieſe Liebe vergelten, ſie fuͤr eine hoͤchſt miß⸗ vergnuͤgt geendete Ehe ſchadlos halten würde, fo achtete ich es fuͤr noͤthig, auch ihr meinen innern Zuſtand zu verſchweigen, ſie ſogar zu verſichern, daß ich Belohner einer ſo zaͤrtlichen Liebe ſein würde. Der Der Tag, der mich auf ewig mit ihr ver⸗ binden ſollte, erſchien, ich hatte die Nacht ſchlaͤf⸗ los durchwacht, ich hatte ihr Bild tauſend⸗ mal gekuͤßt, dem Originale ewige Liebe geſchwo— ren. Es war, als ob man mein Todesurtheil ge⸗ ſprochen hätte, mich izt zur Richtſtaͤtte führen wuͤrde. Wie man mich aber in voller Pracht nach Hofe fuͤhrte, wie der Monarch ſelbſt Zeuge meiner Verbindung wurde, wir mit ihm in einem Wa⸗ gen nach ſeinem Luſtſchloſſe fuhren, und dort acht Tage lang den Neuvermaͤhlten zu Ehren Feſte ge⸗ feiert wurden, da ſchwebte ich in einem immer⸗ waͤhrenden Taumel, da glaubte ich, daß ich die Ruhe meines Lebens in den Armen meiner Gat— tin wiederfinden wuͤrde. Aber ſie war entflohen, bald kehrte die Reue zuruͤk, und marterte mich unaufhoͤrlich! Bald, ach nur zu bald ſahe ich ein, daß mein Weib nicht mehr die gefaͤllige, ſchmach⸗ tende Geliebte ſei, daß freche Buhler ſich ihr nahten, die ihr Blik nicht zuruͤk wies, vielmehr an ſich lokte. Ich fuͤhlte dieſe anſcheinende Un⸗ treue tief, aber ich beſchloß feſt, ſie ſtandhaft zu dulden, weil ichs fuͤr Strafe anſah, die ich durch meine Untreue an ihnen noch weit ſtaͤrker verdient zu haben glaubte. Ehe mich der guͤtige Monarch entließ, erklaͤrte er oͤffentlich, daß er mich zum Ober⸗ direktor der — ſchen Domainen ernennen würde, wenn 127 wenn der ſchon lang dienende, aber ſchon aͤuſſerſt als te Vorſteher ſterben, oder — was noch wahr⸗ ſcheinlicher ſchien — ſeine Jubilazion heiſchen wuͤr⸗ de. Es war eine hoͤchſt eintraͤgliche Stelle, ich konnte des Jahrs ſicher zehntauſend, oft auch zwoͤlftauſend Thaler einnehmen. Mein zeitliches Gluͤk war alſo geſichert, ich konnte ſorglos in die Zukunft blikken; aber was nuͤzt dieſer Blik, wenn er nicht mit Gemuͤths- und Herzensruhe ver— knuͤpft iſt! Dieſe ſchwand ganz, als ich mein Amt antrat, als die Einſamkeit mir Stof zum Nach⸗ denken gab, ieder Gegenſtand mich in der bekann⸗ ten Gegend an meine verlohrne Geliebte erinner⸗ te, mir auch die Freuden eines einſamen Spa⸗ ziergangs vergaͤllte. Ich ſtaunte, als alle die frechen Buben, welche ſchon in der Nefidenz um mein Weib buhlten, mich zu beſuchen kamen, ich ſtaunte noch mehr, wie mein Weib ſie mit groͤß⸗ teu Freuden empfing, und ihre Abreiſe auf iede Art zu verzoͤgern ſuchte. Ich ſprach warnend, und, als dies nichts fruchtete, drohend mit ihr, aber ſie bewies nun ganz: Wer ſie ſei, und was ich von ihr zu erwarten habe? Sie machte mir die bitterſten Vorwuͤrfe, nannte mich einen Un⸗ dankbaren, der nicht einſehen wolle, daß ſie mein izziges und kuͤnftiges Gluͤk gegruͤndet habe, und verſicherte mich dreuſt, daß fie beides zerſtoͤhren, und 128 und mich verlaffen werde, wenn ich fordern wolle, daß ſie gleich einer Nonne leben, gleich diefer in Einoͤde faſten und beten ſolle. | Won dieſer Zeit an war ich nicht mehr ihr Gatte, ich uͤberließ ſie ihrer eignen Willkuͤhr, und entfernte mich, wenn ihre Buhlen nahten; ich ſuchte die dunkelſten Waͤlder, die entlegenſten Einoͤden, um meinen Tiefſinn zu naͤhren, der mich für iede Geſellſchaft untauglich machte. O meiz ne innig Geliebte, ſie wuͤrden mir gewiß ihr Mit⸗ leid nicht verſagt haben, wenn ſie mich oft iam⸗ mernd und weinend unter den Baͤumen des dun⸗ kelſten Waldes erblikt haͤtten, ſie wuͤrden mit mir geweint haben, wenn ich zu Gott vergebens fleh⸗ te, und er mich nicht zu hoͤren ſchien. Wie das erſte Jahr meines Leidens verfloſſen war, ward ich wuͤrklich zum Oberdirektor der koͤniglichen Domainen in der — ſchen Provinz ernannt. Das Zutrauen des Monarchen, ſeine Verſicherung, daß er von meinem Eifer und meiner Thaͤtigkeit vieles erwarte, wekte mich aus meinem Tiefſinne. Ich ſprach izt zum erſtenmale wieder freundſchaftlich mit meinem Weibe, ihr Hang zur Verſchwendung hatte nicht allein meine Einnahme rein verzehrt, ſondern mich auch mit Schulden belaſtet, ich ſtell⸗ te ibr mit den liebreichſten Worten die Folgen vor, 8 fie ) | 129 >. - fie ſchien ſolche zu fuͤhlen, und gelobte Beſſerung. Mit heiterem Blikke in die Zukunft, verlies ich N | | daher eine Gegend, die mir aͤuſſerſt verhaßt war, aber mein Kummer fand fogleich neue Nabrung, als ich gewahrte, daß einer der eifrigſten Vereh⸗ rer meines Weibes in meinem neuen Amte als koͤ⸗ niglicher Rentmeiſter angeſtellt wurde. Ich durch⸗ blikte fogleig den liſtigen Plan, und die Folge dewies, daß ich mich nicht betrogen hatte, denn er beſuchte mein Weib taͤglich, war nur in ihrer Geſellſchaft zu finden. Bald ſammlete ſie wieder laͤrmende Gaͤſte um ſich her, und mein Haus glich einem Gaſthofe, in welchem man ſtets zechte, und froͤhlich lebte. Der Monarch hatte mir die Aus- troknung einiger groffen Moraͤſte ſehr ans Herz gelegt, und ausdruͤklich erlaubt, die erforderlichen Aufwandsſummen aus ſeinen Renten zu erheben, und gegen Rechnung zum Beſten dieſer Anſtalt zu verwenden. Um feinem eifrigen Wunſche zu ent⸗ ſprechen, um nicht zuſehen zu duͤrfen, wie mein Weib mit meiner Ehre und Einnahme ſpielte, durchlebte ich die meiſte Zeit in der Gegend, wo dieſe Arbeiten vorgenommen wurden. Ich bat ſie beim Abſchiede dringend, nicht mehr auszugeben, als unſere Einnahme erlaube, und lebte in der einſamen Gegend nicht ganz unzufrieden, manch⸗ mal veranuͤgt, weil ich ſah, daß mein Unterneh⸗ 3: men 130 men vollkommen gelang, nach einem Jahre ganz ' geendigt fein wuͤrde. um auch die übrigen Pflichten meines Am⸗ tes zu erfuͤllen, kehrte ich im Winter nach meinem Beſtimmungsorte zuruͤk, ich fand mein Weib elend und krank. Die Aerzte geſtanden mir offen, daß der wiederkehrende Fruͤhling ihr Leben enden wer⸗ de, weil eine unheilbare Abzehrung, die ſie ſich durch heftigen Tanz zugezogen hatte, an ihrem Körper nagte. Diefe Erklaͤrung wekte mein Mit⸗ leid, fie fuͤhlte ihren ſchreklichen Zuſtand, ſuchte ihn durch Feſte und alle moͤgliche Zerſtreuung zu lindern. Ich wollte ihr dieſen Troſt nicht rauben, und war gefällig genug, oft daran Theil zu neh⸗ men, oder ſonſt der Urheber eines Feſtes zu wer⸗ den. Sie kannten mich ehemals, ſie werden ſich noch erinnern, daß Waſſer mein einziger Trank war, und ein trunkner Menſch mir allemal un⸗ ausſtehlich wurde, aber ich bekenne es ihnen eben ſo offenherzig, daß ich dieſen Winter hindurch oft mehr Wein trank, als ich trinken ſollte, oft Ge⸗ legenheit zum Rauſche ſuchte, weil er feine wohl⸗ thaͤtige Wuͤrkung nie verſagte, mir meinen Kum⸗ mer ganz vergeſſend, mich einige Stunden hin⸗ durch zum gluͤklichſten Menſchen machte. Oft, wenn ich in der Einſamkeit die ungeheuern Aus⸗ gaben, den unmaͤſſigen 9 1 0 8 meines Weibes | De 131 — — —— g— berechnete, da ſah ich deutlich ein, daß ſolcher un⸗ ſere Einnahme weit uͤberſteigen muͤßte, aber wenn ich mit ihr daruͤber ſprechen, die Folgen vorſtel⸗ len wollte, und ich ſie elend, krank und nach Zer⸗ ſtreuung ſeufzend fand, da zoͤgerte ich immer, und beſchloß endlich, ihren Tod abzuwarten, um dann durch gute und genaue Wirthſchaft wieder zu er⸗ ſezzen, was ihr Hang zur Verſchwendung mir raub⸗ te. Wenn ich dann obendrein mit froͤhlichem Blik⸗ ke in die Zukunft ſah, mit Huͤlfe meiner Einbil⸗ dungskraft es moͤglich machte, daß ſie mir meine Untreue vergeben, mit mir als Gattin leben wuͤr⸗ den, da achtete ich keinen Preis fuͤr zu hoch, um mir ein Gluͤk zu erkaufen, das die kuͤnftige Won⸗ ne meiner Tage werden ſollte. Ich mußte mein Weib im folgenden Fruͤh⸗ linge mit der Ueberzeugung verlaſſen, daß ich ſie nie wieder ſehen wuͤrde. Sie ahndete ihr Ende noch nicht, ich verbarg ihr daher mein Mitleid, und eilte fort, weil Vollendung der Arbeit meine Gegenwart unaufhaltſam forderte. Einen Mo⸗ nat nachher erhlelte ich die Nachricht ihres To⸗ des, ich kehrte zuruͤk, um mein Hausweſen zu ordnen, mich mit den Glaͤubigern meines Weibes zu ſezien, und fie. zu verſichern, daß ich Zahler ſein wuͤrde. Ich erſtaunte, als kein Schuldner ſich meldete, und ich in ihrer Verlaſſenſchaft ſogar eis 3 ni⸗ 132 . nige baare hundert Louisdor fand, ich konnte nun nichts anders vermuthen, als daß der Miniſter, ihr naͤchſter Verwandter, ſie ſehr oft anſehnlich beſchenkt, und daher in ihrer groſſen Verſchwen⸗ dung unterſtuͤzt habe. Wie ich mich fo ſchnell und un vermuthet gluͤklich ſah, da war mein erſter und einziger Gedanke, die Möglichkeit einer Verſoͤh⸗ nung und Verbindung mit ihnen. Ich ſchrieb vol⸗ le zwei Tage an einem Briefe, der meine ganze ungluͤkliche Lage, meine izzige Hofnung ſchilderte, den ich durch einen Reitenden an ſie abſande, aber durch eben denſelben die Nachricht erhielt, daß ihre alte Muhme geſtorben ſei, und niemand ihren izzigen Aufenthalt kenne. Ich trage, ſprach er, dieſen Brief noch bei mir, ſie muͤſſen ihn le⸗ ſen, um ſich zu uͤberzeugen, daß ich auch in mei⸗ nem eingebildeten Gluͤkke mit voller Sehnſucht nach ihnen ſchmachtete, nicht izt erſt, da unver⸗ dientes Leiden mich aufs neue zu Boden druͤkt, ihre Liebe zu gewinnen ſuche. Er uͤbergab mir bei dieſen Worten den Brief, und ich fand, als | ich 7 las, daß er Wahrheit geſprochen habe. Eben, fuhr er zu erzählen fort, machte ich mich reiſefertig, um ſelbſt nach — zu reiſen, und nicht eher zuruͤkzukehren, bis ich ſie gefunden, und ibre Vergebung erhalten hätte; aber neues, un⸗ | erwartetes Leiden e meinen Plan, vernich⸗ . 5 te⸗ 133 tete meinen ſchoͤnſten Traum. Ich erhielte vom Miniſter Antwort auf die gegebene Nachricht, daß ſeine geliebte Nichte vollendet haͤtte. Lange, ſchrieb er mir, habe er gezoͤgert, meinen Brief zu be⸗ antworten, weil er mich fuͤr den Moͤrder ſeiner zärtlich geliebten Nichte achte, weil er feſt glau⸗ be, daß ich durch unnoͤthige, tiranniſche Strenge iedes ihrer Vergnuͤgen verbittert, ihre zarte Ems pfindung maͤchtig gereizt, und dadurch ihren Tod befoͤrdert haͤtte. Doch muͤſſe er mir izt ſchreiben, weil der Monarch es fordere, der mit meinem Unternehmen zwar ſehr zufrieden ſei, es aber doch ſehr auffallend finde, daß ich zur Austroknung der Moraͤſte eine ſo groſſe Summe, und uͤberdies zur Winterszeit verwendet haͤtte. Er rathe mir da⸗ her aus einem vielleicht zu groſſen Ueberreſte von Zuneigung, daß ich meine Rechnungen bereit hal⸗ ten moͤge, weil naͤchſtens eine koͤnigliche Kommiſ⸗ ſion erſcheinen wuͤrde, welche den Auftrag habe, nicht allein dieſe, ſondern auch den Fortgang mei⸗ nes Unternehmens aufs genaueſte zu unterſuchen. Ich wuͤrde die leztere, von meiner Recht, ſchaffenheit und dem gutem Erfolge meiner Ar⸗ beit uͤberzeugt, mit Ruhe und Freude erwartet haben, wenn mich der Ausdruk zur Winters⸗ zeit nicht aufmerkſam gemacht haͤtte. Ich hatte dieſe Zeit hindurch nichts arbeiten, nur die noͤthi⸗ a gen 134 gen Aufſeher bezahlen laſſen, und konnte nicht begreifen, wie man mir daruͤber Vorwuͤrfe ma⸗ chen koͤnne. Um mich ganz zu beruhigen, durch ging ich meine Rechnungen aufs genaueſte, ſamm⸗ lete die noch übrigen Beilagen, und verglich das her auch meine Empfangsſummen mit dem Haupt⸗ kaſſenbuche des Rentmeiſters. Ich erſtaunte, als ich in dem leztern zwanzigtauſend Thalern mehr an mich verwieſen fand, als ich empfüngen hat⸗ te, ich unterſuchte die Sache genauer, und über: zeugte mich durch meine eigne Unterſchrift, die ich wenigſtens dafür erkennen mußte, daß ich dle⸗ ſe Summe den vorigen Winter hindurch wuͤrklich zur noͤthigen Arbeit an den Moraͤſten erhoben hat⸗ te. Ich forſchte, durch wen dieſe Summen er⸗ hoben wurden, und der Rentmeiſter ſtellte Zeu⸗ gen, daß es einigemal mein Weib ſelbſt gegen meine Quittung erhoben habe. Mir ward nun mit einmal die ſchrekliche Gewißheit; Wie mein Weib keine Schulden hinterlaſſen, und doch das bei ſo auffallend praͤchtig und verſchwenderiſch le⸗ ben konnte. Gottes Barmherzigkeit, ſprach er mit feierlicher Stimme, ſoll mich in meinem groͤßten Elende verlaſſen, er ſoll mir meine einzige Hoff⸗ nung ihre Liebe rauben, wenn ich vorher nur dies ſchaͤndliche Unternehmen ahndete, oder auf die ent⸗ fernteſte Art bei dieſem Bubenſtuͤkke mitwuͤrkte. ö Noch 135 Noch ifts mir ein Geheimniß: Ob ſie wuͤrklich Mittel fand, meine Handſchrift ſo taͤuſchend nach⸗ zuahmen, oder — was freilich wahrſcheinlicher iſt — dann und wann meinen ſtarken Rauſch be⸗ nuzte, um mich zur eignen Unterſchrift zu verlei⸗ ten? Denn ich erinnere michs noch ſehr wohl, daß ſie oft alles anwande, um mich zu betrinken, und in dieſer Zeit aͤuſſerſt gefaͤllig und liebreich mit mir ſprach. Erfahrung hatte ſie uͤberzeugt, daß man mich im Rauſche zu allem bereden koͤnne, und ſie ward durch die Folge belehrt, daß ich mich ſelten der Handlungen, welche ich in dieſer Zeit be⸗ ginge, mehr erinnerte. Wahrſcheinlich hatte ſie der Rentmeiſter, welcher ihr erklaͤrter Liebhaber war , zu dieſem ſchreklichen Schritte verleitet, wahrſcheinlich wollte er dadurch mich ſtuͤrzen, meine Gattin, oder wenigſtens durch dieſe mein eintraͤgliches Amt erhalten, wahrſcheinlich hatte er am Ende in ſeinen Berichten den Monarchen ſelbſt darauf aufmerkſam gemacht. Meine Lage ward nun ſchreklich, ich verbarg meinen Kummer vor aller Menſchen Augen, aber ich konnte ihn deswegen nicht heben. Ich erwartete die koͤnigli⸗ che Unterſuchung taͤglich, und war doch wicht im Stande mich uͤber dieſe Summe auszuweiſen, oder ſie durch ein Anlehn aufzubringen. Ich durch⸗ wachte die Naͤchte ſchlaflos, und ſtand immer mit der 136 der Gewißheit von meinem Lager auf, daß unaus⸗ weichliche Schande, Gefaͤngniß und Tod mir dro⸗ he. Oft wollte ich nach der Nefivenz eilen, und zu den Fuͤſſen des Monarchen alles bekennen, und entdekken, aber Furcht und Schaam hielt mich ſtets zuruͤk. Endlich erſchien die Kommiſſion, und mit ihr die Entſcheidung meines Schikſals. Man behandelte mich ſehr ſtrenge, ſchien meinen Fall ſchon zu ahnden, und forderte alle meine Schriften und Papiere zur Einſicht. Ich ſah nun kein Ret⸗ tungsmittel mehr, und ergrif in der folgenden Nacht die Flucht. Zu dieſer hatte ich ehefchon einige Anſtalten getroffen, und erreichte daher gluͤk⸗ lich die Graͤnze. Achtzig Louisdor waren mein ganzes Vermoͤgen, welches ich mit mir nahm, ich hätte ungehindert weit mehr nehmen konnen, aber ich wollte mein Gewiſſen nicht mit einem Verbre⸗ chen belaſten, fuͤr welches ich ohnehin ſo unge⸗ recht und unſchuldig buͤſſen mußte. Ehe ich dieſe Stadt erreichte, las ich meine Zitazion ſchon in allen Jeitungen. Dies vermehrte meine Sorge, meine Angſt um ein groſſes. Ich floh ohne Plan, ohne Abſicht von einem Orte zum andern. Wie ich eben von hier weiter fliehen wollte, und, um nicht Argwohn zu erregen, an der gemeinſchaftli⸗ chen Tafel des Wirths ſpeiſte, nannte ein iunger Mane ihren Namen, ruͤhmte ihre Schönheit, noch mehr 137 mehr aber ihre Sittſamkett. Ich erwachte aus meinem Tiefſinne, mein Herz bebte, meine Ner— ven zitterten, Angſt und Furcht ſchwand, ich bez ſchloß ſo lange hier zu weilen, bis ich ſie geſehen, geſprochen und aus ihrem Munde erfahren haͤtte: Ob ich auf Erden noch hoffen, oder verzweifelnd mein Leben enden ſollte? Ich erforſchte bald ih⸗ re Wohnung, ihre Lebensart, ich wollte mich nicht in die erſtere wagen, weil ich dort eine Be⸗ kannte zu treffen fuͤrchtete, und lauerte auf der Gaſſe, bis ich ſie allein ſpazieren gehen ſah, und den Bettler mit dem Briefe nachſenden konnte. Sie wiſſen nun alles, endete er, ich kann nicht fordern, daß fie mein Ungluͤk mit mir theilen, in irgend einem verborgnen Winkel der Erde ihre Ta— ge mit mir vertrauren ſollen, aber ich kann doch hoffen, daß fie meinem Andenken eine Thraͤne weis hen werden. Denn Selbſtmord muß mein Leben enden, wenn auch ſie mich verlaſſen, wenn mir auf der groſſen, weiten Erde keine Hofnung mehr uͤbrig bleibt. Seine Erzaͤhlung Futte mich tief geruͤhrt, mir fein ganzes unverdientes Ungluͤk enthuͤllt, und uͤberdies deutlich bewieſen, daß er wider Willen untreu wurde, ſchreklich dafuͤr dulden und buͤſſen mußte. Ich liebte ihn abweſend, ich liebte ihn ſtaͤrker, als ich ihn ſah, und ungluͤklich fand, f Was 138 Was iſt wohl zur Verzeihung geneigter als Liebe? Was verachtet wohl ſtaͤrker iede Gefahr? Was theilt wohl williger das groͤßte Ungluͤk als eben die Liebe ? Dies wird und muß in ihren Augen binlaͤngliche Entſchuldigung fein, wenn ich ihnen offenherzig geſtehe, daß ich, ohne die Folgen zu erwaͤgen, weinend in feine Arme ſank, ihm hoch und theuer gelobte, zu folgen, wohin er mich fuͤh⸗ re, mit ihm zu leben, wo er ſich ſicher und ge⸗ fahrlos duͤnke. Seine Freude über dieſe Erklaͤ⸗ rung war ohne Graͤnzen, er hatte lange gezoͤgert, mir ſein ganzes Ungluͤk zu bekennen, er hatte ſi⸗ cher erwartet, daß mich dies von ihm trennen wuͤrde. Der Dank, welchen er nur ſtamlen nicht ausſprechen konnte, war meinem ſchmachtenden Herzen Balſam, es fuͤhlte ſich gluͤklich, weil es auch ſeinen Geliebten gluͤklich machen, wenigſtens fuͤr Verzweiflung retten konnte. Ich forſchte mit Eifer nach dem Plane, welchen er fuͤr die Zukunft vortheilhaft und zur Ausfuͤhrung moͤglich achte⸗ te, ich verſicherte ihn, daß er von dieſem Augen⸗ blikke an, mein Vermoͤgen als das ſeinige be⸗ trachten koͤnne, und ich mich aͤuſſerſt gluͤklich ſchaͤz⸗ zen wuͤrde, wenn es hinreichend ſei, die Ruhe ſeiner und meiner Tage zu ſichern. Die heftige Freude machte ihn unfaͤhig, mir ſogleich zu ant⸗ worten, und wir ſchieden mit der Gewißheit, daß der 139 der künftige Tag unſer Schikſal beſtimmen wür- Be. Als ich ihn nach dem andern Morgen ſchon wieder im Garten fand, verſicherte er mich, daß er die ganze Nacht ſchlaflos durchwacht, hundert Plane entworfen, und nur einen zur Ausfuͤhrung moͤglichen gefunden habe. Ich heiſchte naͤhere Er⸗ klaͤrung, und er erzaͤhlte mir, daß, weil er ſich in Deutſchland nicht ſicher duͤnke, kein anderes Mittel vorhanden ſei, als entweder nach Ruß⸗ land, oder gar nach Amerika zu gehen, wo es leicht Gelegenheit geben wuͤrde, mit meinem Ver⸗ moͤgen ein Landgut zu kaufen, auf welchem wir ruhig leben, und unſern Kindern einſt ein Erb⸗ theil gruͤnden koͤnnten. Er uͤberließ die Eutſchei⸗ dung mir, und ich waͤhlte Amerika zu unferm kuͤnftigen Aufenthaltsorte. Meine ſehr ſchwache und ſchwankende Geſundheit beſtimmte mich zu dieſem Entſchluſſe, weil ich das harte und rauhe Klima in Rußland fuͤrchtete, dort nicht lange zu leben hoffen konnte. Freilich waren auf der an⸗ dern Seite die Gefahren der Seereiſe eben ſo ab⸗ ſchrekkend fuͤr mich, aber ich hatte kurz zuvor ei⸗ ne Reiſebeſchreibung geleſen, dieſe ſchilderte die Gefahren ſehr gering, und das engliſche Amerika als ein Eliſium, wo ſchon viele deutſche Kolonien gluͤklich lebten, wo man für einen geringen Preig vie⸗ 140, IE een anne en viele hundert Morgen des fruchtbarften Landes erhalten, und ſich mit deutſchem Fleiſſe und In⸗ duſtrie ein anſehnliches Vermoͤgen erwerben koͤn⸗ ne. Mein Karl war mit dieſem Entſchluſſe voll⸗ kommen zufrieden, weil die weite Entfernung die Gefahr verringerte, und iede Entdekkung unmoͤ⸗ glich machte. O die Tage, in welchen wir un⸗ gehindert unſer Gluͤk traͤumten, mit Huͤlfe der Einbildungskraft unſre zahlreichen Vieheerden ſelbſt fuͤtterten, unſre Sklaven menſchenfreund⸗ lich behandelten, und von ihnen innig geliebt wur⸗ den, waren die gluͤklichſten meines Lebens! Oft wenn Ungluͤk und Noth von allen Seiten auf mich losſtuͤrmt, mich zur Verzweiflung reizt, verſinke ich in dieſen Traum, und duͤnke mich ſo lange gluͤklich, bis das Geſchrei meiner hungrigen Kin⸗ der mich wieder zur neuen, um ſo ſchmerzhaftern Empfindung wekt. Schon am andern Tage ging ich zu einem Wechsler, und fand ihn willig, meine ſichern Obli⸗ gazionen gegen baares Geld einzuhandeln. Da ich mir einen Abzug gefallen ließ, ſo zahlte er ſie nach drei Tagen wuͤrklich aus. Ich ſchuͤzte im Hauſe, wo ich bisher die Wohnung und Schuz genoſſen hatte, einen noͤthigen Beſuch bei meinen auswaͤrtigen Freunden vor, und trennte mich oh⸗ ‚ne Ruͤhrung von den Vertrauten meines Kum⸗ mers, 141 mers, weil mein Karl mich an der Graͤnze mit offnen Armen erwartete. Ich traf ihn gluͤk⸗ lich, und wir reiſten ohne irgend ein Hindernig nach der Schweiz, wo es uns fo wohl gefiel, daß wir erſt nach vier Monaten Frankreich erreich⸗ ten. Als wir von da nach England uͤberſchiff en wollten, ward uns dort die ſichere Nachricht, daß die amerikaniſchen Schiffe die engliſchen Häfen ſchon alle verlaſſen hätten, und wir zu dieſer ſpaͤ⸗ ten Jahrszeit keine ſichere Ueberfahrt mehr fin: den wuͤrden. Dieſer Verzug that uns weh, weil er ganz natuͤrlich unſer Kapital minderte. Karl ging nach dem Hafen, um naͤhere Gewißheit zu ergründen, und nebenbei Nachricht einzuziehen: Ob wir den Abgang der Schiffe in Frankreich oder in England bequemer und wohlfeiler erwar⸗ ten koͤnnten? Ein Zufall machte ihn mit einem der vielen Emiſſairs bekannt, welche eben dazu⸗ mal der beruͤhmte Olavides ausgeſandt hatte, um durch fremde Koloniſten die Siera morena in Spanien zu bevoͤlkern. Er ſchilderte ihm das Gluͤk, welches ieden dort erwarte, ſo angenehm, ſo reizend, daß er ſogleich den Entſchluß faßte, ihm dahin zu folgen. Um meine Meinung zu hoͤ⸗ ren, und dann ſogleich entſcheiden zu koͤnnen, fuͤhrte er den Emiſſair nach unſrer Wohnung. Das 9 1 Patent, welches dieſer aufzeigte, die vor⸗ 142 vortheilhaften Bedingungen, deren Erfüllung es iedem Koloniſten getreulich zuſicherte, bewies ſei⸗ ne Sendung, und widerlegte ieden Zweifel eines moͤglichen Betrugs. Mein einziger Wunſch war, im Arme meines Karls ohne Gefahr und zufrie⸗ den zu leben, ich hofte in der Siera morena die Erfuͤllung dieſes Wunſches zu finden, und achtete die Beſchwerlichkeiten nicht, welche ieder Unter⸗ nehmung dieſer Art wenigſtens im Anfange dro⸗ hen. Wir fuͤllten mit Vergnuͤgen die Liſte der Koloniſten mit unſern Namen, und ſegelten ſchon in der folgenden Woche nach Spanien ab. Das Transportſchif war mit Leuten von verſchiednen Nazionen, vorzüglich aber mit Deutſchen ange⸗ fuͤllt. Alle hatten mit uns gleiche Abſicht, alle waren durch Ungluͤk, viele durch die Folgen eis nes Verbrechens aus ihrem Vaterlande vertrieben worden, und ſuchten nun gleich uns den gluͤkli⸗ chen Zufluchtsort, welcher das erſtere mildern, ſie fuͤr den leztern ſchuͤzzen ſollte. Aeuſſerſt angenehm wars mir, als ich auf dem Schiffe einen Prieſter unſrer Religion erblikte, welcher nicht den gering⸗ ſten Anſtand machte, mich mit meinem Karl auf ewig zu verbinden. Als ſeine Gattin ſchifte ich nun mit groͤßter Begierde dem neuen Vaterlande entgegen, und traͤumte in feinen Armen mein 1 Gluͤk. e Der 143 Der groſſe, redliche Olavides war eben im Hafen gegenwaͤrtig, als unſer Schiff dort lande⸗ te. Er empfing uns mit groͤßter Freude, und begegnete mir und meinem Gatten ſogleich mit einer auszeichnenden Achtung. Wir mußten an ſeiner Tafel ſpeiſen, und wie er meinen Karl naͤ⸗ her kennen lernte, ſo ernannte er ihn mit einem Gehalte von vierhundert Realen zum Sekretaire der deutſchen Geſchaͤfte. In ſeiner Geſellſchaft reiſten wir bald nachher nach den Kolonien. Frei⸗ lich fanden wir dort nicht, was wir erwartet hat⸗ ten, aber wir ſahen doch gegruͤndete Hofnung, daß wir unſern Kindern einſt ein ruhiges Erbtheil gruͤnden koͤnnten. Der großmuͤthige Olavides ſuch⸗ te dieſen Vorſaz nach Kraͤften zu foͤrdern, er raͤumte uns eine Wohnung in einem koͤniglichen Gebaͤude ein, und traf ſogleich die wuͤrkſamſten Anſtalten, uns eine eigne erbauen zu koͤnnen. Da wir die fruchtbarſten Laͤndereyen umſonſt erhiel⸗ ten, der Bau der Wohnung uns nur wenig ko⸗ ſtete, und meines Gatten Beſoldung, welche er als Sekretair empfing, ganz hinreichte, uns in dieſer aͤuſſerſt wohlfeilen Gegend anſtaͤndig zu er⸗ naͤhren, ſo ward unſer Kapital nur wenig ge⸗ ſchwaͤcht, und wir konnten ſolches bald durch des Olavides Vermittlung auf ſichere Zinſen anlegen. Alle Ausſichten waren nun aͤuſſerſt guͤnſtig, die Wis 144 > Wuͤſte bevoͤlkerte ſich immer mehr und mehr, die klugen Anſtalten, der thaͤtige Eifer des wuͤrdi⸗ gen Stifters vereinigte die verſchiednen Nazionen zu einem Entzwekke, und verhinderte ieden Haß, welcher oft aus den verſchiedenen Religionsmei⸗ nungen zu entſtehen drohte. Mein Karl liebte mich aufs zaͤrtlichſte, ich wuͤrde ganz ruhig und gluͤklich gelebt haben, wenn mich nicht die Fol⸗ ge uͤberzeugt haͤtte, daß er einen Hank zum Trun⸗ ke habe, den er zwar aus Liebe zu mir ſehr zu bekaͤmpfen, aber doch bei ieder nur moͤglichen Ge⸗ legenheit zu beguͤnſtigen ſuchte. Da er mir aufs deutlichſte bewies, daß heimlicher Kummer und Gram uͤber ſein ehemaliges, ſo unverdientes Un⸗ gluͤk ihn anfangs zu dieſem Fehler verleitete, ſo wuͤrde ich ihn ohne Murren geduldet, und ſicher gehoft haben, daß der Genuß feines izzigen Gluͤks ihn nach und nach davon befreien wuͤrde, wenn nicht ieder Rauſch offenbare, üble Folgen für un⸗ ſer kuͤnftiges Gluͤk und Ruhe befuͤrchten lieſſe, denn er wurde, ſo bald er nur einige Glaͤſer mehr als gewoͤhnlich getrunken hatte, aͤuſſerſt zankſuͤch⸗ tig, ſuchte iedem ſeine Meinung als entſchieden aufzu dringen, und tadelte oft in harten Ausdruͤk⸗ ken einige Mißbraͤuche der katholiſchen Religion, welcher er doch, als der im Lande herrſchenden, Ehrfurcht und Hochachtung ſchuldig war. Freilich be⸗ 145 bereute er, wann er nichtern wurde, dieſen Feh⸗ ler herzlich, und gelobte aufs heiligſte Beſſerung, aber iede neue Gelegenheit vernichtete feinen fe⸗ ſten Entſchluß, und machte mir oft ſchlafloſe Naͤch⸗ te. x | Eben hatte ich ihm das zweite Kind geboh⸗ ren, als mich Olavides beſuchte, und aͤuſſerſt dringend bat, meinen Mann dahin zu vermoͤgen, daß er kuͤnftighin ſich aller Religionsgeſpraͤche enthalten moͤge. Es wuͤrde, ſprach der Redliche mit beſorgter Miene, ganz gewiß ſein Ungluͤk be⸗ foͤrdern, und mir den groͤßten Verdruß ver urſa⸗ chen, wenn er ferner fortfahren ſollte, die ehr⸗ wuͤrdigen Gebraͤuche unſrer Religion zu tadeln. Mir ward, fuhr er fort, freilich das feſte koͤ⸗ nigliche Verſprechen, daß in meiner neuen Kolo— nie, ieder nach ſeiner Art Gott dienen, und die fuͤrchterliche Zuguifizion in der Siera morena nicht wuͤrken koͤnne, aber ich bin auch feſt uͤberzeugt, daß mir eben dieſes Verſprechen viele Feinde er— wekt hat, welche ſich aͤuſſerſt bemuͤhen, es zu ver⸗ nichten, und ſehr leicht Gelegenheit dazu finden werden, wenn ich das unvorſichtige Betragen ei⸗ nes meiner Sekretaire noch ferner duldete, nicht ſtreng ahndete. Ich verſprach, alle meine Kraͤf⸗ te anzuwenden, um meinen Mann zu dieſem heil⸗ ſamen Entſchluſſe zu vermoͤgen, und verdoppelte K mei⸗ 146 meine Bitte, als mich Olavides kurz nachher ver— ſicherte, beinahe gewiß uͤberzeugt zu ſein, daß ge⸗ heime Spaͤher der Inquiſtzion in der Mitte der Koloniſten wohnten, und iede unſchuldige Rede mißdeuten und vergroͤſſern würden. Ich muß meinem Gatten die Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, daß er von dieſem Augenblik⸗ ke an, ſich ſorgfaͤltig fuͤr iedem Rauſch huͤtete, noch ſorgfaͤltiger iedes Religionsgeſpraͤch vermied, aber ich muß auch eben ſo offen bekennen, daß ich feine unvorſichtigen Reden als eine Grundur— ſache anſehe, die unſer Gluͤk in der Folge ſtoͤhr⸗ ten, unſern Wohlthaͤter ſtuͤrzten, und ein Unter⸗ nehmen vernichteten, das ganz gewiß einſt die herrlichſten Fruͤchte getragen hätte. Ehe ein halbes Jahr verfloſſen war, ward Olavides nach Madrid berufen, die Art, wie man ihn berief, und die geheimen Nachrichten ſeiner Freunde uͤberzeugten ihn ſogleich, daß man ihn zu ſtuͤrzen und ungluͤklich zu machen ſuche. Er trat die Reiſe mit Standhaftigkeit und mit der Hofnung an, daß ſeine gerechte Sache Schuz fin⸗ den, ſeine Gegenwart die Abſichten ſeiner Fein⸗ de beſiegen wuͤrde. Da er aber dieſen Ausgang nur hoffen, nicht gewiß erwarten konnte, fo ver⸗ ſprach er alle ſeine Freunde, und vorzuͤglich mei⸗ nen Gatten augenbluͤklich zu warnen, wenn auch ih⸗ we | 147 | 33 2 er ihnen Gefahr drohen ſollte. Wir harrten mit ban⸗ ger Sehnſucht dem Ausgange entgegen, als aber ein voller Monat ohne Nachricht verfloß, ſo hof— ten wir ſchon das Beſte, und begannen wieder froher zu leben, und unfee Geſchaͤfte thaͤtiger zu betreiben. Wie wir eben aus dieſer Abſicht am Nach⸗ mittage eines Sonntags unſre Felder durchirrten, und Stof zur Arbeit der kuͤnftigen Woche ſammle⸗ ten, nahte ſich uns ellend ein alter Mann, der auf der nahen Straſſe herabritt, und fein Maul⸗ thier verlies, als er uns im Felde gewahrte Mein Karl erkannte in ihm ſogleich einen alten, treuen Diener des Olavides, er ſtand zitternd und bes bend neben mir, wie dieſer ihm, ohne ein Wort zu ſprechen, einen kleinen Zettel uͤbergab, ſogleich wieder nach ſeinem Maulthiere eilte, und ſehr ſchnell ruͤkwaͤrts iagte. Nur meine anhaltende Bits te konnte meinen Gatten bewegen, dieſen Brief zu erbrechen. Er ahndete ungluͤkliche Nachrichten, und ahndete ſie mit vollem Rechte. „Wenn dieſer Brief,“ ſchrieb der großmuͤthige Gönner, „fie noch in Freiheit findet, ſo iſt der lezte meiner Wuͤnſche erfuͤllt. Meine Feinde werden ſicher ſie⸗ gen, die Abgeſandten der Inquiſizion reifen heus te noch ab, um ihre Schriften zu verſiegeln, und ſie vor das fuͤrchterliche Gericht derſelben zu fuͤh⸗ 2 ren. 148 ren. Ihre unvorſichtigen Reden ſind leider dem⸗ ſelben nur allzu gut bekannt, nichts als ſchleu⸗ nige Flucht kann ſie retten, wenn anders mein treuer Diener ſchneller als die Abgeſandten eilt. Fliehen ſie dann ia ſogleich, und ſo ſchnell als möglich, fonft find fie verlohren. Retten fie nur ihr Leben, und überlaffen fie es mir, in der Zus kunft ihr Vermoͤgen zu retten. Ich habe Hofnung, meine Unſchuld zu beweiſen, und werde dann alles anwenden, um ſie auch in der Ferne zu unterſtuͤzzen, aber in Spanien iſt keine Hofnung mehr fuͤr ſie, fie würden unfehlbar das Opfer ihrer Unvorſich⸗ tigkeit werden. Vernichten ſie dieſen Brief auf der Stelle, und retten ſie ſich zu Lande nach Frank⸗ reich, weil ich eben Nachricht erhalten habe, daß nach allen Häfen der Befehl ergangen ſei, keinen meiner Koloniſten in einem Schiffe aufzunehmen.“ Wir laſen dieſen Brief, welcher in franzoͤſiſcher Sprache geſchrieben war, mit einander. Karl ver⸗ nichtete ihn auf der Stelle, und ergrief, ohne ein Wort zu ſprechen, meine Hand. Wir eilten un⸗ aufhaltſam vorwaͤrts, die nahe Gefahr, die ſchrek⸗ liche Angſt verdoppelte unſre Schritte. Erſt als das Dach unſers Hauſes meinem ruͤkblikkenden Auge entſchwinden wollte, erinnerte ich mich mei⸗ ner Kinder. Meine Kinder, rief ich angſtvoll aus. Meine Kinder, lallte mein Gatte mir nach, und eil⸗ 4 149 eilte ſogleich ruͤkwaͤrts, auch ich folgte. Ohne mehr mit einander zu reden, erreichten wir unſre Wohnung. Karl nahm den Erſtgebohrnen auf feis ne Arme, und ich ergrif das halbiaͤhrige Maͤd⸗ chen, welches eben ſanft ruhte. Der Anblik der Kinder wekte meine ſtarrende Seele zum Nach denken, ich beſaß Gegenwart des Geiſtes genug, einige Waͤſche fuͤr dieſe in Eile einzupakken, und den Schreibtiſch meines Gatten zu oͤfnen, in wel⸗ chem ein Beutel mit hundert Duplonen lag, die ich zu mir ſtekte. Furcht und Angſt hatte meinen Gatten ſchon fortgetrieben, ich erreichte ihn nur mit Muͤhe. Eben wie wir uns aus Vorſicht von der Heerſtraſſe entfernt hatten, und in einem klei⸗ nen Gebuͤſche ausruhten, ſahen wir auf iener ei⸗ nige Reiter herabziehen, denen bald eine groſſe Anzahl Maulthiere folgten. Wir zweifelten kei⸗ nen Augenblik, daß dies die Abgeſandten der In⸗ quiſizion waͤren, und eilten daher noch ſchneller fort. Mein Gatte war ſchon einigemal mit dem Olavides bis an den Fuß der pirenaͤiſchen Ge⸗ buͤrge gereiſt, er hatte dort Schaafe zum Bedarf der Koloniſten erkauft. Man hatte ihn damals verſichert, dag man von dort aus auf einem frei⸗ lich ſehr beſchwerlichen „ aber doch im höchften Sommer gangbaren Paß binnen zwei Tagen Frank⸗ 9 We reich 150 reich erreichen koͤnne. Er beſchloß fogleich den Weg dahin zu nehmen, und wir wanderten die ganze Nacht vorwaͤrts. Die Schwere der Kinder, wel⸗ che wir tragen mußten, hatte unſre Kraͤfte ganz erſchoͤpft, ich konnte nur wanken, nicht mehr ge⸗ hen. Karl wandte alle ſeine Kraͤfte an, um mich nach einem Waͤldchen zu ſchleppen, wo er mir ein Jager von Moos bereitete, auf welchem ich mit meinen Kindern ſanft ruhte. Einige Fruͤchte, die er indes in den nahen Gaͤrten ſammlete, wa⸗ ren beim Erwachen das Einzige, womit wir un⸗ ſern Hunger ſtillen konnten, weil wir uns nach keinem Dorfe wagten, dort Verrath und Entdek⸗ kung fuͤrchteten. Wir mußten auf dieſe Art ganz Spanien durchirren, felten fanden wir eine Hütte in der wir ruhen, und etwas eſſen konnten, und doch erreichten wir endlich, ohne angehalten zu werden, aber abgemattet und entkraͤftet den Fuß der pirenaͤiſchen Berge. Ohne uns mit Lebensmit⸗ sein zu verſehen, ohne nach dem eigentlichen Gang des Weges genauer zu forſchen „ fliegen wir mit aller moͤglichen Anſtrengung aufwaͤrts, weil neue und groͤſſere Angſt uns iagte, da mein Gatte, als er in einem Dorfe einige Lebensmittel kaufen woll⸗ te, in dieſem einen Diener der heiligen Her man⸗ dad gewahrte, und wir ganz natürlich ſchloſſen, daß er auf Spaͤhe nach uns ausgeſandt ſei. Wie 851 Wie wir einige Stunden empor geklettert waren, theilte ſich der Weg in verſchiedne Zwei⸗ ge, wir waͤhlten den gebahnteſten, und wählten falſch, weil dies ein Weg war, den nur die Zie⸗ gen und Schaafe, welche in groſſen Heerden auf dieſen Bergen weiden, ſo feſt getreten hatten. Schon am Abende verlohr ſich die Straſſe in einem lan⸗ gen Thale, wir irrten den andern Tag in dieſem vergebens umher, und wuͤrden wahrſcheinlich ein Raub des Hungers geworden fein, wenn wir nicht endlich die Huͤtten eines Schaafhirten ge⸗ funden haͤtten, der uns mit Kaͤſe und Milch lab⸗ te. Karl ſprach etwas ſpaniſch, und erfuhr durch den Hirten, daß es zwar moͤglich, aber auch aͤuſ— ſerſt gefaͤhrlich ſei, auf dieſem Wege Frankreichs Graͤnzen zu erreichen. Unſer Wirth war fo ge: faͤllig, uns am andern Tage nach einem andern Thale zu fuͤhren, wo wir neue Hirten, und bei dieſen eben ſo groſſe Gaſtfreiheit fanden. Erſt nach langen zehn Tagen erreichten wir Frankreichs Graͤnzen, und konnten in einem Dor⸗ fe deſſelben Herberge nehmen. Unſer Zuſtand war ſchreklich und erbarmungswuͤrdig, es mangelten uns alle noͤthigen Beduͤrfniſſe des Menſchen. Die Kleider waren zerriſſen, die Waͤſche ſchmuzig, die Fuͤſſe verwundet, der Koͤrper entkraͤftet. Wir hat⸗ ten n oft Hizze und ales Hunger und Durſt im h oͤch⸗ 152 hoͤchſten Grade geduldet, izt fühlten wir die Fol⸗ gen, und lagen vier Tage lang auf einem elen⸗ den Strohlager. Ein altes Muͤtterchen, in deſ⸗ ſen Huͤtte wir herbergten, war unſere einzige, aber auch treue Waͤrterin. Die Milch meiner Bruſt war vertroknet, ich konnte mein Kind nicht mehr ſaͤugen, es würde verſchmachtet fein, wenn die Alte es nicht mit Ziegenmilch ernährt hätte. End⸗ lich fuͤhlten wir Kraft genug, nach einem nahen Staͤdtchen zu wandern, wo Karl eine Wohnung für uns miethete, und die noͤthigſten Beduͤrfniſſe beſorgte. Unſer Anzug war dem Vorſteher des Staͤdtchens aufgefallen, er ließ Karln rufen, und forſchte nach unſerm Namen und Stande. Karl fand keine Urſache, ihm unſer wahres Schikſal zu verheelen, er erzaͤhlte ihm alles, was ſich mit uns in Spanien zugetragen hatte, und der Bor: ſteher dachte menſchenfreundlich genug, uns ſo lange in dieſer Stadt den Aufenthalt zu geſtat⸗ ten, bis wir nahere Nachrichten aus Spanten erhalten hätten, und unfte kuͤnftige Lebensart be⸗ ſtimmen koͤnnten. | - Leider waren die erſtern bald aͤuſſerſt trau⸗ rig und ſchmerzlich fuͤr uns. Die Abgeſandten der Inquiſizion hatten eine Menge Koloniſten und vorzüglich die Beamten des ungluͤklichen Ola⸗ vides nach dem Gefaͤngniſſe geſchleppt. Er ſelbſt war 132 war dieſem fuͤrchterlichen Gerichte zur Unterſu⸗ chung und Beſtrafung uͤbergeben worden, alle Hofnung ſeiner Rettung ſchwand, und alle ſpa— niſche Kaufleute, welche des Handels wegen nach dem Städtchen, in welchem wir wohnten, kamen, zagten fuͤr ſein Leben, verſicherten einſtimmig, daß der groſſe Plan, die Siera morena zu bevoͤlkern, nun ganz ſcheidern und zu Grunde gehen wuͤrde. Bald ward uns neue, und ftärfere Trauer. Karl machte ſich noch immer gegruͤndete Hofnung, un⸗ fer Vermoͤgen zu retten. Er hatte es auf Anra⸗ then des Olavides in die Bank eines ſehr reichen Wechslers zu Kadix niedergelegt. Dieſer Wechs⸗ ler war ein ſehr warmer Freund des Olavides, ein eifriger Befoͤrderer feines groſſen Plans, und uͤberdies ein ſehr aufgeklaͤrt denkender Mann. Karl hatte auf einer Reife, die er mit dem Ola⸗ vides unternahm, die perſoͤnliche Bekanntſchaft deſſelben gemacht, er hofte, daß ihm dieſer unſer Vermoͤgen in Frankreich anweiſen wuͤrde, wenn er ihm dagegen eine Quittung ſende, in welcher wir den Schuldſchein des Wechslers, welchen wir in allzu groſſer Eile mit zu nehmen vergeſſen hat⸗ ten, für getilgt und vollkommen bezahlt erklaͤre. Karl ſchrieb deswegen an ihn, und wir haͤrrten mit Sehnſucht ſeiner Antwort entgegen. Sie kam, aber mit ihr auch die volle Ueberzeugung, daß Ar⸗ 154 Armuth und Noth unſern kuͤnftigen Tagen drohe. Gerne, herzlich gerne, ſchrieb der Menſchenfreund, wuͤrde ich ihre Bitte erfuͤllen, wenn mich nicht Unmoͤglichkeit daran verhinderte. Mein Schuld⸗ ſchein iſt wahrſcheinlich unter ihren hinterlaſſenen Schriften gefunden worden, denn er befindet ſich in den Haͤnden des Inquiſizionsgerichts. Ich ha⸗ be den koͤniglichen Befehl erhalten, dieſes Geld an das Gericht auszuzahlen, und ich muß dieſen Befehl ſchon kuͤnftigen Monat erfuͤllen. Der un⸗ gluͤtliche Olavides war mein groſſer Schuldner, fie ſelbſt werden es wiſſen, daß ich ihm anſehnli⸗ che Summen vorſchoß, dieſe ſind wahrſcheinlich ganz für mich verlohren, da das ſoviel verſpre⸗ chende Pfand der fruchtbarſten Laͤndereien bald wieder der ehemaligen Wuͤſte gleichen wird. Rach⸗ ſuͤchtige Menſchen herrſchen nun dort, und ganze Schaaren Koloniſten fuͤllen izt unſern Hafen, um ins Vaterland ruͤkzukehren, das fie mit fo vollem Vertrauen auf Wort und Glauben verlaſſen ha⸗ ben. Ich wanke nun ſelbſt, und werde mich gluͤk⸗ lich duͤnken, wenn ich mich zahlbar erhalte, weil noch uͤberdies der vertraute Umgang mit dem un⸗ gluͤklichen Olavides meinem Kredite groſſen Scha⸗ den verurſacht. Dies ſei meine Entſchuldigung, wenn ſie von mir erwarten, was ich ſicher gethan hätte, wenn mich nicht eänfans groſſes Ungluͤl ver⸗ 155 verfolge und hart beugte. Beiliegende Anwei⸗ ſung und Empfehlung an einen reichen Kaufmann in Lion ſei ihnen indes der Beweis, daß ich das Aeuſſerſte thue, um ſie wenigſtens auf eine kurze Zeit fuͤr Duͤrftigkeit zu ſichern. Vielleicht hilft ihnen Gott und mein Freund weiter.“ Die Anweiſung lautete auf tauſend Livres, die Empfehlung enthielt eine kurze Schilderung unſrer ungluͤklichen Geſchichte, und endete mit der dringenden Bitte, meinem Gatten irgend einen Dienſt zu verſchaffen, der ihn ſammt ſeinem Weibe und Kindern DOMAINE für Mangel ſchuͤzzen koͤnne. Wir reiſten mit dieſer Hofnung nach Lion. Die tauſend Livres wurden uns ſogleich ausgezahlt, auch meinem Gatten ein Dienſt in der weitlauf⸗ | tigen Fabrik des Kaufmanns zugeſichert. Wie aber der Leztere nach genauerer Pruͤfung ein⸗ ſah, daß mein Karl die franz oͤſiſche Sprache zwar fertig ſpraͤche, aber lange nicht richtig genug ſchrei⸗ be, ſo diente dieſe Urſache dem Kaufmanne zur Entſchuldigung, und wir mußten Lion ſchleunig verlaſſen, weil die dort herrſchende Theurung uns bald unſer kleines Kapital geraubt haͤtte. Wir wanderten durch die Schweiz ins deutſche Reich, ich kam zu Ulm mit einem Sohne nieder. Sein Anblik preßte mir haͤuffge Thraͤnen aus, die Ue⸗ her⸗ 155 berzeugung, daß ich einen Bettler gebohren habe, quaͤlte und marterte mein Herz ſchreklich. Wir hatten aͤuſſerſt ſparſam mit unſerm wenigen Gel⸗ de hausgehalten, aber der Ankauf der unentbehr⸗ lichen Nothwendigkeiten, die immerwaͤhrende Rei⸗ | ſe, die weit koſtbarere Zehrung hatte den groͤßren Theil deſſelben binweggeraft. Wie ich mein Wo⸗ chenbette verließ, beſtand unſre ganze Baarſchaft noch in achtzig Dukaten. Bisher hatte mich Karl im⸗ mer mit kuͤnftigen Ausſichten, mit moͤglichen Hofnun⸗ gen, ſo gar oft mit Erfindungen ſeiner Einbildungs⸗ kraft getroͤſtet, izt wagte ers nicht mehr. Finſte⸗ re Melancholie beherrſchte ſein Herz, und quaͤl⸗ te ihn raſtlos. Er weinte, wenn er die Kinder anblikte, er iammerte ſchreklich, wenn auch ich mit weinte. Sein Leiden war meinem Herzen neue Pein, ich verbarg meinen Kummer, um den ſeinigen zu mindern, ich bat ihn oft ſelbſt aufs dringendſte, ſich durch einen Spaziergang zu zer⸗ ſtreuen, und ward wahrſcheinlich dadurch die ver⸗ anlaſſende Urſache, daß er aufs neue mehr als ge⸗ woͤhnlich zu trinken begann, und, wie er im Rau⸗ ſche Vergeſſenheit ſeines unglüks, Linderung ſei⸗ ner Quaalen fand, ihn ieden Tag mit Begierde zu wiederholen ſuchte. * Ich ſtaunte, als ich dieſe Veränderung an ihm gewahrte, und weinte ſchreklich, als meine Er⸗ 157 Ermahnung, meine dringende Bitte nichts fruch— tete. Da ich muthmaßte, daß vielleicht einige Be⸗ kannte ihn zu dieſem Laſter verleiteten, ſo wand— te ich alles an, um ihn zu vermoͤgen, eine Stadt zu verlaffen, in welcher wir naͤchſtens, wenn er fo fortfahre, betteln gehen muͤßten. Ich hatte auf Hunſcrer Reiſe einigemal vernommen, daß viele ges ſchikte Auslaͤnder in den — ſchen Staaten ihr Gluͤk gemacht hätten, dieſe Hofnung belebte izt mein Herz, und Karl war willig, alles anzumens den, um ſie zu erfuͤllen. Wir reiſten ab, und langten endlich in dieſer Stadt an. Unſer Ver⸗ mögen hatte ſich unter dieſer Zeit bis auf ein und ſechzig Gulden vermindert. Ich erinnere mich immer noch mit Thraͤnen, wie ich am erſten Aben⸗ de unſers Aufenthalts die Summe zaͤhlte und wieder zahlte, immer mehr zu finden hofte, und doch nicht mehr fand. Ich hatte uͤberdies auf unſerer Reiſe die hoͤchſt traurige Bemerkung ge— macht, daß nicht uͤble Geſellſchaft, ſondern aͤchte Begierde, die unertraͤgliche Laſt von ſeinem Herzen zu waͤlzen, meinen Karl zum Trunke verleitete. Oft, wenn wir das Nachtlager erreichten, und un⸗ ſer maͤſſiges Mahl verzehrt hatten, ſaß er ſtarr und ſtumm in einem Winkel, Thraͤnen rollten uͤber ſeine Wangen, und innerer Gram preßte ſein Herz. Dann forderte er gemeiniglich ein Glas Wein, 158 Wein, und war dies geleert, fo war nichts vers moͤgend, ihn abzuhalten, ſo lange zu trinken, bis er recht froͤhlich und luſtig wurde. In dieſem gluͤklichen Zuſtande ſah er lauter bluͤhende und lachende Ausſichten, ſuchte mir oft flundenlang zu beweiſen, daß wir einſt noch recht gluͤklich und zufrieden mit einander leben wuͤrden. Freilich beweinte er am andern Morgen; wenn er fein Gluͤk fo theuer bezahlen mußte, die That mit vielen Thraͤnen, erneuerte den Vorſaz, nie mehr zu trinken, erfuͤllte ihn aber hoͤchſtens nur ein oder zwei Tage, und verſicherte mich oft hoch und theuer, daß er kein anders Mittel ken⸗ ne, die ſelbſtmoͤrderiſchen Gedanken zu vertreiben, weiche fein Herz fo anhaltend, fo ſchreklich quaͤlten. | OR | Als wir in dieſer Stadt anlangten, und er eben ein kleines Stuͤbchen fuͤr unſre kuͤnftige Wohnung gemiethet hatte, und mich ſammt mei⸗ nen Kindern dahin fuͤhrte, kniete er in der Mit⸗ te deſſelben nieder, und bat Gott aufs eifrigſte und innigſte, ihm Wege und Mittel zu zeigen, fein Weib und Kinder zu ernaͤhren, und ihn kuͤnf⸗ tig für dem Laſter der Trunkenheit zu bewahren. Dies inbruͤnſtige Gebet uͤberzeugte mich deutlich, daß er mich noch zärtlich liebe, feiner Kinder Das ter zu fein wuͤnſche, und das taͤuſchende Verguuͤ⸗ gen 159 gen des Rauſches ganz vergeflen werde, wenn fein Herz angenehmere Freuden fuͤhlen koͤnne. Ich betete, ich hofte mit ihm. Ehe wir dies Land. in welchem wir izt ſchmachten und dulden, erreiche ten, ward uns ſchon die troͤſtende Nachricht, daß der Monarch deſſelben mit dem Hofe, welchem einſt Karl diente, nicht im beſten Vernehmen fies he, und ihm keine nachbarliche Gefaͤlligkeit er⸗ weiſe, weil er keine derſelben erwiedere. Dieſe | Nachricht ließ uns hoffen, daß wir hier ohne Furcht leben koͤnnten, und im möglichen Falle einer Ent? dekung Schuz finden wuͤrden. Karl hatte eine ſehr ſchoͤne Schrift, er war im Rechnungsfache fehe erfahren, er zeichnete herrlich, und ſprach gut franzoͤſiſch, er glaubte, ſich mit dieſen Kenntniſ⸗ ſen in dieſer groſſen Stadt und feine Kinder er— naͤhren zu koͤnnen, und er betrog ſich nicht in ſei⸗ nem Glauben. Schon am dritten Tage verſprach einer der beruͤhmteſten Advokaten, ihm die mei⸗ ſten ſeiner Konzepte zur Abſchrift zu geben. Die Bezahlung war zwar ſehr maͤſſig, aber da Karl ſehr flüchtig kopirte, fo bewies der Erfolg, daß auch dieſer maͤſſige Verdienſt hinreichen wuͤrde, uns nothduͤrftig zu ernaͤhren, und für Mangel zu ſchuͤz— zen, weil ich einen Monat hindurch in meiner kleiner Haushaltung die Summe nicht ausgab, welche er am Ende deſſelben bei dem Advokaten zu 160 zu fordern hatte, und nun abzuholen ging. Aber | wie ſehr erſtaunte ich, wie tief ſank meine ganze | Hofnung, als er am Abende nicht wiederkehrte, erſt nach einer bang durchwachten Nacht am fruͤ⸗ hen Morgen ins Zimmer taumelte, und mich ſo⸗ gleich uͤberzeugte, daß dieſe ungluͤkliche Leiden⸗ ſchaft mächtiger als die Liebe zum Weibe und Kin⸗ de, als das heiligſte Geluͤbde ſei. Er hatte den groͤßten Theil ſeines ganzen Verdienſtes in dieſer ungluͤklichen Nacht verſchwendet, er bereuete es, als er nuͤchtern wurde, aufs innigſte, er erneuerte feinen Vorſaz, nie mehr zu trinken, aber er war nicht faͤhig zu erfuͤllen. Jede Freude, iede moͤg⸗ liche Hofnung einer nahenden Beſſerung unſers Schikſals war ſo wie ieder Kummer, iedes kleine Ungluͤk die ſichere Urſache eines Rauſches. Seine vielleicht zu reizbaren Empfindungen konnten ſich in beiden Faͤllen nicht maͤſſigen, er wollte durch den Rauſch die Freude mehren, den Kummer min⸗ dern, und da dies ſtets gelang, ſo war auch nichts vermoͤgend, ihn dieſer gefaͤhrlichen Lokkung zu entreiſſen. Ich wuͤrde ihre Geduld ermuͤden, wenn ich fortfahren wollte, ihnen unſer ferneres Schik⸗ ſal eben ſo umſtaͤndlich zu erzaͤhlen. Kummer, Noth und Elend waren von dieſer Zeit an, unſre treuen Gefaͤhrden. Anfangs fanden ſich immer neue Ausſichten, wir konnten oft Monate lang 8 5 da⸗ 161 dagegen kaͤmpfen, aber allemal ſanken wir wie— der zuruͤk, ſanken ſtaͤts tiefer, weil die unſelige Begierde des Trunkes ſich bei meinem Gatten im: mer mehrte, ihn endlich zu ieder Arbeit, die eine gewiſſe Stunde und Zeit erforderte, untuͤchtig mach» te. Das Gluͤk ſchien ihm oft guͤnſtig zu ſein, wenn — — — — er einen Verdienſt verlohr, fo fand er kurz nad: her einen groͤſſern wieder. Er gab Unterricht im Zeichnen, er vertrat die Stelle eines Revidenten bei einem Buchhalter, er konzipirte, er ſchrieb ab, — SEN aber er verlohr einen Dienſt nach dem andern, weil man ſeinen Hang zur Trunkenheit kennen lernte, weil er gemeiniglich im Taumel ſeines Rauſches feine Freunde und Wohlthaͤter beſuchte, ihnen nicht allein uͤberlaͤſtig wurde, ſondern fie auch uͤberzeugte, daß ſie ihre Wohlthaten an einen Un⸗ wuͤrdigen verſchwendeten. Sollten ſie wohl glauben, daß alle dieſe Handlungen nicht faͤhig waren, die Liebe in mei⸗ nem Herzen zu tilgen, die ich ſtets noch warm und innig zu ihm fühlte. Dies gute Herz ward immer Vermitlerin, und bewies mit unumſtoͤßli⸗ chen Gruͤnden, daß ſeine Begierde nach ſtarken Getraͤnken eine unheilbare Krankheit ſei, die ich um deswillen dulden muͤſſe, weil ich zwar die un⸗ ſchuldige, aber doch veranlaſſende Urſache derfelr ben waͤre. Denn als Liſt und Betrug ihn von En mei⸗ 162 meiner Seite riß, und in die Arme eines buhle⸗ riſchen Weibes warf, da ſuchte er vergebens Lin⸗ derung ſeines unertraͤglichen Schmerzens, und fand ihn nur in einer vollkommnen Betaͤubung ſei⸗ ner Empfindung und Sinne. | Schon war es fo weit mit uns 1 daß mein ungluͤklicher Gatte, der keinen Verdienſt mehr fand, in den Abendſtunden bettelnd umher ſchlich, um ſeinen Kindern nur Brod bringen zu koͤnnen. Oft mußten dieſe ſo gar manchmal hun⸗ grig ſchlafen gehen, wenn eine ferne Hofnung, oder eine finſtere Wolke ihren Vater zum Trunke ver- leitet hatte, als ſich Gott aufs neue unſer zu er⸗ barmen ſchien, und mich zur Retterin unfrer un⸗ gluͤklichen Kinder beſtimmte. Ich hatte in meiner Jugend ſtikken gelernt, ich konnte dieſe Kunſt auf mancherlei Art üben, hatte ſchon oft Kleinigkei⸗ ten geſtikt und verkauft, war aber immer fuͤr mei⸗ ne Muͤhe aͤuſſerſt ſchlecht, oft gar nicht bezahlt worden. Jezt da aͤuſſerſte Noth mich draͤngte, und ich abermals eine ſolche Kleinigkeit zum Verkaufe iedem Voruͤberwandelnden auf der Gaſſe anbot, erblikte ich einen bisher unbemerkten Kaufmanns⸗ laden, und am Fenſter deſſelben verſchiedene Stik⸗ kereien, welche am Werthe der meinigen gar nicht aͤhnlich waren. Ich trat in den Laden, ſprach mit dem Herrn deſſelben, und fand ihn ſogleich geneigt, mir S —ͤ— 163 mir einige Arbeit diefer Art anzuvertrauen. Ich übertraf; als ich fie vollendet hatte, feine Erwar— tung, er ward von dieſem Augenblikke mein Freund, er unterſtuͤzte mich redlich, gab mir Vorſchuß, mies thete mir ein beſſeres Quartier, und bewog mich endlich, eine Naͤh- und Stikſchule für iunge Maͤd⸗ chen zu errichten, die herrlichen Fortgang hatte, und mir noch groͤſſern Nuzen brachte. Binnen Jahresfriſt ſaſſen ſchon dreiſſig fleiſ⸗ ſige Maͤdchen an meinem Stikrahmen, die ich alle beſchaͤftigen konnte, weil es mir der redliche Kaufmann nie an Arbeit fehlen ließ, mich ordent⸗ lich bezahlte, und durch ſchnelle Abnahme, durch ſtets ſich haͤufende Beſtellung meine Ausſichten immer mehrte. Mein Gatte wuͤrkte kraͤftig zur Vollkommenheit meiner Arbeit mit. Er zeichnete die geſchmakvollſten Muſter, und erregte dadurch oft freudiges Erſtaunen im Geſichte meines Kauf⸗ manns, der oft hoch und theuer verſicherte, daß wir, wenn wir ſo fortfahren wuͤrden, ſicher noch die auslaͤndiſche Waare dieſer Gattung uͤbertreffen, und uns gleich ihm durch unermuͤdeten Fleiß ein anſehnliches Vermoͤgen erwerben koͤnnten. Alle dieſe ſo ſicher ſcheinenden Hofnungen wuͤrkten kraͤftig auf mein Herz, auf meine Ge— ſundheit, die immer dauernde und ſich mehrende Thaͤtigkeit erhielte mich ſtets froͤlich und munter; LS Da | 164 | 6 | nn nun — Da ich iezt PER einen Gulden als ehemals ei- nen Pfennig entbehren konnte, ſo achtete ichs wuͤrklich nicht mehr, wenn mein Karl die Woche wenigſtens ein- auch zweimal der Begierde zum Trunke unterlag, ich ermunterte ihn ſogar manch⸗ mal ſelbſt zum Spaziergange, wenn er tiefdenkend am Zeichentiſche ſas, gerne arbeiten wollte, und doch nicht konnte, und war dann gewiß, daß er am andern Tage weit mehrere und vollkemmnere Arbeit liefern wuͤrde. Vielleicht war ich in die⸗ ſem Falle zu gefällig, zu nachgebend, aber Er: fahrung hatte mich deutlich uͤberzeugt, daß ſein Geiſt unthaͤtig ward, daß er in tiefe, anhaltende Melancholie verſank, wenn ich ihn hinderte, die Begierde zum Trunke zu befriedigen. Er ſchien fuͤr ihn ein phiſiſches Beduͤrfniß zu ſein, war wuͤrklich nothwendig, um ſeinem Koͤrper die Schnellkraft zu geben, damit der Geiſt durch ihn ungehindert wuͤrken konnte. | Vier Jahre durchlebten wir auf diefe Art, immer mehrte ſich unſer Wohlſtand, unſer Gluͤk. Ich hatte unter dieſer Zeit nicht allein unſere Zim⸗ mer anſtaͤndig moͤblirt, mich, meinen Gatten, und meine Kinder vollkommen gekleidet, ſondern auch uͤberdies fuͤnftauſend Gulden als ein Kapi⸗ tal fuͤr die Zukunft ſicher angelegt. Ich gebahr In dieſer gluͤklichen Zeit zwei Kinder, ich umärm⸗ f te 163 —ů— te ſie mit frohem, muͤtterlichen Gefuͤhle, weil ich uͤberzeugt war, daß ich fie ernähren und erziehen konne. Eben hatte ich mein leztes Wochenbette wieder verlaſſen, und ſuchte die indes etwas zu⸗ ruͤkgebliebene Arbeit nach Kraͤften zu mindern, als mein Gatte aͤuſſerſt betrunken nach Hauſe kam, wider ſeine Gewohnheit nicht ſcherzte und lachte, ſondern ſehr verzweifelud ſprach, und end— lich unter graͤßlichen Verwuͤnſchungen uͤber ſein unerbittliches Schikſal einſchlief. Dieſer Auftritt hatte mich ſehr erſchuͤttert, ich ahndete Ungluͤk, ahndete es auch dann noch, wenn auch weiter nichts daraus entſtehen würde, als eine ungluͤkliche Ver⸗ aͤnderung des Karakters meines Gatten. Sonſt war er im Rauſche aͤuſſerſt munter und luſtig, eben ſo gefaͤllig und liebreich gegen mich und ſei⸗ ne Kinder, feine Laune war unerſchoͤpflich, und ſeine Kenntniſſe glaͤnzten daun alle in ihrer groͤß⸗ ten Vollkommenheit, iezt fuͤrchtete ich, koͤnnte das Gegentheil entſtehen, und mir und meinen Kindern das ungluͤklichſte Leben bereiten. Dieſer fuͤrchter⸗ liche Gedanke hielte mich die ganze Nacht wach, und konnte nicht ruhen, verließ mein Lager, und bereitete mich eben zu einer ernſtlichen Unterre⸗ dung mit meinem erwachten Gatten, als man an unſre Thuͤre klopfte, und bald hernach ein frem⸗ der Herr ſie oͤfnete. Schrekliche Geſtalt, verfolgſt du 166 du mich auch bis hieher? rief Karl aus, und verbarg ſein Geſicht. Ich zitterte und bebte. Der fremde Herr ſchwieg. Was verlangen, was fordern ſie von mir? ſprach endlich Karl, wollen ſie mich wuͤrklich ganz ungluͤklich ma⸗ chen ? a BR. Der Fremde. Ungluͤklich? Nein, das will ich nicht! Ich fordere nur maͤſſigen Verluſt meines durch fie erlittnen Schadens. Ich hoffe, ſie werden mich nicht aufs aͤuſſerſte treiben! on ſtehe ich freilich für nichts. Karl. Kommen ſie mit mir! wir wollen allein mit einander ſprechen. Der Fremde. Warum nicht in Gegen⸗ wart ihrer Gattin? Sie muß doch alles erfahren, wenn Hülfe und Rath erfolgen ſoll. Schonung kann hier nicht Statt finden. Karl knirſchte mit den Zaͤhnen und ſchwieg. Nach vielen Fragen und Antworten erfuhe ich endlich die ganze ſchrekliche Lage meines unglaͤklt chen Gatten. Der Fremde war der ehemalige koͤnigliche Rentmeiſter, welcher mit Karlu zu gleicher Zeit, bei den — ſchen Domainen angeſtellt, lebte. Er hatte ihm Tages vorher in einem Kaffeehauſe ge⸗ troffen, mit ihm geſprochen, und war nun gekom⸗ men, ſeine dort gemachten Forderungen zu er⸗ neuern. Ehe ich ihnen aber dieſe erzaͤhle, muß ich 0 5 167 ZI ———ů— ich eines Umſtandes gedenken, der mir bis zu die⸗ ſer ungluͤklichen Stunde ein Geheimniß geblieben war, bei der Unternehmung freilich nothwendig und vortheilhaft ſchien, aber in der Folge für uns aͤuſſerſt ſchaͤdlich und gefährlich wurde. Als mein ungluͤklicher Gatte, durch die Lift. ſeines erſten Weibes betrogen und zu Grunde ge— richtet, die Flucht ergreifen mußte, trat er ſie mit dem feſten Vorſazze an, bei der erſten und möglichen Gelegenheit feine ganze, ungluͤkliche Geſchichte dem gerechten Monarchen ſchriftlich zu uͤberſenden, und ihn durch eine treue, wahre Schilderung ſeines ohne Vorſaz und Willen aus⸗ gefuͤhrten Verbrechens wenigſtens dahin zu be⸗ wegen, daß das Andenken ſeiner ehrwuͤrdigen Ah— nen, feiner noch lebenden Freunde nicht geſchen⸗ det, ſein Name nicht oͤffentlich gebrandtmarkt werde. Wie er mich zu — fand, und dort eini⸗ ge Tage auf mich harren mußte, fuͤhrte er die⸗ ſen Vorſaz aus, und gab die Schrift am Tage unſerer Abreiſe ohne mein Wiſſen unter der Addreſſe des Monarchen auf die Poſt. Der warme, ofne Ton, in welchem ſie abgefaßt war, wuͤrkte kraͤf⸗ tig auf das Herz des gerechten Monarchen. Der Miniſter fand ihn von dieſem Augenblikke an ſehr mißtrauiſch gegen ſich, und ward bald hernach unter einem andern Vorwande ſeiner Dienſte ent⸗ 5 Infs 168 laſſen. Der König ernannte eine beſondere Rom: miſſion, welche die Wahrheit der Klage meines Gatten ſtreng unterſuchen, und ihm iede Woche beſondern Bericht daruͤber erſtatten ſollte. Die redlichen Maͤnner, welche dieſe Kommiſſion aus⸗ machten, fanden vielen gegruͤndeten Verdacht, aber keine volle Gewißheit. Ihrem Antrage gemaͤß ward der von Karln ſehr hart beſchuldigte Rent⸗ meiſter von ſeinem Dienſte ſuſpendirt, und Karl oͤffentlich vorgeladen, zur hoͤchſtnoͤthigen Aufklaͤ⸗ rung verſchiedener Gegenſtaͤnde binnen einer drei monatlichen Friſt vor ihrem Gerichte zu erſcheinen. Auf ausdruͤklichen Befehl des Monarchen ward dieſer Vorladung die Erklaͤrung beigefuͤgt, daß Karl ein koͤnigliches Salvum Konduktum erhal— ten wuͤrde, und nach vollendetem Verhoͤre ſich, wenn ers zu ſeiner Sicherheit fuͤr noͤthig erachte, frei und ungehindert wieder aus den koͤniglichen Staaten entfernen koͤnne. Die Gnade des Mos narchen war groß, aber fuͤr ihn ganz unnuͤz, weil wir, als dies Edikt erſchien, ſchon in Spanien lebten, und keine deutſche Zeitung leſen konnten, ſie ward ihm ſogar am Ende hoͤchſt ſchaͤdlich, weil Karl, als er unter ſo vortheilhafter Bedingung nicht erſchien, nicht einmal eine ſchriftliche Ent⸗ ſchuldigung ſande, ſelbſt von dieſer ſo gutdenken⸗ den N für ſchuldig erkannt bald her⸗ nach 169 nach feines Amtes, feines Adels verluſtig, und im Betretungsfalle der ſchaͤrfſten Kriminalunterſu— chung wuͤrdig erklaͤrt wurde. Bei aller dieſer Strenge gegen den armen Ungluͤklichen war aber der Monarch doch nicht zu bewegen, den bisher ſeines Amtes entſezten Reutmeiſters aufs neue anzuſtellen. Man hatte, wie er izt ſelbſt erzaͤhl⸗ te, einige unbedeutende Unordnungen in ſeinen Rechnungen gefunden, und nahm dieſe zur Urſa— che, ihn für immer Dienſt unfähig zu erklaͤren. Dieſer Mann hatte indes ſein eignes Ver⸗ moͤgen ganz verzehrt, und hofte, daß der kuͤnfti⸗ ge Kronerbe des ſchon ſehr alten Koͤnigs ihn aufs neue nach deſſen Tode anſtellen würde. Wie aber dieſer wuͤrklich erfolgte, und er auf feine drin⸗ gende Bitte den Beſcheid erhielt, daß man einen ſo hart angeklagten Mann aller koͤniglichen Dien⸗ ſte unfaͤhig achte, ſo faßte er, wie er mich ſelbſt verſicherte, den feſten Vorſaz, ſeinen Anklaͤger in der ganzen weiten Welt aufzuſuchen, nicht eher zu raſten, zu cuhen, bis er ihn fände, und zwaͤn⸗ ge, feine falſche Anklage vor Gerichte zu bewei⸗ ſen oder zu wiederrufen. Ich bin, fuͤgte er dieſer ſchreklichen Verſicherung bei, ſo gluͤklich geweſen, mein Unternehmen auszufuͤhren, ich habe den Mann gefunden, der mir Vermoͤgen, Amt und Ehre auf die widerrechtlichſte Art geraubt hat, ich 179 | — . — N ich koͤnnte nun mit vollem Rechte Wiederbergel⸗ tung uͤben, ihn noch weit ungluͤklicher machen, als er mich gemacht hat, aber ſein ungluͤkliches Weib, ſeine unſchuldigen Kinder iammern mich, und ich will billiger handeln, wenn ſie ſich eben⸗ falls billig finden laſſen. Nachdem er mit vielem Wortgepraͤnge e er⸗ wiefen hatte, wie er allerdings glaube, und beiz nahe uͤberzeugt ſei, daß das aͤuſſerſt verſchwende⸗ riſche Weib meinen ungluͤklichen Gatten, ſeis auf welche Art es wolle, zur Verſchwendung der koͤ⸗ niglichen Gelder verleitet habe, ſo ſuchte er noch weit ſtaͤrker zu beweiſen, daß er an dieſem Ver⸗ brechen ganz unſchuldig ſei, keinen Theil daran habe, und folglich auch dafuͤr nicht leiden und buͤſſen koͤnne. Sie werden mirs, fuhr er fort, da⸗ her wohl nicht verdenken, wenn ich von dem Ur⸗ heber meines Ungluͤks Erſaz heiſche, in dieſem Falle zu ſchweigen gelobe, aber, wenn ich ihn nicht erhalte, alles anwende, um meine Unſchuld zu rechtfertigen, und mir für die Zukunft Nah⸗ tung und Brod zu verſchaffen. Ich fragte ahndend und zitternd: welchen Erſaz er heiſche? Und er forderte ohne Scheu zweitauſend Dukaten. Erhal⸗ te ich dieſe, ſprach er, ſo habe ich ſie nicht ge⸗ ſehen, nicht geſprochen, weigern fie mir aber den billigen Erſaz, ſo zeige ich ohne weiteres die gan⸗ 32 171 ze Geſchichte dem hieſigen Gerichte an, und for⸗ dere gefaͤngliche Verwahrung ihres Haabes, ih- rer Perſon. Man kann, man wird ſie mir nicht weigern, fie werden, fo bald die —ſche Regie- rung es heiſcht, an ſie ausgeliefert werden, weil die beiden Hoͤfe izt im beſten Vernehmen ſtehen, und wuͤrklich erſt kuͤrzlich ein untreuer Kaffenbes amter von unfrer Seite ausgeliefert wurde. Ihre Sache iſt bereits aufs ſtrengſte unterſucht, ſie ſind ſchon des Verbrechens ſchuldig erklärt wor⸗ den, und koͤnnen ſich ihr kuͤnftiges Schikſal im Voraus denken. BE Meine Einbildungskraft, welche iede Sas che immer im ſchwarzen Lichte zu erblikken ge⸗ wohnt war, ward aufgeregt, ich ſah meinen Gat⸗ ten auf dem Rabenſteine, und beſchloß ſogleich, ihn mit dem Verluſte meines ganzen Vermoͤgens zu retten. Ehe der Tag geendet war, hatte ich bereits mit dem Kaufmanne, der meine Stikke— reien kaufte, geſprochen, ich erdichtete einen ſchein⸗ baren Gewinn, und fand ihn willig, mir zur Befoͤrderung deſſelben zweitauſend Gulden auß Abſchlag kuͤnftiger Arbeit vorzuſtrekken. Mein be- reits erſpartes Kapital, der Verkauf meiner we— nigen Koſtbarkeiten, und entbehrlichen Kleidungs⸗ ſtuͤkke fuͤllten die Summe, welche der Grauſame. forderte, von welcher er, ungeachtet ich ſlehent⸗ lich 171 lich bat keinen Gulden nachlaſſen wollte. Er un⸗ terzeichnete eine Schrift, kraft welcher er beſtaͤt— tigte, daß er unter keinem denkbaren Vorwande an meinem Gatten irgend eine Forderung in Zu⸗ kunft zu machen berechtigt ſei, und verſiegelte fein Verſprechen , ihn nie anzuklagen, nie zu verrathen, mit dem feierlichſten Eide. Der Herr hats genommen, der Herr kanns wieder geben, der Name des Herrn ſei gelobt! ſo ſprach ich ſtandhaft, als mein Gatte nach voll⸗ endeter That zu meinen Fuͤſſen lag, mir danken wollte, nicht danken konnte. Ich verdoppelte izt meinen Eifer, ich hofte mit feſter Zuverſicht, daß ich wieder gewinnen wuͤrde, was ich ſo ſchuell, und ungerecht verlohren hatte. Der Allmaͤchtige, zu dem ich eifrig betete, ſchien auch wuͤrklich mei⸗ ne Hofnung in Gewißheit zu verwandeln, ehe ein halbes Jahr verfloß, hatte ich ſchon die Hälfte meiner Schuld getilgt, und wuͤrde ſehr zufrieden, ſehr vergnuͤgt gelebt haben, wenn die Trunkenheit meines Mannes ſich nicht immer gemehrt haͤtte⸗ Die ungluͤkliche Begebenheit, von der ich anfangs Heilung ſeines Fehlers hofte, hatte eine ganz ent⸗ gegen geſezte Wuͤrkung hervorgebracht, ſie hatte in feinem Herzen ein unvertilgbares Gefühl und die Ueberzeugung gewekt, daß er mich und unſre Kinder ungluͤklich gemacht habe, er fand dieſe ſchmerz⸗ ER ! 173 ſchmerzhafte Empfindung unerträglich, und fuchte fie ſtets durch den häufigen Gebrauch der ſtarken Getraͤnke zu mildern. Dies war die einzige Ent⸗ ſchuldigung, womit er anhaltend meine gerechten Vorwuͤrfe, meine ernſtlichen Vorſtellungen zu ent⸗ kraͤften ſuchte. Als ich kurz nachher ſchon ſpaͤt am Aben⸗ de ſeine Ruͤkkehr mit Verlangen erwartete, ſeine Huͤlfe wegen einiger neuen Muſter zu Stikker eien ſehr noͤthig hatte, traten zwei Herrn in mein Zim⸗ mer, und forſchten nach meinem Gatten. Unge⸗ achtet ich ſie am andern Morgen wieder zu kom⸗ men bat, ungeachtet ich allerhand Entſchuldigun⸗ gen erdichtete, ſo wollten ſie doch nicht weichen, ſeine Ruͤkkunft abwarten, und mir eben ſo wenig die Abſicht ihres Beſuches entdekken. Ehe ich noch irgend etwas Uebles muthmaſſete, kam mein Gat⸗ te heim, war diesmal nicht betrunken, nur hei⸗ ter und froͤhlich. Ich ſank kraftlos zuruͤk, als dieſe Herren ihm ohne Schonung bekannt mach⸗ ten, daß ſie den hohen Auftrag haͤtten, ſich ſei⸗ ner Perſon zu verſichern, alle ſeine Schriften zu verſiegeln. Ich forſchte vergebens nach der Urſa⸗ che dieſes ſtrengen Befehls, ſie entſchuldigten ſich mit der Unwiſſenheit, verfiegelten meine und fei- ne Sachen, lieſſen mir nur ein Zimmer, in die⸗ ſem ſehr wenige Beduͤrfniſſe, und fuͤhrten endlich mex ‚24 meinen Gatten nach einem Wagen, der ihn ins Gefaͤngniß fuͤhrte. Schon als der Tag graute, ſtand ich am Haufe des Gerichtspraͤſtdenten, und ward endlich vorgelaſſen. Er begegnete mir aͤuſſerſt huldreich, aber er geſtand auch eben ſo aufrichtig, daß die Freiheit meines Gatten nicht in ſeiner Macht ſte⸗ he. Ein Hofbefehl, welchen der Geſande des —ſchen Koͤnigs ausgewuͤrkt hatte, gebot nicht allein ſei⸗ ne Gefangennehmung, ( ſondern auch die ſchleuni⸗ ge Auslieferung an ſein Gerichte. Denken ſie ſich meinen Jammer, mein Elend! Ich bin nicht faͤhig, es zu ſchildern. Jammernd und klagend fuchte ich wenigſtens die Erlaubnis zu erflehen, meinen Gatten im Gefaͤngniſſe ſpre⸗ chen und beſuchen zu duͤrfen, ſie ward mir ge⸗ waͤhrt. Ich fand ihn ruhiger, als ich hofte; wie ich ihm aber die Urſache ſeines Arreſtes entdekte, da mußte ich, ob ich gleich ſelbſt nach Troſt lech⸗ zte, ſeine Troͤſterin werden, ſonſt wuͤrde Verzwei⸗ flung ſein Leben geendet haben. Ich und er glaub⸗ ten feſt, daß der ruchloſe Rentmeiſter uns erſt auf die niedertraͤchtigſte Art beraubt, und dann verrathen habe, aber die Folge bewies, daß er dies wenigſtens nicht abſichtlich gethan, nur ſei⸗ nen Freunden die ganze Geſchichte erzaͤhlt, und dieſe dadurch bewogen en dem Gerichte den Zu⸗ 23 —— 5 175 Zuffuchtsort meines Gatten anzuzeigen, weil ſie ſicher hoften, daß die Erneuerung ſeines Prozeſ⸗ ſes die Unſchuld ihres leidenden Freundes bewei⸗ fen , und den Koͤnig überzeugen würde, daß for wohl er als fein glorreicher Vorfahrer ihn uns ſchuldig des Dienſtes entſezt haͤtte, und nun Vergeltung ſchuldig waͤre. Obgleich dieſe Abſicht redlicher, und mehr zu entſchuldigen war, fo war die Wuͤrkung der⸗ ſelben fuͤr uns doch gleich ſtark, ſchreklich und verheerend. Karl verſicherte mich, daß ſein Tod unwiederruflich, das Ende ſeines Lebens nach den ſtrengen Geſezzen des —ſchen Staats der Galgen fein muͤſſe, wenn er an die Gerichte deſſelben ausgeliefert wuͤrde. Dieſer ſchrekliche, quaͤlende Gedanke beherrſchte und leitete mich, ich ſah nur die drohende Gefahr, in welcher mein Gatte ſchweb⸗ te, ich vergaß meine ſo innig geliebten Kinder, ich uͤbergab ſie fremden Schuzze, und reiſte nach der Reſidenz, um meinem Gatten bei dem erhab⸗ nen Monarchen Huͤlfe und Schuz zu erflehen. Er hoͤrte ieden, mir wards leicht, ihm meine Bitte ſelbſt vorzutragen. Die traurende Gattin, die Mutter fuͤnf unerzogner, huͤlfloſer Kinder ſprach ruͤhrend und offen mit ihm, erzählte ihm unſre ganze Geſchichte, und ſah Thraͤnen in feinen Au: gen glaͤnzen, aber er blieb doch ſtandhaft, und wi⸗ 176 — widerlegte mir meine Bitte mit Gruͤnden, die ich ehren mußte, nur mit Thraͤnen beſtreiten konnte. Enthaͤlt ihre Erzaͤhlung Wahrheit, ſprach er, ſo muß ihr Gatte gerichtliche Unterſuchung wuͤnſchen, und nicht fuͤrchten, ſo wird ihr Monarch ſeine Unſchuld erkennen und belohnen. Er war nicht mein Vaſall, er uͤbte in meinem Lande kein Ver⸗ brechen, mir gebuͤhrts daher auch nicht, ſeine Sache zu unterſuchen, und die Wahrheit ihrer Erzaͤhlung zu pruͤfen. Ich werde und will nie demienigen Schuz verleihen, der der pruͤfenden Gerechtigkeit zu entfliehen ſucht, ich bin dieſes Bei⸗ ſpiel meinen eignen Unterthanen ſchuldig, damit nicht die Hofnung eines ſichern Zufluchtsortes fie zum Raube der anvertrauten Kaſſen verleite. Sa⸗ gen ſie dies ihrem Gatten, machen ſie ihm die Pflicht begreiflich, ſich dort zu rechtfertigen, wo Rechtfertigung ſo noͤthig iſt. Mich wirds freuen, wenn ich einſt hoͤre, daß ſie gelang, daß ſie mir Wahrheit erzählt haben. Bei dieſen Worten druͤe⸗ te er mir zur Beſtreitung meiner Reife ein Ges ſchenk in die Hand, und entließ mich. Gottes Huͤlfe und Schuz war nun mein ein⸗ ziger Troſt auf der Ruͤkreiſe, und die einzige Stuͤzze, wenn Verzweiflung mich abwaͤrts reiſſen wollte. Wie ich in dieſer Stadt wieder anlangte, waren die gewöhnlichen Reverſalien von den — ſchen 177 ſchen Gerichten eingefaudt, und der Tag zu Karls Auslieferung ſchon beſtimmt worden Alle ſeine Hofnung, ſein lezter Troſt ruhte auf der Wuͤr⸗ kung meiner Reiſe, ich kam an, und mußte die⸗ ſe einzige Hofnung, dieſen lezten Troſt vernichten. Ich ahndete Verzweiflung, aber ich fand ihn ſtand⸗ hafter, als ich hoffen konnte. Ich kann, ſprach er, ohnehin nichts anders erwarten, als Elend und Jammer, es iſt ia beſſer, wenn dies irrdts ſche Leiden endigt, wenn das immerwaͤhrende Le⸗ ben beginnt. Waͤre nur der harte ſchimpfliche To⸗ deskampf uͤberſtanden, muͤßte ich nur nicht Weib und Kinder im ſchreklichen Elende ruͤklaſſen! O es iſt weit mit mir gekommen, rief er weinend aus, und ſank in meine Arme, ich habe keinen andern Lohn, keinen andern Wunſch fuͤr mein edles, treues Weib, als einen ſchnellen Tod. Ge⸗ be Gott, daß du ſeinen Kampf leichter beſtehſt als ich! Ich betete Tag und Nacht, ich lag ſtunden⸗ lang mit meinen Kindern auf den Knien, ich hof⸗ te, daß Gott das Flehen der Unſchuldigen hoͤren, und Rettung ſenden wuͤrde; aber der zur Auslie⸗ ferung beſtimmte Tag nahte unaufhaltſam, und mit ihm die Stunde des ſchreklichen Abſchieds, der bangen Gewißheit, daß ſein Lebewohl fuͤr mich und meine Kinder auf dieser Erde das lezte ſein wuͤr⸗ 178 wuͤrde. Um iedes, in einer groffen Stadt ſo ge⸗ woͤhnliches Aufſehen zu vermeiden, war ſeine Ab⸗ reiſe um Mitternacht beſtimmt worden, er wuͤnſch⸗ te ſehnlich, alle feine Kinder noch einmal zu ſe⸗ hen und zu ſegnen. Ich erſchien am Abende mit dieſen in ſeinem Gefaͤngniſſe. Unſre Herzen waren gepreßt, wir konnten nicht ſprechen, nur ſelten weinen. Er hielt die groͤſſern Kinder auf ſeinen Knien feſt, ich wiegte das kleinſte derſelben auf meinem Arme. Wie der Wagen vorrollte, und die kleinen Fenſterſcheiben fuͤrchterlich zitterten, da durchbebte der Gedanke des Abſchiedes unſere und der Kinder Herzen, ſie ſchmiegten ſich furcht⸗ ſam in die Arme des Vaters, fie baten ihn iam⸗ mernd und flehend, daß er nicht ſcheiden moͤchte. O wuͤßte ich das Gold der ganzen Erde zu gewinnen, ich koͤnnte ihnen doch die nun folgen⸗ de Szene nicht ſchildern, ſie glich einem fuͤrchter⸗ lichen Traume, ſie ſteht als dieſer noch immer vor meinen Augen, ſie wekt mich oft noch aus meinem Schlafe, und raubt mir die gluͤklichen Stunden der Vergeſſenheit meines Elends. So viel erinnere ich mich noch, daß er mich und ſei⸗ ne Kinder mit Gewalt in die Mitte des Gemas ches riß, daß er in unſrer Mitte kniete, uns kraͤf⸗ tig ſegnete, und endlich meinem ſtarrenden Auge entſchwand. e am andern Morgen, wie man mich r r — nn 179 mich und die Kinder nach meiner Wohnung ge⸗ fuͤhrt hatte, erhielte ich Kraft, mein Elend zu uͤberdenken, ich konnte ſogar weinen, als die Kin⸗ der mich traurig fragten: Ob der Vater nie wie— derkehren werde? Mein Schmerz war aber noch ſehr groß, er machte mich ganz unfaͤhig, an mein eignes Schikſal zu denken, es war mir wuͤrklich gleichguͤltig geworden, ich fühlte nur fein Uns gluͤk, nicht dasienige, welches mir und meinen Kindern drohen koͤnne. Ich hatte bisher gegen funfzig Maͤdchen mit Stikken beſchaͤftigt , fe ar⸗ beiteten unter meiner Aufſicht in meiner Woh⸗ nung. Wie mein Gatte aretirt, alle unſre Sachen verſiegelt wurden, entließ ich fie mit der Verſi⸗ cherung, daß ich unfaͤhig ſei, ihnen ferners Ver— dienſt zu ſichern. Meine Reiſe nach der Reſidenz, mein Schmerz, den ich uͤber das ungluͤkliche Schik⸗ fal meines Gatten aͤuſſerte, beſtaͤrkte iede derſel⸗ ben in der Muthmaſſung, daß ich ihm folgen würde, fie ſuchten nun anderes und beſſeres Wer: dienſt, ſie fanden, da die meiſten derſelben ſchon wuͤrklich ſchoͤn und fertig ſtikten, uͤberall Kaͤufer und Abnehmer. Andere Kaufleute handelten nun mit ihren Waaren, und vernichteten dadurch ies de Spekulazion meines Kaufmanns, der bisher mit meiner Stikkerei eine Art von Monopolium ben aber mich auch redlich unterſtuͤzt hatte. M 2 Die⸗ 180 Dieſer Mann war der erſte, welcher mich aus meinem gefuͤhlloſen Schmerz wekte, und mir die ungluͤklichen Folgen deſſelben anſchauend dar⸗ ſtellte. Er gedachte der nahmhaften Forderung, welche er ay mir zu machen hatte, mit keinem Worte, und bat mich nur, alles anzuwenden, um wenigſtens den groͤßten Theil meiner Stikkerin⸗ nen aufs neue zu ſammlen, und ihn in den Stand zu ſezzen, die gemachten Beſtellungen ſeiner Kor⸗ reſpondenten zu erfuͤllen, und ſeinen Handel fer⸗ ner forttreiben zu koͤnnen. Mein muͤtterliches Herz, welches ſeine Kinder zaͤrtlich liebte, fuͤhl⸗ te das Gewicht ſeiner Gruͤnde, und machte mich wieder thaͤtig, aber ehe ich ſeinen Wunſch erfuͤl⸗ len konnte, vernichtete ſein ſchneller Tod alle mei⸗ ne kuͤnftigen Hofnungen. Ein iäher Schlagfluß verhinderte ihn ein Teſtament zu machen, ſeine Erben, welche die Handlung nicht laͤnger fortſez⸗ zen wollten „fanden meinen Namen in ſeinem Schuldbuche, fie kannten die Verbindungen nicht, in welchen ich ehemals mit ibm ſtand, ſie woll⸗ ten die Vortheile, welche der Handel mit mir ihm gewaͤhrt hatte, nicht achten, und forderten mich vor Gerichte. Ich konnte nicht zahlen, fie waren unbarmherzig genug die Pfaͤndung zu for⸗ dern, und ich mußte ohne Ausſicht, ohne Troſt, all meiner Kleider, Sachen und der noͤthigſten Bes 181 Beduͤrfniſſe entbloͤßt, mit meinen fuͤnf Kindern ein kleines Hinterſtuͤbchen beziehen, welches mir mein bisheriger Hausherr mehr aus Mitleid als aus Hofnung einer Bezahlung einraͤumte. Ich ſtikte izt wieder fleiſſig und raſtlos, aber alle meine Arbeiten hatten wieder das ehemalige Loos, ich konnte ſie nur mit Muͤhe, nie mit einem Ge⸗ winne verkaufen, der meinem Fleiſſe angemeſſen war. Meine groſſe Armuth ſchrekte ieden Kauf⸗ mann zuruͤk, mich mit dem erforderlichen Vor⸗ ſchuß zu unterſtuͤzzen, ſie war auch die einzige Urſache, daß ich keine Gehuͤlfin mehr fand, weil ich ihr keinen gewiſſen Lohn verſprechen oder fir chern konnte. Die Nachrichten, welche ich indeß von mei⸗ nem Gatten erhielt, lauteten ſchreklich, und fuͤll⸗ ten meine ohnehin gebeugte Seele mit neuem Jammer. Dieienigen Waͤchter, welche ihn bis an die Graͤnze begleitet, auf der Reiſe feinem ehemaligen Karakter gemaͤß, und daher ſehr ſcho⸗ nend behandelt hatten, erzaͤhlten mir bei ihrer Ruͤkkehr, daß dem Ungluͤklichen ein Kommando Soldaten uͤbernahm, und ſeine Haͤnde und Fuͤſ⸗ ſe mit ſchweren Eiſen belaſtet wurden. Dies ſchrekliche Bild ſtand ſtets vor meiner Seele, und machte meine Hand unfaͤhig, eine taͤndelnde Sze⸗ ne der Liebe, eine aufbrechende Roſe, oder ein gruͤ⸗ 182 gruͤnendes Blat zu ſtikken. Ich machte die trau⸗ rige Erfahrung, daß Herz und Seele auf die Ar⸗ beiten des Körpers groſſen Einfluß haben. Noth, Kummer und Elend heiſchten von mir, daß ich meine Kunſt verdoppeln follte, und mein inne⸗ res quaͤlendes Gefuͤhl machte mich zur Stuͤmpfe⸗ rin, weil es ſehr oft demienigen widerſprach, was ich ſtikken ſollte. Ich konnte nicht widerſprechen, wenn man meine Arbeit tadelte, ich fühlte den Grund dieſes Tadels, aber ich konnte auch die Urfache nicht vernichten. Ein Brief, den ich end: lich nach ſechs durchſchmachteten Monaten von einem ehemaligen Freunde meines Gatten erhielt, mehrte meinen Jammer um ein groſſes. Er hat: te den Ungluͤklichen in ſeinem Gefaͤngniſſe beſucht, und es ſeinen Thraͤnen nicht verſagen koͤnnen, ihn zu verſprechen, mir von ihm Nachricht zu geben. Ihr bedaurungswuͤrdiger Gatte, ſchrieb dieſer Freund, ſchmachtet in einem unterirdiſchen Ker- ker zu —. Neben ihn ſizt ein ruchloſer Moͤrder, und ſein ſchreklicher Anblik, der Gedanke, daß er gleich ihm enden muͤſſe, vermehrt ſeine Qual. Er wird oft und ſtreng verhoͤrt, und da er ſeine Unſchuld nur durch Worte vertheidigen, ſeine Tha⸗ ten nur durch einen Rauſch entſchuldigen kann, ſo kann und will ichs ihnen nicht bergen, daß ſeine Furcht ſehr gegruͤndet ſei. Beten ſie, daß | Gott 183 Gott das Herz des Monarchen regiere, er allein kann begnadigen, ihm find die Akten auf feinen beſondern Befehl ſchon eingeſandt worden, und ſein gutes Herz laͤßt mich mit Grunde hoffen, daß ich das kuͤnftige Schikſal meines ehemaligen Bus ſenfreundes nur beklagen, nicht beweinen darf. Dieſer Brief machte mich ganz ungluͤklich, und — was das ſchreklichſte war — aller Arbeit unfaͤhig. Ich hatte eheſchon weit groͤſſere und ſchoͤnere Ausſichten ſchwinden ſehen, mein Herz konnte den ſo unſichern, ſcheinbaren Troſt, daß der Monarch begnadigen werde, nicht faſſen, es uͤberließ ſich ganz dem namloſen Schmerze und. Jammer zum Raube. Ich zweifle, daß eine Mut⸗ ter ihre Kinder zaͤrtlicher und inniger als ich liebt, aber ich geſtehe auch eben ſo aufrichtig, daß da— zumal dieſe uͤbergroſſe Liebe gaͤnzlich ſchwand, und ich laͤchelnd zugeſehen hätte, wenn man fie alle zu Grabe getragen haͤtte. Nur der nahe, mir ganz gewiß duͤnkende und ſchimpfliche Tod meines Ga⸗ ten beſchaͤftigte meine gluͤhende Einbildungskraft, vernichtete iedes andere Gefuͤhl, machte mich gleich⸗ guͤltig gegen alles, was geſchah oder geſchehen konn⸗ te. Zwei volle Monate dauerte dieſe aller Beſchrei⸗ bung unfaͤhige, ſchrekliche Qual, ich konnte nicht arbeiten, nicht raſten, nicht ruhen, und uͤber⸗ waͤltigte auch endlich einmal der Schlaf mein muͤ⸗ des DSH | N des Auge, fo ſchrekten mich fuͤrchterliche Traͤume | bald wieder empor, fo erwachte ich mit der fichern Ueberzeugung, daß heute mein ungluͤklicher Gat⸗ te ſeinen Todeskampf kaͤmpfen wuͤrde. Schon ſchien mein Elend den hoͤchſten Grad zu erreichen, ſchon hatte ich alles Entbehrliche verkauft, und mußte entweder meine Kinder dem Hunger zum Raube uͤberlaſſen, oder betteln ge⸗ hen, als einſt an einem Nachmittage der Brief⸗ traͤger in mein Gemach trat, und mir einen Brief uͤberreichte. Zum Gluͤkke war ich eben reich ge⸗ nug, das wenige Poſtgeld bezahlen zu koͤnnen, ich zitterte und bebte, als ich ſchon in der Auf⸗ ſchrift die Hand meines Gatten erblikte, der Ge⸗ danke, daß dies ſein Abſchiedsbrief ſei, den man ihm noch vor ſeinem Ende zu ſchreiben erlaubt haͤtte, fuͤllte mein Herz, und vermehrte meine Qual um ein groſſes. O ſte war ſchreklich, ſie wuͤrde toͤdtlich fuͤr mich geworden ſein, wenn nicht der Ewige ſich meiner erbarmt, mir durch ſeinen Engel den Gedanken zugefluͤſtert hätte, daß der Schrekkensbrief wohl auch Troſt enthalten konne. Ich riß das Siegel herab, ich las, und ſank dankend zur Erde, weil der guͤtige Monarch das Schikſal meines Gatten, und 1 105 ee ſehr e hatte. End⸗ 65%, Endlich, ſchrieb der Gerettete, ift mein Urs theil geſprochen, mein Schikſal eatfehieden. Das Gericht, welches mich unterſuchte, ſprach Tod uͤber mich aus, weil es nur die That, nicht Um⸗ ſtaͤnde und Urſache erwägen durfte, aber der guͤ⸗ tige, groſſe Monarch erwog beides, fand mich des Todes nicht wuͤrdig, und gebot, daß ich wegen meiner Unvorſichtigkeit, nicht wegen des veruͤbten Verbrechens durch zwei Jahre lang auf der Fer ſtung M— als Staatsgefangner verwahrt, und mir dort meinem ehemaligen Charakter gemäß begegnet werden ſolle. Schon bin ich hieher ge⸗ fuͤhrt worden, und athme als ein Gefangner bei⸗ nahe volle Freiheit. Ich kann ungehindert ſchrei⸗ ben und leſen, darf vom Morgen bis an den Abend auf dem Walle ſpazieren gehen, und be⸗ wohne zwei ſchoͤne Zimmer, welche die Guͤte des Gouverneurs aufs bequemſte eingerichtet hat. Die⸗ ſer verehrungswuͤrdige Herr ahmt die groſſen und wohlthaͤtigen Handlungen ſeines Monarchen nach, ich erhalte taͤglich Speiſen von ſeiner Tafel, und, wie er mich geſtern beſuchte, ſo gab er mir volle Erlaubniß, dir, theures Weib, nicht allein zu ſchreiben, ſondern auch dich ſammt unſern Kin⸗ dern hieher einzuladen. Ich will dann , fügte er hiezu, ſchon auch fuͤr dieſe ſorgen, und alle wenig⸗ ſtens für Mangel ſchuͤzzen. Wenn es dir alſo nicht 186 — ð DV en mu mung nicht glüfte, deine Sehülfinnen aufs neue zu ſammlen, und dich und deine Kinder redlich zu ernaͤhren, ſo eile in die Arme deines geretteten Gatten, der dir auf Geheis ſeines erhabnen Wohl⸗ thaͤters wenigſtens auf zwei Jahre nothduͤrftigen Unterhalt ſichern kann. Gott, der ihn ſo wun⸗ derbar rettete, wird dann weiter ſorgen, wird ihm Wege und Mittel zeigen, aufs neue Vater und Gatte ſein zu koͤnnen. Ich bin erſt ſeit drei Tagen hier, und gebe ſchon zehn iungen Offiziers Unterricht im Zeichnen, die mir eine anſehnliche mo⸗ natliche Belohnung geſichert haben, und mich dadurch in den Stand ſezzen, euch, auch ohne die Großmuth des Gouverneurs, ernaͤhren zu koͤnnen. Dies ſind die Ausſichten, welche ich dir und meinen Kindern ſichern kann, uͤbertreffen die deinigen dieſe nicht um ein groſſes, ſo lege die Sehnſucht des Gatten und Vaters in die Wagſchale, und entſcheide zum Beſten des Leztern. Ach, er ſtrekt ſeine kettenloſen Arme begierig nach euch aus, er laͤßt ſie traurig ſinken, wenn er uͤberlegt, daß er euch durch lange zwei Jahre miſſen ſoll; in dei⸗ nen Armen wuͤrden ſie ſchnell ſchwinden, ohne dich werden ſie einer Ewigkeit gleichen. Ich ha⸗ be viel geduldig, ich habe ſchreklich gelitten, ich bin einer Belohnung wuͤrdig! Erwaͤge dies noch einmal, und uad dann e Daß 187 Daß ich in meinen erbarmungswuͤrdigen Umſtaͤnden den Antrag meines Gatten als eine Wohlthat des Himmels betrachtete, ſolchen ſo bald als moͤglich zu erfuͤllen beſchloß, darf ich ihnen wohl nicht erſt erzaͤhlen, nur meine aͤuſſer⸗ ſte Armuth hinderte mich, dieſen Vorſaz auf der Stelle auszufuͤhren. Ich antwortete meinem Gat⸗ ten, ſchilderte ihm mein Ungluͤk, Armuth und izzige Lage, und überließ es feiner Entſcheidung: Ob er mir ein Reiſegeld ſenden koͤnne, oder ich N gezwungen fei, den weiten Weg zu ihm zu Fuſſe und bettelnd zu machen. Mit Sehnſucht ſah ich feiner Antwort entgegen, fie kam früher, als ichs waͤhnte. Er ſande mir zwanzig Louisdor, ſeine Eleven hatten ihn auf zwei Monate im Voraus bezahlt, und ihn in den Stand geſezt, mich auf ſo unerwartete Art zu unterſtuͤzzen. Ich reiſte ſogleich ab, und langte gluͤklich in den Armen eines Mannes an, den mir Kummer und Elend, und vorzuͤglich die ſchrekliche Trennung noch weit theurer gemacht hatte. Zu meinem groͤßten Vergnuͤgen uͤberzeugte ich mich ſogleich, daß er aͤuſſerſt maͤſſig lebte, gar keine Neigung zum Trunke mehr zeigte, und mich hoffen ließ, daß der Kerker, und die Unmoͤglich⸗ keit, in dieſem ſeine Neigung zu befriedigen, ihn ganz von einer Leidenſchaft geheilt habe, welche der 188 I = der Urſtoff feines ganzen Ungluͤks war. Dieſe an⸗ genehme Hofnung ward bald zur Gewißheit, weil Wochen, Monate, und endlich ein Jahr verflog, - und er nie eine Sehnſucht nach einem ſtarken Ge⸗ traͤnke geaͤuſſert hatte, ſich ganz mit dem wenigen Weine begnuͤgte, welchen er taͤglich von der Ta⸗ fel des Gouverneurs erhielt. Auch die eben fo edeldenkende Gattin des Gouverneurs ward bald meine groſſe Wohlthaͤterin, fie kleidete mich und meine Kinder aufs anſtaͤndigſte, ſie gab mir Ge⸗ legenheit, mir durch Naͤhen und Stikken etwas verdienen zu koͤnnen, ſie ward ſtets Verkaͤuferin meiner fertigen Arbeit, und da ich durch ſie alle⸗ mal mehr erhielt, als ich erwartet und gefordert hatte, fo kann ich mit Recht vermuthen, daß fie auch bei dieſem Verkaufe meine geheime . thaͤter in war. Wie bereits ein Jahr der ſo ruhigen und gluͤklichen Gefangenſchaft meines Gatten verfloſ⸗ ſen war, und wir durch ſeinen und meinen Fleiß wuͤrklich uͤber hundert Louisdor erſpart und ge⸗ ſammlet hatten, erhielt ich einen Brief von ei⸗ nem hieſigen, mir eheſchon bekannten Kaufmanne. Er bedauerte herzlich, daß er meine Lage, und dadurch noͤthig gewordne Abreiſe zu ſpaͤt erfahren habe, er verſprach mir reichliche Arbeit und Un⸗ terſtuͤßung, wenn ich ſogleich zuruͤkkehren, und e mich 189 ee EN | mich ſchriftlich verbinden wolle, für ihn allein zu arbeiten. Er verſicherte mich nebenbei offenherzig, daß man izt meine geſchmakvolle Stikkerei ſehr vermiſſe, neue und anſehnliche Beſtellung darauf mache, und nun uͤberzeugt fei, daß die beſten mei⸗ ner Gehuͤlfinnen ohne meine Leitung nur etwas hoͤchſt mittelmaͤſſiges leiſten koͤnnten. Ich uͤbergab den Brief meinem Karl, ich uͤberließ es ganz feiner Entſcheidung: Ob ich dem ſo vortheilhaft ſcheinenden Rufe folgen, oder ihn verwerfen ſollte? Er entſchied für das Leztere. Nicht blos der Wunſch, von mir nicht getrennt zu werden, fondern die gegruͤndete Hofnung, daß ‚er in feinem Vaterlande kuͤnftig wieder Nahrung und Verſorgung finden wuͤrde, berechtigte ihn zu dieſer Entſcheidung. Der guͤtige Monarch hatte ihn feines ehemaligen Karakters nicht entſezt, ihn vielmehr in dem Urtheile ſelbſt noch den Direktor der koͤniglichen Domainen genannt, ſchon dieſe be⸗ ſondere Schonung und Gnade ſchien allen Freun⸗ den meines Gatten ein ſicherer Beweis, daß er eine neue Anſtellung hoffen koͤnne, weil es ſonſt gewöhnlich war, daß in allen dergleichen Fällen- die Unfaͤhigkeit zu fernern koͤniglichen Dienſten ausdruͤklich als eine ſtaͤrkere Strafe beſtimmt wur⸗ de. Dieſe troͤſtende Vermuthung ſchien überdies feit kurzem Gewißheit zu werden, weil Karl erſt ei⸗ 190 * 1 A einen Monat vorher durch einen Freund die Nach⸗ richt erhalten hatte, daß der König die auf dieſen Domainen gelegnen, nun ausgetrokneten Suͤmpfe beſichtigt, und wie er ihre izzige auſſerordentliche Fruchtbarkeit bewundert, und erfahren habe, daß man bei dieſem groſſen Unternehmen ganz ſeinem Plane gefolgt ſei, er ſeinen Eifer und Einſicht ſehr gelobt, und noch hinzu gefuͤgt habe, daß er ſich ſeiner erinnern, und ihn wieder anſtellen wolle. | . Ich ehrte daher ſeine Gruͤnde, und antwor⸗ tete dem Kaufmanne, daß ich ihm für feinen Anz trag herzlich danke, aber izt nicht faͤhig ſei, ihn anzunehmen. Ich war aͤuſſerſt mit dieſem Ent⸗ ſchluſſe zufrieden, weil meines Gatten Hofnung ſich mehrte, das Ende ſeines Ungluͤks zu nahen, und neues Gluͤk zu grünen ſchien, denn kurz nach⸗ her trat der Gouverneur mit einem Briefe ins Zimmer, die laͤchelnde Miene des Menſchenfreun⸗ des bewies deutlich, daß er ein Bote der Freude ſei. Da, leſen fie, ſprach er zu meinem Gatten, und uͤberreichte ihm den Brief. Karl las, und »Thraͤnen der Freude rollten über feine Wangen. Die Unterſuchungsakten, ſchrieb der gnaͤdigſte Koͤ⸗ nig an den Gouverneur, welche mir uͤber das Verbrechen des ungluͤklichen 2—s eingeſand wur⸗ den, haben mich uͤberzeugt, daß er kein vorſezli⸗ cher | 191 —: Ä m cher Verbrecher war, nur durch die Liſt und Raͤn⸗ ke eines boshaften Weibes verfuͤhrt wurde. Ich milderte aus dieſer Ruͤkſicht ſeine Strafe um ein groſſes, ich bin geneigt, fie ihm nun ganz zu ſchenken, und feiner wuͤrklich groſſen Verdienſte wegen aufs neue anzuſtellen, wenn fie ihm auf Ehre und Gewiſſen das Zeugniß geben koͤnnen, daß er ſich die Zeit ſeines Aufenthalts auf der Fe⸗ ſtung gut und redlich auffuͤhrte, und vorzuͤglich keinen Hang zum Trunke verrieth, der ſchon ein⸗ mal ſein Ungluͤk ward, und mir einen eifrigen und kenntnißreichen Diener raubte. Ich erwarte daruͤber aͤchten Bericht, und werde dann nach Um⸗ ſtaͤnden meinen Entſchluß faſſen. Da der guͤtige Gouverneur verſicherte, daß er, und waͤre er auch ein abgeſagter Feind mei⸗ nes Gatten, den guͤnſtigſten und beſten Bericht er⸗ ftatten muͤſſe, und als Freund um fo mehr ers ſtatten werde, fo ſahen wir der Entſcheidung un⸗ ſeres Schikſals mit vieler Ruhe, aber doch auch mit groͤßter Sehnſucht entgegen. Ehe wirs hoffen und vermuthen konnten, trat der Gouverneur aufs neue in unſer Zimmer. Sie ſind frei, rief er wonnetrunken, ſie ſind aufs neue als Direkteur des Dammbaues bei — angeſtellt, ſie ſollen oh⸗ ne Zoͤgerung dahin abreiſen, dieſen aͤuſſerſt koſt⸗ baren, aber eben ſo langſamen Bau genau Pilz 192 prüfen , die Hinderniſſe anzeigen, und einen Plan entwerfen, durch welchen der erſtere befoͤrdert, und die leztern gehoben werden koͤnnten. Der Mo⸗ narch unterſagt ihnen ausdruͤklich ieden Dank, er wird ihn ganz darinne finden, wenn ſie ſeinen Wunſch erfuͤllen, und ſeiner Erwartung entſpre⸗ chen. Hier iſt ihr Anſtellungsdekret, ſie werden kuͤnftig mit ihrer Familie zu S— wohnen, fie genuͤſſen einen anſehnlichen Gehalt von iährlich viertauſend Thalern, ſie haben koͤnigliche Voll⸗ macht die Ausgaben nach eignem Gutduͤnken zu ordnen, aber ſie werden die Bezahlung derſelben nur prüfen und beſtaͤttigen, nicht ſelbſt leiſten. weil der Koͤnig ſich und ſie fuͤr neuem Schaden ſichern will. Ich habe den Auftrag, ihnen das erforderliche Reiſegeld auszuzahlen, und ihnen zur noͤthigen Einrichtung und ſtandesmaͤſſigen Equipirung einen angemeſſenen Vorſchuß zu ge⸗ ben. Unſre Freude war rein und groß, wir ee ten nicht ſprechen, nicht danken, wir glichen gluͤk⸗ lich Traͤumenden, die nur fühlen, aber nicht / han⸗ deln koͤnnen. Erſt nach einigen Tagen, als an⸗ haltendes Gefuͤhl uns von der Wuͤrklichkeit uͤber⸗ zeugte, wurden wir thaͤtiger und trafen Anſtalten zu unſrer Abreiſe, kleideten uns und unfere Kin⸗ der dem neuen Stande gemaͤß. i Es — — — 193 Es war einer der ſchoͤnſten, heiterſten Fruͤh⸗ lingstage, wie wir endlich geſegnet und umarmt von unſern großmuͤthigen Wohlthaͤtern die Feſtung verlieſſen. Immer erinnere ich mich dieſer ſeli⸗ gen Stunden, dieſes uͤbergluͤklichen Tages noch mit groͤßtem Vergnuͤgen. Unſer Wagen rollte raſch fort, die Waͤlle und Mauern der Feſtung lagen hinter uns, wir durchfuhren eine reizende, fruchtbare Gegend, das iunge Laub der nahen Baͤume ſtreifte oft an unſern Wagen, und ein ſanfter Wind uͤberſchuͤttete uns mit den Bluͤhten derſelben, nach welchen die Kinder begierig haſch⸗ ten. Mein Karl konnte das maͤchtige Gefuͤhl der Freiheit, des nahenden Genuſſes der ſchoͤnen Natur im engen Raume des Wagens nicht faſſen, er ſprang heraus, ich folgte, wir beſtiegen ihn dieſen Tag nicht mehr, wir wandelten immer ne⸗ ben her, wir beteten, ſangen und ſcherzten, wir liefen gleich Kindern den bunten Schmetterlingen nach, wir pfluͤkten Blumen und warfen ſie un⸗ ſern Kindern zu. Ich erinnere mich ſogar, daß mein Gatte auf einen Baum kletterte, und bald hernach einen Bach durchwadete, um nur die ſo lang entbehrte Freiheit genuͤſſen zu koͤnnen. Mit dieſer ſeligen Stimmung langten wir endlich im erſten Nachtlager an, der Taumel un⸗ ſerer Freude dauerte auch hier fort, wir ſprachen N von * 194 von kuͤnftigen Ausſichten und Glüffe Erſt ſpaͤt in der Nacht ſuchten wir das Lager, und ich ber merkte mit einmal, aber auch mit um ſo groͤſſern Schrekken, daß mein Mann taumle, und aͤuſſerſt betrunken ſei. Meine Freude ſchwand, tiefer Kummer fuͤllte mein Herz, und truͤbte iede Aus⸗ ſicht. Ich konnte nicht ſchlafen, und weinte ein⸗ ſam auf meinem Lager. Ich ſprach ernſt und ruͤhrend am andern Morgen mit meinem Gatten, ich ſtellte ihm die unausbleiblichen Folgen ſeiner unſeligen Neigung deutlich vor, ich bat ihn auf meinen Knien, nicht aufs neue Zerſtoͤhrer ſeines Gluͤks zu werden, und ſeines Weibes, ſeiner un⸗ erzognen Kinder zu gedenken. Mein Flehen traf ſein Herz, es war aͤuſſerſt bewegt, er verſicherte mich aufs heiligſte, daß er den Trunk wuͤrk⸗ lich verabſcheue, aber im Genuſſe der reinſten Freude, ohne Vorſaz, ohne Willen mehr getrun⸗ ken habe, als er zu ertragen faͤhig ſei, er gelob⸗ te, dieſen haͤßlichen Fehler aufs moͤglichſte zu vermeiden, und bat mich dringend, in iedem aͤhn⸗ lichen Falle ſeine Waͤchterin zu werden, und Bu | für iedem Fehltritt zu warnen. Wir reiſten weiter, wir reiſten zufrieden und vergnuͤgt, aber meine Freude war doch nie mehr ſo rein, ſo ungetruͤbt, weil ich ahndete und fuͤrchtete. Immer zagte ich, wenn ich ein Glas in 195 in meines Kakls Hand erblifte, immer harrte ich aͤngſtlich der Folge, wenn er mehr, als gewoͤhn⸗ lich trank. Wir wurden zu S— mit vieler Freu; de, und, wenn die aͤuſſerlichen Zeichen der in— nern Empfindung entſprachen, von vielen als Freunde empfangen. Viele kannten das ehema⸗ lige Schikſal meines Mannes, aber alle ſchienen auch überzeugt zu fein, daß er unverdient gedul⸗ det habe, und freuten ſich izt ſeines Lohns und Gluͤks. 5 4 Karl war ſogleich aͤuſſerſt geſchaͤftig und thaͤtig, er ſah ein, daß der vorige Baudirektor ſehr viel guten Willen, aber nicht Kenntnißz ge⸗ nug zur Ausfuͤhrung beſeſſen hatte, er entwarf einen andern, weit minder koſtbaren Plan, vers beſſerte das Fehlerhafte, und gewaͤhrte ſchon in ſeinem erſten Berichte dem Monarchen die ſichere Hofnung, daß er binnen kurzer Zeit das bereits aufgeführte, aber aͤuſſerſt beſchaͤdigte Werk herz ſtellen, vor kuͤnftigem Schaden ſichern, und es binnen zwei Jahren ganz vollenden werde. Die Folge entſprach der Erwartung, eine fuͤrchterliche Ueberſchwemmung, welche im Auguſt Monat ein jäher Wolkenbruch verurſachten, erreichte nicht die Hoͤhe des Dammes, beſchaͤdigte ſolchen nicht einmal, und bewog die zitternden und nun geret⸗ teten Koloniſten dem Könige eine Dankſchrift ein⸗ N 2 zu⸗ 196 zureichen, in welcher fie offen geſtanden, daß fie ihre Rettung nur allein dem vortreflichen Baue meines Gatten zu danken hatten. Der großmuͤ⸗ thige König ſande meinem Karl ein oͤffentliches Belobungsdekret „verſicherte ihn nicht nur allein ſeiner Huld und Gnade, ſondern verſprach ihm auch die Fortdauer ſeines Dienſtes, wenn er das Werk eben ſo geſchikt vollenden werde. Mir ward dieſes Gluͤk Stoff zu neuem Kummer: Karls Freude darüber war rein und groß, aber ſeine Seele konnte ſich bei Empfindungen des Gluͤks und Unglüfs nicht maͤſſigen, er handelte in dies ſen Faͤllen oft ohne Vorſaz, aber auch ohne Be⸗ wußtſein, und ich genoß den quaͤlenden Schmerz, daß er abermals ſeines Geluͤbdes vergaß, ſich bei zwei oͤffentlichen Mahlzeiten, die ihm zu Eh⸗ ren gegeben worden, bei denen von meiner Sei⸗ te Aufſicht und Warnung unmoͤglich war, ſehr ſtark betrank, und nach Hauſe gefuͤhrt werden mußte. Alle ſeine Freunde ſuchten dieſe That mit dem Uebermaaſe ſeiner Freude zu entſchuldigen, aber noch mehrere gaben ihrer Verwunderung das ruͤber laute Worte, und meinten, daß neuer Hang zum Trunke auch neues Ungluͤk gebaͤhren koͤnne. Dem angenehmen Herbſte folgte ein aͤuſſerſt harter und kalter Winter. Das Eis dekte elen⸗ dik den Strom, und errekte neues Schrekken im Her 197 Herzen der kaum geretteten Koloniſten. Endlich trat das ſo lang gefuͤrchtete Thauwetter mit Macht ein, die Fluthen waren ſchreklich, das ſtarke Eis, welches auf dieſen rollte und wogte, drohte dem ganzen Werke Zerſtoͤhrung. Karl war überall ges gel waͤrtig, er kam drei Tage lang nicht nach der Stadt, kein Schlaf erquikte ſein Auge, er ver⸗ ließ den Damm nie, und rettete durch ſeine vor⸗ treflichen Anſtalten die in aͤuſſerſter Gefahr ſchwe⸗ bende Kolonie. Nur hie und da ward der Damm beſchaͤdigt, aber der ganze Schaden betrug kaum tauſend Thaler, war bei ſolch einem Werke, bei _ fo groſſer Gewalt und Stärke des Eifes gar nicht ruͤkſichtswuͤrdig. Wie die Gefahr ſchwand, mehr— te ſich auch Karls Freude, und die Folge davon war, daß der Ungluͤkliche abermals zu viel trank, und in dieſem Zuſtande, von einigen Unteraufſe⸗ hern begleitet, am hellen Tage nach der Stadt gefuͤhrt wurde, und durch ſein auffallendes Be⸗ tragen, durch lautes Rufen und Jubeln vielen Bewohnern zum Geſpoͤtte diente. Ich empfing ihn mit Thraͤnen, aber ich war nicht vermoͤgend, ihm Vorwuͤrfe zu machen, weil ich einſah, daß dieſe nichts fruchten, und neues Ungluͤk unſer Loos ſein wuͤrde. Freilich erneu⸗ erte er am Morge ſein Geluͤbde freiwillig, aber Erfahrung hatte mich bereits uͤberzeugt, daß ‚Ir 198 en iede neue Gelegenheit ihn zur Verlezzung deſſel⸗ ben verleiten werde. Eben ſchien ers ſtandhaft erfuͤllen zu wollen, und war eifrig mit der Ver⸗ beſſerung des Dammes beſchaͤftigt, als zwei koͤ⸗ nigliche Abgeordnete in mein Zimmer traten, und nach dem Aufenthalte meines Gatten forſchten, ich machte ſie mit dieſem bekannt, ahndete ſchrek⸗ liche Dinge, und erwartete ſeine Ruͤkkehr mit groͤß⸗ ter Ungeduld. Er kam, finſtere Schwermuth und aͤchte Verzweiflung thronte auf ſeiner Stirne, ich forſchte aͤngſtlich nach der Urſache. Da lies, ſprach er, und verfluche mich! Bei dieſen Worten warf er mir eine Schrift auf den Tiſch, und ging haͤn⸗ deringend nach einem andern Zimmer. Ich konn⸗ te mich lange nicht entſchluͤſſen, die ſchrekliche Schrift zu leſen, endlich uͤberwand Begierde nach Gewißheit meinen Abſcheu. Es war ein eignes Handbillet des groſſen Könige. Man hat mir, ſchrieb dieſer, glaubwürdig angezeigt, daß Ihr auf eurer ehemaligen Flucht die Religion eurer Vaͤter verlaͤugnet habt, und ein Katholik geworden ſeid. Man will uͤberdies behaupten, daß ihr, unge⸗ achtet meiner vaͤterlichen Warnung, dem Trunke nicht entſagt, und auf oͤffentlicher Gaſſe umher taumlet. Die Konſtituzion meines Landes, und mein Abſcheu gegen alle Trunkenbolde gebietet ei⸗ ne ſtrenge Unterſuchung dieſer Verbrechen. Ich ha⸗ 293.» habe fie den Ueberbringern dieſes Befehls aufge⸗ tragen. Ich erwarte ſtandhaft Gegenbeweiſe, oder euer reumuͤthiges Geſtaͤndniß, und werde dann entſcheiden. Ein Theil dieſes ſchreklichen Befehls ſchien mir eine offenbare Verlaͤumdung, und machte mich faͤhig, meinem Gatten nachzueilen, um ihn zu troͤſten. Aber er war keines Troſtes empfaͤnglich, er verſicherte mich vielmehr, daß die erſte Beſchul⸗ digung eben ſo wahr als die lezte ſei, und er kei⸗ ner widerſprechen koͤnne, beide offenherzig be⸗ kennen muͤſſe. Er erzaͤhlte mir nun, was er mir bisher ſorgfaͤltig verſchwiegen hatte, daß eben damals, als er gefangen in dieſer Stadt ſas, und ich ſei⸗ ner Rettung wegen nach der Reſidenz reiſte, ein ehrwuͤrdiger Prieſter in ſein Gefaͤngniß trat, ſich nach ſeiner Religion erkundigte, und ihn aus from⸗ men Eifer beim nahen Anblikke des Todes zur Annahme der katholiſchen zu bewegen ſuchte. Da Karl uͤberzeugt zu ſein glaubte, daß ihm die Re⸗ ligion ſeiner Vaͤter der ewigen Gluͤkſeligkeit nicht unwuͤrdig mache, ſo wiederſtand er anfangs der Bitte des Prieſters, und weigerte ſich, ſeine Gruͤn⸗ de anzuhoͤren. Wie ihm aber der leztere einleuch- tend zu beweiſen ſuchte, und es durch einige Bei⸗ ſpiele wuͤrklich bewies, daß die Annahme der ka⸗ 8 tho⸗ 200 tholiſchen Religion ſeine Auslieferung in ein pro⸗ teſtantiſches Land hindern wuͤrde, und muͤſſe, da würkte Begierde zum laͤngern Leben ſtaͤrker als innere Ueberzeugung, er ward geneigter, den Un⸗ terricht des Prieſters anzuhoͤren, und zoͤgerte mit der Einwilligung zur Veraͤnderung feiner Reli gion nur fo lange, bis ich ruͤkkehren, und er hoͤ⸗ ren wuͤrde: Ob meine Vitte das Herz des Mo⸗ narchen nicht geruͤhrt habe? Da meine Erzaͤhlung ihm alle Hofnung raubte, ſo haſchte er begierig nach der Einzigen, die ihm uͤbrig war, und leg⸗ te ſchon am dritten Tage nach meiner Ankunft das Glaubensbekenntniß im Kerker ab. Er war ſchwach genug, dieſen Schritt vor mir zu ver⸗ ſchweigen, und den Prieſter nebſt den Zeugen zu beſchwoͤren, mir ihn nicht zu entdekken, weil ſchleu⸗ nige Entdekkung mich hartnaͤkkig, nur ſeine eigne Beredſamkeit mich faͤhig machen wuͤrde, ihm nach⸗ zufolgen. Der eifrige und es wahrſcheinlich ſehr wohlmeinende Prieſter uͤbernahms nun ſelbſt, im Namen meines Gatten eine Bittſchrift an den Monarchen aufzuſezzen, und dieſen zu beſchwoͤren, ihn nicht in ein Land auszuliefern, wo man ſein Glaubensbekenntniß als ein Verbrechen ſtrafen wuͤrde. Aber die Landesſtelle, bei welcher der Prieſter eine gleiche Bittſchrift einreichte, nahm keine! Ruͤkſicht auf ae Gruͤnde, ſie ſchuͤzte den aus⸗ 201 ausdruͤklichen Befehl zur Auslieferung vor, und war nicht zu bewegen, die Entſcheidung des Mo⸗ narchen abzuwarten. Karl mußte reiſen, und ward ſogar durch das Gericht ſelbſt uͤberzeugt, daß man ſeine ſchleunige Bekehrung nur fuͤr ein Nothmit⸗ tel halte, welches man nicht ſchaͤzzen, und das uͤberhaupt bei reiner und heller Denkenden keinen Verbrecher vor der Strafe ſchuͤzzen koͤnne. Ich muß meinem Gatten das Zeugniß er⸗ theilen, daß er in der Folge die Pflichten ſeiner neuen Religion gewiſſenhaft zu erfuͤllen ſuchte, und oft Verwunderung in mir erregte, wenn er auf feiner Reife iede katholiſche Kirche beſuchte, und nach der Zeit, ſich oft nach dem katholiſchen Bethauſe ſchlich, um dort den Eid zu erfuͤllen, welchen er im Gefaͤngniſſe in die Hand des Prie⸗ ſters geſchworen hatte. - | Wir glaubten anfangs, daß geheime Fein⸗ de dieſen Schritt entdekt, und dem Monarchen angezeigt haͤtten, aber die Folge bewies deutlich, daß unſer Verdacht ungerecht war, und der Eifer des Prieſters „ welcher Karln zu ſchuͤzzen ſuchte, die einzige Urſache dieſer Entdekkung wurde. Die Bittſchrift, welche er an den Monarchen geſandt hatte, kam mit der Entſcheidung an die Landes⸗ ſtelle zuruͤk, daß die Veraͤnderung der Religion meinen Gatten nicht von der verdienten Strafe ret⸗ P — 202 retten koͤnne, und er ohne weiteres an die — ſchen Gerichte auszuliefern ſei. Da die Entſchei⸗ dung ſich ausdruͤklich mit den Worten endigte, daß der Bittende davon zu verſtaͤndigen ſei, fo ward die Bittſchrift von der Stelle an das Kriminal- gerichte, und, weil mein Gatte ſchon laͤngſt aus⸗ geltefert war, von dieſem, ohne den Inhalt zu erwägen, oder des möglichen Schadens zu gedenken, an eines der Graͤnzgerichte der — ſchen Länder zur weitern Beförderung an meinen Gatten abge⸗ ſchikt. Dieſen war natürlich der Aufenthalt deſ⸗ ſelben ganz unbekannt, es ſandte ſolche an ſeine vorgeſezte Stelle, von dieſer kam ſie zur Regie⸗ rung, und endlich in die Haͤnde eines Miniſters, welcher ein Verwandter der erſten Frau meines Mannes war, und vielleicht eben deswegen dem Koͤnige die Anzeige davon machte. | - Mein Gatte bekannte bei der nun folgenden Unterſuchung alles aufrichtig, er zeigte die Gruͤn⸗ de an, welche ihn ſeines Weibes und der uner⸗ zognen Kinder wegen zu dieſem Schritt bewogen hatten, er laͤugnete es nicht, daß er einigemal aus Uebermaaß der Freude zu viel getrunken hat⸗ te, und ſchloß endlich mit dringender Bitte, daß der guͤtige Monarch die That nach ihrem wahren Verhaͤltniſſe betrachten, ſich ſeines treuen Weibes und feiner fünf unerzognen Kinder erbarmen mös ge. nn 203 ge. Die Kommiſſairs verſprachen guͤnſtigen Bes richt zu erſtatten, aber die Folge widerſprach ih⸗ rem Verſprechen ganz. Zagend und hoffend harrs ten wir der Entſcheidung entgegen, ſie kam fruͤ⸗ her als wir erwarteten, und machte uns ganz un⸗ gluͤklich. Mein Mann wurde nicht allein feines Dienſtes entſezt, ſondern ihm auch ausdruͤklich aufgetragen, die koͤnigliche Laͤnder binnen Mo: natsfriſt zu verlaſſen, weil er ſich des landes vaͤ⸗ terlichen Schuzzes ganz unwuͤrdig gemacht, und durch das verſuchte Rettungsmittel zu deutlich be⸗ wieſen haͤtte, daß er die anvertrauten koͤniglichen Gelder mit vollem Vorſazze verſchwendet habe, und daher in iedem Betrachte aller koͤniglichen Dienſte unfaͤhig erklaͤrt werden muͤſſe. Mir und meinen Kindern ward am Ende eine Penſion von zweihundert Thalern, iedoch mit der ausdruͤklichen Erklaͤrung zugeſichert, daß ich ſolche im Lande verzehren muͤſſe, und allen Anſpruch darauf ver— liehren wuͤrde, wenn ich meinem Gatten in ein fremdes Land nachfolgen wolle. 0 Ich fuͤhlte mich treu und ſtark genug, das Leztere zu waͤhlen, und den Verbannten nicht zu ver⸗ laſſen, ich wollte Gluͤk und Ungluͤk mit ihm red⸗ lich theilen, und hofte mit Zuverſicht, daß ich ihn und meine Kinder wie ehemals redlich ernaͤhren wuͤrde. Ich habe ſeit dieſer Zeit ſchrekliches Elend ge⸗ 204 geduldet, aber diefen Schritt noch nie bereut. Er iſt mein Troſt im Ungluͤkke, er wird mich mit der Hoffnung der ewigen Belohnung ſtaͤrken, wenn ich meinen nahen Todeskampf kaͤmpfen werde. a Mein Gatte fuͤhlte den Beweis meiner aͤch⸗ ten Liebe und wahren Treue tief, er verſprach mit Thaten zu danken; und mich nie mehr durch ei⸗ nen Rauſch zu betruͤben. Wir verkauften alles Entbehrliche, bezahlten unſere Schulden, und den erhaltnen Vorſchuß. Vierhundert Thaler blieben uns übrig, mit dieſen reiſten wir ab, und nahe men unſern Weg nach der hieſigen Stadt, weil mich die Hoffnung leitete, daß der Kaufmann, welcher mir vor Jahresfriſt Unterſtuͤzzung und Ver⸗ dienſt verſprach, ſein Wort auch izt erfuͤllen wer⸗ de. Wir wurden in unſrer ehemaligen Wohnung liebreich aufgenommen, aber nagender Kummer ward bald mein treuer Geſellſchafter, als mir der Kaufmann, auf welchen ich alle meine Hofnung gebaut hatte, gradezu erklaͤrte, daß er mir izt bei dem beſten Willen weder Unter ſtuͤzzung noch Ber: dienſt gewaͤhren koͤnne, weil die wankelmuͤthige Mode mit einmal alle geſtikte Waare auſſer Kours geſezt, und die ſchoͤnſten, ſonſt ſo aͤmſig geſuchten Artikel dieſer Art zu Ladenhuͤtern verurtheilt habe. Jeder Verſuch, den ich weiter wagte, uͤberzeugte mich bon der ſtrengen Wahrheitsliebe des Kaufman⸗ 5 nes, 205 nes, man lobte überall meine Muſter, aber man bedauerte auch eben ſo herzlich, daß ſie izt nicht mehr geſucht wuͤrden. Die Vernichtung all unſrer Ausſichten ver⸗ urtheilte uns nun zur aͤuſſerſten Sparſamkeit. Wir hoften andere Nahrungszweige zu finden, wir ſuch⸗ ten ſie mit emſiger Begierde, fanden nur ſelten einiges Verdienſt, durchlebten kuͤmmerlich und elend zwei volle Jahre, und wurden am Ende derſelben ganz uͤberzeugt, daß wir — ſende Gott nicht nahe Huͤlfe — in dem folgenden unſer Brod betteln muͤßten. Karl hatte unter dieſer Zeit nie ſein Geluͤbde verlezt, et trank nur Waſſer, und ſchien alle ſtarke Getraͤnke zu verabſcheuen. Als wir aber auch die nothwendigſten Beduͤrfniſſe verkauft, nichts mehr als ſechs Groſchen im Ver⸗ moͤgen hatten, und er dieſe mit Thraͤnen ergrif, um auf den folgenden Tag Brod fuͤr uns zu kau⸗ fen, da mehrte ſein langes Ausbleiben meinen ſchreklichen Kummer, da nahte aͤchte Verzweiflung, wie er endlich heimkehrte, kein Brod brachte, und mich durch ſeinen taumelnden Gang uͤberzeugte, daß er unſer leztes Vermoͤgen vertrunken habe. Er war froͤhlich und luſtig, und nicht faͤhig, mei⸗ ne Worte zu hoͤren, meine Thraͤnen zu ſehen, er ruhte ſanft neben mir, indeß ich einſam iammer⸗ te, aber mit dem Erwachen kehrte auch Ueberle⸗ gungs⸗ 206 gungskraft zuruͤk, er bereute feine That tief, und geſtand mir auch eben fo aufrichtig, daß er wider Willen fie übte, ſich nicht anders von Verzwei⸗ flung und Selbſtmord retten konnte. Da unſre Kinder bittend Brod forderten, und er ihnen ſolches nicht geben konnte, ſo ergrif er an dieſem merkwuͤrdigen Morgen zum erſten⸗ male den Bettelſtab, aber mit dieſem auch den un⸗ widerſtehlichen Hang zum Trunke; er ſprach mit Waͤrme, mit durchdringenden Worten fuͤr ſeine nothleidenden Kinder, es gelang ihm immer, die Herzen der Menſchen zu ruͤhren, aber er vertrank auch allemal wenigſtens einen Theil des erhaltnen Allmoſens. Jeden Morgen erneuerte er den Vor⸗ ſaz, nicht mehr zu trinken, aber, wenn er Geld in ſeiner Hand erblikte, ſo uͤberwog die Begierde, das quaͤlende Bewußtſein des hoͤchſten Ungluͤks durch Trunk zu mildern, das feierliche Geluͤbde, ſie zog ihn unwiderſtehlich zum Glaſe, das er nicht eher verließ, als bis er ſein Gefuͤhl betaͤubt hat⸗ te, und ſich einige Stunden Ne gluͤklich waͤhnte. Ich uͤberlaſſe es ihnen ganz, feinen Zuſtand | zu beurtheilen, und feine Handlungen zu richten, ich kann, ich will ſie nicht entſchuldigen, aber ſo viel muß ich ihnen doch offenherzig geſtehen, daß ich oft mein Leben willig hingeben moͤchte, wenn ich, 207 ich, gleich ihn, mich gluͤklich träumen, nur eini⸗ ge Stunden lang das Bewußtſein des graͤßlich⸗ ſten Jammers vergeſſen koͤnnte. Nach dieſem Gefühle und Maasſtabe habe ich ihn bisher be urtheilt, und war nicht vermoͤgend, ſein oft ſo theuer erkauftes Gluͤk durch gerechte Vorwuͤrfe zu verbittern. Nur geſtern, als unſre Noth und der Hunger meine Kinder aufs hoͤchſte geſtiegen war, gab ich in ihrer Gegenwart meinem ſchrekli⸗ chen Gefuͤhle einige Worte. Wie aber ihre gut⸗ thaͤtige Hand meine hungrigen Kinder reichlich labte, da klagte ich nicht mehr, als er taumelnd heimkehrte, und erzaͤhlte ihm am Morgen alles, was ſich am Abende zugetragen hatte. Er billigte meinen Entſchluß, ſie zum Ver⸗ trauten unſter ungluͤklichen Geſchichte zu machen, er geſtand mir eben fo aufrichtig, daß er fie ſchon oft durch falſche Nachrichten hintergangen, ihre Guͤte mehr als einmal mißbraucht habe, aber er hoft auch eben ſo gewiß, daß ſie ihm ihr Mitleid, ihre Verzeihung nicht verſagen, nicht die Thaten, ſondern nur die Abſicht erwaͤgen werden. Geh, ſprach er mit thraͤnendem Auge, erzaͤhle ihm alles, und frage ihn am Ende: Ob er es dem aͤuſſerſt ungluͤklichen Gatten und Vater wohl verdenkt, wenn er ſo unwiderſtehlich nach einem Mittel haſcht, welches das Bewußtſeyn ſeines Elends durch ei⸗ ni⸗ 208 nige Stunden tilgt, feine Phantaſie wekt, feine Einbildungskraft taͤuſcht, ihn zum Könige magst: ſeine Lumpen in koſtbaren Schmuk, ſein ſchartig⸗ tes Glas in einen goldnen Pokal verwandelt 2 Sie ſchwleg, und ich war nicht faͤhig zu ſprechen, denn ich dachte mir ſein Ungluͤk, ſeine Lage, und fuͤhlte nur allzu deutlich, daß ich in dieſer gleich ihm handeln, wohl noch mehr Liſt und Raͤnke anwenden, vielleicht zum Diebe und Moͤrder herabſinken wuͤrde, um nur das Gefuͤhl meines Elendes vertrinken, und mich gluͤklich träus- men zu konnen. Die arme, bedaurungswuͤrdige Gattin beſaß Kenntniß genug, ſich mein Gefuͤhl ſelbſt zu erklaͤren, und aus den Zuͤgen meines Ger ſichts die innete Empfindung zu beurtheilen. Gott ſei gelobt, rief ſie mit einem Tone aus, der ger⸗ ne Freude ausgedruͤkt haͤtte, wenn nicht anhalten⸗ des Elend ihn verſtimmt haͤtte, Gott ſei gelobt, wiederholte ſie nochmals langſam, ich truͤge mich nicht, ſie koͤnnen dem Ungluͤklichen ihr Mitleid, ihre Verzeihung nicht verſagen, ich wage nun kuͤhn meine lezte Bitte: Ihre Handlungen ha⸗ ben deutlich bewieſen, daß ſie menſchenfreundlich denken, ihres Naͤchſten Elend zu mildern ſuchen. Ich zweifle nicht, ſie durch die Erzaͤhlung meiner Geſchichte uͤberzeugt zu haben, daß wenige Men: ſchen auf Erden wallen, welche des Beiſtandes, | der 209 der Huͤlfe fo noͤthig bedürfen wie wir. Ich habe ſie mit meinen, mit meines Gatten Faͤhigkeiten bekannt gemacht / ich uͤberlaſſe es nun ganz ihnen, alles zu verſuchen, alles anzuwenden, um unſern Jammer zu lindern, ihm Mittel und Wege zu zeigen, ſein Weib, ſeine Kinder ernaͤhren zu koͤn⸗ nen. Halten ſie ihn nicht fuͤr unfaͤhig, dies thun zu koͤnnen, ich bin uͤberzeugt, daß mit der Ver⸗ minderung ſeines ſchreklichen Gefuͤhls ſich auch ſein Hang zum Trunke mindern wird. Erfahrung hats bewieſen, daß der Schein eines Gluͤks ihn thaͤtig macht, daß er der taͤuſchenden Freude willig entſagt, wenn er wuͤrkliche fühle. Gott belohnt ia auch die Abſicht, wenn ſie auch nicht zur That reift, Gott wird und muß es reichlich belohnen, wenn ſie nur einen Verſuch wagen, ob es moͤglich ſei, das Elend der ungluͤklichen Familie auf Erden zu mil⸗ dern. Koͤnnen die Thraͤnen eines traurenden Wei⸗ | bes, das huͤlferufende Geſchrei ihrer verlaßnen Kinder fie in dieſem Entſchluſſe beſtaͤrken, ſo ſe⸗ hen ſie die erſtern und hören das leztere! — — Sie ſprach noch mehr, noch lange, aber das Maas meiner Empfindung war gefuͤllt, und voll ge⸗ ruͤttelt. Ich wuͤnſchte in dieſem Augenblikke zum erſtenmale reich und mächtig zu fein, um ſchnell und ohne Muͤhe begluͤkken zu koͤnnen. Ob aber gleich meine Einbildungskraft maͤchtig wuͤrkte, » mei⸗ 210 meinem leidenden Herzen mit den angenehmſten Bildern ſchmeichelte, und es dieſem aͤuſſerſt leicht ſchilderte, das Leiden der Ungluͤklichen bald und ſicher mildern zu koͤnnen, ſo widerſprach doch mei⸗ ne Vernunft, und bewies nur allzu deutlich, daß meine Huͤlfe zu ſchwach, und ich nur durch Freun⸗ des Hand zu wuͤrken im Stande ſei. Ich ward nun faͤhig zu ſprechen, die Bilder meiner Einbil⸗ dungskraft ſchwanden, und reife Ueberlegung uͤber⸗ zeugte mich, daß ich das Elend der Ungluͤklichen nur mehren, ihr Gefuͤhl peinigender machen wuͤr⸗ de, wenn ich ihnen helles Licht erblikken ließ, wo ich ſelbſt nur ſchwachen Schimmer ſah. Ich ſprach troͤſtend, aber auch aufrichtig mit der Weinendem, ich verſprach alle meine Freunde zu ihrer Ret⸗ tung aufzubieten, aber ich bekannte ihr auch eben ſo offen, daß mein eignes Vermoͤgen, meine we⸗ nigen Kraͤfte mir wohl eine augenblikliche, aber keine dauernde Huͤlfe erlaubten. Die Ungluͤkliche war mit meiner Erklaͤrung vollkommen zufrieden, mein Geſtaͤndniß ſchien ſie von der Redlichkeit meiner Geſinnungen zu uͤberzeugen, ſie ſchied mit Hofnung, und dieſe war, nach ihrer eignen Ver⸗ | ſicherung „ ſchon lange nicht ihre Troͤſterin gewe⸗ ſen. Ich will hoffen, ſprach ſie, als ſie ſchon un⸗ ter der Thuͤre ſtand, und mit meinen Kindern in⸗ bruͤnſtig beten, daß Gott das Herz ihrer Freunde 1 a zu l 8344 Suse Bee een Die zu unſrer Rettung lenke. Wie fie aus meinen Augen ſchwand, muſterte ich alle meine Freunde mit ſchneller Eile, und blieb endlich hofnungahn— dend an dem Kaufmanne hangen, deſſen Gaktin mir einſt die Schachtel mit dem Puzze vertraute, der zwar nicht ſchnell fuͤhlte und handelte immer nur die Vorſichtigkeit zur Richtſchnur nahm, aber wenn er einmal handelte, auch eine ſeltne Aus⸗ daurungskraft beſaß, die ſchon oft Verwunderung in mir erregte. Er war nicht allzu reich, aber ſehr wohlhabend, ſpekulitte oft, aber immer mit ver⸗ nuͤnftiger Sicherheit. Er hatte erſt vor Jahres⸗ friſt eine Kartun⸗ und Zizfabrik angelegt, ſie gab herrliche Hoffnung zum reichen Gewinne, ſie ward länger errichteten vorgezogen, fand Kaͤufer und Abnehmer; aber fie konnte, nach der eignen Vers ſicherung meines Freundes, die Vollkommenheit der auslaͤndiſchen Fabriken blos um des willen nicht erreichen, weil ſeine Modellſtecher nicht faͤ⸗ * hig waren, eigne Muſter zu erfinden, und ihm ein Mann mangelte, der ihnen geſchmakvolle Mus | ſter vorgezeichnet haͤtte. Auf dieſe Aeuſſerung meines Freundes baute ich meinen Plan, ich glaub⸗ te in dem ungluͤklichen Karl den Mann gefunden zu haben, welchen iener fo lange geſucht hatte, und eilte zu ihm, um ihm meine Entdekkung be⸗ kannt zu machen. Ich achtete es fuͤr Pflicht, offen O 2 mit 212 mit ihm zu ſprechen, ihm nicht allein die Vorzuͤ⸗ ge, ſondern auch die Fehler des Ungluͤklichen ge⸗ treu zu ſchildern. Er laͤchelte, wenn ich die er⸗ ſtern in allzu helles Licht ſtellte, und uͤber die lez⸗ tern durch tauſend Entſchuldigungen einen noͤthi⸗ gen, und wohlthaͤtigen Schatten zu verbreiten ſuchte, aber er widerſprach nicht, als ich dreuſt behauptete, daß er ſelbſt in dieſer Lage nicht beſ⸗ ſer, vielleicht noch tadelhafter handeln wuͤrde. Die arme Familie, ſprach er endlich, dul⸗ det groſſes, und, wenn die Erzaͤhlung aͤcht iſt, warlich unverdientes Ungluͤtk. Es iſt Menſchen⸗ pflicht, dieſes zu lindern, es iſt meine beſondere Pflicht, weil mir Gott Gelegenheit goͤnnte, es ohne Schaden thun zu koͤnnen. Der Reiz zum Trunke iſt groß, und wird er zur Gewohnheit ⸗ meiſtens unwiderſtehlich „ ich erwartete daher von dem Vater der Ungluͤklichen keine Früchte feiner vielleicht ſehr groſſen und nuͤzlichen Kunſt, aber ich kann die Frau und die Kinder derſelben in meiner Fabrike nuͤzlich verwenden, ich verſpreche es ihnen, im Anfange nur den guten Willen, nicht den möglichen Nuzen zu erwaͤgen, und bin dann Buͤrge, daß ſie in der Folge ſich anſtaͤndig und redlich ernähren, einſt nuͤzliche Glieder des Staats werden koͤnnen. Er forſchte nun nach ihrer Woh⸗ nung, und verforan mir in einigen Tagen nähere Ge: 213 Gewißheit zu ſagen; denn er verheelte mir es nicht, daß er vorher mit eignen Augen ſehen wol⸗ le, weil er in allen dieſen Faͤllen die meinigen fuͤr ein Vergroͤſſerungsglas achtete, das oft mehr als ein natürliches Auge ſehe und entdekke. Seine empfindſamere Gattin — man misdeute hier dies Wort ia nicht — war bei meiner Erzaͤhlung zu⸗ gegen, die Schilderung des namloſen Elends der ungluͤklichen Familie hatte oft ihr Auge genaͤßt, ſie verſprach mir, Fuͤrbitterin zu werden, und zur thaͤtigen Linderung kraͤftig mitzuwuͤrken. Mit dieſem nun groͤſſern Troſte eilte ich ſogleich in die Wohnung des Jammers, machte allen meinen Plan kund, ermunterte den armen Karl im Voraus zum Entwurfe einer ſchiklichen Zeichnung, und verbrel⸗ tete auf dem Angeſichte aller Leidenden den fo Auf: ſerſt angenehmen, dem fuͤhlenden Herzen fo wohk— thuenden Blik der Hofnung. Um ſie wenigſtens auf einige Tage fuͤr Mangel zu ſichern, gab ich, was ich vermochte, und harrte nun mit Ungeduld der Entſcheidung entgegen. Ich beſuchte meinen Freund täglich, ſuchte zu erinnern, wo's Gelegenheit zur Erinnerung gab, aber er antwortete nur ſelten, ſchien ſtets ſpoͤttiſch, wenigſtens geheimniß voll zu laͤcheln, und wenn ich mich dann zur neuen Fuͤrbitte an feine Gattin vertyande, fo erblikte ich auch auf | ih⸗ 214 ihrem Geſichte einen merkbaren Zwang, der mir nichts Troͤſtendes zu verſprechen ſchien. Da ich den Leidenden auf dieſe Art keinen neuen Troſt bringen, den bereits geſchenkten — wenn ich offen handeln wollte — vielmehr mindern mußte, ſo vermied ich abſichtlich den Beſuch bei ihnen; wie ich aber nach acht langen Tagen endlich uͤberleg⸗ te, daß neuer Mangel ihre Qual vermehren muͤſ⸗ fe, fo beſchloß ich hinzugehen, und wenigſtens ſo lange zu geben, als es meine Kräfte erlauben wuͤrden. f Ich druͤkte vergebens an der Klinge der kleinen Thuͤre, welche zu ihrer Wohuung leitete. Nach langem Klopfen erblikte ich endlich ein Vor⸗ haͤngſchloß an derſelben, und ward nun uͤberzeugt, daß niemand zu Hauſe ſein koͤnne. Eine Magd, wel⸗ che im Hintergrunde des Hofs arbeitete, hatte mein Klopfen gehoͤrt, und trat herbei, um mich laͤchelnd zu fragen: Wen und was ich hier ſuche? Da ich nach der ungluͤklichen Familie forſchte, ſo verſi⸗ cherte ſie mich dreuſt, daß der elende Saufaus ſamt ſeinem Weibe und Kindern die Wohnung bei Nacht und Nebel. verlaſſen habe, und wahr⸗ ſcheinlich eines ſchlechten Streiches wegen auf dem Lande herum irren werde. Ich bin, fuͤgte ſie hinzu, herzlich froh, daß wir ſie los ſind, denn es drang mir manchmal bis ins Innerſte der See⸗ le, 213 le, wenn Weib und Kinder für Hunger weinten, und der luͤderliche, beſofne Vater dazu lachte, oder luſtige Lieder ſang. Gott wird auch einmal ſtreng mit ihm ſprechen, und ihn hart ſtrafen, weil er ein ſo boͤſer Gatte und Vater war! Nach dieſen Worten ging fie wieder an ih⸗ re Arbeit, und ich wandelte ſtaunend fort, weil ich die Urſache dieſer ſchnellen Entfernung nicht begreifen konnte. Ich geſtehe es offenherzig, daß ich mich hintergangen und betrogen glaubte, mei⸗ mem zu leichtglaͤubigen Herzen Vorwuͤrfe daruͤ⸗ ber machte, und feſt beſchloß, kuͤnftig ſtrenger zu pruͤfen, ehe ich thaͤtig handeln wuͤrde. Es that mir ſehr weh, als es mir ſo ganz einleuchtend wurde, daß dieſe Familie vielleicht nie beſſere Tage kannte, oder gewiß durch eigne Schuld und Luͤderlichkeit ungluͤklich wurde, nur durch er⸗ dichtetes Ungluͤk, und ſcheinheilige Lüge guther— zige Menſchen zu taͤuſchen ſuchte, und nun ent⸗ flohen war, um nicht durch Fleiß und Arbeit, die ich ihnen verſprochen hatte, ihr Brod im Schweiſe des Angeſichts verdienen zu muͤſſen. Das Betragen meines Freundes und ſeiner Gat⸗ tin ward mir nun auf einmal erklaͤrbar; er wird, dachte ich, genauer als du gepruͤft, den Betrug entdekt, und dadurch wahrſcheinlich die ſchnelle Flucht veranlaßt haben. Ich war mißvergnuͤgt 2 und 816 und traurig, ich wollte eben nach Hauſe eilen, als mir nahe bei meiner Wohnung, mein Freund ſamt ſeiner Gattin begegnete, und mich verſicher⸗ te, daß er eben gekommen ſei, um mich zu einem Spaziergange nach ſeinem Garten zu laden, der nahe bei ſeiner neuen Fabrik lag. Es iſt heute ein herrlicher Tag, ſprach er, wir wollen ihn in ihrer Geſellſchaft genuͤſſen, und hoffen zu verſicht⸗ lich, daß dieſe den reichen Genuß vermehren wird. Ich neigte mich ſtillſchweigend, und ſchlenderte muͤrriſch neben her, das Bekenntniß meines be⸗ trognen Herzen lag auf meiner Zunge, da aber die Laune meines Freundes heute mehr als ie⸗ mals zum Spotte geſtimmt war, ſo ſchwieg ich abſichtlich, weil ich deutlich fuͤhlte, daß Spott mir aͤuſſerſt weh thun, mich eg gar zum Zorne reizen koͤnne. Mein ohnehin ſcharfſichtiger Freund mußte meinen Verdruß, den ich nicht zu unterdruͤkken faͤhig war, deutlich bemerken, aber er forſchte nicht nach der Urſache, ſuchte mich zu erheitern, und zum Genuſſe der reizenden Natur faͤhig zu machen. Wir erreichten den Garten, und gingen endlich nach der Fabrik, um dort, wie's ſchon oft geſchehen war, die neuen Arbeiten zu betrach⸗ ten. Sonſt nahm ich an ieder Kleinigkeit lebhaf⸗ ten Antheil, heute ging ich ungeruͤhrt worüber, 6 Das 217 Das thaͤtige Gewuͤhle, welches hier uͤberall herrſchte, verſtimmte mich noch mehr, ich wuͤnſch⸗ te herzlich, daß der Beſuch enden moͤge. Wir traten nun in ein abgelegnes Zimmer, mein Au⸗ ge hing am Boden; ich blikte ſorſchend auf, als ein Knabe meine Hand inbruͤnſtig kuͤßte, als ich vor und hinter mir Willkomm und warmen Dank ſtammlen hoͤrte. Ich ſtaunte und fuͤhlte! O Gott! koͤnnte ich doch oft auf meiner Wallfahrt hienie⸗ den ſo ſtaunen und fuͤhlen. Ich genoß Seligkeit im vollen Maaſe, war nicht vermoͤgend, fie aus⸗ kbudruͤkken. Ich ſtand im Zirkel der ungluͤklichen Familie, alle Zweige derſelben hatten mich um⸗ ringt, alle waren reinlich und ſauber gekleidet, ihre bleiche Hungerfarbe ſchien ſchon zu ſchwinden, auf den Geſichtern der Kleinen erblikte ich kei⸗ mendes Roth. Der Vater zeichnete, und die Mut⸗ ter war ſamt ihren Kindern mit Farben beſchaͤf⸗ tigt, mit welchen ſie die Blumen eines Stuͤk Zi⸗ zes ſchattirten. Nie! Nie will ichs ihnen vergeſ⸗ fen! rief ich aus, und ſank in die Arme meines Freundes, der ſeine edle That tief fuͤhlte, n ihre Frucht mit Wohlgefallen genoß. 2 Nach und nach ward mir Erklärung. Mein Freund hatte aͤuſſerſt thaͤtig gehandelt; ſchon am nemlichen Tage, als ich ihm die ganze Geſchich⸗ te erzählte, hatte er die ungluͤkliche Familie bes ſucht, 218 — — — ſucht, und troͤſtend it. ihr geſprochen. Er trug dem Vater auf, ihm einige Ideen zu Muſtern zu entwerfen, er uͤbertraf feine Erwartung, und nun ward der Rettungsplan eben ſo ſchnell aus⸗ geführt. Die edle Gattin meines Freundes ſorg⸗ te für uoͤthige Waͤſche und Kleider, und wie dies ſe bereit waren, ſo mußten alle ihre vorige Woh⸗ nung im Geheim und Abends verlaſſen, damit ich nichts erfahren moͤge, und ſeiner Zeit auf ſo reizende Art uͤberraſcht werden koͤnne. Die heim⸗ liche Entfernung, welche freilich einer Flucht aͤhn⸗ lich ſah, gab den Bewohnern ganz natuͤrlich Stoff zu der Vermuthung, mit welcher die Magd mein Herz ſo weidlich geaͤngſtigt hatte. Mein Freund gab der ganzen Familie das ofne Zeugniß, daß er nicht allein mit ihrem guten Willen, ſondern auch mit ihrem wuͤrklich raſtloſen Fleiſſe aͤuſſerſt zufrieden ſei, dieſen mehr maͤſſigen, als wekken muͤſſe. Wenn ſie, ſprach er zum Vater, ſo fort⸗ fahren, dem Reize zum Trunke entſagen, ſo bin ich ihnen Buͤrge, daß ſie einſt einen leichten To⸗ deskampf haben, und nicht fuͤr wan Schikſal der ihrigen zagen duͤrfen. i f Er erzaͤhlte mir nun die ganze Shurich ung, welche er zum Wohle dieſer Familie getroffen hat⸗ te. Sle machte feinem Verſtande und Herzen gleich groſſe Ehre. Alle erhielten von ihm Koſt. : Klei⸗ 219 Kleidung und iedes andere Beduͤrfniß unentgelds lich, aber ihren Verdienſt, den er als Menſchen⸗ freund, nicht als Kaufmann ausgemeſſen hatte, ward ihnen deswegen doch iede Woche genau be⸗ rechnet, und die Gattin meines Freundes uͤber⸗ nahm den Ueberſchuß zur Aufbewahrung. Er wollte durch dieſe kluge Einrichtung den ungluͤk⸗ lichen Gatten vor fernerem Reiz zum Trunke be⸗ wahren, er ſchien feinen Entzwek um fo ſicherer zu erreichen, weil er ihm taͤglich etwas Brand⸗ wein, und bei Tiſche auch Wein reichen ließ, und es durchaus nicht duldete, wenn Karl, um ſeinen feſten Vorſaz zu beweiſen, keins von Beiden trin⸗ ken wollte. Die Natur, ſprach er, duldet keinen iaͤhen Sprung, ſie raͤcht ihn immer mit traurigen Folgen. Genuͤſſen fie. daher alles, was ich ih⸗ nen gebe, es wird ſchon noch, mit Gottes Huͤlfe, die Zeit kommen, in welcher ich weniger, endlich gar nichts mehr geben, und das reizende Vergnuͤ⸗ gen genuͤſſen werde, einen geſchikten Mann dem Verderben entriſſen zu haben. Der nun folgende Abend verfloß ſelig, wir ſpeiſten im Garten, Karl und ſeine Frau ſaſſen in unſrer Mitte. Mein Freund war ſein Mund⸗ ſchenke, er beobachtete ihn genau, und freute ſich herz⸗ lich, wle er ein volles Glas ſtandhaft zuruͤkgab, welches er ihm abſichtlich uͤber das ausgemeßne Ziel 220 | Ziel reichte. Erſt um Mitternacht gingen wir nach der Stadt zuruͤk, meine gewekte Einbildungskraft wuͤrkte heftig, es war mir, als ob auf ledem hellglaͤnzenden Sterne ein Eegel tanze, der mei⸗ nes Freundes That lobe, und ſich des Gluͤks der Armen mit mir freue. Ich ruhte ſanft, ich er⸗ wachte heiter und thaͤtig. O wenn Mitwuͤrkung zum Wohle ſeines Nebenmenſchen ſchon ſo viel Wonne gewaͤhrt, wie groß, wie unendlich 080 erſt die Wonne des Vollenders fein! Mein Freund gab in der Folge Karln das beſte Jeugniß feines Fleiſſes und feiner Enthalt⸗ ſamkeit. Er vermied nicht nur jede Gelegenheit zum Trunke, ſondern er widerſtand ihm auch, wenn Gelegenheit dazu ſich bot. Seine geſchmak⸗ vollen Zeichnungen ſezten meinen Freund in den Stand, ſtets neue und unerwartete Produkte zu liefern, die begierig geſucht und gekauft wurden, und namhaften Gewinn brachten. Meines Freun⸗ des Dank war groß, und ich genoß, nach einem halben Jahre, ſchon das entzuͤkkende Vergnuͤgen die ungluͤkliche Familie im bürgerlichen Wohl⸗ ſtande zu ſehen. Aber bald ward das Gluͤk der⸗ ſelben wieder zeruͤttet, und endlich gar zerſtoͤrt! Karl liebte alle ſeine Kinder, aber unter die ſen den aͤlteſten Sohn am meiſten, weil er groſſes Genie zum Zeichnen verrieth, und in kurzer Zeit 5 ge⸗ | x 22. gegruͤndete Hofnung gab, einſt leiſten zu koͤnnen, was ſein Vater izt leiſtete. Dieſer Sohn ward krank, und ſtarb. Karl weinte keine Thraͤne, als er den Liebling ſeines Herzens zu Grabe trug, aber ſeine Miene und ſein ganzes Betragen be⸗ wies deutlich, daß ſein Schmerz groß und un⸗ nennbar ſei. Am Tage nachher arbeitete er nicht mehr, und am zweiten kam er berauſcht nach Hau⸗ Ich will die Mittel nicht alle anfuͤhren, die mein Freund, vereint mit Karls ungluͤklicher Gattin anwandte, um die gewekte Begierde und Leidenſchaft in ihrem Aufkeimen zu erſtikken, ſie waren alle fruchtlos. Karl vereitelte die ſtreng⸗ ſte Aufſicht, verkaufte oft, was er in der Eile fand, um ſeine Begierde zu befriedigen, ſich lu⸗ ſtig und froͤhlich zu zechen. Da man ihn ſtets be⸗ obachtete, ſtets ſuchte, und oft fand, ſo trank er den ſcharfen Brandwein aͤuſſerſt haſtig, und zerſtoͤrte dadurch eben ſo wahrſcheinlich ſeine bis izt nicht wankende Geſundheit. Die ſichtbaren Zeichen einer unheilbaren Abzehrung foͤrderten und mehrten feinen Hang zum Trunke, er ward zu aller Arbeit unfähig; mein Freund ernaͤhrte ihn redlich bis an ſeinen Tod, der nich im naͤchſten i Fruͤhiahre erfolgte. Seine ungluͤkliche Gattin blieb als Haus⸗ haͤlterin im Dienſte meines Freundes, folgte aber ih⸗ 222 7 — ihrem Gatten bald nach. Seine Kinder wurden verſorgt, leben zufrieden und vergnuͤgt, und er- innern ſich ihres ungluͤklichen Vaters noch immer mit inniger Wehmuth. Und du nicht auch? lieber, gefuͤhlvoller Le⸗ ſer! Erinnere dich noch einmal aller ſeiner Un⸗ gluͤksfaͤlle, verſezze dich in ſeine Lage, fuͤhle, was er fühlte, und ſtoſſe — wenn du's vermagſt — den berauſchenden Becher zuruͤk, der dir die Erinne⸗ rung deines Ungluͤks raubt, wenigſtens eine kur⸗ ze Zeit den nagenden Schmerz deiner Seele ſtillt, und dich zum „ Traͤumer macht. ar vr . r 5 f 2 8 a * 1 ie ee - es an NE a Fr * — — N 7 ' 7 8 K | ! T RR * u ng * 1 * * 0 7 0 . 5 5 1 5 h. 5 4 . 8 * N 0 (* RN * 6 1 1 4 0 \ N . s N 8 N x \ N 1 = f k » 8 5 5 . \ „ * . „ . a 5 FR. REN,